Goldgrube Balkan: Kontinuit\u00e4ten des deutschen Imperialismus [Teil 2]
\nDer Balkan ist eine Region, die Begehrlichkeiten weckt. Gerade politische und wirtschaftliche Interessen (aufstrebender) imperialer M\u00e4chte versuchen dort Fu\u00df zu fassen. Eine bedeutende Rolle nehmen die deutschen imperialistischen Interessen ein. Im vergangenen Artikel haben wir die Kontinuit\u00e4ten dieser Interessen und Politik nachgezeichnet, die zur Wahrung notfalls mit Waffenlieferungen und aktiver Kriegsf\u00fchrung durchgesetzt wurde. Serbien stand dabei lange im Fokus deutscher Au\u00dfenpolitik. Nachdem das Land lange als \u201erenitent\u201c galt, stark an Russland orientiert war und nicht an geostrategische Interessen der EU gebunden werden konnte, vollzieht sich ein Wandel. Neoliberale, pro-westliche Kr\u00e4fte gewinnen seit l\u00e4ngerer Zeit an Einfluss und \u00f6ffnen das Land f\u00fcr EU-Politik, NATO & Co. Teile der serbischen Oligarchie werben mit dem Versprechen von Wohlstand durch eine forcierte Anbindung an die EU und ihren Wirtschaftsraum. W\u00e4hrenddessen sehen sich Arbeiter*innen mit \u00f6konomischen Gefahren und sozialem Abstieg konfrontiert.
NATO- und EU-Ostpolitik im Interesse des Kapitals
Die NATO unter deutscher Beteiligung schafft Fakten, um die seit dem sogenannten \u201eJugoslawien-Krieg\u201cAnfang der 1990er Jahre entstandenen Balkan-Staaten auch nachhaltig in der eigenen Einflusssph\u00e4re halten zu k\u00f6nnen. Seit Anfang 2000 sind Slowenien, Kroatien und Montenegro dem Kriegsb\u00fcndnis beigetreten. Bosnien-Herzegowina und Nord-Mazedonien werden als baldige Beitrittskandidaten gehandelt, w\u00e4hrend der Kosovo ebenfalls Interesse an einem Beitritt bekundete. Neben der geostrategischen Frontstellung gegen\u00fcber einem m\u00f6glichen russischen Einfluss, geh\u00f6ren bei geplanten EU-Neuaufnahmen so genannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zur politischen B\u00fcndnispolitik der EU. S\u00e4mtliche Balkan-Staaten hatten zwischen 2004 und 2016 solche Abkommen geschlossen. Deutschland als inzwischen \u00f6konomisch st\u00e4rkste Kraft in der EU, hat dabei ein besonderes Interesse, neue Kapitalm\u00e4rkte durch die Beitrittsverhandlungen zu erschlie\u00dfen. Dabei werden vor allem der Warenexport in neue Absatzm\u00e4rkte, die Vernichtung der verbliebenen Konkurrenz-Unternehmen, sowie die Erschlie\u00dfung weiterer Niedriglohnl\u00e4nder f\u00fcr die Produktion, im Fokus stehen. Freier Kapital-, Arbeits- und Dienstleistungsverkehr sind unter anderem bedeutender Inhalt der Abkommen, die f\u00fcr eine verst\u00e4rkte Entfesselung nicht-regulierter Wirtschaftspolitik ganz im Sinne des europ\u00e4ischen Kapitals stehen. Dass dies nur zu Lasten der nicht konkurrenzf\u00e4higen Unternehmen in den Balkanstaaten und ihrer Arbeiter*innen gehen kann, versteht sich von selbst.
Die EU als Gl\u00fccksversprechen
Auch Serbien, welches sich lange gegen einseitige politische und milit\u00e4rische B\u00fcndnisse mit dem Westen verwahrte, ger\u00e4t zusehends unter westlichen Einfluss. 2013 trat dort das SAA in Kraft und festigte neben der Westanbindung auch den wirtschaftsliberalen Kurs. Der amtierende Pr\u00e4sident Aleksandar Vu\u010di\u0107 von der Serbischen Fortschrittspartei spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Fortschrittspartei, 2008 aus der ultra-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei hervorgegangen und mit dem konservativen B\u00fcndnis \u201eEurop\u00e4ischen Volkspartei (EVP)\u201c europaweit vernetzt, steht f\u00fcr die Verquickung nationalistischer Inhalte mit klar neoliberaler Agenda. Die Partei mit ihrem Parteivorsitzenden Vu\u010di\u0107 verk\u00f6rpert als neoliberale Hardlinerin die Interessensvertreterin der EU in Serbien. W\u00e4hrend das Credo des Wirtschaftswachstums und der vermeintlichen Segnungen eines EU-Beitritts seitens der Regierung als Gl\u00fccksversprechen aller Serb*innen gepredigt wird, kommt bei Arbeiter*innen davon kaum etwas an. Sparpolitiken und die beschriebene Vernichtung ganzer Industriesektoren haben Arbeitskr\u00e4fte freigesetzt und zur Abwanderung gezwungen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben hunderttausende Arbeiter*innen das Land verlassen. Weiterhin suchen j\u00e4hrlich zehntausende Arbeiter*innen in der EU, auch in Deutschland, nach besser bezahlter Lohnarbeit. Hinzu kommen die K\u00fcrzungen von L\u00f6hnen der Beamt*innen, sowie eine durch K\u00fcrzungen von Pensionen grassierende Altersarmut. Das Bruttoinlandsprodukt Serbiens deckt sich nur zu 37 Prozent mit der durchschnittlichen Leistung aller EU-Staaten zusammengerechnet. Damit sind folgerichtig auch die L\u00f6hne verbunden, die in Serbien bei durchschnittlich knapp \u00fcber 400 Euro liegen. Ein Aufenthalt im europ\u00e4ischen Ausland ist f\u00fcr serbische Arbeiter*innen kaum zu finanzieren, die eigenen Lebenshaltungskosten bringen sie bereits an die maximalen Belastungsgrenzen.
Der Schwebezustand zwischen dem Status EU-Beitrittskandidat (seit 2013) und der Aufrechterhaltung politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland birgt jedoch Herausforderungen. Das gilt insbesondere f\u00fcr die verschiedenen Kapitalfraktionen in Serbien, die mit der EU und Deutschland eng verkn\u00fcpft sind. Denn auch Russland betrachtet das Land als Standbein in der Region und zieht es mit wirtschaftlich bedeutenden Vertr\u00e4gen im Wert von hunderten Millionen Euro an die Brust. Neben der Sanierung von Infrastruktur soll Serbien in den Genuss des russisch-t\u00fcrkischen Gaspipeline-Projektes \u201eTurk Stream\u201c kommen. Das Pendeln zwischen Russland und der EU unter deutscher F\u00fchrung bleibt f\u00fcr die serbische Regierung daher konflikttr\u00e4chtig. Gleichzeitig wird allerdings f\u00fcr die serbischen Arbeiter*innen keine der beiden Optionen \u00f6konomisch von Vorteil sein. Das EU-Projekt \u201eBalkan\u201c dient nicht zuletzt als wichtiges geostrategisches Bollwerk gegen\u00fcber dem Einfluss des russischen Imperialismus und sichert die eigenen Interessen gegen\u00fcber dem Kreml ab. Viele Staaten auf dem Balkan bekommen so den Status von NATO-Frontstaaten gegen\u00fcber anderweitiger russischer, chinesischer oder arabischer Einflussnahme. Deutsche politische Stiftungen, beispielsweise die Konrad-Adenauer-Stiftung, die traditionell mit gro\u00dfen Kapitalverb\u00e4nden liiert ist, beobachten die imperialistische Konkurrenz genau und wittern Verteilungskonflikte.
Diverse Kapitalfraktionen befinden sich in Serbien in Konkurrenz miteinander. Neben den Begehrlichkeiten europ\u00e4ischer und russischer Unternehmen mischen nun verst\u00e4rkt auch arabische und chinesische Unternehmen mit. Die gr\u00f6\u00dfte serbische Fluggesellschaft Air Serbia wird bereits von Etihad Airways aus den Emiraten mit Kapital versorgt und stellt so auch den kontinuierlichen Waren- und Personentransport zwischen beiden Staaten sicher. Ebenso das gr\u00f6\u00dfte Luxus-Bauprojekt im Land, die sogenannte \u201eBelgrade Waterfront\u201c, wird von Investor*innen aus den Emiraten ma\u00dfgeblich finanziert und zusammen mit der serbischen Regierung umgesetzt. W\u00e4hrend Armut in der Hauptstadt allgegenw\u00e4rtig ist, werden f\u00fcr ca. 3,5 Milliarden Dollar hochpreisige Eigentumswohnungen und die gr\u00f6\u00dfte Shopping Mall in S\u00fcdosteuropa errichtet. Die Quadratmeterpreise f\u00fcr renditegierige Investor*innen liegen bei bis zu 7000 Euro. Zum Vergleich: der Durchschnittslohn der an der Konstruktion beteiligten Bauarbeiter*innen liegt bei 422 Euro monatlich. Die serbische Oligarchie verdient an diesem absurd erscheinenden Projekt kr\u00e4ftig mit. Gleichzeitig leiden die besch\u00e4ftigten Arbeiter*innen unter schlechten Arbeitsbedingungen und ausbleibenden L\u00f6hnen. Mangelnde Arbeitssicherheit verursachten des \u00d6fteren t\u00f6dliche Arbeitsunf\u00e4lle. Diverse Vorw\u00fcrfe wegen der Veruntreuung von Geldern, wegen Klientelismus und Korruption, aber auch der Bedrohung, das internationale Kapital k\u00f6nne Belgrads Innenstadt einen normierten, gesichtslosen Ausdruck verpassen und weitere Gentrifizierung beg\u00fcnstigen, riefen daher zahlreiche Proteste hervor. Ihr Slogan: \u201eNe Da(vi)mo Beograd\u201c \u2013 Wir geben Belgrad nicht her. Um das \u201eInvestitionsklima\u201c in Serbien nicht weiter zu gef\u00e4hrden und entschlossen gegen soziale Proteste vorzugehen, diskreditierten regierungsnahe Medien und Pr\u00e4sident Vu\u010di\u0107 die Demonstrant*innen als \u201evom Ausland gesteuert\u201c. Doch die seit 2018 immer wieder aufkommenden lauten Stra\u00dfenproteste bringen die Regierung in Bedr\u00e4ngnis.
Nationalistische Tendenzen und linke Perspektiven
Mit Blick auf imperialistische Einflussnahmen zeichnet sich insgesamt ein tragisches Bild des Balkans. Eine wichtige Rolle nehmen deutsche \u00f6konomische Vormachtsfantasien ein, die sich neben geostrategischen Interessen vor allem auf die Mithilfe nationaler Eliten st\u00fctzen. Trotz, oder gerade wegen des gegenseitigen, ethnisierten und kulturalisierten Misstrauens unter den ehemaligen Republiken Jugoslawiens, platziert sich das deutsche Kapital und seine politischen Lobbyist*innen gezielt in der Region und verspricht Prosperit\u00e4t f\u00fcr alle. Statt des \u201eWohlstands f\u00fcr alle\u201c und den M\u00e4rchen von \u201ebl\u00fchenden Landschaften\u201c sehen wir allerdings eher eine Verarmungen der Massen und eine galoppierende Zerst\u00f6rung von sozialen Rechten und Arbeitsrechten. Ganz bewusst empfiehlt das deutsche Kapital politische Bedingungen, um Arbeiter*innen \u201efreizusetzen\u201c, sie \u201ewegzusparen\u201c, um die Konkurrenz der Arbeiter*innen untereinander zu verst\u00e4rken und die Gewerkschaften und das Arbeitsrecht zu schw\u00e4chen. Die damit erzeugte Armut kann infolge dessen f\u00fcr das Wohl des Standortes Balkan und seiner Profiterwartungen ausgeschlachtet werden. [1] Die deutschen Aktion\u00e4re und Anteilseigner*innen danken.
Das Beispiel Serbiens zeigt, wie eine fortschreitende Westanbindung und Neoliberalisierung mit der Delegitimierung und Verdr\u00e4ngung sozialistischer Alternativen Hand in Hand gehen muss. Das sozialistische Erbe ist f\u00fcr pro-westliche Eliten nur ein Gedanke, der von \u201eJugo-Nostalgiker*innen\u201c bedient wird. Die von rechts forcierte Abwertung der sozialistischen Vergangenheit und seiner beachtlichen, wenn auch widerspr\u00fcchlichen, Leistungen \u2013 beispielsweise soziale Sicherheiten oder Arbeiter*innenselbstorganisation zu Anfang des sozialistischen Jugoslawiens \u2013 spiegelt sich ebenso in der Umbenennung von Stra\u00dfennamen und antifaschistischer Symbole, wie der Verwahrlosung von Partisan*innen-Denkm\u00e4lern wieder. Nichts soll daran erinnern, dass der Zugriff kapitalistischer und imperialistischer Interessen auf die Bev\u00f6lkerung einmal stark reguliert war und gar seine \u00dcberwindung angestrebt wurde. Parallel dazu werden auf Staatsebene nationalistische Narrative wiederbelebt und nationale Gr\u00fcndungsmythen geschaffen. In Kroatien wird von rechts die faschistische Kollaborationsbewegung \u201eUstascha\u201c als \u201eehrenwerter\u201c antikommunistischer Mythos bem\u00fcht. In Serbien wurde die Bewegung der Teschetniks, eine v\u00f6lkische und antikommunistische Bewegung im Zweiten Weltkrieg, als eine \u201egenuin serbische\u201c Legende popul\u00e4rer und ist \u00fcberall anhand von zu verkaufenden Devotionalien pr\u00e4sent.
Die Linke auf dem Balkan ist marginalisiert, wenngleich sie sich in den Metropolen von Zagreb (Kroatien) bis nach Novi Sad und Belgrad (beide Serbien) inzwischen breiter aufstellt. Antifaschistische, antirassistische, feministische und stadtteilpolitische Initiativen und Gruppen entstehen. In Gespr\u00e4chen mit Genoss*innen in Belgrad oder Zrenjanin wird deutlich, dass generations\u00fcbergreifend ein positiver und dennoch nicht g\u00e4nzlich verkl\u00e4render Bezug zum sozialistischen Jugoslawien anh\u00e4lt. Diese noch nicht verblassten Erinnerungen an eine sozialistische Alternative sind immer noch ein wichtiger Steigb\u00fcgelhalter f\u00fcr linke Inhalte. Gerade am Beispiel der \u201eRecht auf Stadt\u201c-Bewegungen kann ein kritischer und solidarischer R\u00fcckgriff auf die Vergangenheit helfen, die Frage nach Wohnraum jenseits neoliberaler Interessen sozialistisch anzugehen. Die gro\u00dfteils junge, klassenk\u00e4mpferische \u201eneue\u201c Linke im post-jugoslawischen Raum ben\u00f6tigt internationale Solidarit\u00e4t. Insbesondere auch aus Deutschland. Dem herrschenden, deutschen Verst\u00e4ndnis der \u201eGoldgrube Balkan\u201c muss die Maske des \u201efriedensbem\u00fchten, wohlstandsorientierten\u201c Deutschlands genommen werden. Auch der Balkan dient, wie andere Regionen der Welt, als Laboratorium imperialistischer und neoliberaler Politik, welche aus dem \u201eHerzen der Bestie\u201c (Che Guevara), den Zentren der kapitalistischen Metropolen, gewaltt\u00e4tig exportiert wird. Dazu ben\u00f6tigt es hierzulande einen Fokus auf die destruktive und kriegstreiberische Rolle Deutschlands bei der Anfeuerung der regionalen Kriegsmaschinerien, sowie der Filetierung des Balkans zugunsten deutscher sicherheitspolitischer, machtpolitischer und \u00f6konomischer Interessen.
Diese zweiteilige Artikelreihe erscheint im Nachgang der Bildungsreise \u201eGeschichte und Gegenwart (Ex-) Jugoslawiens, die im September 2019 stattfand. Die Bildungsreise wurde von Praxis Reisen organisiert. Der erste Teil erschien am 19. Dezember 2019.
Anmerkungen:
[1] Zsch\u00e4chner, Roland: In deutscher Umklammerung, in: Hintergrund, 03/2019.