Faschismus im Trikont: Ist der IS faschistisch?
\nIn\neinem Punkt scheinen sich weite Teile der radikalen Linken in puncto\nSyrien einig zu sein: Der Islamische Staat (IS), die\nDjihadistenmiliz, deren Wurzeln im Al-Qaida Netzwerk des Irak liegen\nund die bis vor ein, zwei Jahren weite Teile des Irak und Syriens\nkontrollierte, muss weg. Die Motivation dahinter ist sicherlich\nunterschiedlich. Ein Motiv taucht jedoch schon seit l\u00e4ngerer Zeit\nimmer wieder auf, ohne dass es in der Regel hinreichend begr\u00fcndet\nwird: Der Islamische Staat m\u00fcsse bek\u00e4mpft werden, denn er sei eine\nfaschistische Bewegung. Die kurdische Befreiungsbewegung spricht vom\nFaschismus, weite Teile der t\u00fcrkischen Linken sprechen vom\nFaschismus und auch in Deutschland ist das Argument von einem\nislamischen Faschismus in\nBezug zur T\u00fcrkei Erdo\u011fans oder eben den zahlreichen\nDjihadistenmilizen weltweit zunehmend popul\u00e4r \u2013 nicht nur in der\nLinken, sondern gerade auch in der Neuen Rechten.\nWarum ist die Frage also relevant? Weil an der Frage, ob etwas\nfaschistisch ist oder nicht, die Frage dranh\u00e4ngt, wie ein Gegner zu\nbek\u00e4mpfen ist, auf welche historische Strategien zur\u00fcckgegriffen\nwerden kann oder eben nicht: ,,Know your Enemy\u201c ist eben auch f\u00fcr\neine Linke zentral, die den Kampf aufnehmen will.
\n\n\nWas ist Faschismus?
\n\nDoch rekapitulieren wir nochmal: Was ist klassischerweise Faschismus?\nDer Faschismus ist erstmal eine politische Bewegung und eine\nautorit\u00e4re und staatsterroristische Variante b\u00fcrgerlicher\nHerrschaft, das hei\u00dft ein modernes Ph\u00e4nomen, das sich auf den\nKapitalismus als \u00f6konomische Basis und den b\u00fcrgerlichen Staat als\npolitischer Form bezieht. Er beinhaltet ein jeweils verschiedenes\nIdeologiekonglomerat, das im Groben aus Versatzst\u00fccken eines\nv\u00f6lkischen Nationalismus, verschiedenen Spielarten des Rassismus,\nMilitarismus, Autoritarismus, Antifeminismus und Antikommunismus\nbesteht. Einer seiner Hauptfunktionen \u2013 unabh\u00e4ngig von, aber\nmeistens deckungsgleich mit seinem eigenen Selbstverst\u00e4ndnis \u2013 war\nund ist die Eliminierung jeder fortschrittlichen Bewegung und\nOrganisation. Zur Macht gekommen war sein Regime stets in einem\nHerrschaftsb\u00fcndnis der r\u00fcckst\u00e4ndigsten und autorit\u00e4rsten Teile\nder Gesellschaft: Kirche, Krone, Milit\u00e4r, Geheimdienste, v\u00f6lkische\nKonservative und Anhang, zusammen mit dem gro\u00dfen Kapital und dem\nGro\u00dfgrundbesitz. In seinem Klassenhintergrund und Standpunkt als\nBewegung ist er im Prinzip gro\u00dfb\u00fcrgerlich mit kleinb\u00fcrgerlicher\nMassenbasis, versucht aber durch seine vermeintlich\nantikapitalistische, faktisch v\u00f6lkische Rhetorik auch die unteren\nKlassen unter sich zu vereinen. Ein zentrales Moment seiner\nHerrschaftsmethode ist die Massenmobilisierung. Wenn wir diesen\nZusammenhang betrachten, m\u00fcssen wir zun\u00e4chst eines festhalten: Die\nMehrheit der Bewegungen und Regime, die klassischerweise als\nfaschistisch bezeichnet werden, waren europ\u00e4isch. Das Konzept\nFaschismus selbst kommt aus Italien.
\n\n\nDie \u00c4hnlichkeiten
\nKann\nalso auf diesem Hintergrund davon gesprochen werden, dass der IS\nfaschistisch ist? Zweifellos hat der IS ein reaktion\u00e4res Programm\nmit entsprechender autorit\u00e4rer Ideologie. Wie der historische\nFaschismus, ist auch der IS die Nemesis jeder progressiven Bewegung.\nMit einer vermeintlich antiimperialistischen Rhetorik und sozialer\nDemagogie versucht der IS eine klassen\u00fcbergreifende\nUnterst\u00fctzungsbasis herzustellen. Der IS tastet\nEigentumsverh\u00e4ltnisse nicht an, sondern verb\u00fcndet sich mit dem\njeweils lokal ans\u00e4ssigen Kapital und dem internationalen Kapital\nseiner Unterst\u00fctzer in der T\u00fcrkei, Saudi-Arabien und so weiter.\nDar\u00fcber hinaus verfolgt er ein strikt genozidales Programm der\nLiquidierung von Minderheiten beziehungsweise deren Gleichschaltung\nin ein totales theokratisches System. \u00c4hnlichkeiten liegen also auf\nder Hand.
\n\n\nDie Unterschiede
\nKommen\nwir zu den Unterschieden. Der IS baut seine Herrschaft in\nnicht-europ\u00e4ischen Gesellschaften auf, die von Mischformen\nb\u00fcrgerlicher, feudaler und semi-feudaler Produktionsweisen und\nGesellschaftsformen oder zumindest transformierten \u00dcberresten\nhiervon gepr\u00e4gt sind. Zumeist auch in solchen L\u00e4ndern, in denen das\nb\u00fcrgerliche Staatsverst\u00e4ndnis durch den westlichen Kolonialismus\nerst importiert wurde und mehr auf Aushandlungen und Machtteilung mit\nlokalen Eliten basierte als auf einer zentralstaatlichen Autorit\u00e4t.\nDas sind ganz grundlegend andere Voraussetzungen, die andere Folgen\nzeitigt: Der IS bezieht sich weder auf das moderne Konzept Nation,\nnoch auf das Konzept\nVolk, noch auf das Konzept\nb\u00fcrgerlicher Staat. Stattdessen\nbegr\u00fcndet er seine Herrschaft religi\u00f6s und verfolgt ein\nStaatskonzept, in dem es keine Grenzen, nur Fronten gibt. Das Kalifat\nist im Prinzip ein weltumfassendes Konzept \u2013 etwas, das dem\nFaschismus, der ja gerade eine Identit\u00e4t von (National-)Staat und\nVolk herstellen m\u00f6chte, schon im Prinzip widerspricht.
\n\nDer gr\u00f6\u00dfte Unterschied zum IS\nzeigt sich jedoch in seiner \u00f6konomischen Basis und damit seiner\npolitischen Perspektive: Der IS stellt keine durch Terror\nstabilisierte Herrschaft des expansiven Gro\u00dfkapitals in einem\nimperialistischen Land dar, sondern ist eine instabile\nkapitalistische Kriegs\u00f6konomie, in der unterschiedliche\ngro\u00dfkapitalistische Gruppen und politische Interessen der Welt (z.B.\nRussland, USA, Saudi-Arabien, T\u00fcrkei usw.) mitmischen. Dem IS fehlt\nes somit an eigenst\u00e4ndiger Perspektive, weil an eigenst\u00e4ndiger\nentwickelter \u00f6konomischer Basis. Insofern ist und wird der IS\nniemals derart von Bedeutung und Umfang sein, wie klassische\nfaschistische Herrschaften und Regime in Europa es waren, die durch\nfaschistische Stabilit\u00e4t und ihre \u00f6konomische Potenz in die Lage\nversetzt wurden, Weltkriege im Interesse ihrer Gro\u00dfkapitalisten zu\nf\u00fchren. Der IS ist demgegen\u00fcber rein \u00f6konomisch ein\n\u00dcbergangsregime, das bei aller zur Schau gestellter Brutalit\u00e4t ein\nim Vergleich und strukturell betrachtet harmloses Ventil darstellt\nf\u00fcr M\u00f6chtegernkalifen aber auch Unzufriedene, sowie der Neuordnung\nder Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse im Nahost-Raum dient \u2013 unabh\u00e4ngig davon,\ndass er selbst aktiv \u201edas Kalifat\u201c anstrebt. Und deshalb ist er\nzwar auch in der Lage, eines der brutalsten Schreckensregime der\nletzten Jahre zu installieren \u2013 aber innerhalb von wenigen Jahren\nauch wieder erst mal von der Bildfl\u00e4che zu verschwinden.\n\n
\nOffene Fragen
\n\nAlso alles Unsinn mit dem Faschismusbegriff? Nach der engeren\nDefinition sicher ja. Denn wir reden offensichtlich von einem System,\ndas sich in wesentlichen Punkten grundlegend vom historischen,\neurop\u00e4ischen Faschismus unterscheidet. Wenn Begriffe nicht das\nbezeichnen, was sie meinen, dann verlieren sie aber jeden Sinn. Der\nwichtigste Punkt ist aber die Frage, ob die Konzepte\nFaschismus/Antifaschismus f\u00fcr die linken Kr\u00e4fte vor Ort eine Hilfe\ndarstellen: Ob sie helfen, den Gegner zu verstehen, ob die\nhistorischen Strategien gegen den Faschismus helfen, ihn zu besiegen.\nDas mag bezweifelt werden. Wie der Faschismus im Westen stets im\nZusammenhang mit Kapitalinteressen und Staatsinteressen begriffen\nwerden musste, da die f\u00fchrenden Eliten aller L\u00e4nder stets in sein\nRegime integriert und an vorderster Front an seiner Exekution\nbeteiligt waren, so muss die Herrschaft des IS in seinem historischen\nund gesellschaftlichen Kontext gelesen und interpretiert werden. \n
\n\nWas\nbedeutet es etwa f\u00fcr die Region und f\u00fcr eine progressive\nPerspektive, dass Stammesverb\u00e4nde zun\u00e4chst dem IS und nun wieder\nder Syrisch Arabischen Armee\n(SAA) von Pr\u00e4sident Assad die Treue schw\u00f6ren? Was sagen uns die\nlokalen Herrschaftsb\u00fcndnisse des IS \u00fcber den syrischen und\nirakischen Staat? Was sagen uns die Netzwerke mit M\u00e4zenen in\nSaudi-Arabien und Katar \u00fcber die regionale Interessenlage? Wie\nl\u00e4sst sich die Wirkm\u00e4chtigkeit von Religion im derzeitigen Konflikt\nabseits kulturrassistischer Erkl\u00e4rungsmuster aufkl\u00e4ren? Und:\nStellen wir dabei eine Hilfe f\u00fcr fortschrittliche Kr\u00e4fte vor Ort\nwie hierzulande dar, wenn wir den Faschismusbegriff in diesem Kontext\nund in unserem Diskursraum nutzen? Man sollte zumindest zur Zeit\nhierzulande zur Kenntnis nehmen, dass sich insbesondere solche\nStr\u00f6mungen auf den Begriff islamischer Faschismus\nst\u00fctzen, die damit vor allem eine antimuslimisch-rassistische,\nkulturkriegerische und offen neo-koloniale Politik bef\u00f6rdern wollen\nund sich um Fragen von Kapitalismus und Imperialismus nicht oder nur\nwenig k\u00fcmmern.\n