Von Saarbr\u00fccken bis zur Frontlinie. Wie Rojava in deutsche Gerichtss\u00e4le gebracht wird
\nAm\n17.10.2018 wird mehreren linken Aktivist*innen in\nSaarbr\u00fccken der Prozess gemacht, welche in der dortigen Hauptsparkasse vor \u00fcber drei\nJahren gegen eine Kontoschlie\u00dfung protestierten. Im Oktober 2014,\nals der sogenannte Islamische Staat (Daesh) begann Koban\u00ea zu\n\u00fcberfallen, wurde von der Initiative \u201eSolidarit\u00e4t mit Rojava\u201c\nein Spendenkonto eingerichtet. Dessen Inhalt sollte der\nSelbstverwaltung Rojavas \u00fcbergeben werden. Innerhalb weniger Monate\nwurden \u00fcber 109.000\u20ac gesammelt. Die Spendenbereitschaft war hoch\nzu dieser Zeit. Der Kampf gegen Daesh bestimmte die Schlagzeilen.\nDessen effektivste Gegner*innen, die kurdischen\nVolksverteidigungseinheiten YPG und YPJ wurden bis in die Mitte der\ndeutschen Gesellschaft hinein gefeiert. Im August 2014 gelang es den\nYPJ/YPG und der Guerilla der PKK (HPG) einen Fluchtkorridor aus dem\nvon Daesh besetzten \u015eengal\nnach Rojava frei zu k\u00e4mpften. Daraufhin fanden diese Einheiten und\ndas Projekt Rojava international gro\u00dfe Beachtung. Die gesamte\nWelt\u00f6ffentlichkeit schaute auf den Kampf um K\u00f4bane, der Sieg der\nGenoss*innen gegen Daesh wurde von vielen begeistert aufgenommen. \n\n\n
\nVorauseilender\nGehorsam
\n\n\nIm April\n2015 wurde das Spendenkonto dann von der Sparkasse Saarbr\u00fccken\ngesperrt. Zun\u00e4chst gab sie hierf\u00fcr keine Gr\u00fcnde an. Sp\u00e4ter\nbegr\u00fcndete die Sparkasse ihr Vorgehen damit, dass das Geld f\u00fcr\nPKK-nahe K\u00e4mpfer bestimmt sei, diese Organisation sei in Deutschland\nverboten. \n
\n\nDas PKK\nVerbot diente hier also, wie in vielen anderen F\u00e4llen, als Handhabe\nzur Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung. Dies geschah\nin diesem Fall dar\u00fcber hinaus in Eigeninitiative der Bank \u2013 der\nStaat musste nicht eingreifen. Als Reaktion auf dieses Vorgehen fand\nam 19.05.2015 eine Sitzblockade in den Gesch\u00e4ftsr\u00e4umen der\nSparkasse statt. Diese hatte das Ziel, Solidarit\u00e4t mit dem Kampf in\nRojava auszudr\u00fccken. Au\u00dferdem sollte die Kooperation Deutschlands\nmit dem t\u00fcrkischen Regime und die \u00dcbernahme der\nTerrorismus-Definition desselben, die auch in der BRD zur Repression\nfortschrittlicher Aktivist*innen dient, in die \u00d6ffentlichkeit\nger\u00fcckt werden. \n
\n\n\nDer Wolf\nmit dem Olivenzweig
\n\nMehr\nals drei Jahre sind seit der Blockade und der ihr zugrunde liegenden\npolitischen Situation in Rojava nun vergangen. Die Genoss*innen der\nYPG/YPJ haben Daesh mittlerweile milit\u00e4risch nahezu vollst\u00e4ndig\nbesiegt. Die politische Lage ist heute eine andere: Deutschlands\nNATO-Partner T\u00fcrkei unterst\u00fctzt nicht mehr nur den IS logistisch\nund finanziell, sondern f\u00fchrt selbst einen offenen Angriffskrieg\ngegen Rojava. Bei ihrem Vorsto\u00df auf Afrin setzte die t\u00fcrkische\nArmee mit ihren djihadistischen Verb\u00fcndeten deutsche Leopard 2\nPanzer ein. Allein in den ersten f\u00fcnfeinhalb Wochen des zynisch\n\u201eOperation Olivenzweig\u201c genannten Angriffs genehmigte die\nBundesregierung Exporte\ndeutscher R\u00fcstungsg\u00fcter im Wert von 4,4 Millionen Euro. Dies stand\nin krassem Gegensatz zu den Behauptungen des damaligen SPD\nAu\u00dfenministers Sigmar Gabriel, dass die T\u00fcrkei nicht in ihrem\nAngriffskrieg unterst\u00fctzt werde. Das Bild der t\u00fcrkischen Soldaten,\ndie den faschistischen Wolfsgru\u00df zeigend auf Leopard 2 Panzern\nstehen, versinnbildlichte die Kollaboration Deutschlands mit dem\nAngriffskrieg auf unsere Genoss*innen.
\n\n\nDer\nHumanismus der deutschen Au\u00dfenpolitik
\n\nIn\nder Bewertung dieses Angriffskrieges wurde offen mit zweierlei Ma\u00df\ngemessen. Die Menschenrechtsverletzungen, welche sich die Regierung\nErdogan zuschulden kommen lie\u00df, wurden zwar sichtbar, aber kurz\nkommentiert. Danach verlie\u00dfen sie sowohl die Debatten als auch die\nKommentarspalten der Republik. Sehr viel konsequenter und\nausdauernder wurde und wird \u00fcber die Verbrechen des Diktators Bashar\nAl-Assad berichtet. Dieser ist neben seiner Eigenschaft, ein\nm\u00f6rderischer Diktator zu sein, eben auch mit dem russischen Staat\nund dessen geopolitischem Machtblock verbunden. Ergo wird die\nhumanistische Kritik, die gegen das System Erdogan unterbleibt, gerne\ngegen ihn gerichtet. Aus Afrin hingegen dringen schon seit Monaten\nkeine Nachrichten mehr in die deutsche \u00d6ffentlichkeit, was nicht\ndaran liegen kann, dass die t\u00fcrkische Armee und ihre Milizen\nbesonders humanistisch agieren \u2013 das\nGegenteil tun sie. Die Kritik\nan den Verbrechen in Syrien denunziert sich durch diese\nDoppelb\u00f6digkeit offen als Interessenpolitik, die mit wohlklingenden\nDemokratiephrasen geostrategisches Agieren kaschiert.\n\n
\nWind\nof Change
\n\n\nDie\nNATO billigte den Vormarsch der t\u00fcrkischen Armee \u00fcber die syrische\nGrenze auf Afrin. Zwar arbeiteten die USA im Kampf gegen Daesh noch\nmit den Volksverteidigungseinheiten zusammen, jedoch wurden diese,\nnachdem Daesh gr\u00f6\u00dftenteils zerschlagen war, von der NATO fallen\ngelassen. Dabei spielt die BRD innerhalb der NATO nochmals eine\nbesondere Rolle. Die BRD und die T\u00fcrkei sind nicht nur \u00fcber\nwirtschaftliche Interessen fest verflochten. Auch politisch herrscht\neine enge, arbeitsteilige Beziehung: Dank dem EU-T\u00fcrkei\nMigrationsdeal f\u00fchrt die BRD gerne aus, was der t\u00fcrkische Staat\nfordert. Die Devise lautet: EU Au\u00dfengrenzen werden auch in der\nT\u00fcrkei verteidigt. Dies sp\u00fcren Gegner*innen des t\u00fcrkischen\nRegimes, deren Verfolgung auch hierzulande stattfindet. Die\npolitische Konjunktur hat sich ge\u00e4ndert: Waren zu Zeiten der\nProtestaktion in der Sparkasse selbst aus CDU-Kreisen noch\nForderungen nach der Aufhebung des Verbots der PKK zu h\u00f6ren, werden\nheute Menschen sogar daf\u00fcr angeklagt die Fahnen der YPG/YPJ\n\u00f6ffentlich zu zeigen oder auch nur bei Facebook zu teilen.
\n\n\nGlobal\nagieren hei\u00dft hier k\u00e4mpfen
\n\n\nDurch\nden Vorwurf der Terrorismusunterst\u00fctzung sind hierzulande bereits\nVerbote von Versammlungen und Vereinen, Durchsuchungen und so weiter\nm\u00f6glich, ohne dass dies einen nennenswerten \u00f6ffentlichen Aufschrei\nhervorrufen w\u00fcrde. Sowohl die deutsche Politik als auch die\nMedienberichterstattung versuchen, die Auseinandersetzung zwischen\ndem autorit\u00e4ren Projekt der modernen T\u00fcrkei und dem demokratischen\nKonf\u00f6deralismus, welcher in Rojava praktiziert wird, zu einem\ninnert\u00fcrkischen Konflikt zu deklarieren. Es wird der Eindruck\nerweckt, als ob die BRD nichts damit zu tun habe. Diese ist jedoch\n\u00fcber die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen aktiver\nPlayer in diesem Konflikt. Das Projekt Rojavas, als einzig\nemanzipatorischer Alternative im mittleren Osten, hat eine\nStrahlkraft weit \u00fcber diese Region hinaus, es verdient die\nUnterst\u00fctzung aller fortschrittlichen Menschen. Trotz aller\nWiderspr\u00fcche hat es den Kampf gegen Patriarchat, Rassismus und\nKapitalismus implementiert. Es muss verteidigt werden. Auf den\nVersuch der Partikularisierung und Abspaltung, den Versuch der\nbundesdeutschen Eliten, den Konflikt als einen innert\u00fcrkischen\nMachtkampf darzustellen, muss die Antwort hei\u00dfen: Internationale\nSolidarit\u00e4t, in den Bergen, in der Bank, im Gerichtssaal!