Was bedeutet die \u201ePhase 2\u201c in Italien f\u00fcr die Arbeitswelt?
\nKnapp zwei Monate nach der Einf\u00fchrung des Lockdowns (der sogenannten \u201ePhase 1\u201c, wie die italienische Regierung sie bezeichnete) am 9. M\u00e4rz 2020 befinden wir uns in Italien nun im \u00dcbergang zur sogenannten \u201ePhase 2\u201c, also der (schrittweisen) Wiederer\u00f6ffnung der industriellen Produktion und des gesellschaftlichen Lebens. Seit dem 27. April nehmen rund drei Millionen Arbeiter*innen ihre Arbeit wieder auf. Sie erg\u00e4nzen nun all jene Arbeiter*innen, die w\u00e4hrend des Lockdowns trotz gesundheitlichen Risiken nie aufgeh\u00f6rt hatten zu arbeiten. Anfang Mai wurden die meisten industriellen Aktivit\u00e4ten wieder gestartet. F\u00fcr einen Teil der Dienstleistungen und des Handels ist der Zeitplan, den Premierminister Giuseppe Conte am 26. April angek\u00fcndigt hatte, etwas gestreckter: Bis zum 1. Juni soll Italien zur \u201eNormalit\u00e4t\u201c zur\u00fcckkehren \u2013 falls die Zahl der Erkrankungen und der Todesopfer von Covid-19 nicht wieder zu steigen beginnt.
W\u00e4hrend f\u00fcr die Lohnabh\u00e4ngigen vielerorts die \u201ePhase 2\u201c eine zunehmende Gefahr f\u00fcr Leib und Leben bedeutet, gibt es an anderen Orten dennoch Bewegung: In den letzten zwei Monate der Pandemie haben die Arbeiter*innenk\u00e4mpfe bereits zwei verschiedene Phasen erlebt und in K\u00fcrze werden wir in die dritte Phase eintreten.
Phase 1: Die Arbeiter*innen mobilisieren sich f\u00fcr das Recht auf Leben
In den ersten beiden M\u00e4rzwochen erlebten wir eine kurze, aber intensive Phase der Arbeiter*innenmobilisierung: wilde Streiks, Streiks, die von den konfliktorientierten Basisgewerkschaften USB, S.I. Cobas und CUB und teilweise von der FIOM (die gr\u00f6\u00dfte Metallarbeiter*innengewerkschaft, die zum linken Gewerkschaftsbund CGIL geh\u00f6rt) organisiert wurden, oder auch Arbeitsniederlegungen durch Inanspruchnahme von Krankheitstagen, Urlaub und Spezialabsenzen. F\u00fcr einen Teil der Klasse handelte es sich zudem um einen Kampf f\u00fcr die Einf\u00fchrung von smart working, also von der computergest\u00fctzten Heimarbeit. Dabei ging es aber nicht darum, diese Form der Arbeit grunds\u00e4tzlich als besseres Arbeitsverh\u00e4ltnis zu sehen, sondern darum, unmittelbar das Ansteckungsrisiko zu minimieren.
Die gro\u00dfen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL hinkten diesen Streiks oft hinterher, was auf ihre abnehmende Verankerung in den Betrieben zur\u00fcckzuf\u00fchren ist. Sie begannen die Belegschaften erst dann zu verteidigen, als die Streiks schon in vollem Gange waren. Ein Beispiel f\u00fcr dieses Vers\u00e4umnis sind die Arbeiter*innenproteste bei FIAT-FCA in Pomigliano d\u2019Arco bei Neapel. Hier hatten die Arbeiter*innen die Arbeit aufgrund der fehlenden gesundheitlichen Schutzma\u00dfnahmen niedergelegt. Erst infolge dieser Streiks unterzeichneten die Unternehmensleitung und die Gewerkschaften ein betriebliches Abkommen zur Sicherstellung der gesundheitlichen Schutzma\u00dfnahmen, was wiederum zur vor\u00fcbergehenden Schlie\u00dfung der Fiat-Werke italienweit \u2013 und sp\u00e4ter gar europaweit \u2013 f\u00fchrte.
Durch die gewichtige Rolle von FIAT-FCA im italienischen Kapitalismus hatte dieser Protest einen starken Beispielcharakter auch f\u00fcr andere Sektoren. So mussten auch einige andere Unternehmen aufgrund der als Protestform gew\u00e4hlten hohen krankheitsbedingten Abwesenheitsquote \u201eschlie\u00dfen\u201c. Daraufhin reagierte der Staat: Das nationale Sozialversicherungsamt INPS \u00fcbte Druck auf die Haus\u00e4rzt*innen aus und erteilte ihnen die Weisung, die Arbeiter*innen nicht mehr so leichtfertig krankzuschreiben, um die Arbeitsabsenzen zu beschr\u00e4nken.
In diesen ersten Wochen des Lockdowns erlebte Italien also \u00fcber das gesamte Territorium verteilt einen weitreichenden und diffusen Ungehorsam. Es handelte sich nicht um offensive K\u00e4mpfe, sondern vielmehr um einem Widerstand der Arbeiter*innen gegen den neuen Druck einer Arbeit in Zeiten des Coronavirus. In den K\u00e4mpfen stand der Schutz des Lebens der Arbeiter*innen vor jedem anderen (\u00f6konomischen) Bed\u00fcrfnis. Innerhalb weniger Stunden wurde den Arbeiter*innen bewusst: Die Unternehmen behandelten die Arbeiter*innen schlicht als stets zur Verf\u00fcgung stehende \u201eWaren\u201c; f\u00fcr sie waren die Wirtschaftszahlen wichtiger als die Leben \u201eihrer\u201c Arbeiter*innen; und sie waren weiterhin bereit, eine Wirtschaftsentwicklung zu verteidigen, die f\u00fcr die Unternehmen volle Taschen, f\u00fcr die Menschen jedoch \u2013 letztlich \u2013 den Tod bedeutete.
Eine m\u00f6gliche Wiederaufnahme dieses Widerstands der Arbeiter*innen in Form von \u00f6ffentlich ausgetragenen K\u00e4mpfen oder mittels versteckter Formen des Widerstands als \u201eweapons of the weak\u201c, wie es die amerikanische Soziologin Beverly Silver in ihrem Werk Forces of Labor (2003) beschrieben hat, pr\u00e4gte die politische Debatte dar\u00fcber, welche Sektoren als essentiell und lebensnotwendig zu bezeichnen sind und welche nicht.
Obwohl die Regierung zun\u00e4chst nicht auf die Forderungen nach einer unmittelbaren Wiederer\u00f6ffnung der industriellen Produktion des Unternehmensverbandes Confindustria einging, lenkte sie jetzt in vielen Punkten dennoch ein. So bedeutet die von der Regierung angek\u00fcndigte Phase 2 eine Wiederaufnahme der industriellen T\u00e4tigkeiten und gleichzeitig eine Fortsetzung des Lockdowns \u2013 auch wenn in gelockerter Form \u2013 f\u00fcr die Menschen im Alltag.
Phase 2: Weiterf\u00fchrung der Produktion und R\u00fcckgriff auf soziale Sicherungsnetze
Nach den ersten zwei Wochen im Lockdown \u00e4nderte sich die Situation. Die Streiks nahmen rasant ab. Grund daf\u00fcr war in erster Linie ein infames \u201eProtokoll \u00fcber die Sicherheit an den Arbeitspl\u00e4tzen\u201c, das Regierung, Unternehmensverband und Gewerkschaften am 14. M\u00e4rz unterzeichneten. Mit diesem \u201esozialpartnerschaftlich\u201c unterzeichneten Protokoll gab die Regierung in dem Moment, in dem Millionen von Arbeiter*innen f\u00fcr die vor\u00fcbergehende Schlie\u00dfung der Produktion k\u00e4mpften, den Unternehmen die M\u00f6glichkeit, sie auf Kosten der Gesundheit der Arbeiter*innen weiter laufen zu lassen. Den Arbeiter*innen blieb also nichts anderes \u00fcbrig, als weiterhin den individuellen Weg der Arbeitsabwesenheit (Krankheit, Urlaub, Spezialabsenzen) zu w\u00e4hlen. Darauf wurde vor allem dort zur\u00fcckgegriffen, wo die kollektiven und \u00f6ffentlich ausgetragenen K\u00e4mpfe verloren wurden und die Produktion weiter lief, wo nicht auf smart working zur\u00fcckgegriffen werden konnte und wo die n\u00f6tigen Schutzdispositive (Schutzmasken, Handschuhe, Desinfizierung der Arbeitspl\u00e4tze und so weiter) nicht eingef\u00fchrt wurden. Auch wenn der Handlungsspielraum der Arbeiter*innen dadurch wesentlich eingeschr\u00e4nkt war, stellte diese Kampfform der Arbeitsabwesenheit weiterhin ein starkes Signal dar: Sie legte die kapitalistische Logik offen, in der die Garantie von Profit in Antithese zur Verteidigung des Lebens steht.
Viele Unternehmen wurden durch die Bedrohung der Arbeitsk\u00e4mpfe und den gesellschaftlichen Druck dazu gezwungen, gesundheitliche Schutzdispositive einzuf\u00fchren; andere Unternehmen argumentierten jedoch mit der M\u00f6glichkeit des Arbeitsplatzverlusts f\u00fcr die Lohnabh\u00e4ngigen. Sie nutzten damit die Angst vor Arbeitslosigkeit aus, um die Produktion weiterzuf\u00fchren; ganz so, als ob nichts w\u00e4re. Viele Arbeiter*innen berichteten \u00fcber das \u201erote Telefon\u201c von Potere al Popolo, dass sie gezwungen waren, gegen\u00fcber der Polizei Falschaussagen zu machen, um zum Arbeitsplatz zu gelangen. Dies war beispielsweise oft bei irregul\u00e4r Arbeitenden der Fall, die \u00fcber keinen Arbeitsvertrag verf\u00fcgen und daher rechtlich betrachtet gar nicht zur Arbeit fahren durften.
Ein weiteres seit Beginn der Pandemie m\u00f6gliches Instrument zur Weiterf\u00fchrung der Produktion seitens der Unternehmen war die Beantragung einer Spezialbewilligung bei den Pr\u00e4fekturen \u2013 also den Vertretungen des Innenministeriums in den Provinzen. Diese Ausnahmeregelungen wurden so offen formuliert und die Kontrollen in den Betrieben so unzureichend durchgef\u00fchrt, dass es de facto f\u00fcr die Unternehmen einfach war, straffrei weiter zu produzieren.
Von dieser M\u00f6glichkeit der Ausnahmeregelung machten bis Ende April \u00fcber 196.000 Unternehmen Gebrauch, wobei nur in sechs Prozent der F\u00e4lle die Anfrage abgelehnt wurde. Den Unternehmen wurde gestattet, in der Zeit zwischen der Einreichung und der Pr\u00fcfung des Antrages wieder zu \u00f6ffnen. Es handelte sich dabei um eine lange Zeitdauer wenn man bedenkt, dass die Pr\u00e4fekturen bisher weniger als 50 Prozent der Gesuche bearbeitet haben.
In dieser zweiten Phase versuchten diejenigen Arbeiter*innen, die tats\u00e4chlich nicht zur Arbeit fahren konnten, sozialstaatliche Unterst\u00fctzungsleistungen zu erhalten. Es gab einen regelrechten Ansturm auf das Kurzarbeitsgeld und auf den Bonus von 600 Euro f\u00fcr Selbst\u00e4ndige. Im Wesentlichen formulierten die Arbeiter*innen zwei Forderungen: Erstens die Integration derjenigen Klassensegmente in die sozialstaatlichen Hilfsleistungen, die von den bestehenden Versicherungen ausgeschlossen sind. Zweitens die Entwicklung neuer sozialstaatlicher Instrumente f\u00fcr die Ausgeschlossenen; dazu geh\u00f6ren vor allem die Forderungen nach einem Notlage-Grundeinkommen (reddito d'emergenza), die kollektive Regularisierung von papierlosen Arbeitsmigrant*innen, die zeitliche Ausdehnung der Arbeitslosenentsch\u00e4digung und Spezialzahlungen f\u00fcr Care-Arbeiter*innen.
Die Ma\u00dfnahmen der italienischen Zentralregierung wurden erg\u00e4nzt durch Ma\u00dfnahmen der einzelnen Regionen, doch noch heute warten aufgrund der Tr\u00e4gheit der institutionellen Prozesse Millionen von Arbeiter*innen auf den Zugang zu ihren Rechten. Dabei geht es nicht um ein blindes Hoffen auf die Gutm\u00fctigkeit der Regierung. Es geht darum, dass die Ma\u00dfnahmen zur Unterst\u00fctzung der Arbeiter*innen tats\u00e4chlich beschlossen wurden und also alle Arbeiter*innen ein Recht darauf haben, auch wenn die Ma\u00dfnahmen letztlich ungen\u00fcgend bleiben werden.
Obwohl die Regierung stets verspricht, \u201eschnell zu handeln\u201c, spielt sie auf Zeit. Das angek\u00fcndigte April-Dekret, das die L\u00fccken der vorherigen Dekrete schlie\u00dfen sollte und sowohl Liquidit\u00e4tshilfen f\u00fcr Unternehmen als auch die Aufstockung der sozialstaatlichen Hilfeleistungen vorsah, wird nun doch erst Anfang Mai verabschiedet. Die wachsende Wartezeit schr\u00e4nkt aber die M\u00f6glichkeit gr\u00f6\u00dferer Mobilisierungen ein, die Arbeiter*innen beschr\u00e4nken ihre Forderungen fast ausschlie\u00dflich auf ihre jeweiligen Berufskategorien.
Phase 3: Die Unternehmen nehmen die Produktion wieder auf \u2013 und die Arbeiter*innen ihren Kampf?
Mit der letzten April-Woche fand auch die \u201eGeneralprobe\u201c auf die Wiederer\u00f6ffnung der Produktion statt. Der Wiederaufnahme zahlreicher bis dahin noch geschlossener T\u00e4tigkeiten gingen nationale und/oder lokale Abkommen zwischen Unternehmen und Gewerkschaften \u00fcber die Notwendigkeit der Umsetzung wichtiger Sicherheitsma\u00dfnahmen voraus.
Viele dieser Abkommen wurden von den Medien hoch gelobt. So konnte der Widerspruch zwischen Profit der Unternehmen und der Gesundheit der Arbeiter*innen, welcher in den ersten Wochen des Pandemieausbruchs mit beispielloser Klarheit zutage getreten war, wieder verschleiert werden. FIAT-FCA, Electrolux, Whirlpool und viele andere Gro\u00dfunternehmen wurden als Vorbilder pr\u00e4sentiert: Die Unternehmen k\u00fcmmerten sich um die Gesundheit der Arbeiter*innen! Oder gar noch zynischer: sei sei sogar eine absolute Priorit\u00e4t des \u201eitalienischen Gesch\u00e4ftsmodells\u201c!
Viel wahrscheinlicher, als diese Heilsbotschaft suggeriert, ist jedoch eine Intensivierung des Klassenwiderspruchs in dieser dritten Phase. Sie ist ein neuer Kampfzyklus zur Verteidigung der Gesundheit, der die Logik des Lebens vor die Logik des Profits stellen wird. Es wird sich aber nicht um ein \u201ezur\u00fcck zur Phase 1\u201c handeln: Zum einen, weil die pr\u00e4ventive Repression es schwierig gemacht hat, die k\u00e4mpfenden Arbeiter*innen materiell zu unterst\u00fctzen (ein Streik kann zwar ausgerufen und praktiziert werden, doch ihn mit einem Streikposten oder gar mit einer Demonstration zu unterst\u00fctzen ist nach wie vor sehr schwierig). Andererseits auch deshalb nicht, weil die \u00f6konomische Krise immer sp\u00fcrbarer wird und seit rund einem Monat die Angst um die Zukunft f\u00fcr viele Menschen real und immer erdr\u00fcckender geworden ist.
Die im Protokoll vom 14. M\u00e4rz vorgesehenen Organe, die sogenannten \u201eKontrollaussch\u00fcsse\u201c f\u00fcr die Durchsetzung von Ma\u00dfnahmen, haben ihre Arbeit in den einzelnen Unternehmen de facto nicht fl\u00e4chendeckend aufgenommen; in nur 40 Prozent aller Unternehmen wurden sie tats\u00e4chlich gegr\u00fcndet. Dort, wo sie existieren, bleiben sie aber nach wie vor unt\u00e4tig. Dar\u00fcber hinaus besteht die Gefahr, dass die gewerkschaftlichen und sicherheitstechnischen Vertretungen der Arbeiter*innen in den Betrieben \u2013 rappresentanze sindacali unitarie (RSU), rappresentanza sindacale aziendale (RSA), rappresentante dei lavoratori per la sicurezza (RLS) sind drei betriebliche Arbeiter*innenorgane, die mit den deutschen Betriebsr\u00e4ten verglichen werden k\u00f6nnen \u2013 zur Zielscheibe nicht nur der Unternehmensleitungen werden k\u00f6nnten, sondern auch der Arbeiter*innen selbst. Und zwar deshalb, weil viele Arbeiter*innen aufgrund der Angst vor einer schweren \u00f6konomischen Krise und einem allf\u00e4lligen Jobverlust trotz der gesundheitlichen Risiken dem Motto des Unternehmensverbandes Confindustria \u2013 \u201eArbeit um jeden Preis\u201c \u2013 Folge leisten k\u00f6nnten. Dies wird insbesondere in denjenigen Betrieben passieren, in denen die Arbeiter*innenvertretungen die Stimme der Unternehmensleitung repr\u00e4sentieren und dort, wo die Gewerkschaften ganz abwesend sind.
Das Risiko besteht darin, dass in den Unternehmen Bedingungen stillschweigend akzeptiert werden, die sch\u00e4dlich sind f\u00fcr die Gesundheit der Arbeiter*innen. Die Repressions- und Erpressungsm\u00f6glichkeiten der Unternehmen haben sich vervielfacht: die Drohung der Betriebsschlie\u00dfung oder der Verringerung des Arbeitsvolumens, der Verlust von Marktanteilen, die Verwendung einer selektiven Kurzarbeit, die sogenannten \u201eSt\u00f6renfrieden\u201c oder den als nicht funktional definierten Arbeiter*innen auferlegt werden; die Verweigerung von smart working aus nicht objektiven Gr\u00fcnden, sondern als \u201eStrafe\u201c; und nicht zuletzt die Androhung von Entlassungen, sobald den Unternehmen das Recht dazu wieder einger\u00e4umt wird (im Dekret \u201eCura Italia\u201c wurde ein K\u00fcndigungsverbot bis Mitte Mai verabschiedet, das im April-Dekret bis zum Ende der Pandemie verl\u00e4ngert werden soll). Es ist also von wesentlicher Bedeutung, dass im April-Dekret das K\u00fcndigungsverbot erneuert und die staatliche Unterst\u00fctzung von Unternehmen an Bedingungen gekn\u00fcpft wird. Ansonsten werden sie \u2013 wie schon so oft \u2013 neue finanzielle Unterst\u00fctzungsleistungen dazu nutzen, um zu einem sp\u00e4teren Zeitpunkt K\u00fcndigungen auszusprechen oder \u201eRestrukturierungen\u201c vorzunehmen.
Was tun in der offiziellen \u201ePhase 2\u201c?
Aufgrund des gezeichneten Szenarios m\u00fcssen wir davon ausgehen, dass die Konflikte, die an den Arbeitspl\u00e4tzen ausbrechen werden, entscheidend sein werden f\u00fcr die Zukunft unserer Klasse. Dabei spielt es keine Rolle, ob es diese Arbeitsk\u00e4mpfe an die \u00d6ffentlichkeit schaffen oder ob sie mehrheitlich eher \u201eunterirdisch\u201c verlaufen \u2013 sie werden auf jeden Fall sp\u00fcrbar sein. Was sind nun unsere Aufgaben als linke Organisationen angesichts dieser neuen Phase? Was ist \u201eunsere\u201c Phase 3, die wir ihr vorausschicken?
1) Die Produktion und ihre K\u00e4mpfe sichtbar machen!
Zun\u00e4chst einmal geht es darum, der \u201eAu\u00dfenwelt\u201c mitzuteilen, was in den Betrieben geschieht. Daf\u00fcr sind alle Kan\u00e4le, Strukturen und Netzwerke unentbehrlich, die uns heute zur Verf\u00fcgung stehen: Einzelne Aktivist*innen, Arbeiter*innen, denen wir im Laufe der letzten Jahre begegnet sind, gewerkschaftliche Strukturen jeglicher Art. Es ist notwendig, eine gemeinsame Anstrengung auf uns zu nehmen, um das sichtbar zu machen, was in den \u201everborgenen St\u00e4tten der Produktion\u201c (Marx) vor sich geht. Denn dabei handelt es sich nicht um eine private Angelegenheit von Unternehmen, es ist das Interesse der Allgemeinheit, zu wissen, was an den Arbeitspl\u00e4tzen passiert.
2) Populare Komitees bilden!
Wir k\u00f6nnen die Verteidigung der Gesundheit in den Betrieben dabei nicht allein den direkt betroffenen Arbeiter*innen \u00fcberlassen. Aus den oben dargelegten Gr\u00fcnden besteht die Gefahr, dass die (\u00f6konomische) Erpressung, der wir alle ausgesetzt sind, eine angemessene Verteidigung erschwert.
Es ist notwendig, die Schaffung von popularen Komitees zur Verteidigung der Arbeiter*innen in die Wege zu leiten, die auf territorialer Basis von Aktivist*innen, aber auch von Gewerkschaften, Kollektiven, sozialen und politischen Organisationen gebildet werden. Ihre Aufgabe w\u00e4re es, als Werkzeug in den H\u00e4nden jene*r Arbeiter*innen zu fungieren, die an den einzelnen Arbeitspl\u00e4tzen nicht \u00fcber das angemessene Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnis verf\u00fcgen.
Gleichzeitig m\u00fcssen wir fordern, dass die f\u00fcr die Kontrolle zust\u00e4ndigen Institutionen, wenn nicht ausschlie\u00dflich, so doch zumindest vorrangig auf die Kontrolle der Unternehmen hinarbeiten: Das nationale Arbeitsinspektorat, die Finanzpolizei, die lokale Polizei und die lokalen Gesundheitsinstitutionen m\u00fcssen aufh\u00f6ren, alle 100 Meter Posten zu errichten, um die Menschen zu kontrollieren, ob sie individuell die Sicherheitsvorschriften einhalten; vielmehr m\u00fcssen sie sich auf die Kontrolle der Arbeits- und Gesundheitsbedingungen in den Betrieben konzentrieren und sich so f\u00fcr das Recht auf das Leben von Millionen von Menschen in den Produktionsst\u00e4tten einsetzen. Auch in diesem Fall schlagen wir die Einrichtung von popularen Komitees vor, die die Koordinierung dieser T\u00e4tigkeiten organisieren. Dies muss mit der Beteiligung der Gewerkschaften, aber unter Ausschluss der Unternehmensvertretungen geschehen, denn in einem popularen Kontrollorgan darf niemand vertreten sein, der \u201ekontrolliert\u201c werden muss.
3) Auf die \u00f6kologische Transformation hinarbeiten!
Auf einer allgemeineren politischen Ebene besteht die Notwendigkeit, \u00fcber die Einrichtung einer \u201eAgentur f\u00fcr die \u00f6kologische Transition\u201c nachzudenken. In naher Zukunft werden zahlreiche Betriebe schlie\u00dfen und viele Unternehmen werden enorme staatliche finanzielle Unterst\u00fctzung anfordern. Im Kontext der aktuellen Ausweitung der \u201estaatlichen Hilfen\u201c, des common sense \u00fcber die N\u00fctzlichkeit staatlicher Interventionen und der ersten Verstaatlichungsprozesse bestimmter Unternehmen, muss der Staat die Rolle eines intervenierenden Akteurs der Industrie- und Wirtschaftspolitik werden und auf die Entwicklung eines Plans f\u00fcr die Zukunft hinarbeiten. Einige Unternehmen m\u00fcssen vom Staat \u00fcbernommen und mit R\u00fccksicht auf eine gesundheitliche und \u00f6kologische Produktion weiterentwickelt werden. W\u00e4hrend dieses \u00dcbergangs muss den Arbeiter*innen der n\u00f6tige sozialstaatliche Schutz und die berufliche Weiterbildung garantiert werden.
Das sind in keinster Weise unrealistische Forderungen. Es fehlt oft einzig der politische Wille und die politische Kraft dazu, einen solchen \u00dcbergang zu organisieren. Die Regierung hat in diesen Tagen enschieden, die Einf\u00fchrung der plastic tax und der sugar tax hinauszuz\u00f6gern. Dieses Hinausz\u00f6gern steht unseren Interessen nicht aufgrund der fehlenden Staatseinnahmen entgegen \u2013 die tats\u00e4chlichen Einnahmen w\u00e4ren laut den Pl\u00e4nen der Regierung sowieso sehr niedrig \u2013, sondern aufgrund des politischen Signals, das mit dieser Entscheidung ausgesendet wird: die \u00f6kologische Frage \u2013 und somit diejenige des Lebens der Arbeiter*innen \u2013 ist f\u00fcr die Regierung zweitrangig im Vergleich zu den Profitbed\u00fcrfnissen der Unternehmen.
Die Welt von morgen wird nicht aus einem sowieso unm\u00f6glichen Zur\u00fcck in die Vergangenheit hervorgehen. Eine Vergangenheit, die f\u00fcr viele von uns bereits die \u201eKrankheit\u201c war. Es liegt an uns, daf\u00fcr zu sorgen, dass wir in die f\u00fcr uns richtige Richtung gehen.
Giuliano Granato ist ein Arbeiter, der aufgrund seines gewerkschaftlichen Aktivismus entlassen wurde. Er ist zudem Mitglied der nationalen Koordination der linken Organisation Potere al Popolo.
\u00dcbersetzung von Maurizio Coppola.