Empowerment und Klassenkampf: Gegen den Rassismus des Kapitals
\nNeuss am Rhein, Sommer 1973: Vor den Fabriktoren des\nAutomobilzulieferers Pierburg versammeln sich tausende Menschen, ein Gro\u00dfteil\nvon ihnen sind migrantische Frauen. Gro\u00dfe Plakate werden aufgeh\u00e4ngt und Banner\nbemalt, durch Megaphone werden die Forderungen der Streikenden verlesen. \u201eMehr\nGeld! Mehr Geld!\u201c-Sprechch\u00f6re unterstreichen die Reden der Arbeiter*innen.\nTagelang sind die Maschinen im Betrieb kaum mehr zu h\u00f6ren, die\nRufe vor der Fabrik daf\u00fcr umso mehr: \u201eEine Mark mehr!\u201c\nDer Polizeidirektor von Neuss spricht von \u201ewilder Revolution\u201c und l\u00e4sst seine\nTruppen auf die Streikenden los. Aber immer weitere Arbeiter*innen\nschlie\u00dfen sich an, um die Streikenden bei ihrem Kampf gegen die autorit\u00e4ren\nVorgesetzten, f\u00fcr gleiche L\u00f6hne und ein Ende der unterschiedlichen Bezahlung\nvon M\u00e4nnern und Frauen sowie deutschen und internationalen Arbeiter*innen zu\nunterst\u00fctzen.
\n\nArbeitsstreiks wie bei Pierburg, den Ford-Werken in\nK\u00f6ln-Niehl, bei Opel in Bochum oder Hella in Lippstadt im selben Jahr richteten\nsich gegen soziale Ungerechtigkeit, wie etwa Ausgrenzung aus Arbeits- oder\nWohnverh\u00e4ltnissen. Ihnen folgten zahllose weitere K\u00e4mpfe von migrantischen\nArbeiter*innen in Deutschland, Europa und weltweit. Die Streikenden stellen\nsich gegen rassistische Ausformungen kapitalistischer (Re-)Produktion, gegen\nEthnisierung als Instrument zur Segmentierung des Arbeitsmarkts und das\nGegeneinander-Ausspielen der Lohnabh\u00e4ngigen. Die K\u00e4mpfe sind damit explizit\n\u201eantirassistisch\u201c, auch wenn sie sich nicht so bezeichnen. Sie stellen die\nFrage nach Ausbeutungs- und Herrschaftsverh\u00e4ltnissen und machen deutlich, dass\nihre Position in den Produktionsverh\u00e4ltnissen von zahlreichen Faktoren abh\u00e4ngig\nist, die nur gemeinsam bek\u00e4mpft werden k\u00f6nnen. Der R\u00fcckgriff auf die Praxis und\nErfahrung aus diesen K\u00e4mpfen findet gegenw\u00e4rtig allerdings nur sehr bedingt\nstatt.\u00a0 Umso wichtiger, sich diesen\nProtestformen von Migrant*innen in der BRD bewusstzuwerden, sich in ihre\nTradition zu stellen und aus ihren Erfahrungen zu lernen. Ans\u00e4tze dieser\n(Wieder-)Aneignung, die in den letzten Jahren auch in Deutschland st\u00e4rkere\nAufmerksamkeit erhielten, werden unter dem Begriff des \u201eEmpowerment\u201c\nzusammengefasst. Empowerment meint, vereinfachend gesprochen,\nSelbsterm\u00e4chtigung und Widerst\u00e4ndigkeit von Menschen, die von struktureller\nUnterdr\u00fcckung (rassistischer, geschlechtsbezogener, \u00f6konomischer und vieles\nmehr) und Ausgrenzung betroffen sind. Besonders im Kontext von (post)kolonialen\nund antirassistischen K\u00e4mpfen hat es erfolgreiche Empowerment-Strategien von\nBetroffenen zu allen Zeiten gegeben, durchaus auch militant. Viele davon wurden\nverschwiegen oder \u00fcber die Zeit vergessen. Im Folgenden soll die Geschichte\nantirassistischen Empowerments im Kontext von Arbeitsstreiks zu einer Diskussion\nvon aktualisierten Klassenpolitiken beitragen.
\n\nEmpowerment to the People!
\n\nDas Konzept des Empowerments als politische Praxis stammt\nvor allem vom nord- und s\u00fcdamerikanischen Kontinent. Ab Mitte des 20.\nJahrhunderts wurde es zur Erm\u00e4chtigung von armen und unterdr\u00fcckten\nBev\u00f6lkerungsgruppen wie B\u00e4uer*innen und Favela-Bewohner*innen im\npost-kolonialen Lateinamerika entwickelt. Es hat ebenso seine Wurzeln in der\nschwarzen B\u00fcrgerrechts- und der feministischen Bewegung in den USA. Empowerment\nals politische Praxis von People of Color (PoC) im Kampf gegen Rassismus\nverbreitete sich sp\u00e4ter weiter in Deutschland und wird heute in verschiedener\nWeise interpretiert und angewandt.
\n\nWesentlich f\u00fcr Empowerment ist der Prozess, in dem\nMenschen, die (oftmals auch in mehrfacher Hinsicht) unterdr\u00fcckt werden, die\nihnen aufgezwungene Rolle des Opfers verlassen und eine aktive Rolle im Kampf\ngegen die jeweilige Unterdr\u00fcckungsform einnehmen. Ausgangspunkt daf\u00fcr sind\nverschiedene Erkenntnisse: 1.) Die Betroffenen haben durch ihre Erfahrung\nsowohl Wissen dar\u00fcber, wo das System wie unterdr\u00fcckt und auch welche Formen von\nGegenstrategien und Organisierung \u00fcberhaupt m\u00f6glich sind. 2.) Erst ein Bruch\nder Unterdr\u00fcckten mit der Position, welche ihnen durch das herrschende und\nunterdr\u00fcckende System zugewiesen wird, stellt eben genau jenes als Ganzes in\nFrage, 3.) Die Unterdr\u00fcckten k\u00f6nnen f\u00fcr eine grundlegende Ver\u00e4nderung der\nSituation nicht allein auf den guten Willen derer vertrauen, die von dieser\nUnterdr\u00fcckung nicht betroffen sind oder gar von ihr profitieren. Ein Kampf\ngegen das rassistische System findet also erst statt, wenn People of Color sich\ngegen die Rolle auflehnen, die sie in diesem System spielen sollen.
\n\nPraktisch muss sich Empowerment im Kampf gegen Rassismus an\nder Analyse seiner Struktur ansetzen. Rassismus ist eine Herrschaftsstruktur,\ndie sich durch die Gesellschaft zieht und auch in ihren machtvollen\nInstitutionen, bis hin zu der Verfasstheit des Nationalstaats, struktureller\nBestandteil ist. Rassismus wird aber auch im allt\u00e4glichen Leben sichtbar: In\nInteraktionen zwischen Menschen ist er tief in Worten, Blicken und Praxen\neingeschrieben; gef\u00fcttert wird er mit Vorurteilen und Stereotypisierungen.\nDiese Doppelstruktur wird nat\u00fcrlich nicht als parallel zu einander, sondern als\nvermittelt gedacht, in der sich beide \u201eAchsen\u201c gegenseitig bedingen. Sie ist\nauch dem Empowerment-Ansatz immanent: Er soll Alltagsstrategien und\nindividuelle Selbsterm\u00e4chtigung einerseits und Ver\u00e4nderung\ngesamtgesellschaftlicher Strukturen anderseits erm\u00f6glichen. [1] Die\nSelbsterm\u00e4chtigung der Unterdr\u00fcckten Individuen erm\u00f6glicht kollektive Prozesse\nund Organisierung, durch die rassistische Strukturen angegriffen werden k\u00f6nnen.\n
\n\nDer Empowerment-Prozess wird im Wesentlichen dadurch\nangesto\u00dfen, dass People of Color sich \u00fcber ihre Erfahrungen austauschen und\ngemeinsam eine Sprache finden, ihre Bed\u00fcrfnisse, kollektiven Interessen und\nauch \u00c4ngste zu artikulieren. Als Ort f\u00fcr diesen Austausch sind gesch\u00fctzte R\u00e4ume\nrelevant, in denen Menschen zusammen kommen, die von Rassismus betroffen sind.\nSie schaffen erst die Voraussetzungen, eigene Erfahrung zu thematisieren, ohne\ndass diese infrage gestellt oder relativiert werden. Zu Empowerment auf der\nindividuellen Ebene gibt es gl\u00fccklicherweise immer mehr Workshops, Gruppen und\ninhaltliche Auseinandersetzungen. Wie\nallerdings ein Empowerment-Konzept aussehen kann, welches diese wichtige Arbeit\nleistet und gleichzeitig K\u00e4mpfe erm\u00f6glicht, die Rassismus auf seiner\nstrukturellen und systematischen Ebene angreifen (und sich nicht einzig auf\nGegenstrategien auf rassistische Interaktionen fokussiert), das gilt es immer\nweiter auszuarbeiten. Welche Lehren sind aus den antirassistischen\nmigrantischen K\u00e4mpfen der Vergangenheit zu ziehen?
\n\nDer \"Gast\"arbeiter*innen-Streik bei\nPierburg
\n\nAns\u00e4tze hierf\u00fcr bietet der eingangs erw\u00e4hnte Streik bei\nPierburg in Neuss, der von migrantischen Arbeiter*innen initiiert und angef\u00fchrt\nwurde. Der Streik ist auch f\u00fcr feministische Arbeitsk\u00e4mpfe ein zentraler\nBezugspunkt, er wird aber an dieser Stelle vor allem aus einer\nanti-rassistischen Perspektive beleuchtet werden. Was war los im Jahr 1973?
\n\n\u201eAlle R\u00e4der stehen still\u2026\u201c In der Autoteilefabrik Pierburg\nbesteht der Gro\u00dfteil der Besch\u00e4ftigten zu dieser Zeit aus sogenannten\nGastarbeiter*innen, darunter rund 2500 Arbeiterinnen aus unterschiedlichen\nL\u00e4ndern. Es sind die Frauen, welche die anstrengendsten Arbeiten zu verrichten\nhaben. Gleichzeitig stellen sie die unterste Lohngruppe dar. Die Frauen werden\nau\u00dferdem von den \u2013 ausschlie\u00dflich m\u00e4nnlichen \u2013 Aufsehern auf sexistische und\nrassistische Weise erniedrigt. Immer wieder kommt es zu kleineren Streiks der\nmigrantischen Arbeiter*innen im Werk, die Umsetzung von Teilforderungen dient\ndazu, die Protestierenden kurzfristig zu befrieden. Im August 1973 beginnen einige\nder Arbeiter*innen Flugbl\u00e4tter vor dem Werk zu verteilen. Auf ihnen stehen\nForderungen, welche insbesondere den migrantischen Frauen zugutekommen sollen:\nDie Abschaffung der bereits erw\u00e4hnten untersten Lohngruppe, aber auch\nLohnerh\u00f6hungen und Fahrtgeldzusch\u00fcsse f\u00fcr die gesamte Belegschaft, sowie freie\nTage f\u00fcr Arztbesuche oder f\u00fcr \u201eHausfrauent\u00e4tigkeiten\u201c, um die Doppelbelastung\nder Frauen durch Produktion und Hausarbeit zu vermindern. Von Beginn an\nversucht die Gesch\u00e4ftsleitung, den Streik durch polizeiliche Gewalt zu brechen.\nEs gibt Verletzte und Verhaftungen. Doch die Frauen lassen sich nicht\neinsch\u00fcchtern. Und sie stehen nicht alleine: Der rabiate Polizeieinsatz ruft\ndie Solidarit\u00e4t der anderen Arbeiter*innen und auch der Stadtbev\u00f6lkerung\nhervor. Schlie\u00dflich schlie\u00dfen sich auch die deutschen, m\u00e4nnlichen Facharbeiter\ndem Streik an: Eine Wende im Streikverlauf, der die Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisse\nzugunsten der prekarisierten migrantischen Arbeiter*innen verschiebt.
\n\nDieser wichtige Schritt kann durch verschiedene Faktoren\nerkl\u00e4rt werden: Die migrantischen Arbeiter*innen suchten ihre wei\u00dfen\nKolleg*innen abends in ihren Stammkneipen auf und begannen, diese zu agitieren.\nSie wiesen bestehende rassistische Bilder zur\u00fcck, machten die Legitimit\u00e4t ihres\nStreiks klar und arbeiteten gemeinsame Interessen heraus. Sie kn\u00fcpften an\neigenen Streikerfahrungen der deutschen Kolleg*innen an, die selbst K\u00e4mpfe um\nLohnerh\u00f6hungen und Verbesserungen der Arbeitssituation gef\u00fchrt hatten. Konkret wurde\nden Facharbeitern dabei die Erinnerung an fr\u00fchere Streiks in Erinnerung gerufen,\nbei denen sie ohne die \u201eGast\u201carbeiter*innen gestreikt hatten und bei denen sie\nwegen ihrer geringen Zahl nicht erfolgreich waren. Von dem gemeinsamen Streik\nerhofften sie sich also auch eine Verbesserung der eigenen Lage. Die gesammelte\nStreikkraft der Arbeiter*innen und die dadurch entstehenden empfindlichen Produktionseinbu\u00dfen zwangen die Gesch\u00e4ftsleitung letzten Endes dazu,\ngro\u00dfe Teile der Forderungen umzusetzen, an erster Stelle die Abschaffung der\nuntersten Lohngruppe und Erh\u00f6hung von Stundenlohns f\u00fcr alle. [2]
\n\nEs handelte sich beim Pierburg-Streik damit um einen gut\norganisierten und militanten Protest von migrantischen Arbeiter*innen gegen\nrassistische und sexistische Ausgrenzung und die systematische Benachteiligung\nim Produktionsprozess. Wenn auch zu dieser Zeit der Begriff in Deutschland\nnicht etabliert war, so l\u00e4sst sich dieser Streik mit dem Konzept des\nindividuellen, wie vor allem auch des kollektiven Empowerments\ncharakterisieren. Die migrantischen Arbeiter*innen haben zuerst ihre\ngemeinsamen Erfahrungen ausgetauscht. Sie haben sich \u00fcber ihre Interessen und\nVorstellungen vergewissert und dar\u00fcber gesprochen, wie ihre Situation sich\n\u00e4ndern sollte. Ihre \u00dcberlegungen sind schlie\u00dflich auch in die Forderungen des\nStreiks eingegangen. Sie organisierten sich zun\u00e4chst untereinander und traten\nschlie\u00dflich als Kollektiv in Aktion. Damit verlie\u00dfen sie ihre zugeschriebene\nPosition als passive Opfer der Ausgrenzung und systematischen Benachteiligung\nund wurden in diesem Prozess aktiv widerst\u00e4ndig Handelnde im Kampf gegen ihre\neigene Unterdr\u00fcckung.
\n\nDie K\u00e4mpfenden waren dabei mit verschiedenen Ausformungen\ndes rassistischen und sexistischen Systems konfrontiert: Einerseits die\nTatsache, dass migrantische Arbeiterinnen gegen\u00fcber ihren m\u00e4nnlichen und vor\nallem gegen\u00fcber den wei\u00dfen Kolleg*innen materiell und finanziell systematisch\nbenachteiligt wurden und letztere zudem von vielen schweren und gef\u00e4hrlichen\nArbeiten in den Betrieben verschont wurden. Andererseits sahen sie auch den\nindividuellen Einstellungen der wei\u00df-deutschen Arbeiter gegen\u00fcber, welche von\nder systematischen Ausgrenzung und Benachteiligung profitierten und ihr\nteilweise zustimmten.
\n\nDie m\u00e4nnlichen \u201eGast\"arbeiter waren an dem Streik von Anfang\nan beteiligt, auch wegen einem gemeinsamen vergangenen Arbeitskampf, bei dem\nTeilerfolge erzielt werden konnten. Zwar war die Konkurrenz zwischen\nwei\u00df-deutschen und migrantischen Arbeiter*innen wegen der personellen\nZusammensetzung im Werk nicht zu stark ausgepr\u00e4gt, dennoch gab es unter der\nBelegschaft rassistische Einstellungen, sowie Spaltungsversuche durch die\nBetriebsleitung. Die Gefahr war vorhanden, dass die wei\u00dfen\nArbeiter*innen sich von dieser \u00fcberzeugen und sich gegen den Streik\nmobilisieren lie\u00dfen. Die Erfahrungen dieser Zeit waren davon gepr\u00e4gt, dass\nselbst anti-rassistisch eingestellte wei\u00dfe Gewerkschafter*innen und\nBetriebsr\u00e4te Forderungen von Migrant*innen, die sich gegen Lohn- und\nGesetzesdiskriminierung richteten, zur\u00fcckwiesen\nund nicht unterst\u00fctzen. Wollten migrantische Arbeiter*innen etwas an\nihrer Situation \u00e4ndern, so mussten sie es schaffen, die m\u00e4nnlichen und\nwei\u00df-deutschen Kollegen von ihrem Kampf zu \u00fcberzeugen und ihn zu einem gemeinsamen\nKampf machen.
\n\nF\u00fcr ein materialistisches\nRassismus-Verst\u00e4ndnis!
\n\nUm aus historischen Erfolgen wie diesem zu lernen, ist es\nwichtig zu verstehen, welches Verst\u00e4ndnis \u00fcber Funktion und Organisation von\nRassismus der Aktion zugrunde lag. Denn daraus leiten sich sp\u00e4ter auch die\nWiderstandsstrategien ab.
\n\nZun\u00e4chst ist offensichtlich, dass die wei\u00dfen\nArbeiter von der Diskriminierung der migrantisierten Arbeiter*innen\nprofitieren, da ihnen schwerere Arbeiten weniger zugemutet werden und\nsie auch bei den Lohnauszahlungen oft bessergestellt sind. Auch kommt der\nWohlstand, welcher auf nationaler Ebene erwirtschaftet wird, von allen\nLohnabh\u00e4ngigen vor allem wei\u00df-deutschen Arbeiter*innen zugute (hier sind etwa\ndie Zug\u00e4nge zu Sicherungssystemen zentral, die bis heute rassistische\nAusgrenzungen produzieren). Gleichzeitig gelingt es aber der Gesch\u00e4ftsleitung\nnicht mehr ohne weiteres, die Belegschaft rassistisch zu spalten und die\nHierarchisierung im Betrieb aufrechtzuerhalten, wenn die wei\u00dfen\nArbeiter*innen die existierenden Unterschiede nicht mehr in dieser Form\nhinnehmen, sondern diese aktiv mit ihren Kolleg*innen bek\u00e4mpfen. In Pierburg\nwurde die rassistische Hierarchisierung zwar als Strategie der Spaltung aktiv\nvon der Betriebsleitung eingef\u00fchrt, sie konnte sich allerdings nicht\ndurchsetzen. Dies f\u00fchrte dazu, dass die Gesch\u00e4ftsleitung gewaltsam versuchte,\ndie Spaltung der Arbeiter*innen in der Fabrik aufrechtzuerhalten, etwa, indem\nsie den Streik als \u201ewilden Streik\u201c und die Streikenden als \u201eKommunisten\u201c\ndenunzierte. Sie erhielt dabei aktive Unterst\u00fctzung durch die staatliche Polizei.\n
\n\nAuch wenn der Rassismus die wei\u00dfen Arbeiter*innen in der\nkapitalistischen Logik systematisch besser stellt, ist es aber mitnichten so,\ndass die Kooperation zwischen wei\u00dfen und nicht-wei\u00dfen Arbeiter*innen nicht eine\nbessere Situation f\u00fcr beide schaffen kann, welche diese Logik als solche in\nFrage stellt. Konkret am Beispiel Pierburg l\u00e4sst sich sehen: Die \u00dcberwindung\nder Spaltung bringt auch den wei\u00dfen Arbeitern reale \u00f6konomische Verbesserungen\n(Die Forderung nach einem \u201eMehr Geld!\u201c wurde etwa f\u00fcr die gesamte Belegschaft\ngestellt). [3]
\n\nRassismus ist als ein gesellschaftliches Verh\u00e4ltnis zu\ndenken, \u201ein dem die K\u00e4mpfe im Mittelpunkt stehen und nicht die durch den\nRassismus produzierten Identit\u00e4ten\u201c. [4] Das rassistische Verh\u00e4ltnis zwischen\nden migrantischen und den wei\u00df-deutschen Arbeiter*innen ist alles andere als\nstabil. So wie die \u201eGast\"arbeiter*innen die ihnen zugewiesene Position verlassen,\nso tun dies auch die wei\u00dfen Arbeiter*innen durch den gemeinsamen Prozess. Sie\nlegen Vorurteile ab und \u00fcberwinden rassistische Spaltungsversuche. Das ist eine\nwichtige Grundlage des solidarischen Kampfes.
\n\nWeiterhin muss Rassismus in der kapitalistischen\nWeltordnung auch immer als System begriffen werden, das Bev\u00f6lkerung und\nArbeitskraft kontrolliert, organisiert und zu einander in Beziehung setzt.\nDieses System zielt vor allem darauf ab, Identit\u00e4ten festzulegen und ihnen\neinen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen. [5] Es produziert notwendig solche\nSubjekte, die privilegiert sind und in gr\u00f6\u00dferen Genuss von B\u00fcrgerrechten, staatlichen\nLeistungen und politischer Repr\u00e4sentation kommen, und solche, die\ndeprivilegiert sind und von diesen ganz oder teilweise ausgeschlossen sind. Die\nschlechter gestellten Bev\u00f6lkerungsteile werden massiver ausgebeutet und die\nbesser gestellten Teile durch ihre beg\u00fcnstigte Stellung ideologisch an den\nNationalstaat oder das Kapital, hier die Firma Pierburg, gebunden. Die Analyse,\ndass Wei\u00dfe in einer rassistischen Gesellschaft Vorteile und Machtpositionen\ngegen\u00fcber People of Color haben, darf also nicht bei dem vereinfachenden Fehlurteil\nlanden, dass die kapitalistische Gesellschaft auch tats\u00e4chlich zum Vorteil der\nwei\u00dfen Arbeiter*innen w\u00e4re. Der Vorteil ist vor allem ein klassenspezifischer.
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Lehren f\u00fcr eine gemeinsame Praxis
\n\nAm Beispiel des Zusammenhalts der Belegschaft von Pierburg\nk\u00f6nnen wir die umk\u00e4mpfte Solidarit\u00e4t der migrantisierten und\nnicht-migrantisierten Arbeiter*innen als wichtigen Teil des kollektiven\nantirassistischen Arbeitskampfs ausmachen. Sie ist unerl\u00e4sslich, da Rassismus als\nHerrschafts- und Kontrollsystem in seinen strukturellen Erscheinungsformen\n\u2013\u00a0 beispielsweise die systematische\nBenachteiligung und Hierarchisierung auf den Arbeitspl\u00e4tzen \u2013 nur von einer\nsolidarischen Gemeinschaft bek\u00e4mpft werden kann. Die Solidarit\u00e4t von Wei\u00dfen\nscheint m\u00f6glich, da auch die Subjekte, die der Rassismus produziert, als\nver\u00e4nderbar und umk\u00e4mpft gedacht werden m\u00fcssen.
\n\nDer Fokus auf die allt\u00e4glichen Erfahrungen von\nmigrantisierten Menschen in einer rassistischen Gesellschaft ist eine der gr\u00f6\u00dften\nSt\u00e4rken des Empowerment-Ansatzes. Es steht nicht nur ein komplex-abstraktes\nSystem und die Kritik daran im Mittelpunkt, sondern die Betroffenen in diesem\nSystem. Und mit ihnen auch ihre Erfahrungen, ihr Erleben und ihre psychosoziale\nLage. Der Austausch durchbricht die Isolation, die durch Normalisierung und\nTabuisierung von Rassismus entsteht und macht Positionen und Forderungen\nsichtbar. Empowerment stellt eine Gegenstrategie zu den seelischen und\npsychischen Verletzungen dar, die den Menschen im Kapitalismus allt\u00e4glich zu\ngef\u00fcgt werden und die marginalisierte Communities unerbittlich treffen. Eine\nHerausforderung ist die Doppelstruktur von Antirassismus und Empowerment:\nGegenstrategien zu individuellem und allt\u00e4glichem Rassismus (auch in der\nInteraktion mit Wei\u00dfen) sind unerl\u00e4sslich, um das Gef\u00fchl von Machtlosigkeit zu\nbek\u00e4mpfen. Gleichzeitig darf Rassismus nicht auf diese Erscheinungsform\nverk\u00fcrzt werden. Ans\u00e4tze, die einzig Partizipation von People of Color an\nbestehenden Herrschaftsstrukturen erm\u00f6glichen wollen und somit das Ph\u00e4nomen des\nRassismus von seiner Funktion entkoppeln, m\u00fcssen kritisiert werden. [6] Die\nverschiedenen Erscheinungsformen m\u00fcssen vielmehr miteinander in Beziehung\ngesetzt werden, um radikalere Analysen und kollektive Praxen zu entwickeln, die\nden Rassismus als System angreifen k\u00f6nnen.
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Unser Autor\nwurde vor allem durch die Zusammenarbeit mit Anarchist*innen of Color, muslimischen\nFeministinnen und (post-)migrantischen Anti-rassist*innen politisiert. Auch\nwenn der Artikel aus einer wei\u00dfen Perspektive geschrieben ist, sind die Gedanken ma\u00dfgeblich durch die Diskussion und den Austausch mit Genoss*innen aus diesen\nZusammenh\u00e4ngen entstanden.
\n\n\n\nAnmerkungen:
\n\n[1] Kahveci, \u00c7a\u011fr\u0131 (2017): Migrantische Selbstorganisierung im\nKampf gegen Rassismus. M\u00fcnster: Unrast-Verlag.
\n\n[2] Dieter Braeg, Betriebsrat bei Pierburg zu der Zeit, beschreibt\nin seinem Buch \u00fcber den Streik sehr ausf\u00fchrlich, wie die migrantischen\nArbeiter*innen ihre wei\u00dfen Kolleg*innen \u00fcberzeugten und auch zu kreativen\nMethoden griffen; etwa, indem sie ihnen Rosen schenkten. Vgl.: Braeg, Dieter\n(2012): Wilder Streik - Das ist Revolution. Berlin: Die Buchmacherei.
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[3] Dieses\nVerst\u00e4ndnis, was wei\u00dfe Privilegien bedeuten, was aber eben auch nicht, legt\nKeeanga-Yamattha Taylor in ihrem Artikel \u201eWei\u00dfe Vorherrschaft f\u00fcr manche,\naber nicht f\u00fcr alle\u201c (analyse und kritik, ak 627) sehr anschaulich dar.
\n\n\n\n[4] Karakayal\u0131,\nSerhat (o.J.): Lotta Continua in Frankfurt, T\u00fcrken-Terror in K\u00f6ln. Migrantische\nK\u00e4mpfe in der Geschichte der Bundesrepublik. Online bei grundrisse.\n
\n\n\n\n[5] Unter\nfestgelegten Identit\u00e4ten lassen sich Fremdzuschreibungen verstehen, die People\nOf Color von der Mehrheitsgesellschaft aufgezwungen werden und die sie auf eine\nbestimmte Rolle festlegen sollen, wie sie angeblich sind oder sich zu verhalten\nhaben. Frauen* muslimischen Glaubens werden so etwa allein auf diese Zugeh\u00f6rigkeit\nreduziert und daraus jede ihrer Handlung erkl\u00e4rt. Dies zeigt sich bei der\nrassistischen Debatte \u00fcber das Tragen eines Hijabs im Unterricht: Die\nLehrerinnen werden nicht als studierte Akademiker*innen betrachtet, die eben\nauch religi\u00f6s sind, sondern allein auf ihre Religion festgelegt und dabei als\n\u201eunaufgekl\u00e4rt\u201c konstruiert.
\n\n\n\n[6] Die\nKritik an solchen \u201eIntegrationsma\u00dfnahmen\u201c ist vor allem deshalb wichtig, weil\nsie letztlich vor allem der \u00e4rmeren Bev\u00f6lkerung of Color schadet. Taylor zeigt\nin ihrem Buch \u201eFrom #BlackLivesMatter to Black Liberation\u201c, wie vereinzelt\nSchwarze Menschen in den USA der Zugang zu politischen Institutionen gew\u00e4hrt\nwurde, gleichzeitig die Armut der Schwarzen Bev\u00f6lkerung sowie die rassistische\nPolizeigewalt gleich blieb. Die US-Administration verleugnete diesen Rassismus\nmit Verweis auf Schwarze Parlamentarier*innen. Vgl. Taylor, Keeanga-Yamahtta\n(2016): Von #BlackLivesMatter zu Black Liberation. M\u00fcnster: UNRAST-Verlag.
[Bilder: Armin Razmpush]