Respekt - was sonst?
\nMenschen in prek\u00e4ren Lebensverh\u00e4ltnissen sind von der Corona-Krise besonders hart betroffen, werden aber kaum geh\u00f6rt. Die Probleme, vor die Wohnungslose und Drogengebrauchende w\u00e4hrend der letzten Monate gestellt wurden, m\u00f6gen zwar teilweise schon vorher bestanden haben, sie haben sich nun aber deutlich versch\u00e4rft. Insbesondere der mangelhafte, teilweise auch fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung und zu grundlegenden Hygienem\u00f6glichkeiten stellen eine unzumutbare zus\u00e4tzliche Gefahr f\u00fcr die Betroffenen dar.
Soziale Sicherheiten und Schutzr\u00e4ume st\u00e4rken
Schon vor Corona galt: das Leben auf der Stra\u00dfe birgt die Gefahr, auf vielen Ebenen krank zu werden. Eine einseitige Ern\u00e4hrung und mangelnde Sauberkeit aufgrund eingeschr\u00e4nkter M\u00f6glichkeiten oder auch Ressourcen tragen dazu bei, dass obdachlose Menschen h\u00e4ufiger krank werden. Menschen, die unregelm\u00e4\u00dfigen Zugang zu w\u00e4rmenden Orten oder Medikamenten haben, leiden oft unter hartn\u00e4ckigen Erk\u00e4ltungskrankheiten, Hautproblemen und schlecht heilenden Wunden, die dringend versorgt werden m\u00fcssen.
Ein Teil der wohnungslosen Menschen gebraucht zudem legale und illegalisierte Drogen. Sie geh\u00f6ren damit zu einer besonders vulnerablen Gruppe \u2013 ein Zustand, der sich w\u00e4hrend der Coronakrise weiter zugespitzt hat. Vielen war es w\u00e4hrend der Einschr\u00e4nkungsma\u00dfnahmen weder m\u00f6glich, sich das erforderliche Geld f\u00fcr den Konsum zu besorgen, noch, an die ben\u00f6tigten Substanzen zu kommen. Eine weitere gefahrvolle Folge f\u00fcr Einzelne: einen unbegleiteten Entzug durchstehen zu m\u00fcssen. Dies ist eine au\u00dferordentliche k\u00f6rperliche und psychische Belastung, die unter Umst\u00e4nden auch zum Suizid f\u00fchren kann.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Gefahren f\u00fcr Leib und Leben der Betroffenen muss ihr Zugang zu Gesundheitsangeboten dringend gew\u00e4hrleistet sein. Drogengebrauchende und Wohnungslose haben das Recht, auch und insbesondere zu Ausnahmezeiten durch das Gesundheitssystem aufgefangen zu werden. Diese soziale Sicherheit war zwischenzeitig aber nicht garantiert. Davon erz\u00e4hlt auch ein Sozialarbeiter aus der Drogenhilfe: \u201eWir wussten am Anfang nicht, ob wir (Wohnungslosenhilfe und Drogenhilfe, Anm. Red) weiterarbeiten k\u00f6nnen, ob wir als systemrelevant eingestuft werden oder nicht. Wir haben uns nat\u00fcrlich auch Sorgen gemacht um die Klienten.\u201c [1]
\u201eDu kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen\u201c
Soziale Widerspr\u00fcche und Diskriminierung nehmen in Krisenzeiten zu. Daraus entstehende \u00c4ngste, aber auch sozialdarwinistische Verhaltensweisen werden leicht auf dem R\u00fccken (wohnungsloser) Drogengebraucher*innen ausgetragen. Die fehlenden M\u00f6glichkeiten, eine eigene Wohnung als Schutzraum aufzusuchen oder an Schutzausr\u00fcstung zu kommen, werden den Betroffenen zum doppelten Verh\u00e4ngnis. Sie werden als Menschen mit hohem Infektionsrisiko stigmatisiert, wodurch die soziale Ausgrenzung zunimmt.
Gleichzeitig wird ihnen der Zugang zu \u00fcberlebensnotwendigen Hilfen eingeschr\u00e4nkt, weil \u00fcbliche Unterst\u00fctzungsstrukturen wenig oder gar nicht zur Verf\u00fcgung stehen (k\u00f6nnen). In Gespr\u00e4ch mit dem re:volt magazine bringt Niels die Situation von ihm und anderen Betroffenen auf den Punkt: \u201eDu kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen, sonst wird er verhaftet\u201c.
Trotz, und auch gerade wegen der widrigen Bedingungen f\u00fcr prekarisierte Menschen haben die Hilfsbereitschaft und die Solidarit\u00e4t zugenommen. Zahlreiche Menschen beteiligten sich aktiv an Hilfsstrukturen oder wurden anderweitig aktiv. Auch auf der Ebene der Institutionen gab es Verbesserungen, die hoffentlich auch noch nach der aktuellen Krisenzeit Bestand haben werden: In der sonst von Fremdbestimmung und Paternalismus gepr\u00e4gten Substitutionsbehandlung [2] wurden die Regeln gelockert. Dies betraf auch einige Berliner Substituierte, wie Andreas von der Selbsthilfe Organisation \u201eJunkies Ehemalige Substituierte [JES)\u201c berichtet. In den konkreten F\u00e4llen wurden die Vergabekriterien f\u00fcr die sogenannte Take-Home-Regelung gelockert, damit Patient*innen nicht mehr t\u00e4glich in die Praxis kommen m\u00fcssen. Auch die rassistische Benachteiligung von nicht-versicherten migrantischen Drogengebrauchenden wurde an einigen Orten durchbrochen und tempor\u00e4re Hilfen geschaffen Gesundheitspolitisch muss jetzt daf\u00fcr gesorgt werden, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Ma\u00dfnahmen erhalten bleiben. Zwischenzeitig wurden zum Beispiel. die Kosten f\u00fcr eine Substitutionsbehandlung nicht-versicherter Menschen schnell und unb\u00fcrokratisch durch soziale Tr\u00e4ger \u00fcbernommen. Inzwischen ist es wieder sehr schwierig und nur zu bestimmten Bedingungen m\u00f6glich eine Kosten\u00fcbernahme zu bekommen. Hier gilt es anzusetzen und diese R\u00fcckschritte nicht zuzulassen. Auch deshalb wird es am 21. Juli anl\u00e4sslich des Internationalen Gedenktags f\u00fcr verstorbene Drogengebrauchende Aktionen geben. Der Gedenktag sollte in diesem Jahr eigentlich Probleme der Substitution ins Zentrum r\u00fccken, berichtet Andreas. \u201eMigrant*innen haben oft keinen Zugang zu Substitution, das sollte thematisiert werden. Aber was dieses Jahr nun alles thematisiert werden soll, wissen wir noch nicht genau. Corona steht im Vordergrund, und wir werden aktuell gut daran erinnert, wie drogengebrauchende Menschen stigmatisiert werden, weil es durch Corona nun noch deutlicher wird.\u201c
Kein Schritt zur\u00fcck
Die Krise wird dadurch auch zur Chance f\u00fcr erfolgversprechende K\u00e4mpfe um Selbstbestimmung sowie f\u00fcr eine vorurteils- und repressionsfreie Drogenpolitik. Gesundheitspolitisch braucht es jetzt gesellschaftliche Solidarit\u00e4t und fortschrittliche soziale Tr\u00e4ger die daf\u00fcr Sorge tragen und Forderungen an die Gesundheitspolitiker*innen stellen, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Ma\u00dfnahmen erhalten bleiben und weiter im Sinne der Adressat*innen ausgebaut werden. Gesellschaftlich bleibt zu hoffen, dass Solidarit\u00e4t mit den Marginalisierten und Prekarisierten weiter gest\u00e4rkt wird und auch nach der Krise nicht nachl\u00e4sst.
\u201eRespekt \u2013 was sonst?!\u201c \u2013 re:wire Videobericht
Arme Menschen sind insgesamt einer besonderen Gefahr durch Covid19 ausgesetzt. Dabei sind Wohnungslose und drogengebrauchende Menschen von der Coronakrise spezifisch betroffen. Wir haben mit Betroffenen, Aktivist*innen in Selbsthilfestrukturen und mit Sozialarbeitenden \u00fcber gesundheitspolitische Herausforderungen und Notwendigkeiten der Solidarit\u00e4t in Zeiten krisenhafter Hilfesysteme gesprochen. Der Beitrag wird im Vorfeld des Internationalen Gedenktags f\u00fcr verstorbene Drogengebraucher*innen ver\u00f6ffentlicht, der am 21. Juli stattfindet.
Anmerkungen zum Artikel
[1] Bei der Einrichtung handelt es sich um eine Kontaktstelle f\u00fcr drogengebrauchende Menschen mit integriertem Drogenkonsumraum. Angebote der Einrichtung sind Konsumutenislienvergabe , \u00fcberlebenspraktische Hilfen, sozialarbeiterische Beratung und Drogenkonsum unter medizinischer Aufsicht.
[2] Substitutionsmittel sind \u00e4rztlich verschriebene Bet\u00e4ubungsmittel, die bei opioidabh\u00e4ngigen Patient*innen im Rahmen eines Therapiekonzeptes eingesetzt werden.
Artikel und Video-Bericht \u201eRespekt \u2013 was sonst?!\u201c wurden im Vorfeld zum Internationalen Gedenktag f\u00fcr verstorbene Drogengebraucher*innen ver\u00f6ffentlicht, der am 21. Juli begangen wird. Auf der Homepage der Selbsthilfe-Organisation \u201eJunkies Ehemalige Substituierte\u201c (JES) gibt es weitere Informationen zum Geschichte des Gedenktags sowie zu aktuellen Protesten und Aktionen.