\u201eVorbei mit der Sklaverei!\u201c
\nSeit dem 11. April befinden sich elf Reinigungskr\u00e4fte des 4-Sterne-Hotels NH Collection in Marseille im Streik (auf labournet TV ist mittlerweile ein kurzes Video hierzu mit deutschen Untertiteln ver\u00f6ffentlicht worden). Seit nunmehr \u00fcber drei Monaten treffen sie sich t\u00e4glich vor dem Hotel im Zentrum von Marseille, in der N\u00e4he des Hafens. Ihr Streikposten ist schon von weitem gut sichtbar: Sie haben Campingtische und St\u00fchle aufgestellt, an den W\u00e4scheleinen h\u00e4ngen gelbe Westen der Gilets Jaunes und bunte Unterhosen als Symbol ihrer t\u00e4glichen Arbeit; dazwischen viele Flugbl\u00e4tter und Transparente, mit denen Autofahrer_innen aufgerufen werden, sich hupend solidarisch zu zeigen.
Angestellt sind die Streikenden bei dem Subunternehmen Elior Services, einem multinationalen franz\u00f6sischen Unternehmen im Bereich Restauration und Geb\u00e4udereinigung. Das Hotel NH Collection hatte erst k\u00fcrzlich, Ende 2018 zu diesem gewechselt, sehr zum Unmut der Besch\u00e4ftigten. \u201eSeit Elior da ist, hat sich alles ge\u00e4ndert. Bis Dezember haben wir f\u00fcr ein anderes Unternehmen gearbeitet. Das war immer okay\u201c, erkl\u00e4rt Amel, eine der Streikenden. Das Hotel entschied sich zum Wechsel, um Geld zu sparen. Seitdem fielen den Angestellten Unregelm\u00e4\u00dfigkeiten auf ihren Lohnabrechnungen auf, etwa nicht gezahlte Arbeitsstunden und Aufschl\u00e4ge oder ausbleibende und gestrichene Zahlungen von Transportkosten. Zudem wurde den Mitarbeitenden die Essenspausen gestrichen. Amel arbeitet auf dem Papier 25 Stunden die Woche, ihr monatlicher Lohn verk\u00fcrzte sich pl\u00f6tzlich von 900 \u20ac auf 800 \u20ac. Sie und zehn weitere Kolleginnen hakten bei Elior nach, erhielten aber keine Antwort. Also wandten sie sich an die CNT-SO (Conf\u00e9d\u00e9ration Nationale des Travailleurs - Solidarit\u00e9 ouvri\u00e8re, eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft, Anm. d. Red.), die auf Geb\u00e4udereinigung, Gastronomie und Hotelgewerbe spezialisiert ist, um sich beraten zu lassen. Laut Camille El Mhamdi, Juristin bei der CNT-SO, kommt eine solche Anfrage in dem gewerkschaftlich gering organisierten Sektor selten vor. Aber auch mit Unterst\u00fctzung der Gewerkschaft blieben die Anfragen an Elior ohne Reaktion. Da entschieden sich die elf Frauen zu handeln:
\u201eWir haben geredet und geredet, aber irgendwann war vorbei mit Reden, wir mussten aktiv werden. Wir sind keine Sklav*innen mehr, das ist vorbei. Weil wir Schwarze Frauen sind und im Hotel arbeiten, k\u00f6nnen sie uns noch lange nicht verarschen. Ein Minimum an Respekt bitte!\u201c [1]
Ein Streik beginnt
F\u00fcr die elf Frauen ist dieser Streik der allererste. Mit Unterst\u00fctzung der CNT-SO beschlossen sie, solange die Arbeit zu verweigern, bis ihre Forderungen erf\u00fcllt werden: Auszahlung aller abgeleisteten Arbeitsstunden, Erh\u00f6hung der Qualifikation in der Lohnskala, Sonntagszuschlag um 50 Prozent, ein 13. Monatsgehalt, \u00dcbernahme der Transportkosten sowie eine Organisation der Arbeit, die das Privatleben respektiert.
Zun\u00e4chst machten sie mit T\u00f6pfen und Pfannen L\u00e4rm vor dem Hotel, um auf ihre Forderungen und Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Statt jedoch in Verhandlung zu treten, versuchte Elior umgehend, den Streik juristisch zu unterbinden. Keine der Streikenden hatte zuvor mit einer solchen Heftigkeit gerechnet. Und auch f\u00fcr die CNT-SO kam dies \u00fcberraschend. Die CNT-SO hatte in den letzten Jahren mehrere Streiks von Reinigungskr\u00e4ften in Marseiller Hotels begleitet \u2013 alle endeten nach kurzer Zeit mit einem Erfolg. Die erste gerichtliche Vorladung nach nur zehn Tagen Streik markierte eine erste Etappe in einer langen Reihe von Versuchen, die Frauen einzusch\u00fcchtern und ihren Protest zu unterdr\u00fccken. Die streikenden Frauen gingen allerdings aus der Gerichtsverhandlung Ende April mit einem klaren Sieg heraus. Zwar wurde ihnen untersagt, vor dem Hotel weiter auf T\u00f6pfe zu schlagen \u2013 aber nicht, sich weiterhin vor dem Hotel aufzuhalten. Das lie\u00dfen sich die Streikenden nicht zweimal sagen. Sie \u00fcberlegten sich neue Aktionsformen und schmissen fortan Eier an die Scheiben, klebten sie mit Flugbl\u00e4ttern zu und verteilten so viele Papierschnipsel vor dem Haupteingang, dass die Hotelleitung diesen teilweise schlie\u00dfen lie\u00df und Hotelg\u00e4ste gezwungen waren, durch einen Seiteneingang zu gehen. Obwohl das Hotel wegen dieser \u201eUnannehmlichkeiten\u201c ihre Preise um teilweise 30 Prozent f\u00fcr ihre G\u00e4ste senkte und somit permanent Einnahmen verlor, versteckte es sich weiterhin hinter dem Subunternehmen und zog sich aus der Verantwortung: \u201eDer Hoteldirektor sagt, dass er uns nicht kenne und wir nicht f\u00fcr ihn arbeiten. Er ist nicht einmal rausgekommen, um mit uns zu sprechen\u201c, erz\u00e4hlt Leila. Zu Recht skandieren die Streikenden also \u201eElior, voleur! NH, complice!\u201c \u2013 Elior ist ein Dieb und NH die Komplizin.
Mehrere Versuche in Verhandlungen zu treten scheiterten, weil Elior die Anwesenheit der Gewerkschaft bei den Gespr\u00e4chen verweigerte. Die CNT-SO schlug eine Mediation der \u00f6ffentlichen Arbeitsinspektion [2] vor, welche Elior aber nicht akzeptierte und stattdessen eine private Mediation beauftragte. Die Neutralit\u00e4t derselben war jedoch h\u00f6chst zweifelhaft und wurde wiederum von den Streikenden abgelehnt. Die einzige klare Antwort, die Elior den Streikenden sandte, bestand aus Repression und Kriminalisierung. Dabei konnte sie sich auf die Dienste der Polizei f\u00fcr ihre Zwecke verlassen. Die Streikenden und ihre Unterst\u00fctzer*innen berichten von permanenten Einsch\u00fcchterungen, Bedrohungen, Identit\u00e4tskontrollen sowie rassistischen und sexistischen Beleidigungen durch die Polizei. Mehrmals wurde der Streikposten brutal aufgel\u00f6st und Beteiligte wurden zeitweise in Gewahrsam genommen \u2013 in v\u00f6lliger Ignoranz gegen\u00fcber pers\u00f6nlichen Umst\u00e4nden wie einer offensichtlichen Schwangerschaft oder F\u00fcrsorgeverpflichtungen f\u00fcr ein Baby.
Internationale Vernetzung gegen die Repression
An einem Samstag im Juni spitzte sich die Situation derma\u00dfen zu, dass die Polizei in Anwesenheit von Kindern Tr\u00e4nengas verspr\u00fchte und drei der Streikenden gewaltvoll mit auf die Wache nahm, wo sie 24 Stunden bleiben mussten. Denise, eine der Betroffenen, berichtet in einem Gespr\u00e4ch mit Radio Parleur: \u201eDer Polizist packte mich am Nacken, w\u00e4hrend das Tr\u00e4nengas in meinen Hals gelang. Ich konnte nicht mehr atmen. Er schmiss mich ins Auto, mein Gesicht brannte. Eine Frau wollte mir Wasser bringen, aber der Polizist warf es weg und sagte, das h\u00e4tte ich nicht verdient.\u201c (\u00dcbers. A. S.)
Trotz der permanenten und gewaltvollen Versuche, den Streik zu unterbinden, halten die Streikenden hartn\u00e4ckig an ihren Forderungen fest. Mit unterschiedlichen Mitteln und kreativen Protestformen erh\u00f6hen sie stetig den Druck auf die Verantwortlichen \u2013 und im besonderen Ma\u00dfe z\u00e4hlen sie die Hotelleitung von NH Collection dazu. Die Streikenden verlagerten mehrmals ihren Streikposten vor ein weiteres Hotel dieser Kette in Marseille und fuhren sogar gemeinsam nach Madrid, um vor dem Hauptsitz von NH Collection zu protestieren. Zwar wurden sie auch hier von Sicherheitskr\u00e4ften direkt des Hauses verwiesen, die gewonnene \u00d6ffentlichkeit nutzten sie aber dazu, um gemeinsam mit der spanischen CNT und der Aktivistinnengruppe Las Kellys auf die Systematik und die internationale Dimension der ausbeuterischen Arbeitsbedingungen hinzuweisen. Las Kellys sind in ganz Spanien aktiv und berichten von identischen Bedingungen aus den dortigen Teilen des Hotelgewerbes: Die Unternehmen lagern die Reinigung der Zimmer zunehmend an Zeitarbeitsfirmen aus und ziehen sich so aus der Verantwortung. Angestellt werden zumeist Frauen, die sich noch nicht lange im Land aufhalten und mit den sprachlichen und rechtlichen Gegebenheiten oft (noch) nicht vertraut sind. Gearbeitet wird im Akkord, das hei\u00dft, die Bezahlung erfolgt nach Anzahl der geputzten Zimmer, unabh\u00e4ngig von der abgeleisteten Zeit. Die Aktivistinnen von Las Kellys betonen, dass sich die Bedingungen seit der Wirtschaftskrise und der Arbeitsmarktreform unter der konservativen Regierung von des spanischen Pr\u00e4sidenten Mariano Rajoy verschlechtert haben.
Der Zusammenhang von zunehmender Prekarisierung und neoliberalen Sparpolitiken liegt auf der Hand \u2013 und er ist ebenso in Frankreich sichtbar: Die Frauen aus Marseille k\u00f6nnen die Erfahrungen von Las Kellys best\u00e4tigen. Offiziell sind sie auf Stundenbasis angestellt, f\u00fcnf Stunden t\u00e4glich, wof\u00fcr sie am Ende des Monats knapp 900 Euro erhalten. Selten dauern die Arbeitstage jedoch f\u00fcnf Stunden, da die Anzahl der zu reinigenden Zimmer in dieser Zeit einfach nicht zu schaffen ist. So umgeht Elior das Verbot der Akkordarbeit, das nach franz\u00f6sischem Gesetz eigentlich einzuhalten w\u00e4re. Der Austausch mit Las Kellys und die Reise nach Madrid, so macht die Streikende Leila in einem Zeitungsbericht deutlich, sei ein wichtiger Schritt gewesen: \u201eWir haben gezeigt, dass wir da sind. Und dass wir f\u00e4hig sind, zusammen mit anderen Putzfrauen [3] aus anderen L\u00e4ndern gemeinsam zu k\u00e4mpfen, f\u00fcr unsere Rechte und f\u00fcr unsere W\u00fcrde.\u201c
Der Druck w\u00e4chst
Auch auf das Subunternehmen Elior erh\u00f6ht sich der Druck von mehreren Seiten. Mit offenen Briefen wandten sich die Streikenden mehrmals an die Pr\u00e4fektur, um in dem Konflikt Stellung zu beziehen und sie an das Streikrecht zu erinnern, dessen Aus\u00fcbung durch die Pr\u00e4senz staatlicher Sicherheitskr\u00e4fte immer wieder verunm\u00f6glicht wird. \u00dcber zwei Monate dauerte es allerdings, bis die Pr\u00e4fektur der Region aktiv wurde und am 27. Juni endlich einen Prozess der Mediation einleitete. Dieser zwang Elior nun dazu, die CNT-SO als Verhandlungspartnerin zu akzeptieren. Aber auch auf nationaler Ebene schl\u00e4gt der Streik mittlerweile Wellen. Marl\u00e8ne Schiappa, unter Macron zust\u00e4ndig f\u00fcr die Gleichstellung der Geschlechter, hat mit Bezug auf die Streikenden in Marseille versprochen: \u201eIch m\u00f6chte die Interessen der Putzfrauen verteidigen\u201c, und einen Aktionsplan zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ausgerufen. Aktivist*innen, die hierzu aber bereits seit Jahren arbeiten, finden den Vorsto\u00df wenig \u00fcberzeugend und bef\u00fcrchten nicht mehr als sch\u00f6ne Reden und \u201eblabla\u201c. Aus diesem Grund versammelten sich die syndikalistischen Gewerkschaften CGT-HPE und CNT-SO am 3. Juli vor dem Gleichstellungssekretariat in Paris. Zum selben Zeitpunkt traf sich Marl\u00e8ne Schiappa dort mit Arbeitgebervertretern aus dem Hotelsektor, um sich \u201eein Bild der Lage\u201c zu machen \u2013 unter Ausschluss der Betroffenen und ihren teilweise jahrelang aktiven politischen und gewerkschaftlichen Unterst\u00fctzer*innen. Gewerkschaftsvertreter*innen kritisierten nicht nur ihre fehlende Beteiligung, sondern thematisierten auch die Heuchelei, mit der Schiappa von einer notwendigen Sichtbarkeit der Putzfrauen spricht \u2013 wenn zeitgleich in Marseille der \u00e4u\u00dferst sicht- und h\u00f6rbare Streik vom Staatsapparat unterdr\u00fcckt und T\u00f6pfe und Kochl\u00f6ffel zum L\u00e4rmmachen von der Polizei konfisziert werden.
Fraglos ist es auch ein Erfolg f\u00fcr die Arbeit der CNT-SO und CGT-HPE, dass auf Regierungsebene mittlerweile \u00fcber die Problematik gesprochen wird. Ihre Erwartungen sind aber gering, da Schiappa mit Sozialpartnern verhandelt, die prinzipiell die Forderung eines 13. Monatsgehalt blockieren und mit Vertreter*innen von Elior, die Verhandlungen mit der CNT-SO grundlegend ablehnen. Um wirklich etwas an den Arbeitsbedingungen der Putzkr\u00e4fte zu \u00e4ndern, m\u00fcsste die Gleichstellungsbeauftragte nach Ansicht der CNT-SO an den Ma\u00dfnahmen ansetzen, die von der aktuellen und vorherigen Regierung beschlossen wurden \u2013 also zum einen das loi travail, das Arbeitsgesetz, das von Myriam Khomry und Fran\u00e7ois Rebsamen ausgearbeitet wurde, welches beispielsweise Angestellten von Subunternehmen verunm\u00f6glicht, sich am Ort ihrer Arbeitsst\u00e4tte zur Wahl aufstellen zu lassen; und zum anderen die Arbeitsmarktreformen von Macron, die es unter anderem Arbeitgeber*innen erlauben, einseitig den Arbeitsvertrag zu ver\u00e4ndern oder auch Mittelk\u00fcrzungen der Arbeitsinspektion beinhalteten, was juristische Auseinandersetzungen gegen diese Arbeitsverh\u00e4ltnisse vor Arbeitsgerichten erschwert. Die CNT-SO h\u00e4tte ein paar konkrete Vorschl\u00e4ge f\u00fcr Schiappa, wenn sie ihr Versprechen einhalten m\u00f6chte: Ein umfassendes Verbot der Externalisierung von Aufgaben an Subunternehmen, wo es das Herz des Gewerbes betrifft \u2013 kein Hotel funktioniert ohne geputzte Zimmer; eine Unterbindung der faktischen Akkordarbeit und die Bezahlung auf Basis der real geleisteten Stunden; Fortbildungsangebote und eine Reduzierung des Arbeitsvolumens, um muskul\u00e4re Folgesch\u00e4den zu verringern sowie eine Organisation der Arbeitsstunden, die das Privatleben respektiert mit zwei aufeinanderfolgenden Erholungstagen pro Woche.
Dass die Auslagerung von Arbeit an Subunternehmen eine wesentliche Quelle f\u00fcr die Verschleierung ausbeuterischer Arbeitsbedingungen im Reinigungssektor ist, machten k\u00fcrzlich auch die Gilets Noirs deutlich, ein Zusammenschluss von illegalisierten Migrant*innen, die erst k\u00fcrzlich wieder f\u00fcr internationale Aufmerksamkeit sorgten, als sie am 12. Juli das Pariser Panth\u00e9on besetzten und \u201ePapiere und Freiheit f\u00fcr alle\u201c forderten. In Solidarit\u00e4t mit den Streikenden in Marseille besetzten sie einen Monat zuvor bereits den Sitz von Elior in Paris, um gegen die Ausbeutung von Sans-Papiers in diesem Sektor und besonders gegen die Pr\u00e4senz von Elior in Abschiebezentren und Haftanstalten zu protestieren. In ihrem Flugblatt schreiben sie: \u201eWir greifen an, weil Elior einschlie\u00dft und abschiebt. (...) Elior zwingt uns, die Zellen zu putzen und Essen f\u00fcr unsere Genoss*innen zuzubereiten, die in den Abschiebezentren und Gef\u00e4ngnissen sitzen. (...) Wir greifen Elior an, wie wir alle Unternehmen angreifen, die die Situation von Sans-Papiers ausnutzen. Wir arbeiten f\u00fcr Zwei und erhalten nur ein Gehalt. Wenn wir den Chef damit konfrontieren, sagt er uns: \u201aWir k\u00f6nnen dich nicht behalten, du hast keine Papiere\u2018. Aber wenn wir ruhig bleiben und im Stillen arbeiten, scheren sie sich einen Dreck um die Papiere.\u201c Dass Elior von mehreren Seiten attackiert wird, zeigt Erfolge: Am 8. Juli traf sich eine Delegation der Gilets Noirs mit Elior zu ersten Verhandlungen und auch die \u00f6ffentliche Reaktion von Marl\u00e8ne Schiappa ist sicherlich nicht zuletzt auf den stetig steigenden Druck zur\u00fcckzuf\u00fchren.
\u201eAll dieser Druck entmutigt uns nicht, im Gegenteil\u201c
In Marseille bleibt abzuwarten, was bei der nun eingeleiteten Mediation herauskommt. Die Streikenden und ihre Unterst\u00fctzer*innen sind stark genug, absurde Angebote wie drei Cent Lohnerh\u00f6hung pro Stunde und eine einmalige Abfindung \u00fcber 150 Euro abzulehnen, die Elior zu Beginn einzubringen versuchte. Zuversicht ziehen die Streikenden nicht nur aus den vielen gewonnenen Streiks in der Vergangenheit in diesem Sektor [4] \u2013 auch die gro\u00dfe Unterst\u00fctzung, die sie erhalten, gibt Kraft zum Weitermachen. So erm\u00fcdend es f\u00fcr die Streikenden auch ist, t\u00e4glich den Streikposten aufrechtzuerhalten, permanent in der \u00d6ffentlichkeit zu stehen, auf Veranstaltungen und mit der Presse \u00fcber ihre Situation zu sprechen und zus\u00e4tzlich der nicht abrei\u00dfenden Repression standzuhalten: Sie wirken dennoch von Mal zu Mal k\u00e4mpferischer und \u00fcberzeugter. \u201eAll dieser Druck entmutigt uns nicht, im Gegenteil, er gibt uns noch mehr Lust zu k\u00e4mpfen. Wie k\u00f6nnten wir jetzt aufgeben? Wir halten an unserem 13. Monatsgehalt fest!\u201c, sagt Leila, noch aufgew\u00fchlt kurz nach ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam.
Nicht zuletzt: Von Beginn an zeigten sich die Gilets Jaunes mit den Streikenden solidarisch und planten die Route ihrer Samstagsdemos am Streikposten vorbei, um dort einen kurzen Halt einzulegen. Aber auch von vielen anderen Kollektiven in der Stadt werden Soliabende mit Filmen, Konzerten und Essen organisiert, um \u00fcber den Streik zu berichten und Geld in die Streikkasse zu sp\u00fclen. Die ist essentiell, um den Streikenden monatlich ihren Lohnausfall auszuzahlen und den Streik bis zum Ende zu f\u00fchren, von dessen Erfolg die Frauen \u00fcberzeugt sind.
Anmerkungen:
[1] Zitat aus einem empfehlenswerten Videobericht von Primitivi \u00fcber den Streik: \u201eQuand les femmes de chambre se rebiffent\u201c (\u201eWenn die Putzfrauen aufbegehren\u201c, \u00dcbers. A. S.).
[2] In Frankreich gibt es eine staatliche Arbeitsinspektion (Inspection du Travail), die \u00fcber regionale B\u00fcros verf\u00fcgt. Ihre Aufgabe ist es, die Einhaltung des Code du travail, das franz\u00f6sische Arbeitsrecht zu \u00fcberwachen. In Konfliktf\u00e4llen k\u00f6nnen sich Arbeiter*innen an die \u00f6rtlichen Arbeitsinspektionen wenden.
[3] Das franz\u00f6sische Original lautet femmes de chambre, also Zimmerm\u00e4dchen. Ich habe in der \u00dcbersetzung das im Deutschen gel\u00e4ufige \u201ePutzfrau\u201c genutzt, einerseits, um auf den vergeschlechtlichten Charakter der Arbeit hinzuweisen, andererseits weil die K\u00e4mpfenden als Selbstbezeichnung \u201efemmes de chambre\u201c nutzen.
[4] Die aktuelle Dokumentation \u201eLes Invisibles. Enqu\u00eate sur une nouvelle forme d\u2019esclavage\u201c (\u201eDie Unsichtbaren. Studie \u00fcber neue Formen der Sklaverei\u201c, \u00dcbers. A. S.) von Clarisse Feletin berichtet \u00fcber erfolgreiche K\u00e4mpfe gegen das System der Subunternehmen, durch das sich die Arbeitgeber*innen aus der Verantwortung ziehen k\u00f6nnen, besonders aber auch \u00fcber sexuelle Gewalt, Rassismus und Ausbeutung im Reinigungssektor. Au\u00dferdem zeichnen die Dokumentationen \u201eRemue-M\u00e9nage dans la sous-traitance\u201c (\u201eGro\u00dfer Aufwasch im Subunternehmen\u201c) sowie \u201eOn a gr\u00e8v\u00e9\u201c (\u201eWir haben gestreikt\u201c, \u00dcbers. A. S.) zwei erfolgreiche Streiks in Hotels im Pariser Raum nach, die allerdings von einem teilweise problematischen wei\u00dfen, m\u00e4nnlichen Blick getragen werden.