Das Alte im neuen Gewand
\nAm ersten M\u00e4rzwochenende gab es zwei Ereignisse in Italien, die manche Zeitungskommentator*innen, auch auf dem internationalen Parkett, dazu veranlassten, auf die Wiedergeburt einer \u201elinken Alternative\u201c in Italien zu hoffen: Am Samstag, den 2. M\u00e4rz, gingen in Mailand rund 250.000 Menschen unter dem Slogan \u201ePeople \u2013 Prima Le Persone\u201c (\u00fcbersetzt: die Menschen zuerst) auf die Stra\u00dfe. Die Demonstration war zusammengesetzt aus unterschiedlichen Akteur*innen der Zivilgesellschaft: Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen wie Emergency und Amnesty International, antirassistische Kollektive und Gewerkschaften, kirchliche Hilfsorganisationen und politische Parteien. Aufgerufen zur Demonstration hatte eine breite Koalition, unter anderem auch Giuseppe Sala, der B\u00fcrgermeister von Mailand. Er ist einer der \u201erebellischen B\u00fcrgermeister\u201c, die zivilen Ungehorsam gegen die Politik und das neue Sicherheitsgesetz von Innenminister Matteo Salvini angek\u00fcndigt hatten.
Gegenwind von rechts oben
Die F\u00fchrungsriege der Regierungsparteien z\u00f6gerte keinen Augenblick, \u00f6ffentlich Stellung zu nehmen. Der Begr\u00fcnder der 5-Sterne-Bewegung Beppe Grillo war sich nicht zu schade, den Rassismus als \u201eein falsches Problem\u201c darzustellen; es handele es sich \u201eum ein medial aufgebl\u00e4htes Ph\u00e4nomen\u201c. Seine Aussagen sind als Versuch zu sehen, die politische Bedeutung der Mobilisierung zu schm\u00e4lern, ungeachtet der Tatsache, dass sich laut offiziellen Statistiken die rassistischen \u00dcbergriffe innerhalb eines Jahres verdreifacht haben. Auch Innenminister und Lega-Chef Salvini versuchte, die Demonstration zu delegitimieren: \u201eEine wahre Botschaft an die Regierung geben die Italiener mit ihrer Stimme, indem sie mir, der Lega und der Regierung von Monat zu Monat und von Wahl zu Wahl das Vertrauen erneuern.\u201c Er spielte darauf an, dass seit einem Jahr die Lega auch bei den Regional- und Kommunalwahlen massiv zulegt und \u00fcberall die Regierung stellt, wie dies j\u00fcngst in den Regionen Abruzzen und Sardinien geschehen ist.
In diesem Kontext ist aber auch breite Teilnahme von Vertreter*innen der Mitte-Links-Parteien wie des Partio Democratico (PD) an der Demonstration zu sehen. Sie kam nicht von ungef\u00e4hr: Tags darauf, am Sonntag, den 3. M\u00e4rz, fanden die Vorwahlen beim PD statt. Diese Wahlen haben den neuen Leader gekr\u00f6nt, welcher die Partei durch die Europa-Wahlen f\u00fchren wird. Die drei Kandidaten Nicola Zingaretti, Maurizio Martina und Roberto Giachetti lie\u00dfen sich w\u00e4hrend der Demonstration dann auch gleich hinter dem Fronttransparent ablichten. Zingaretti (aktueller Pr\u00e4sident der Region Lazio) gewann mit 70 Prozent der 1,8 Millionen Stimmen haushoch \u2013 insgesamt war eine \u00fcberraschend hohe Teilnahme im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen, wo sich nur rund eine Million Menschen beteiligten. Zingaretti bezog sich auf die Demonstration am Vortag:
\u201eWir brauchen die Menschen und wir m\u00fcssen zu den Menschen zur\u00fcckkehren. Von hier aus m\u00fcssen wir die Linke neu aufbauen: inmitten der Menschen und nicht mit den Schemen der Politiker. Die aktuelle Regierung kann weder Arbeit noch Entwicklung und Wohlstand gew\u00e4hrleisten, sie generiert nur Hass, Verbitterung und Spaltung. Wir wollen ein anderes Italien.\u201c
Wieso werden diese zwei Ereignisse \u2013 Demonstration und Vorwahl \u2013 als Momente der Wiedergeburt einer \u201elinken Alternative\u201c gesehen? Wie h\u00e4ngen sie zusammen? Seit L\u00e4ngerem gab es keine so gro\u00dfe Mobilisierung mehr in Italien. Es handelt sich um eine starke Antwort auf das seit einem Jahr andauernde rechtskonservative Krisenmanagement der Regierung Salvini-Di Maio, auf den allt\u00e4glichen Rassismus und auf den dadurch hervorgebrachten Krieg der Armen gegen die Armen. Am Samstag wurde auf den Stra\u00dfen ein Zeichen der Menschlichkeit gesetzt und gegen die ausufernde Barbarei Stellung bezogen.
Doch trotz Farbenvielfalt und hoher Beteiligung haben sich nicht alle sozialen Bewegungen und Basisinitiativen an der Mobilisierung beteiligt. Denn jene, die zur Demonstration aufgerufen hatten, haben bei weitem keine reine Weste. Angefangen beim B\u00fcrgermeister Mailands, Giuseppe Sala, welcher dem Partito Democratico nahe steht und alleiniger Gesch\u00e4ftsf\u00fchrer der Expo 2015 in Mailand war. Er stand unter \u00f6ffentlicher Kritik wegen der Umsetzung dieses kostspieligen Mega-Events. Einerseits durften Student*innen im Namen der Arbeitsmarktintegration Gratisarbeit leisten und andererseits holten sich multinationale Unternehmen klientelistisch und ohne \u00f6ffentliche Ausschreibungen Auftr\u00e4ge und somit hohe Profite ein. In dieser Sache wurde auch eine richterliche Untersuchung eingeleitet.
Linke Alternativen \u2013 dringend gesucht!
Der PD hat den Zeitpunkt seiner Vorwahlen strategisch bestens wahrgenommen und die Demonstration politisch vereinnahmen k\u00f6nnen. Gibt es einen besseren Moment als wenige Monate vor den Europa-Wahlen, um sich als Opposition gegen die aktuelle Regierung und ihre unmenschliche Politik aufzuspielen? Der neugew\u00e4hlte Kopf des PD, Nicola Zingaretti, wurde als Pr\u00e4sident der Region Lazio jedoch vor allem wegen seinen politischen Vorst\u00f6\u00dfen bekannt, die den Weg f\u00fcr die Privatisierung des \u00f6ffentlichen Gesundheitssystems ebneten. Zudem sprach er sich offen f\u00fcr das seit nun drei\u00dfig Jahren umk\u00e4mpfte un\u00f6kologische und \u00fcberteuerte Mega-Projekt der Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon (TAV) aus. Auch will Zingaretti weder den K\u00fcndigungsschutz articolo 18 noch das Widerspruchsrecht f\u00fcr abgewiesene Gefl\u00fcchtete wieder einf\u00fchren. Sind es also tats\u00e4chlich diese politischen Pers\u00f6nlichkeiten, von denen eine \u201eneue linke Alternative\u201c in Italien ausgehen wird?
Gewiss, ein gro\u00dfer Teil der Teilnehmer*innen der Mobilisierung vom letzten Samstag in Mailand stellen einen Moment der Hoffnung und des Enthusiasmus gegen die herrschende Unmenschlichkeit und Barbarei dar. Es geht hier nicht darum, alle in einen Topf zu werfen und Ungleiches gleichzusetzen. Diejenigen Kr\u00e4fte, die heute jedoch beanspruchen, den politischen Ausdruck dieser sozialen Proteste zu sein, stellen in keiner Weise etwas Neues dar, aus dem eine \u201elinke Alternative\u201c erwachsen k\u00f6nnte. Denn noch vor zwei Jahren waren sie selbst in der Regierung und haben ultraliberale, fremden- und arbeitsfeindliche Reformen durchgewunken.
Der springende Punkt f\u00fcr uns bleibt: Solange es keine selbstorganisierte Massenbewegungen mit einer starken politischen Organisation gibt, welche die zahlreichen sozialen K\u00e4mpfe und Basisinitiativen \u2013 vom Frauen*streik vom 8. M\u00e4rz \u00fcber die italienweite Mobilisierung gegen die un\u00f6kologischen Infrastrukturprojekte am 23. M\u00e4rz in Rom bis hin zu den vielen Arbeitsk\u00e4mpfen im ganzen Land \u2013 zusammenbringt, werden die drei Optionen \u2013 die ultrakonservative Lega, die rechtspopulistische 5-Sterne-Bewegung und der ultraliberale Partito Democratico \u2013 stets als einzige Alternative erscheinen. Wir ben\u00f6tigen heute mehr denn je eine soziale Opposition, die mit der bestehenden Herrschaft bricht.