Das \u201eHannibal\u201c-Netzwerk \u2013 eine faschistische Geheimarmee?
\nHeute ist die Brosch\u00fcre \u201eStaat und Nazis Hand in Hand? Einsch\u00e4tzung zur Aktualit\u00e4t der faschistischen Gefahr in Deutschland\u201c erschienen, herausgegeben von einem Kollektiv antifaschistischer Gruppen. Beteiligt sind die Antifaschistische Aktion Karlsruhe,Antifaschistischer Aufbau M\u00fcnchen, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart,Antifaschistische Aktion (Aufbau) T\u00fcbingen, Antifaschistische Aktion (Aufbau) Mannheim undAntifaschistische Aktion [o] Villingen-Schwenningen. Im Folgenden unsere zweite Vorabver\u00f6ffentlichung aus der Brosch\u00fcre; f\u00fcr den Erwerb der Brosch\u00fcre einfach bei den beteiligten Gruppierungen auf der Homepage schauen. Der folgende Artikel ist leicht redaktionell bearbeitet worden.
Im August 2017 und im April 2018 fanden mehrere Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern gegen die \u201eNordkreuz\u201c-Struktur statt. [1] \u00d6ffentliche Aufmerksamkeit erlangten diese F\u00e4lle allerdings erst im Juni 2019, als die Bundesanwaltschaft ihre ersten Ergebnisse pr\u00e4sentierte und die Dimension der rechten Terrororganisation sichtbar wurde. \u201eNordkreuz\u201c rekrutiert sich haupts\u00e4chlich aus SoldatInnen und PolizistInnen, vorwiegend aus Spezialeinheiten. Sie verf\u00fcgen mit \u201eS\u00fcd-\u201c und \u201eWestkreuz\u201c \u00fcber bundesweite Strukturen. Offen auftretende FaschistInnen befinden sich nicht unter den Mitgliedern, wohl aber sind sie in der Szene gut vernetzt. Die Struktur legt gro\u00dfen Wert darauf, unter dem Radar zu bleiben. F\u00fcr ihr Vorhaben ist das auch unumg\u00e4nglich. Das \u201eKreuz\u201c-Netzwerk \u2013 auch als \u201eHannibal-Netzwerk\u201c bekannt \u2013 wurde ins Leben gerufen, um bei einem Sturz der aktuellen Ordnung die linke Opposition zu liquidieren. Hierf\u00fcr wurden Feindeslisten angelegt, mehrere zehntausend Schuss Munition gebunkert, Waffen beschafft und Passierscheine zum \u00dcberwinden von Stra\u00dfensperren besorgt. Auf der Einkaufsliste standen zudem 200 Leichens\u00e4cke und \u00c4tzkalk zur Desinfektion von Massengr\u00e4bern.
Das Erbe der Gladio
Ihre Ziele und die Art der Organisation weist \u00c4hnlichkeiten zu den stay behind-Strukturen, die w\u00e4hrend des Kalten Krieges aktiv waren, auf. Unter stay behind-Strukturen versteht man paramilit\u00e4rische Verb\u00e4nde, die im Falle einer feindlichen Besetzung nachrichtendienstliche Aufkl\u00e4rung leisten und Sabotageakte gegen die Besatzungsmacht ausf\u00fchren. Die NATO betrieb von 1947 bis 1991 nachweislich in mehreren europ\u00e4ischen L\u00e4ndern solche Netzwerke. Anf\u00e4nglich um im Falle eines sowjetischen Einmarsches hinter den feindlichen Linien k\u00e4mpfen zu k\u00f6nnen. Rekrutiert wurden hierf\u00fcr stramme AntikommunistInnen. Zu Beginn haupts\u00e4chlich ehemalige Mitglieder der Waffen-SS und Mussolini-FaschistInnen, sp\u00e4ter Mitglieder aus diversen neofaschistischen Strukturen. F\u00fcr ihren urspr\u00fcnglichen Zweck kamen die Geheimarmeen nie zum Einsatz, was aber nicht hei\u00dft, dass diese unt\u00e4tig geblieben w\u00e4ren. Anfang der 1970er Jahre begannen sie im Zuge der \u201eStrategie der Spannung\u201c terroristische Anschl\u00e4ge zu ver\u00fcben, welche sie der Linken anh\u00e4ngen wollten, um diese zu diskreditieren. Ihre Aktionen reichten von Spr\u00fchereien bis hin zu Bombenanschl\u00e4gen und gezielten Morden an PolizistInnen. Am bekanntesten ist wohl der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im August 1980 mit 85 Toten, wof\u00fcr kurz danach die Roten Brigaden beschuldigt wurden. In den nachfolgenden Ermittlungen konnte aber nicht mehr verheimlicht werden, dass faschistische Todesschwadronen mit dem Namen \u201eGladio\u201c, welche Teil der NATO-Geheimarmeen waren, hinter dem Anschlag steckten. Die italienische Regierung musst daraufhin deren Existenz offiziell einr\u00e4umen.
Sehnsucht nach Tag X
In Deutschland wurden ab 1950 mit dem \u201eBund Deutscher Jugend\u201c, dem \u201eTechnischen Dienst\u201c und dem \u201eSchweigenetz\u201c geheime faschistische Verb\u00e4nde aufgebaut. Im Gegensatz zu Italien, Belgien und der Schweiz, in denen es nach dem Ende des Kalten Krieges Untersuchungsaussch\u00fcsse zu den Geheimarmeen gab, wurde in Deutschland der gesamte Komplex unter den Teppich gekehrt. Mit dem Ende des Systemkonflikts wurden solche stay-behind-Strukturen \u00fcberfl\u00fcssig. Bei den heutigen Netzwerken handelt es sich also um ein anderes Ph\u00e4nomen. Auch ohne Kalten Krieg hat der Staat ein Interesse daran, sich ein gut organisiertes, ideologisch gefestigtes, und verl\u00e4ssliches paramilit\u00e4risches Potenzial zu erhalten. \u00dcber das Ma\u00df an Eigenst\u00e4ndigkeit des \u201eHannibal\u201c-Netzwerks und \u00fcber die Beteiligung von Geheimdiensten kann zwar nur spekuliert werden, dass sich solche Netzwerke v\u00f6llig ohne Wissen der Geheimdienste bilden k\u00f6nnen, ist aber zu bezweifeln.
Aufgeflogen ist das \u201eKreuz-Netzwerk\u201c wohl, weil einigen Mitgliedern der \u201eTag X\u201c noch in zu weiter Ferne lag und sie deshalb versuchten, diesen selbst herbei zu f\u00fchren. Auch der Soldat Franco Albrecht war wohl Teil des Netzwerks. Er versuchte sich als Gefl\u00fcchteter auszugeben, um anschlie\u00dfend Anschl\u00e4ge zu ver\u00fcben und dadurch den \u201eTag X\u201c auszul\u00f6sen. Auf seiner Todesliste standen neben antifaschistischen AktivistInnen und dem Zentralrat der J\u00fcdInnen auch der damalige Bundespr\u00e4sident Joachim Gauck und der damalige Justizminister Heiko Maas. Auch die Pl\u00e4ne einiger weiterer Mitglieder der Struktur sollen schon sehr konkret gewesen sein. Die Beh\u00f6rden stoppten die putschistischen RechtsterroristInnen kurz vor der Durchf\u00fchrung ihrer Aktionen. Harte Strafen gab es aber in keinem Fall.
Zerschlagen wurde das \u201eHannibal\u201c-Netzwerk auch nicht. Lediglich die Munitionsvorr\u00e4te und die nicht registrierten Schusswaffen wurden beschlagnahmt. Hierf\u00fcr werden einige Mitglieder des Netzwerks wohl auch angeklagt. Der Gro\u00dfteil der Organisation bleibt aber unangetastet. Auch bei Franco Albrecht und seinen Unterst\u00fctzerInnen, bei denen bereits ausgearbeitete Anschlagspl\u00e4ne, Schusswaffen, Munition und Z\u00fcnder gefunden wurden, lie\u00df das Oberlandesgericht Frankfurt das Verfahren einstellen, noch bevor \u00fcberhaupt Anklage erhoben wurde. Der Fall liegt allerdings noch beim Bundesgerichtshof.
Anmerkungen:
[1] Das Beitragsbild zeigt einen Polizisten, der mit dem Abzeichen von Uniter e.V. posiert. Der Verein dient zur Vernetzung von SoldatInnen und PolizistInnen, meist aus Spezialeinheiten, taucht aber vor allem in Verbindung mit rechten Umtrieben bei Polizei und Bundeswehr auf. So gilt einer der Vereinsgr\u00fcnder, Andr\u00e9 S. alias \u201eHannibal\u201c, als Gr\u00fcnder des \u201eKreuz (Hannibal)\u201c-Netzwerks. Deren Mitglieder wiederum sind zum gr\u00f6\u00dften Teil Vereinsmitglieder von Uniter e.V. Auch der Verfassungsschutz hat seit der Gr\u00fcndung des Vereins seine Finger mit im Spiel.