re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=692020-12-02T21:15:27.403402+00:00[Video] Erinnern als kollektive Gegenwehr2020-12-02T18:18:56.881628+00:002020-12-02T21:15:27.403402+00:00Redaktionredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/video-erinnern-als-kollektive-gegenwehr/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>[Video] Erinnern als kollektive Gegenwehr</h1>
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<div class="rich-text"><p>Am 7. November 2020 fand die Premiere des Dokumentarfilms <a href="https://leftreport.org/contrahistoria/">CONTRAHISTORIA - GESCHICHTE VON UNTEN</a> des Medienkollektivs Left Report statt, in dem Aktivist:innen in Madrid über die Kontinuitäten der Kämpfe gestern und heute gegen den Faschismus, rechte Gewalt und staatliche Repression berichten.</p><p></p><hr/><p>„<i>Die Formen, mit denen der Faschismus sich durchsetzt, sind vielfältig – abhängig vom Kontext, der Situation und nicht zuletzt dem Ort. Das Ende ist das Gleiche: Es ist das Schluss-Machen mit der ganzen Welt, die anders als sie [die Faschisten] denkt.“ (Aktivist*in, Contrahistoria)</i></p><hr/><p></p><p>Nach der Filmvorführung sprachen wir mit Vecktor, einem Aktivist aus Madrid. Er ist seit vielen Jahren in Berlin in der Gruppe Solidaridad Antirrepresiva aktiv. Jo aus der Redaktion des re:volt magazine sprach mit ihm über antifaschistisches Gedenken und kollektive Gegenwehr im Gestern und Heute. Deutlich wird: Sie tragen ein anderes Gewand und mögen andere Methoden anwenden, aber diejenigen, die in Spanien unter Franco politische Gegner:innen verfolgten und folterten, sind immer noch da.</p><h2>Hier geht es zum gesamten Gespräch</h2></div>
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<div class="rich-text"><h2></h2><hr/><p></p><h2>Zum Inhalt</h2><p>Nach Francos Tod bis zum heutigen Tag, in der Zeit der sogenannten Transición, kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen und Morden durch faschistische Gruppen und Nazis. Eine zentrale Stellung nimmt jedoch der Mord an Carlos Palomino am 11. November 2007 ein, der im Mittelpunkt des Film Contrahistoria steht. Carlos Palomino war ein antifaschistischer Jugendlicher aus Vallekas, einem Stadtteil von Madrid. An jenem Tag wurde Carlos auf dem Weg zu einer antifaschistischen Kundgebung in der U-Bahn von einem 24-jährigen rechtsradikalen Berufssoldaten erstochen. „Es hätte jeden treffen können. Das bleibt im Kopf und in deiner Erinnerung“, sagt eine Aktivistin im Film.</p><p>Mit dem Mord, so berichtet Vecktor im Gespräch, sei eine Grenze überschritten worden. Die Mutter von Carlos, Mavi, hatte dabei eine wichtige Rolle: Sie war von Anfang an Sprecherin der Mütter gegen Repression, einem Verein, in dem sich Familienangehörige von Opfern faschistischer Gewalt organisieren. Zu Beginn stellten die Medien das als eine Schlägerei zwischen extremistischen Gruppen dar und erkannten den politischen Charakter der Ermordung nicht an. Damit, so Vecktor, werden immer wieder die Opfer und Täter von faschistischer Gewalt auf eine gleiche Stufe gestellt. Die Aktivitäten der Angehörigen rund um den Prozess gegen den Mörder von Carlos führten aber zum ersten Mal dazu, dass der Mord als Hassverbrechen anerkannt und mit 26 Jahren Haft verurteilt wurde.</p><p>Es waren und sind aber noch immer die antifaschistischen und linken Aktivist:innen, gegen die sich ein Großteil der staatlichen Repression richtet, die kriminalisiert und verhaftet werden. Zwischenzeitlich wurde das Gesetz, welches ursprünglich zum Schutz der Opfer entwickelt wurde, von den spanischen Repressionsbehörden umgekehrt: so wurden im Jahr 2019 Antifa-Aktivist:innen wegen „Hass gegen Nazis“ angeklagt; ein weiteres Gesetz, das sogenannte Maulkorb- oder Knebelgesetz, wird seit 2015 dafür verwandt, Sonderrechte für die Polizei durchzusetzen, um auf der Basis von Indizien Ermittlungen aufzunehmen, Menschen zu verhaften und vor Gericht zu stellen.</p><p>Mit diesen Gesetzen wird die brutalste politische Strafverfolgung gegen der Bevölkerung seit Francos Tod praktiziert, die vor allem linke Aktivist:innen, Antifaschist:innen, Anhänger:innen des Unabhängigkeitsprozesse und Künstler:innen trifft. Sie können beliebig und grundlos verfolgt werden. Vecktor berichtet unter anderem von einem Prozess gegen eine Jugendliche, die in einem Tweet das Lied einer Punkband zitierte, in dem es um die Ermordung von Francos Nachfolger Carrero Blanco durch die ETA (frühere Baskische Untergrundorganisation, Anm. Red) ging. Sie wurde dafür wegen „Verherrlichung von Terrorismus“ verurteilt.</p><p>Der Protest auf der Straße wird dadurch zum Akt des Widerstands, dem immer wieder Verhaftungen und Isolationshaft folgen können. Seitdem die rechte Partei VOX im Parlament sitzt, wird das Vorgehen der Repressionsbehörden immer offensiver und gewalttätiger. Nazis werden nicht mehr als Nazis bezeichnet, sondern als Konstitutionalisten, also „Verfassungsschützer“ – Vecktor macht deutlich, dass dies einer staatliche Rechtfertigung und Verharmlosung der Nazis und ihrer Gewalt gleichkommt. Er berichtet von einem Fall in Lepe, Andalusien: Dort waren im Sommer des Jahres zahlreiche Erntehelfer:innen aus Marokko angegriffen worden, die unter miserablen Bedingungen in Hütten am Rande der Felder leben. Anhänger:innen von VOX verbrachten drei Tage damit, die Hütten abzubrennen, ohne dass die Polizei eingriff. Form und Strategie der faschistischen Gewalt, das machen Vortrag und Film deutlich, mögen sich vielleicht ändern, aber die Akzeptanz der Postfranqisten und der Übergriffe auf Linke und Migrant:innen ist in den Behörden ungebrochen. Erinnern heißt deshalb auch in diesem Fall, nicht im Gestern stehen zu bleiben, sondern solidarische und widerständige Praxen des Gedenkens zu entwickeln, um die Kämpfe im Heute weiter führen zu können. No Pasarán!</p></div>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
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„Jeglicher Reformismus ist zum Scheitern verurteilt“2020-04-10T08:37:20.919947+00:002020-04-10T08:37:20.919947+00:00Alexander Gorskiredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/jeglicher-reformismus-ist-zum-scheitern-verurteilt/
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<h1>„Jeglicher Reformismus ist zum Scheitern verurteilt“</h1>
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<span class="content-copyright">Interbrigadas e.V.</span>
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<div class="rich-text"><p> <br/><i>Die Region rund um die andalusische Stadt Almería ist als „Plastikmeer“ bekannt. Zehntausende migrantische Arbeiter*innen aus Afrika, Lateinamerika und Osteuropa schuften dort unter widrigsten Bedingungen in zahllosen Plastikgewächshäusern, um den europäischen Markt ganzjährig mit Gemüse zu beliefern. Seit 20 Jahren kämpft die traditionsreiche andalusische Basisgewerkschaft </i><a href="http://socsatalmeria.org/">SAT</a><i> an der Seite der Beschäftigten für ein Ende der Ausbeutung in der Region. José García Cuevas ist seit den 1990er-Jahren in der SAT aktiv und arbeitet als deren Funktionär im Gewerkschaftsbüro in Almería. Alexander Gorski hat mit ihm über den alltäglichen Ausnahmezustand in Almería, gewerkschaftliche Kämpfe in Zeiten von SARS-CoV-2 und die Perspektiven der revolutionären Linken in Andalusien und Spanien gesprochen.</i> <br/></p><p><b>Alex [revolt]: Gerade wird angesichts der Corona-Pandemie allerorten der Ausnahmezustand ausgerufen. Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass in der Landwirtschaft um Almería der Ausnahmezustand die Regel ist. Könntest du unseren Leser*innen die Bedingungen schildern, unter denen zehntausende migrantische Arbeiter*innen in den Gewächshäusern arbeiten und mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sehen?</b> </p><p><b>José García Cuevas: </b>Die Ausbeutung ist im überwiegenden Teil der landwirtschaftlichen Betriebe in der Region Almería bittere Realität. Mehr als 92% der Arbeiter*innen hier sind Migrant*innen und ihre Rechte werden tagtäglich verletzt. Die Löhne liegen weit unter dem, was der Staat als Mindestlohn festgeschrieben hat. Existierende Tarifverträge werden nicht eingehalten. Doch nicht nur die Arbeitsrechte werden missachtet. Auch das Recht auf würdigen Wohnraum und eine angemessene Gesundheitsversorgung wird mit Füßen getreten. Viele der Arbeiter*innen haben keine Papiere und leben unter äußerst prekären Umständen in slumähnlichen Siedlungen, sogenannten c<i>habolas</i>. Wir gehen von etwa 7000 Menschen aus, die in solchen Verhältnissen leben. Sie verlassen diese Elendssiedlungen nur, um arbeiten und alle paar Tage im nächsten Ort einkaufen zu gehen. Andere Arbeiter*innen leben zwischen den Gewächshäusern, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen. Diese Arbeiter*innen leben im wahrsten Sinne am Rande der Gesellschaft. Ihre einzige Funktion ist es, unter elenden Bedingungen Gemüse für den europäischen Markt zu produzieren. Doch auch die Arbeiter*innen, die in den Dörfern der Region wohnen, haben häufig nur eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung und teilen sich mit vielen anderen Personen kleine Zimmer. <br/> <br/><b>Als Gewerkschaft versucht ihr unter diesen Bedingungen die Arbeiter*innen zu organisieren. Was bedeutet das für euch im Alltag?</b> </p><p>Im Grunde versuchen wir an den Orten präsent zu sein, an denen die schamloseste Ausbeutung in der Region stattfindet. Meistens passiert dies, indem sich Arbeiter*innen aus Betrieben an uns wenden und uns ihre miserablen Arbeitsbedingungen schildern. Dann versuchen wir diesen Arbeiter*innen eine Stimme zu geben. Das heißt für uns viel mehr, als juristisch gegen die Missstände vorzugehen. Unser Ziel ist es stets, die Arbeiter*innen dazu zu bringen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, denn es ist klar, dass die Lösung von individuellen Problemen nichts an der strukturellen Situation ändern kann. Daher versuchen wir die Arbeiter*innen dazu zu motivieren sich selbst zu organisieren und ihr politisches Bewusstsein zu schärfen. Im Alltag heißt das natürlich, dass wir oft mit den dringenden Fällen beschäftigt sind und alle Instrumente gewerkschaftlicher Arbeit nutzen, um konkrete Fälle extremen Missbrauchs anzuzeigen und die Situation der Arbeiter*innen materiell zu verbessern. Und dennoch bleibt es unser Anspruch, bei den Arbeiter*innen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Gewerkschaft ihr eigenes Kampfinstrument ist, dessen sie sich bei Problemen immer bedienen können. <br/><br/><b>Die SAT blickt als kämpferische Basisgewerkschaft auf eine jahrzehntelange Geschichte in Andalusien zurück. Seit mittlerweile 20 Jahren seid ihr auch in der Landwirtschaft Almerías vertreten. Wie fällt dein Fazit dieser Zeit aus?</b> </p><p>Wir begannen in Almería gewerkschaftlich zu arbeiten, nachdem es im Februar 2000 zu pogromartigen Übergriffen von Teilen der andalusischen Bevölkerung auf migrantische Arbeiter*innen gekommen war. Damals hatten die meisten Arbeiter*innen keine Papiere und lebten unter elenden Umständen außerhalb der Dörfer und Städte. Deshalb war der erste große Kampf unserer Gewerkschaft in der Region der Kampf um Papiere für alle. Damit wollten wir erreichen, dass die Arbeiter*innen in regulären Verhältnissen arbeiten und ihre sozialen Rechte in Anspruch nehmen können. Deshalb ging es bei der Arbeit der SAT in Almería nie nur um den Kampf um würdige Arbeitsbedingungen. Wir hatten von Anfang an auch die politischen und sozialen Rechte der Leute im Blick. Das macht uns aus: wir sind eine politisch-soziale Gewerkschaft. <br/><br/><b>Was waren in dieser Zeit die größten Erfolge der Gewerkschaft in Almería?</b> </p><p>Der größte Erfolg war wahrscheinlich die Legalisierung tausender Menschen in der Region. Das war das Ergebnis eines langen und erbitterten Kampfes. In letzter Zeit gab es eine Reihe kleinerer Erfolgserlebnisse, als wir gemeinsam mit kämpferischen Belegschaften die Arbeitsbedingungen in einigen Betrieben entscheidend verbessern und Betriebsräte installieren konnten. Natürlich besteht die Situation der brutalen Ausbeutung weiter fort, aber wir sind überzeugt, dass es Fortschritte gibt, solange wir nicht aufhören zu kämpfen. <br/><br/><b>Seit einigen Woche ist SARS-CoV-2 das Thema, das alles dominiert. Wie hat sich die Pandemie auf die Landwirtschaft in Almería ausgewirkt?</b> </p><p>Zunächst einmal müssen die Arbeiter*innen hier weiterarbeiten als wäre nichts gewesen. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Aktionen durch das Coronavirus begrenzt. Wir können zum Beispiel zurzeit keine größeren Demonstrationen oder Kundgebungen vor den Betrieben durchführen. Hinzu kommt, dass die staatliche Arbeitsinspektion gerade deutlich weniger unterwegs ist als sonst. Und auch die Arbeiter*innen können nicht mehr so leicht mit ihren Problemen zur Gewerkschaft kommen, da auch sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. <br/><br/><b>Mit welchen Problemen sind die Arbeiter*innen jetzt konfrontiert?</b> </p><p>Sie werden gezwungen weiterzuarbeiten, obwohl sie die berechtigte Angst haben sich mit dem Coronavirus anzustecken. Die Ansteckungsgefahr besteht ja nicht nur in den Gewächshäusern, in denen oft viele dutzend Arbeiter*innen nebeneinander arbeiten. Auch auf dem Weg zur Arbeit und in den beengten Wohnverhältnissen besteht die ständige Gefahr sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Dazu kommt, dass bereits unter normalen Umständen Schutzkleidung bei der Arbeit mit den giftigen Pestiziden und ausreichende Sanitäranlagen in den Betrieben fehlen. Trotz der Corona-Krise sorgen weder der Staat noch die Unternehmen dafür, dass die Arbeiter*innen am Arbeitslatz wirksam vor Ansteckung geschützt werden. Wenn die Arbeiter*innen zur Aufrechterhaltung der Versorgung Europas mit Gemüse schon weiterarbeiten müssen, dann sollten sie wenigstens Schutzmasken und Handschuhe bekommen. Wir hören aber immer wieder Beschwerden von Arbeiter*innen, dass genau dies nicht passiert. Übrigens auch nicht in den Bio-Betrieben mit all ihren sozialen und ökologischen Siegeln. Das kann unter den aktuellen Umständen natürlich gravierende Folgen haben. Außerdem nutzen die Arbeitgeber*innen die Situation aus und entlassen Arbeiter*innen unter fadenscheinigen Gründen, weil ihnen klar ist, dass es unter den derzeitigen Bedingungen schwieriger ist, sich gegen solche Maßnahmen zur Wehr zu setzen. </p><p></p><p><b>Und wie wirkt sich das Coronavirus auf die Aktivitäten der Gewerkschaft aus?</b> </p><p>Natürlich sind auch wir als SAT durch das Coronavirus in unserer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Aber wir versuchen weiter vor Ort zu sein und an den Betriebstoren mit den Arbeiter*innen in Kontakt zu treten. Aber die wirklich wirksamen Mittel, wie etwa Versammlungen und Kundgebungen direkt vor den Betrieben, sind aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht möglich. Das dämpft die Effektivität unserer gewerkschaftlichen Arbeit natürlich. </p><p></p><p><b>Was sind die Forderungen der Gewerkschaft SAT angesichts der Corona-Krise?</b> </p><p>Wir fordern einen Risikozuschlag für alle Landarbeiter*innen, die trotz der Ansteckungsgefahr in den Gewächshäusern arbeiten müssen, und ein sofortiges Verbot aller Entlassungen. Außerdem müssen alle Arbeitsverträge, die während der Corona-Krise auslaufen, automatisch verlängert werden. Und die Arbeiter*innen müssen alle mit der nötigen Schutzkleidung ausgerüstet werden. Für uns als Gewerkschaft ist es natürlich interessant zu sehen, dass es jetzt gerade die Arbeiter*innen sind, auf die unter normalen Umständen herabgeschaut und deren Ausbeutung einfach hingenommen wird, die jetzt dafür sorgen, dass Europa weiter mit Gemüse versorgt wird. Das zeigt auch, dass es so nicht weitergehen darf. <br/><br/><b>Die SAT ist ja nicht nur im Landwirtschaftssektor in Almería aktiv. In anderen Teilen Andalusiens ist sie im Gesundheitsbereich und im Tourismus verankert. Wie sieht dort die Situation der Beschäftigten aus?</b> </p><p>Ich habe eben mit einem Genossen aus Granada gesprochen, der im Tourismusbereich aktiv ist. Er hat mir erzählt, dass die Gewerkschaft sich vor Anzeigen und Beschwerden kaum retten kann. Seit Monaten gibt es in einigen Teilen Andalusiens harte Arbeitskämpfe in Restaurants und Hotels. In diesen Auseinandersetzungen war die SAT äußerst präsent und hat sich dadurch bei den Beschäftigten eine hohe Legitimität erarbeitet, vor allem weil es dort vorher wenige Versuche gewerkschaftlicher Organisierung gab. Da der Sektor von der Corona-Krise sehr stark betroffen ist, kommt es jetzt zu vielen Konflikten. Aber auch bei Essenslieferdiensten, in Krankenhäusern und in der Metallindustrie ist die SAT präsent und steht an der Seite der Beschäftigten. <br/></p><p><b>In Spanien gelten bis zum 25. April strenge Ausgangsbeschränkungen, Grund- und Freiheitsrechte werden extrem beschnitten. Wie beurteilt ihr diese Maßnahmen?</b> </p><p>Wir verstehen selbstverständlich, dass es gewisser Maßnahmen bedarf, um die Gesundheit aller zu schützen und die Ausbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen. Aber die Umsetzung durch die staatlichen Sicherheitskräfte erinnert dann doch sehr an einen Polizeistaat. Wir von der SAT plädieren für weniger repressive Maßnahmen und für mehr populare Bildung, um die Fähigkeiten der Menschen zur Selbstorganisation zu stärken. Das kapitalistische System ist es, dass die Menschen im Stich lässt und das so viele Leute am Coronavirus sterben lässt. Militär und Polizei in den Straßen helfen dagegen wenig. Viel eher sollten wir uns als Gesellschaft daran machen, dass Gesundheitssystem umfassend zu verändern und die eklatanten Mängel in der medizinischen Grundversorgung der Mehrheit der Menschen zu beseitigen. <br/> <br/><b>Interessanterweise ist in Spanien ja seit Januar diesen Jahres eine Mitte-Links-Regierung an der Macht. Unter der Führung von Ministerpräsident Pedro Sánchez bildeten die Sozialdemokraten (PSOE) gemeinsam mit dem Linksbündnis</b><b><i> Unidas Podemos</i></b><b> (UP) eine Koalition. Wie steht ihr als Gewerkschaft zu dieser Regierung?</b> </p><p>Ich persönliche setzte wenig Erwartungen in die neue Regierung. Die Lösung der Probleme der Arbeiter*innenklasse kann nur aus der Klasse selbst kommen. Und da rede ich nicht von kleinen Reformen, sondern von einem anderen Gesellschaftsmodell. Das wird natürlich nicht kommen, solange das Kapital die beherrschende Kraft in der Gesellschaft ist und jeder Regierung nur ein gewisser Spielraum zukommt, vor allem was Maßnahmen ökonomischer Umverteilung betrifft. Allerdings kann man mit der aktuellen Regierung angesichts der Corona-Krise etwas optimistischer sein, als wenn die Rechten an der Macht wären. Denn der leichte wirtschaftliche Aufschwung in letzter Zeit hat dafür gesorgt, dass Mehrwert geschaffen wurde, den die Regierung jetzt zumindest ein wenig umverteilen kann. Aber gleichzeitig ist die gegenwärtige Koalition aus PSOE und UP durch den bestehenden kapitalistischen Rahmen limitiert. Für mich ist klar, dass wir als revolutionäre Linke mehr wollen müssen. Wir müssen eine andere Politik machen und dürfen nie vergessen, dass an die Macht kommen und die Macht haben zwei unterschiedliche Dinge sind. Denn auch wenn du in der Regierung bist, aber keine soziale und nachhaltige Massenbasis bei den arbeitenden Klassen hast, bringt das am Ende wieder nichts. Denn dann können die Kapitalisten dir nach Belieben in die Parade fahren. <br/><br/><b>Trotz der neuen Regierung kann in Spanien kaum von einem Linksruck gesprochen werden. Bei den letzten Wahlen holte die extrem rechte VOX 15 Prozent der Stimmen. Die</b><b><i> Partido Popular</i></b><b> (PP), langjährige Regierungspartei und Verwalterin des Franco-Erbes, kam auf 20,8 Prozent der Stimmen. In Andalusien kam die VOX sogar auf mehr als 20 Prozent der Stimmen. Könnte sich dieser Trend durch die Corona-Krise verstärken?</b> </p><p>Wir dürfen nicht vergessen, dass die extreme Rechte in Spanien immer präsent war. Nach dem Ende der Franco-Diktatur sammelte sie sich in der rechts-konservativen<i> Partido Popular</i> (PP). Es gibt also eine Kontinuität des Faschismus in Spanien. Nun kommt eben noch VOX hinzu. Die Alternative, die sie anbieten, basiert darauf, dass sie anderen die Schuld für die Missstände in der Gesellschaft geben: den Migrant*innen, den Linken und so weiter. Das kennen wir eigentlich aus allen Ländern Europas. Ihr Ziel ist die Destabilisierung des Systems, um selbst an die Macht zu gelangen und autoritär regieren zu können. Klar ist, dass sie versuchen werden, die Krise für sich zu nutzen. Vielleicht werden sie schon bald versuchen, die ihnen verhasste Mitte-Links-Regierung abzusägen und auf Neuwahlen zu drängen. Eine andere Möglichkeit ist, dass sich die Partido Popular mit der PSOE auf eine Art großer Koalition verständigt, um UP aus der Regierung zu drängen. Egal, was passiert, wir müssen angesichts dieser Entwicklungen äußerst wachsam bleiben. <br/><br/><b>Was sind die Perspektiven der revolutionären Linken in Andalusien und Spanien?</b> </p><p>Die revolutionäre Linke muss hier wie überall ihre Theorie zur Praxis machen. Denn ohne Praxis ist alles nur leere Luft. Doch ohne theoretische Einordnung unseres Handelns kommen wir auch nicht weit. Konkret heißt das, dass wir aus dem, was wir sagen, Konsequenzen für unser Handeln ziehen müssen. Als Grundlage dafür müssen wir nach der Überzeugung handeln, dass das kapitalistische System die Menschheit an den Abgrund führt. Dabei müssen wir Faktoren einbeziehen, die auch für uns als revolutionäre Linke neu sind, wie etwa den ökologischen Kollaps. Gleichzeitig gilt: Ohne das Ziel eine radikal andere Gesellschaft aufzubauen geht nichts. Jeglicher Reformismus ist angesichts der massiven Probleme, der wir uns als Menschheit gegenüber sehen, zum Scheitern verurteilt. Mehr denn je gilt: Sozialismus oder Barbarei. <br/></p><p></p><hr/><p></p><h3>Anmerkungen</h3><p><i>Die SAT pflegt eine enge Partnerschaft mit dem Berliner Kollektiv </i><a href="https://www.interbrigadas.org/">INTERBRIGADAS</a><i>, das regelmäßig Brigaden nach Almería organisiert und Arbeitskämpfe vor Ort und von Berlin aus unterstützt. </i> <i>Mehr Informationen zu der transnationalen Vernetzung findet ihr in der neuen Broschüre von Interbrigadas: </i><a href="https://www.interbrigadas.org/broschuere-vom-anfang-und-ende-der-lieferkette/">„</a><a href="https://www.interbrigadas.org/broschuere-vom-anfang-und-ende-der-lieferkette/">Vom Anfang und Ende der Lieferkette”</a><i>. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstand 2017 auch der Dokumentarfilm „Días de lucha, días de luto“ von Aline Juárez Contreras, den ihr euch </i><a href="https://de.labournet.tv/unter-dem-plastik-der-strand">hier</a><i> ansehen könnt.</i> </p></div>
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Katalonien revoltiert!2019-10-18T11:06:19.254135+00:002019-10-18T11:45:04.161473+00:00Lola Villanovaredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/katalonien-revoltiert/
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<span class="content-copyright">Jordi Borràs</span>
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<div class="rich-text"><p>Seit Montag dominieren Proteste und Aktionen des zivilen Ungehorsams ganz Katalonien. Demonstrationen, Straßenblockaden und Unterbrechungen des Schienenverkehrs legen weite Teile der Region lahm. Der Flughafen in Barcelona wurde am Montag von friedlichen Demonstrant*innen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=kNpxstgNjSc">blockiert</a>, über 150 Flüge fielen aus. In der katalanischen Hauptstadt kam es in den vergangenen Nächten zu heftigen Protesten und brennenden Barrikaden, die sowohl von der spanischen als auch von der katalanischen Polizei brutal bekämpft wurden. Für diesen Freitag ist ein Generalstreik angekündigt. Was ist der Auslöser dieser Protestwelle, die weite Teile der Gesellschaft erfasst hat?</p><p>Der andauernde Konflikt zwischen Spanien und Katalonien trat am Montag, den 14. Oktober, in eine neue Phase. Das oberste Gerichtshof Spaniens veröffentlichte an diesem Tag das Urteil gegen neun Anführer*innen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie wurden jeweils zu 9 bis 13 Jahren Haft wegen Aufruhr verurteilt. Im Prozess ging es um die Rolle der Angeklagten bei der Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums im Jahr 2017, das trotz eines Verbots der Madrider Zentralregierung stattgefunden hatte. Das Votum wurde damals dank der basis-demokratischen Organisation der Nachbar*innen, der sogenannten „Comités de Defensa del Referèndum“ (zu Deutsch: Komitees zur Verteidigung des Referendums) erfolgreich durchgeführt. Die Bürger*innen verbargen die Wahlurnen und Zettel in ihren Haushalten, um ihre Beschlagnahmung zu verhindern und übernachteten in den Tagen vor dem Referendum in den Wahllokalen, um das Eingreifen der Polizei zu vereiteln. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: 2.044.038 Stimmen für die Abspaltung (117.547 dagegen) bei einer Wahlbeteiligung von 43 Prozent.</p><p>Das Referendum bildete eine der zentralen Herausforderungen für den Status quo des spanischen Königreiches seit der sogenannten Transition, die Übergangsphase vom Faschismus unter Franco zu einer vermeintlichen Demokratisierung nach 1975, die es versäumt hat, sich mit der Aufarbeitung des Franquismus auseinanderzusetzen. Die katalanische Bewegung stellte im Oktober 2017 nicht nur die Einheit des Staates in Frage, sondern die Figur des Königs, die Gewaltenteilung und die Legitimität einer liberalen Demokratie im Europa des Kapitals, die unfähig ist eine friedliche Antwort auf einen seit Jahren bestehenden politischen Konflikt zu finden. In Teilen der linken und linksradikalen Szene wurde die Frage der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen kontrovers diskutiert. Während einige den basisdemokratischen, emanzipatorischen und antifaschistischen Charakter der Bewegung hervorheben, sehen andere das Ziel der Konstruktion eines neuen Nationalstaates und die sozialdemokratische und reformistische Akteur*innen, die die Bewegung umfasst, als problematisch an. Doch über die Unabhängigkeitsfrage hinaus stellt dieses Urteil ein Präzedenzfall für die Verfolgung und Kriminalisierung jeglicher sozialer Proteste in Spanien dar. Nach der Urteilsbegründung sind auch gewaltfreier Widerstand und friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams, welche im Rahmen des Unabhängigkeitsvotums 2017 eine zentrale Rolle spielten, an sich geeignet und ausreichend, um den Strafbestand des Aufstandes, eine in Spanien als „Verbrechen“ definierte Tat, die gewaltsames Verhalten voraussetzt zu erfüllen. Beweise für die dem „Straftat Aufstand“ zugrundeliegende Gewalt sind im <a href="http://www.poderjudicial.es/cgpj/es/Poder-Judicial/Noticias-Judiciales/El-Tribunal-Supremo-condena-a-nueve-de-los-procesados-en-la-causa-especial-20907-2017-por-delito-de-sedicion">Urteil</a> nicht zu finden.</p><p>Diese unsäglichen Urteile brachten Hunderttausende Menschen auf der Straße und auf die zentralen Plätze. Und die staatliche Gewalt gegen sie war erbarmungslos. Insgesamt berichtet die Menschenrechtsorganisation Iridia und das linke Kollektiv Alerta Solidària von hunderten von Verletzten, darunter Journalist*innen, und neun Inhaftierten. Zudem verloren zwei Personen an der <a href="https://www.youtube.com/watch?v=nGTrLh0Yq84">Flughafenblockade</a> ein Auge durch ein Gummigeschoss, welches trotz beschlossenem Verbot des Regionalparlaments von der spanischen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=3IA2M1_Rv1o">Polizei</a> eingesetzt wurde.<br/> Hervorzuheben sind außerdem die Angriffe von <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Xs4FF__0zpg">Neonazi-Gruppen</a> in der vergangenen Nacht von Donnerstag auf Freitag, die im Norden Barcelonas für die Einheit Spaniens demonstrierten. Weder die katalanische noch die spanische Polizei verhinderten, dass die faschistischen Gruppierungen frei durch die Stadt laufen konnten, auf der Suche nach Antifaschist*innen und Unabhängigkeitsbefürworter*innen. Ein Junge wurde dabei brutal <a href="https://www.youtube.com/watch?v=HVsvbjgpv58">verprügelt</a>. Dass die spanische Regierung in den kommenden Tagen das „Gesetz zur nationalen Sicherheit“ umsetzt, scheint jeden Tag wahrscheinlicher. Dabei handelt es sich um ein Ausnahmezustandsgesetz, wodurch die paramilitärische Guardia Civil, ein noch heute von franquistischen Kräften dominierten Polizeikörper, an Stelle der katalanischen Mossos d’Esquadra das staatliche Gewaltmonopol in Katalonien erhalten würde.</p><p>Seit der Einführung des sogenannten Knebelgesetzes <i>(ley mordaza)</i> im Juli 2015, welches die Demonstrations- und Meinungsfreiheit von der Straße bis in das Internet empfindlich einschränkt und die Bürger tatsächlich der Willkür der Staatsgewalt ausliefert, setzt der wachsende demokratische Rückgang Spaniens fort. Die Rücknahme der Grundrechte, die fehlende Gewaltenteilung und die Unfähigkeit Spaniens politische Konflikte durch politische Lösungen anzugehen, wird nicht nur am Fall Kataloniens ersichtlich, sondern bei jedem Protest, der die Fundamente des Königreichs in Frage stellt. Der Fall der Jugendlichen aus <a href="https://antifa-nordost.org/7242/solidaritaet-mit-den-8-jugendlichen-von-altsasu/">Altsasu</a> (Euskal Herria), die <a href="https://www.heise.de/tp/features/Lange-Haftjahre-gegen-Meinungsfreiheit-in-Spanien-3985859.html">Verfolgung von Künstler*innen</a> wie Pablo Hasel oder Valtònyc, die neue <a href="https://www.heise.de/tp/features/Spanien-kriminalisiert-Konfliktloesung-im-Baskenland-4523225.html">repressive Eskalation</a> gegen die baskische Linke trotz der Auflösung der baskischen Guerilla Euskadi Ta Askatasuna (ETA, zu deutsch „Baskenland und Freiheit“) 2011 sowie die neueste Verhaftung von sieben Aktivist*innen in Katalonien Anfang Oktober: diese Fälle zeigen die faschistischen Kontinuitäten des spanischen Staates, der politische Konflikte noch heute ausschließlich durch die Gewaltanwendung und die Verfolgung der politischen Dissidenz herbeiführt. Im Rahmen des Generalstreiks, unterstützt von weiten Teilen der Gesellschaft, sind für den ganzen Tag Demonstrationen und Straßenblockaden geplant. In den nächsten Tagen sollen weitere Aktionen des zivilen Unegehorsams folgen, die von der Plattform “<a href="https://tsunamidemocratic.cat/">Tsunami Democràtic</a>” koordiniert werden.<br/></p><hr/><p>Unter dem Motto „Gegen Repression, Solidarität“ rufen die Berliner Kollektive <a href="https://twitter.com/cdrberlin?lang=de">CDR Berlin</a> (Comité de Defensa de la República Berlin) und Solidaridad Antirepresiva zu einer <a href="https://pbs.twimg.com/media/EG3W97rWoAwwXlG.jpg:large">Demonstration</a> am Samstag, den 19.10 am Hackeschen Markt auf, um die Repression im spanischen Staat sichtbar zu machen.<br/></p></div>
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<span class="content-copyright">Zino Peterek</span>
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<div class="rich-text"><p></p><hr/><h2><b>Artikel zum Schwerpunkt „Katalonien“</b></h2><p><a href="https://revoltmag.org/articles/vaga-general-einige-eindr%C3%BCcke-vom-generalstreik-in-katalonien/">General! – Einige Eindrücke vom Generalstreik in Katalonien</a> | Mo Foc<br/> [12. März 2019] <i>Mo Foc berichtet aus Barcelona über den Generalstreik in Katalonien und den Stand der Unabhängigkeitsbewegung. Davon ausgehend wirft er die Frage nach einer weitergehenden Strategie der katalanischen Bewegung gegen den Rechtsruck und die Repression des spanischen Staates auf.</i></p><p><a href="https://revoltmag.org/articles/entsolidarisierung-im-zentrum/">Entsolidarisierung im Zentrum</a> | Jan Schwab und Alp Kayserilioğlu<br/> [5. Oktober 2017] <i>In Katalonien kämpft eine liberale bis linke nationale Massenbewegung gegen den Post-Franquismus und stellt demokratische, nationale und soziale Forderungen. Aber die deutsche Linke tut sich schwer mit einer Parteinahme. Wie könnte die aus einer revolutionären Perspektive aussehen?</i></p><p><a href="https://revoltmag.org/articles/demokratischer-massenaufstand-katalonien/">Demokratischer Massenaufstand in Katalonien</a> | Jan Schwab <br/>[1. Oktober 2017] <i>In Katalonien zeigt der post-franquistische Staat seine autoritäre Fratze. Bis dato wurden bei dem Versuch der Verhinderung des Referendums in Katalonien bis zu 500 Menschen verletzt. Doch was steht hinter dieser Bewegung, der Forderung nach Unabhängigkeit?</i></p></div>
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¡Vaga General! – Einige Eindrücke vom Generalstreik in Katalonien2019-03-12T18:13:09.287129+00:002019-03-12T18:13:09.287129+00:00Mo Focredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/vaga-general-einige-eindr%C3%BCcke-vom-generalstreik-in-katalonien/
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<h1>¡Vaga General! – Einige Eindrücke vom Generalstreik in Katalonien</h1>
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<div class="rich-text"><p>Unter der Parole „Ohne Rechte gibt es keine Freiheit!“ rief die katalanische Gewerkschaftsföderation Intersindical-CSC für den 21. Februar 2019 zu einem Generalstreik in Katalonien auf. Offiziell wurde mit dem Streik unter anderem die Aufhebung der letzten Arbeitsmarktreform gefordert, welche den Kündigungsschutz de facto abschaffte. Aber auch die Einführung eines Mindestlohns von 1.200 Euro und die die Gleichstellung der Geschlechter in verschiedenen Arbeitsbereichen war Teil des Forderungskatalogs. Praktisch jedoch richtete sich der Generalstreik vor allem gegen den in der vorangegangenen Woche in Madrid begonnenen Prozess gegen zwölf politische Führungspersonen und Aktivist_innen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Im Zusammenhang mit den Ereignissen rund um das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens vom 1. Oktober 2017 drohen den Angeklagten Verurteilungen von bis zu 25 Jahren Haft wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist mit dem Beginn des Prozesses aus einer Phase des Stillstands erwacht, die mit der ausbleibenden Gründung einer souveränen katalanischen Republik nach dem Referendum begann. Wie jedoch könnte abseits dieser anlassbezogenen Mobilisierung eine weitergehende Strategie der katalanischen Bewegung aussehen, die die Repression und den Rechtsruck des spanischen Staates mit Gegenmacht konfrontieren könnte? Für die emanzipatorischen, antikapitalistischen Kräfte besteht jedenfalls derzeit die Herausforderung darin, herauszufinden, wie sich das progressive Moment in der Bewegung durchsetzen lässt.</p><p></p><h3><b>Beginn eines neuen Mobilisierungszyklus?</b></h3><p>Der Streik am 21. Februar bildete den zweiten Teil eines aktionistischen Dreiklangs. Aufgerufen wurde von einem Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien wie der Assemblea Nacional Catalana (ANC), Òmnium Cultural, den liberalen Junts per Catalunya, der linksrepublikanischen ERC (Esquerra Republicana de Catalunya), der antikapitalstisch-munizipalistischen CUP (Candidatura d'Unitat Popular) und der katalanischen Regionalpartei Catalunya en Comú. Am Samstag vor dem Streik wurde unter der Losung „L'autodeterminació no és un delicte!“ („Selbstbestimmung ist kein Verbrechen!“) zu einer zentralen Demonstration in Barcelona aufgerufen, die den Beginn eines neuen Mobilisierungszyklus einleiten sollte. Am Ende strömten Hunderttausende auf die Gran Via. Während die Polizei von 200.000 Teilnehmenden spricht, sprachen die Veranstalter_innen von bis zu 500.000 Menschen. Nach dem Streik wird nun für den 16. März nach Madrid mobilisiert, um die Forderung nach Selbstbestimmung direkt vor die Haustür des politischen Gegners zu tragen. Die erste Mobilisierung wurde durch die Veranstalter_innen aufgrund der massenhaften Teilnahme als Erfolg ausgewertet. Und auch die Angeklagten im Gerichtssaal geben sich bis dato kämpferisch. So erklärte Oriol Junqueras, ehemaliger Vize-Ministerpräsident der katalanischen Regionalregierung, vor Gericht, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und weiterhin zu dem Referendum stehe. Er stellte daran anschließend klar, dass die Bewegung trotz Repression weitermachen werde: „Wir haben es versucht, und wir werden es weiter versuchen“.</p><p></p><h3><b>#21F - Nicht alle Räder, aber die Kugelschreiber stehen still</b></h3><p>Schon vor dem Generalstreik zeichnete sich ab, dass eine größere Unterstützung der organisierten Arbeitnehmer_innenschaft ausbleiben würde. Der Intersindical CSC mit ihren 4000 Mitgliedern folgten weitere kleine Gewerkschaftsverbände wie die USTEC (Unió de Sindicats de Treballadors de L'Ensenyament de Cataluña) sowie einige Studierendenverbände. Auch die Regionalregierung von Katalonien schloss sich dem Streik an, was vor allem in den Bereichen Transport und Verwaltung zu Arbeitsniederlegungen führte. Im Gegensatz dazu stand die Stadtregierung Barcelonas, die sich nun schon zum wiederholten Male nicht zu Aktionen der Unabhängigkeitsbewegung verhielt. Die großen, der Sozialdemokratie nahestehenden Gewerkschaften CC.OO (Confederación Sindical de Comisiones Obreras) und UGT (Unión General de Trabajadores) unterstützten den Streik nicht und auch die (anarcho)-syndikalistische CGT beteiligte sich nur sehr zurückhaltend im Bildungssektor.</p><p></p><p>Zusätzlich zum Arbeitsstreik haben die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR - Comitès de Defensa de la República) dazu aufgerufen, zentrale Kreuzungen und Straßen dicht zu machen, um den Verkehr in Katalonien zum Erliegen zu bringen. So wurden in den Morgenstunden landesweit bis zu 15 Straßen blockiert, der Zugang zum Hafen in Taragona abgeriegelt und auch in Barcelona temporär Kreuzungen versperrt. Dabei fielen die Aktionen, je nach Stärke und Organisation durch die Komitees, sehr unterschiedlich aus. Zu einigen Aktionen kamen am frühen Morgen kaum Leute, so etwa in Vall D´Hebron im Nordosten Barcelonas. Auch im Stadtteil Sants, wo es eine breite linke Infrastruktur und größere Unterstützung für die Unabhängigkeit gibt, fanden sich zu einem Demonstrationstreffpunkt am Vormittag nur bis zu 200 Menschen ein. Diese konnten kurzzeitig eine Straße am Placa de Sants besetzten, wurden dort aber schnell von der, aufgrund etlicher Gewaltexzesse in der Vergangenheit mittlerweile verhassten katalanischen Nationalpolizei Mossos geräumt. Anschließend machte sich der Demonstrationszug aus Sants auf den Weg zum Plaça de Universidad, wo eine der zwei größeren Kundgebungen an diesem Mittag stattfinden sollte. Auf der Strecke wurde das Streikkomitee aus Hostafrancs eingesammelt.In der Zwischenzeit wuchs die Demonstration auf ca. 1000 Leute an. Insgesamt beteiligten sich an diesen Zubringerdemonstration der CDR circa 6000 Menschen, was angesichts der Umstände und hinsichtlich der vorangegangenen Mobilisierung doch eher überschaubar ausfiel. Am Plaça de Universidad wurdeschließlich jedoch ein wichtiger Akteur in diesem Streik und dessen Mobilisierungsstärke deutlich. Fast 70% der Universitäten wurden an diesem Tag bestreikt und auch viele Schulen wurden von Schüler_innen außer Betrieb gesetzt.</p><p></p><p>An diesem Punkt vereinten sich die CDRs, die streikenden Arbeiter_innen, Schüler_innen, Studierende und andere Unabhängigkeitsbefürworter_innen. Es bildete sich eine große und kraftvolle Demonstration mit zehntausenden Teilnehmenden. Wie die Unabhängigkeitsbewegung selbst, war auch die Demonstration durchaus heterogen aufgestellt. Von liberalen und vornehm gekleideten katalanischen Nationalhymnensänger_innen, über Arbeiter_innen in verschiedener Arbeitskleidung, bis hin zu Antifa-Parolen rufenden Schüler_innen und revolutionären (Jugend-)Gruppen. Letztgenannte konnten allerdings das Erscheinungsbild der Demonstration maßgeblich prägen. Dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsverband CC.OO wurde für seine Nichtbeteiligung noch ein kleiner Gruß hinterlassen, indem sein Hauptsitz in der Via Laietana mit Parolen und Rauch verschönert wurde. Anschließend zog die Demo laut und kraftvoll über die Ramblas zurück zum Plaça de Universidad und weiter zum Plaça de Catalunya. Im Anschluss blockierten einige hundert Schüler_innen und Studierende die Bahngleise an der Plaça und konnten so den Metro- und Zugverkehr für einige Zeit außer Kraft setzen. In Barcelona waren die Folgen des Generalstreiks laut Behördenangaben sehr unterschiedlich. Gab es in der Industrie insgesamt nur sehr wenig Arbeitsniederlegungen, lag die Beteiligung im öffentlichen Dienst bei 18 Prozent, im Einzelhandel bei bis zu 30 Prozent. Am stärksten wurden im Transport und an den Universitäten gestreikt. In kleineren Gemeinden wurde der Streik wohl in Teilen voll befolgt und die Straßen außerhalb der Hauptstadt teilweise den ganzen Tag über blockiert.</p><p></p><p>Am Abend rief die Bewegung schließlich zu weiteren Demonstrationen auf. In Barcelona strömten noch einmal bis zu 200.000 Menschen auf die Passeig de Gracia und füllten die breite Straße unter der imposanten Architektur des katalanischen Modernismus aus. Auf weit über einen Kilometer staute sich ein Meer aus gelben Schleifen, dem Symbol der Solidarität mit den katalanischen politischen Gefangenen, Estelada Blavas, der Fahne für die (staatliche) Unabhängigkeit Kataloniens, sowie der ebenso stark vertreten Esteladas Vermellas, die roten Streifen mit rotem (wahlweise auch schwarzem) Stern auf gelbem Grund, als Symbol für das sozialistische Katalonien. Auch in anderen Städten und Gemeinden fanden größere Demonstrationen statt. So zum Beispiel in Girona mit bis zu 70.000 Teilnehmenden oder in Lleida mit 15.000 Menschen.</p><p></p><p>Bemerkenswert ist somit, dass sich die verschiedenen Aktivitäten im Zuge des Generalstreiks über ganz Katalonien verteilten. Auch in kleineren Städten und Gemeinden folgten Viele dem Aufruf, die Arbeit nieder zu legen, Blockaden zu errichteten und sich an den Demonstrationen zu beteiligen. Obwohl nicht einmal eine Woche vorher bis zu 500.000 Menschen auf der Straße waren, konnten erneut Hunderttausende mobilisiert werden. Gleichzeitig zeigt die geringe Streikbeteiligung in einigen Sektoren, vor allem in der Industrie, dass die Unabhängigkeitsbewegung anscheinend nicht genug Rückbindung an diese durchaus relevanten Gesellschaftsbereiche hat. Hier offenbart sich eine Schwäche der Bewegung, die bei der zukünftigen Entwicklung eine wichtige Rolle spielen könnte.</p><p></p><h3><b>Governem-nos – Regieren wir uns selbst!</b></h3><p>Wie also weiter für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung nach diesen Massenmobilisierungen? Fakt ist, dass die konfrontative Haltung des spanischen Staates gegenüber der katalanischen Bewegung nicht nachlassen wird. Im Gegenteil droht mit den vorgezogenen Neuwahlen auf nationaler Ebene Ende April ein politischer Rechtsruck. Erste Prognosen sehen eine Koalition aus der immer weiter nach rechts driftenden „konservativen“ Partido Popular (PP), den rechtsliberalen Ciudadanos und der ultrarechten Vox mit guten Aussichten auf die Parlamentsmehrheit. Einigkeit herrscht bei den drei Parteien vor allem in der Unabhängigkeitsfrage, welche sie vehement ablehnen. Mit ausschweifender Hetze gegen die Bewegung fischen sie unter anderem ihre Wähler_innenstimmen. Gleichzeitig zeigt sich auf der nationalen Parlamentsebene, auf der es vier Neuwahlen in nur dreieinhalb Jahren gab, die soziale und politische Spaltung des spanischen Staates, die weit über die Unabhängigkeitsfrage Kataloniens hinaus geht.</p><p></p><p>Seit 2011 kam es zu verschiedenen Mobilisierungszyklen unterschiedlicher Akteur_innen, die allesamt die politische Ordnung im spanischen Staat in Frage stellten. Den Anfang machten die Platzbesetzungen der 15M-Bewegung 2011, die entgegen dem korrupten Politiksystem der alteingesessenen Zweiparteienherrschaft von PSOE (neoliberal-sozialdemokratisch) und PP (neoliberal-konservativ) und deren Politik in der Finanzkrise neue Formen der Demokratie forderte. 2014 protestierten Hunderttausende mit einem Marcha de la Dignidad (Marsch der Würde) in Madrid gegen die Krisenfolgen und den Abbau von Arbeitsrechtenunter der Parole „Brot, Arbeit und ein Dach für alle!“. Bei den Kommunalwahlen 2015 konnten in vielen spanischen Städten Vertreter_innen munizipalistischer Wahlplattformen in die Rathäuser einziehen und dort teilweise die stärkste Kraft stellen. Diese neuen Bündnisse fließen aus verschiedenen sozialen Bewegungen, Nachbarschaftsversammlungen, selbstverwalteten sozialen Zentren und kleineren Parteien zusammen. Diese eint der Einsatz gegen die vorherrschende Austeritätspolitik und für eine Demokratisierung der Gesellschaft. Nicht zuletzt wäre hier die starke Bewegung um den Frauen*streik zum 8. März zu nennen, an dem sich 2018 mindestens fünf Millionen Menschen, vorrangig Frauen*, beteiligten. Bestreikt wurde hier die Produktions- und Reproduktionsarbeit, um gegen Gewalt an Frauen, für sexuelle Selbstbestimmung, sowie gegen Sozialkürzungen und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen zu protestieren.</p><p></p><p>Die gesellschaftlichen Widersprüche, die sich aus dem autoritär-neoliberalen Krisenmanagement des spanischen Staates, aber auch aus der mangelhaften Aufarbeitung der faschistischen Franco-Diktatur heraus zuspitzen, gehen nun also an verschiedenen Punkten zusammen. Viele Akteur_innen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegungen verstehen sich als Teil dieser unterschiedlichen Kämpfe. Barcelona ist eine der Hochburgen des Frauen*streiks. Verschiedene Aktivist_innen, politische Gruppen und Parteien sind an munizipalistischen Regierungen beteiligt und ihre sozialen Forderungen wiederum Teil der Bewegung.</p><p></p><p>Um erneut in die Offensive zu kommen und die Orientierungslosigkeit zu überwinden, muss die katalanische Bewegung wieder stärker an diese Kämpfe anknüpfen. In der politischen Konstellation einer verhärteten Zentralregierung, einer neoliberalen Europäischen Union, von der keine Unterstützung zu erwarten ist und der spanischen Verfassung, die 1978 zwischen den ehemaligen Eliten des Franco-Regimes und den heutigen neuen Eliten ausgehandelt wurde, scheint wenig Spielraum. Das Zusammenbringen der verschiedenen sozialen Kämpfe und die Forderung des Bruchs mit der Verfassung von 1978, könnten landesweit breitere progressive Allianzen ermöglichen und die Ordnung weiter ins Wanken bringen. Eine zentrale Aussage bei der Abenddemonstration in Barcelona war die Unterstützung für den feministischen Streik am 8. März 2019. Auch über die stärkere Betonung der Forderungen des Generalstreiks könnte eine verbreiterte Unterstützung der organisierten Arbeitnehmer_innenschaft in Katalonien und in der landesweiten Arbeiter_innenklasse erreicht werden. Dafür müssten allerdings auch die Klassenwidersprüche innerhalb der Bewegung zugespitzt werden, die zwar Unterstützung bei den Arbeiter_innen findet, aber auch von Teilen des Bürgertums, etwa durch die Partei des Exilanten Carles Puigdemont, getragen wird.</p><p></p><p>An die Forderung des Bruchs mit der Verfassung von 1978 könnte landesweit ein verfassungsgebender Prozess von Unten gekoppelt und so Selbstorganisierungs- und Selbstbestimmungsprozesse ausgeweitet werden. Genau darin sehen auch die progressiven Kräfte innerhalb der Bewegung den Schlüssel. Wenn etwa die antikapitalistische CUP mehr Souveränität für Katalonien einfordert, und damit einen neuen gesellschaftlichen Aufbau von „Unten nach Oben“ anstrebt. Dabei erscheint es für diese progressiven Kräfte als unerlässlich, nicht hinter den Dreiklang „Indepencia – Socialisme – Feminisme“ zurückzufallen und anknüpfend an die letztgenannten Punkte die politische Krise im gesamten spanischen Staat weiter zuzuspitzen.</p><p></p><p>Diese Einschätzung gilt natürlich mit der Einschränkung, dass das alles leichter gesagt, als getan ist. Hier muss selbstkritisch angemerkt werden, dass die außerkatalanische, spanische und auch internationale Linke, bis dato nicht gerade eine unterstützende Kraft in dem Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens gewesen ist. Fakt ist aber, dass die nächsten Wochen, Monate und wahrscheinlich auch Jahre turbulent bleiben werden, und sich in diesen noch zeigen wird, ob wirklich ein neuer Mobilisierungszyklus der Unabhängigkeitsbewegung begonnen hat. Oder auch, welche weiteren Bewegungen, etwa durch den Frauen*streik, angestoßen werden könnten. Aber auch, ob im spanischen Staat, trotz aller Verwerfungen, die das politische System derzeit destabilisieren, unter Beteiligung gewohnter Akteur_innen weiter die vorherrschende autoritär-neoliberale Politik durchregiert werden kann. Es wird also noch mehr als genug Möglichkeiten für eine internationale Linke geben, verstärkend und solidarisch zu wirken.</p><p></p></div>
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“Der Franquismus hat im Staat nach wie vor die Hegemonie”2018-11-12T17:11:23.589912+00:002018-11-12T17:11:23.589912+00:00Emil Straußredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/der-franquismus-hat-im-staat-nach-wie-vor-die-hegemonie/
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<div class="rich-text"><p><i>Emil Strauß war im September in der baskischen Region unterwegs. Für ihn war ein wichtiger Bestandteil seiner Reise, das Verhältnis widerständiger Gedenkarbeit zur aktuellen politischen Situation im spanischen Staat beziehungsweise dem Rechtsruck in Europa und weltweit zu analysieren und einzuordnen. Der baskische-deutsche Kulturverein „Baskale“ in Bilbo (baskischer Name für Bilbao) setzt sich mit feministischen und antifaschistischen Fragen auseinander und stärkt die Arbeit zur „Memoria Historica“ (historische Erinnerung), also die Aufarbeitung des spanischen Faschismus (Franquismus). Im Nachgang der Reise führte unser Autor deshalb ein ausführliches Interview mit Klaus, der sich beim Verein Baskale engagiert.</i><br/></p><p><b>Emil Strauß: Wie lange gibt es euch schon und was motiviert euch zu eurer Arbeit im baskisch-deutschen Kulturverein „Baskale“?</b></p><p><b>Klaus:</b> Den Verein haben wir vor acht Jahren aus ganz formalen Gründen ins Leben gerufen. Als Instrument, um das besser organisieren zu können, was wir auch vorher schon gemacht haben. Der Vereinsstatus bietet Möglichkeiten, die wir als informelle Gruppe nicht hatten. Unsere Arbeit hat verschiedene Schwerpunkte und findet nicht nur im Vereins-Rahmen statt. Wir verstehen uns als Teil der sozialen Bewegungen, die uns in Bilbao und Bizkaia (Provinz rund um Bilbao, Anm. Red.) umgeben. Deren Entwicklung ist uns wichtiger als unser Verein. Die beiden Hauptbereiche unserer Arbeit sind Feminismus und Antifaschismus. Feminismus muss nach unserer Auffassung bei allen Aktivitäten ein entscheidendes Kriterium sein und wir versuchen das voranzutreiben. Daneben betreiben wir Geschichtsforschung unter Frauenaspekten.</p><p>Unser zweites Thema ist die historische Aufarbeitung des Franquismus – dieses Thema wird hier „Memoria Historica“ genannt, historische Erinnerung. Das hört sich nicht so politisch an, ist es aber. Wir arbeiten mit historischen Organisationen wie der anarchosyndikalistischen CNT (<i>Confederación Nacional del Trabajo, Gewerkschaft, Anm. Red.)</i> zusammen, die im Spanienkrieg eine wesentliche Rolle gespielt hat. Und mit verschiedenen baskischen Akteuren verschiedener politischer Couleur.</p><p>Für eine baskisch-deutsche Gruppe wie Baskale hat diese Arbeit im Wesentlichen zwei Aspekte: Erstens die Aufarbeitung der Geschichte aus baskischer Sicht. Zweitens die Aufarbeitung aus deutscher Sicht. Bekanntermaßen war die nazideutsche „Legion Condor“ nach dem Militärputsch vor 82 Jahren kriegsentscheidend. Zur der Klärung dieser Geschichte beizutragen ist unser bescheidener Beitrag zur baskischen Memoria-Bewegung.</p><p>Weitere Arbeitsschwerpunkte des Kulturvereins Baskale sind Gentrifizierung und alternativer Tourismus. In Bilbao ist diese Arbeit wichtiger denn je, denn wir erleben momentan einen brachialen Massentourismus, der gravierende Konsequenzen hat. Dem arbeiten wir entgegen, mit Kritik auf der einen Seite und mit alternativen Angeboten auf der anderen. Dabei gibt es gute Verbindungen zu unseren anderen Arbeitsthemen. Denn alternative Rundgangs-Angebote lassen sich perfekt verknüpfen mit der antifaschistischen Aufarbeitung, mit der Geschichte von Krieg, Diktatur und der folgenden sogenannten Demokratie.</p><p>Um unsere Information einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen haben wir eine umfangreiche Webseite konzipiert. Sie liefert Gegeninformation zu den gängigen Klischees und Plattitüden, die in der bürgerlichen Presse über das Baskenland verbreitet werden. <a href="http://baskultur.info/">Baskultur.info</a> reicht von Geschichte über Architektur, Sport, Wissenschaft und Musik. Wir haben dort insgesamt 30 Kategorien, unter denen gründlich informiert wird.</p><p><b>Könnt ihr „baskisch sein” und „baskische Kultur” aus der Praxis beschreiben?</b></p><p><b>Klaus:</b> Die baskische Linke hat eine schöne Definition von „baskisch sein“: wer hier lebt, arbeitet und baskisch spricht –egal wo geboren – gilt als Baskin oder Baske. Das kommt auch im Begriff zum Ausdruck, der hier für „Bask*in“ benutzt wird: Euskaldun. Euskara ist die baskische Sprache, euskaldun ist, wer diese Sprache spricht. Alle sind gleichzeitig Bask*innen, nicht per Geburt, sondern aufgrund ihrer sozialen Situation im Baskenland. Dennoch werden auch jene nicht ausgeschlossen, die nie Baskisch lernen konnten, weil es zum Beispiel im Franquismus verboten war.</p><p>Baskisch ist offizielle Sprache, sie ist der Mittelpunkt der baskischen Kultur. Dennoch werden Baskisch Sprechende mitunter marginalisiert. In Behörden zum Beispiel können nicht alle Angestellten auf Baskisch antworten, die Zweisprachigkeit ist nicht gewährleistet. Gleichzeitig ist die Sprache nach wie vor stark politisiert. Das heißt, wenn du mit Baskisch ankommst, bist du schon verdächtig. Es kann passieren, dass du mit der ETA (<i>Euskadi Ta Askatasuna</i>, baskisch für Baskenland und Freiheit, frühere marxistisch-leninistische Untergrundorganisation, Anm. Red.) in Verbindung gebracht wirst. Oder, dass du nicht bedient wirst, wenn du auf Baskisch einen Milchkaffee bestellst. Unglaublich aber wahr.</p><p>Die Haltung zu ETA war bislang in allen sozialen Bewegungen im Baskenland ein Trennungs-Kriterium. Für die Rechte sowieso, aber auch für linke Gruppen. Egal ob Ökolog*innen oder Antimilitarist*innen: es gab in vielen Bereichen nicht-abertzale und abertzale Organisationen, also welche, die ETA kritisiert haben oder eben nicht. Wer für die Rechte von politischen Gefangenen eingetreten ist war ETA-nah. Das ist heute vorbei. Die Trennungslinie ist für die große Mehrheit nicht mehr vorhanden. Nur noch in den Köpfen der spanischen Ultrarechten. Das führt dazu, dass es neue Koalitionen gibt im Bereich der sozialen Bewegungen, viele Tabus sind verschwunden. Sogar die Sozialdemokrat*innen fordern die Heim-Verlegung der politischen Gefangenen. Nur bei einigen Kellnern ist die Botschaft offenbar noch nicht angekommen.</p><p>Theoretisch ist Baskisch ein Instrument zur Verständigung wie Englisch, Rätoromanisch, Deutsch oder jede andere Sprache. Tatsächlich ist es ein politischer Akt, auf der Straße Baskisch zu sprechen. Das ist traurig und ein Ergebnis der spanischen Antihaltung, die bis heute andauert. Im französischen Baskenland ist die Sprache nicht einmal offiziell. „Baskische Praxis“ drückt sich deshalb in ganz banalen Dingen aus. Wir versuchen, in der Öffentlichkeit, unter Freundinnen und Freunden, so viel es geht Baskisch zu sprechen. Das hat seine Grenze dann, wenn jemand die Sprache nicht versteht. Wir versuchen, Veranstaltungen möglichst auf Baskisch zu machen, wenn das nicht geht, eine Übersetzung zu organisieren, womöglich synchron. Alles was wir publizieren sollte zweisprachig sein – das ist immer die doppelte Arbeit. Ständig gibt es Kampagnen zur Förderung der baskischen Sprache. Daran teilzunehmen ist ebenfalls „baskische Praxis“.</p><p><b>Die baskische Linke gilt in Deutschland oftmals als „nationalistisch“. Wie würdest du die Spezifika eines baskischen Nationalismus erklären –und welche internationalistische Perspektive gibt es darin?</b></p><p><b>Klaus:</b> Nationalismus ist ein hässliches Wort. Auch hier wird das ungern benutzt. Manchmal fallen uns aber keine anderen Begriffe zur Beschreibung ein. Eine Minderheit kennt zumindest noch den Eigenbegriff „abertzal“, der am ehesten mit „patriotisch“ zu übersetzen ist. Dazu sind zwei Dinge zu sagen. Erstens gibt es unterschiedliche Formen von Nationalismus: einer, der sich über andere erhebt und sie erniedrigt, das wäre der spanische, türkische oder deutsche Nationalismus; und eine andere Form, die sich von Unterdrückung und Verbot zu befreien versucht. Das ist die baskische Variante. Vielen deutschen Linken fällt es schwer, das zu verstehen oder zu akzeptieren. Im Baskenland ist es die normalste Sache der Welt, dass „Abertzalismus“ immer eine internationalistische Komponente hat. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Manche nennen diesen „Abertzalismus“ auch den Kampf um die eigene Sprache, Kultur und Identität – alles Versuche, die baskische Besonderheit zu erklären.</p><p>Die Verbindung von der Aufarbeitung der Geschichte – also von „Memoria Historica“ – und Internationalismus liegt auf der Hand. Die damalige baskische Regierung hat sich im Krieg vor 80 Jahren auf die Seite der Republik gestellt, gegen den Faschismus, und hat dafür teuer bezahlt. Das hat auch die baskische Rechte nicht vergessen. Interessanterweise gibt es hier eine anarchistische Tendenz, die ebenfalls Sympathie für die baskische Identität aufbringt. Die baskische Linke hat den Kampf gegen den Franquismus-Faschismus verbunden mit einer antikolonialen Perspektive, mit einem internationalistischen Charakter. Wir als Mitstreiter*innen des Kulturvereins fühlen uns wohl in dieser Rolle, als Internationalist*innen und Verteidiger*innen der baskischen Sprache und Kultur. Selbstverständlich hat die baskische Gesellschaft das Recht zur Entscheidung über ihre Zukunft.</p><p><b>In eurem Reader „Antifaschistische Erinnerung Bilbao - Baskenland”,</b> <b>der zum 80. Jahrestag der Gernika Bombardierung erschien, verweist ihr darauf, dass die bis 2018 amtierende Rechts-Regierung im spanischen Staat sich zu keiner Zeit gescheut hat „die Massenmörder in Krypten, Kirchen und anderen Gedenkstätten zu ehren und hochleben zu lassen.” Wie wichtig ist diese Praxis für die zentrale staatliche Hegemonie?</b></p><p><b>Klaus:</b> Das ist nach wie vor der Fall. Überlegt doch mal, warum es in Spanien keine NPD oder AFD gibt – bei so viel rechtem Gedankengut. Die Antwort ist einfach: die „Volkspartei“ Partido Popular (PP) von Aznar und Rajoy ist ausreichend faschistoid, um große Teile der Ultra-Rechten an sich zu binden. Dazu kommt nun auch noch die neue Partei „Ciudadanos“, die in der internationalen Presse als liberal definiert wird – nichts wäre weiter von der Realität entfernt. Viele dort stehen bis heute offen zum Franquismus. Sie sind gegen die Exhumierung des Massenmörders aus dem Mausoleum. Sie wollen keine Aufarbeitung der Verbrechen des Spanienkrieges. Sie wollen nicht die 140.000 Leichen aus den über den ganzen Staat verstreuten Massengräbern heben. Sie wollen nicht die Besonderheit der historischen Nationen Galicien, Katalonien, Baskenland anerkennen.</p><p>Die Transición (spanisch: Übergang, Anm. Red.) von der Diktatur zur Demokratie in den 1970er Jahren war eine einzige Farce. Der Diktator ist im Bett gestorben, der Übergang war gut vorbereitet. Der neue König hatte seinen Eid auf die franquistischen Werte geschworen und wurde nie demokratisch legitimiert. Militär, Polizei, Justiz und politische Klasse blieben auf ihren Posten – bis heute. Die Sozialdemokrat*innen von der PSOE schworen dem Marxismus ab – sicher auf Anraten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und die Kommunisten von der PCE sagten „ja“ zu allem, nur um wieder legalisiert zu werden. Gleichzeitig mit der Amnestie für die politischen Gefangenen des Regimes wurde 1977 eine Amnestie für alle franquistischen Verbrechen beschlossen. Das verstößt gegen die Internationale Menschenrechts-Konvention, denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit können weder verjähren noch amnestiert werden. Die UNO kritisiert das. In den lateinamerikanischen Ländern konnten solche Amnestie-Gesetze nicht gehalten werden, zum Beispiel in Chile, Uruguay oder Argentinien. Im spanischen Staat aber schon. So kann es nicht verwundern, dass eine Mehrheit in Katalonien eine unabhängige Republik haben will und viele im Baskenland auch.</p><p>Ein weiteres Beispiel: Als die Nazis Gernika zerbombten, sagten die Franquisten, die Basken und „die Roten“ selbst hätten die Stadt angezündet. Während der gesamten Diktatur war dies die offizielle Version. Und danach? In 40 Jahren hat keine einzige der sogenannten „demokratischen“ Regierungen je diese Lüge berichtigt, geschweige denn, sich für die Kriegsverbrechen entschuldigt. Die „Gernika-Lüge“ ist somit nach wie vor ein aktuelles Thema. Das ist nur ein wichtiges Detail für die Menschen im Baskenland. Solche Details gibt es viele. Manche behaupten ernsthaft, in Gernika seien damals gerade mal 15 Menschen ums Leben gekommen. Auf diese Art wird Gernika immer noch bombardiert.</p><p>Der Franquismus hat im Staat nach wie vor die Hegemonie – um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen. Zentralismus, Unteilbarkeit des Staates, „Guardia Civil“ und Katholizismus sind weiterhin die Fundamente. Dazu kommt die Korruption als politisches Selbstverständnis. Viele Linke würden liebend gerne das deutsche Föderalismus-Modell übernehmen – aber das hat keine Chance. Kann sich in Deutschland jemand eine „Adolf-Hitler-Stiftung“ vorstellen, die jährlich mit Millionen aus der Staatskasse finanziert wird, die staatliche Dokumente aus der Nazizeit in ihren Archiven hat, die für niemand zugänglich sind? Genau das ist eine spanische Realität: die Franco-Stiftung. Da soll bitte niemand von „Demokratie“ reden. Daran ändert auch der Schwenk der Sanchez-Regierung nichts, falls Franco tatsächlich aus dem Mausoleum geholt wird.</p><p><b>Wie sieht die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte sowohl von staatlicher aber auch zivilgesellschaftlicher Seite im Stadtbild von Bilbo (Bilbao) aus?</b></p><p><b>Klaus:</b> Der große Unterschied zwischen dem Baskenland beziehungsweise Spanien und Deutschland ist, dass die antifaschistische Aufarbeitungs-Bewegung hier von unten kommt. Im spanischen Staat waren es Basisbewegungen, die mit der Aufarbeitung der Diktatur und ihren Konsequenzen begannen, mit der Forschung in Archiven, mit Publikationen und Gedenkveranstaltungen für Opfer des Franquismus, oder mit der Exhumierung von Massengräbern. In Deutschland kam das von oben, über die „Nürnberger Prozesse“, die Kontrolle der Alliierten, mit all ihren Defiziten. Hier hat es 30 Jahre gedauert, bis staatliche Stellen begannen, die Forderungen dieser Volksbewegung auch nur halbwegs ernst zu nehmen. Das Memoria-Gesetz der Regierung Zapatero ist aus dem Jahr 2007, 32 Jahre nach Francos Tod. Für alle Linken und Republikaner*innen ist es völlig unzureichend! Und für die spanische Rechte völlig überflüssig. Erst 43 Jahre nach dem Tod des Massenmörders kam ein Regierungschef auf die Idee, dass Franco aus dem Mausoleum und faschistischen Pilgerort geholt werden sollte.</p><p>Im Baskenland, insbesondere in Bilbao war es ähnlich. Die faschistischen Straßennamen wurden bereits in den 1980er Jahren abgeschafft. Aber nicht viel mehr. Die baskischen Christdemokraten hatten zwar einen antifranquistischen Diskurs, aber keine Praxis. Franquistische Symbole, obwohl vom Gesetz mittlerweile verboten, wurden nicht entfernt. Als Memoria-Bewegung haben wir die Stadtregierung von Bilbao verklagt und sie so zur Entfernung der Symbole gezwungen. Die baskische Regierung – ebenfalls baskische Christdemokrat*innen – hat sich mittlerweile eine andere Praxis angeeignet. Sie versuchen, sich an die Spitze der Memoria-Bewegung zu stellen, machen Gedenkveranstaltungen, eine Landkarte mit Massengräbern und kontinuierlich Exhumierungen. Damit sind sie der spanischen Praxis meilenweit voraus.</p><p>Im gesamten Staat gibt es noch mehr als 300 Straßen, die den Namen Franco tragen. Im Baskenland keine. Das ist ein qualitativer Unterschied. In Bilbao sind die franquistischen Spuren weitgehend beseitigt. Was fehlt, sind Erklärungen. Es gibt so gut wie keine öffentliche Erinnerung an den Franquismus an den Orten der Gräuel. Gegenüber vom Guggenheim-Museum steht ein prächtiger Bau: die private Jesuiten-Universität. Die wenigsten in Bilbao wissen, dass das ein franquistisches Konzentrationslager war. Dort wurden Leute liquidiert. Vor Jahren brachte eine Memoria-Gruppe eine Gedenktafel an. Sie wurde sofort wieder abgerissen. Erinnerung ist nicht erwünscht. Die neuen Generationen wachsen ohne diese Erinnerung auf. Nur das Guggenheim zählt. Wir als Kulturverein haben vor vier Jahren einen Antrag gestellt, an einem Gebäude der Altstadt eine Tafel anzubringen zur Erinnerung an eine folgenschwere Bombardierung durch die Legion Condor. Die Hausbewohner*innen waren einverstanden, der Nachbarschaftsverein unterstützte uns, ein Bauzeichner malte eine professionelle Skizze – vergebens. In einem persönlichen Empfang beim stellvertretenden Bürgermeister wurde uns gesagt, man wolle kein Einzelgedenken an verschiedenen Stellen, sondern nur generell. Wir haben nie eine Absage erhalten. Das ist deren Politik. Doch letztendlich sind wir nicht von denen abhängig. Bei unseren historischen Rundgängen durch Bilbao berichten wir von diesen Geschichten. Auf Baskisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Und die Leute sind dankbar.</p><p><b>Welche Möglichkeiten der kollektiven Thematisierung und Aufarbeitung der Verbrechen seht ihr für die gesellschaftliche Ebene in Deutschland aus baskischer/spanischer Perspektive?</b></p><p><b>Klaus:</b> Wie vorher angedeutet: die Situation ist schwer vergleichbar. Antifaschismus von oben oder von unten. Wir wollen auch keine schlauen Ratschläge geben. Antifaschismus in Deutschland muss die Sache der deutschen Linken sein. In Wunstorf zum Beispiel, im Militärstützpunkt, aus dem seinerzeit die „Legion Condor“ kam. Dort wurde im vergangenen Jahr von der Bundeswehr ein Gernika-Gedenkstein aufgestellt. Das ist Geschichtsklitterung. Wir haben das scharf kritisiert, in Deutschland aber sehr wenig Unterstützung erhalten.</p><p>Vielleicht noch eine Bemerkung zum Verhältnis der Baskinnen und Basken zu den Deutschen. Neulich wurde ich gefragt, ob es da nicht bis heute Vorbehalte gäbe. Immerhin war es die „Legion Condor“, die in Gernika und vielen anderen Städten einen Massenmord verübt hat. Keine Vorbehalte, musste ich zur Antwort geben. Nie habe ich ein negatives Wort über „die Deutschen“ gehört. Über die Nazis sehr wohl, aber nicht über „die Deutschen“. Die Leute im Baskenland haben eines klar: die Nazis waren die Helfer*innen, mit viel Eigeninteresse, zum Test ihrer Waffen für den nächsten Krieg. Aber die Verantwortlichen für den Militäraufstand waren die spanischen Franquist*innen.</p><p><b>In dem bereits erwähnten Reader schreibt ihr von der Erinnerung an 80 Jahre alte Gräuel und Verbrechen, die nie aufgearbeitet wurden und kommt zu dem Schluss „Doch lässt der Weg zu einer wirklich demokratischen Gesellschaft für republikanische und antifaschistische Kräfte keine andere Wahl. Bis zum Erreichen dieses Ziels stehen die Prinzipien der historischen Wahrheit, der Wiedergutmachung und der Garantie der Nichtwiederholung im Vordergrund”. Kannst du das etwas ausführen?</b></p><p><b>Klaus:</b> Das ist unsere Aufgabe und daran arbeiten wir: Wahrheit, Wiedergutmachung, Nichtwiederholung. Dazu kommt die Forderung, dass die Amnestie für die Diktaturverbrechen zurückgenommen werden muss. Diese Forderung teilen wir immerhin mit Amnesty International und der UNO. Die übrig gebliebenen Faschist*innen müssen vor Gericht gestellt werden, und sei es über die argentinische Justiz. Hintergrund dieser argentinischen Klage ist die Universalität der Menschenrechte: sie können überall eingeklagt werden. Ein Franquismus-Opfer mit doppelter Staatsangehörigkeit brachte sie in Gang. Er klagte in Argentinien gegen franquistische Verbrechen. Eine Richterin in Buenos Aires nahm sich der Klage an und verfolgt sie. Mittlerweile haben sich hunderte von Einzelpersonen und Behörden im Baskenland dieser Klage angeschlossen, die Richterin hat zuerst die Vernehmung der noch lebenden Täter und dann deren Auslieferung beantragt – die spanische Regierung hat ein Problem.</p><p>Den Kläger*innen geht es weniger Dabei geht es nicht um konkrete Strafen, es geht vielmehr um juristische Anerkennung der Verbrechen. Solange der spanische Staat zu diesen Anstrengungen nicht in der Lage ist, werden wir ihn weiter post-franquistisch und faschistoid nennen, oder „das Regime von 1978“, dem Jahr der Pseudo-Verfassung.</p><p>Daneben geht es um die staatliche Anerkennung der jahrzehntelangen Folterpraxis. Im Baskenland wurden seit den 1960er Jahren ca. 10.000 Menschen gefoltert. Es gab Todesschwadrone, „schmutzigen Krieg“, gefälschte Verfahren, Kinderraub. All das muss aufgeklärt werden; staatliche Stellen müssen sich dazu äußern. Bevor das nicht geschieht, sprechen wir nicht von Demokratie.</p><p>Es war enorm schwierig, vor zwanzig, dreißig Jahren die Memoria-Bewegung in Gang zu bringen. Viele Menschen hatten Angst, dass die Schlächter zurückkommen, aus ihren Kasernen oder Richterbüros. Viele hielten ihren Mund, die Angst saß unvorstellbar tief, teilweise bis heute. Das konnte keine noch so tolle Verfassung ändern. Die Politiker waren dieselben, die „Guardia Civil“ waren dieselben, die Richter waren dieselben. Und 1982 gab es auch noch einen neofranquistischen Putschversuch in Madrid. Solange 140.000 Leichen in spanischer Erde liegen, ist dies ein Grund mehr, diesen Staat zum Erliegen zu bringen. „By any means necessary“, um mit Malcolm X zu sprechen.</p><p><b>Welche Rolle spielt diese Erkenntnis in der aktuellen Praxis der revolutionären Linken nach dem Ende des bewaffneten Kampfs im Baskenland?</b></p><p><b>Klaus:</b> Diese Erkenntnis verbreitet sich immer mehr. Vor allem in der Linken, in abgestufter Form, wird die Notwendigkeit der Aufarbeitung von verschiedenen Organisationen geteilt. In der Sozialdemokratie gibt es sicherlich auch ein paar Ehrliche, die den Franquismus aufarbeiten wollen. In den Resten der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) ebenfalls. Auch bei Podemos. Doch am Recht auf Selbstbestimmung – so urdemokratisch das sein mag – scheiden sich die Geister. Die meisten Einsichtigen sind sicher in Katalonien und im Baskenland zu finden - interessanterweise sowohl im linken wie im rechten Lager.</p><p>Von einer „revolutionären Linken“ zu sprechen wäre aber übertrieben. Wir sehen Ansätze, aber keine Bewegung, die die Bezeichnung derzeit verdient. Wenn Revolution Umwälzung bedeutet, trifft dies derzeit am ehesten für Katalonien zu. Wenn auch nur bedingt unter linken Vorzeichen. Die Linke im Baskenland befindet sich in einer anderen Etappe. Der mehrheitliche Teil setzt auf Realpolitik in den Parlamenten und ist dabei, die Bodenhaftung zu verlieren, nach dem Beispiel der deutschen Grünen vor 30 Jahren. Gegen diese Tendenz formiert sich eine außerparlamentarische Opposition, die Konturen sind aber noch nicht besonders klar. Die Etappe des bewaffneten Kampfes ist noch zu nah, um die Debatte um linke Neuorientierung nüchtern und vernünftig zu führen. Was uns bleibt ist, in den Basisbewegungen zu arbeiten und dort Gegenmacht aufzubauen, mit oder ohne institutionelle Unterstützung. Was zählt ist die Straße, die feministische Bewegung, die Nachbarschaftsarbeit, die Flüchtlingsarbeit, die direkte Solidarität, die Mobilisierung der Menschen für all das.</p><p>Im Baskenland haben wir nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Neudefinition von linker Politik. Immerhin stehen wir nicht mit dem Rücken zur Wand wie in vielen europäischen Ländern, wo die Ultra-Rechte ganze Regierungen übernimmt. Linke Ideen stehen hier nach wie vor hoch im Kurs. Konzepte für den großen Wurf hat derzeit niemand, wir machen uns da nichts vor. Es ist ein sehr schlechtes Zeichen, wenn in Europa oder Amerika ganze Arbeiter*innenviertel in die Lager der Ultra-Rechten wechseln. Das ist nicht nur einer faschistoiden Propaganda geschuldet, sondern auch unseren eigenen Mängeln. Wo hat die Linke noch eine ideologische Hegemonie? Vielleicht im Baskenland. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, nicht nur mit Worten, sondern mit konkreter Arbeit. Basisarbeit. In der Nachbarschaft, bei Hausbesetzungen, mit Selbstorganisation, Geflüchtetenarbeit und internationaler Solidarität. Revolutionäre Diskurse sollten wir uns für andere Momente sparen.</p><p></p><hr/><h2>Anmerkung</h2><p>Auf dem Transparent des Titelbildes steht:<br/> NEIN ZUR STRAFFREIHEIT DES FRANQUISMUS</p></div>
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Entsolidarisierung im Zentrum2017-10-05T18:22:16.004731+00:002017-10-18T18:10:08.911475+00:00Alp Kayserilioğlu und Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/entsolidarisierung-im-zentrum/
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<h1>Entsolidarisierung im Zentrum</h1>
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<img alt="Die "estelada vermella": Die sozialistische, katalanische Fahne weht beim Referendum." height="420" src="/media/images/peterek_zino_katalunya.863f9619.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">Zino Peterek</span>
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<div class="rich-text"><p>Was haben wir mal wieder getobt,
als wir dann doch mal wieder die<i> Jungle World</i> in den Händen hielten. Ihr
<a href="https://jungle.world/artikel/2017/39/periphere-rebellion">Schwerpunkt</a>
war – ganz aktuell – die Geschehnisse in Katalonien, das heißt um genauer zu
sein: das Unabhängigkeitsreferendum. Zum Verlauf der Entwicklung und dem
Charakter der katalanischen Bewegung hatte einer von uns beiden <a href="https://revoltmag.org/articles/demokratischer-massenaufstand-katalonien/">bereits</a>
geschrieben. Wir fassen die Geschehnisse also kurz und knapp zusammen: Eine
liberale bis linke nationale Bewegung stellt demokratische, nationale und
soziale Forderungen und will aus speziell spanisch-historischen Gründen das
einstmalige Kolonial-Imperium verlassen. Das Imperium schlägt zurück und
prügelt mit der wildgewordenen Großgrundbesitzer-, später Fascho-Folter-Brigade
<a href="http://www.spanishrevolution.eu/guardia-civil-spanische-polizei-mit-zweifelhaftem-ruf/"><i>Guardia Civil</i></a>
alles weg, was wählen will. Alles empört sich über die Gewalt. Aber so richtig
solidarisch sein mit den Katalanen, das will man auch nicht. Warum regt uns das
auf? Einfach weil es der typische Pseudo-Radikalismus der deutschen Linken ist,
der nicht nur bei diesem Thema auftritt.</p>
<p>Und genau so liest sich dann auch
der Lead-Artikel der<i> Jungle World</i>, der mit viel radikalem No
Nation-Gehabe daherkommt und halt dann doch bei etwas vollkommen unradikalem
stehenbleibt: Lediglich eine Solidarisierung gegen etwas, aber nicht für etwas
soll mal wieder der Königsweg sein. Was steht da drin? Im Kern das: „Mit etwas
Glück führt diese autoritäre Konfliktlösungsstrategie sogar dazu, dass sich der
nationale tatsächlich zu einem sozialen Konflikt entwickelt, der über die
Grenzen Kataloniens hinaus seine Wirkung entfaltet und das nationalistische
Moment zugunsten eines wirklich demokratischen Kampfes zurückdrängt.“<i> </i>Für
den Autor sind offensichtlich der nationale, der soziale und der demokratische Widerspruch
im heutigen Spanien zwei hermetisch voneinander abgetrennte Sphären – nationale
Frage ist autoritäre Krisenlösung hier, soziale Frage und demokratische Rechte
erstrebenswert dort. Auf die Idee, dass derzeit in Katalonien aus historischen
Gründen eben alle drei Widersprüche gleichzeitig und ebenfalls auf
widersprüchliche Art und Weise verhandelt werden und diese sich unmittelbar
aufeinander beziehen, kommt er nicht. Und auch nicht darauf, dass sich eben die
demokratische und soziale Seite dieses Kampfes erst dann stärker und
erfolgreicher entwickeln, wenn die revolutionäre Linke Teil davon ist.
Stattdessen schreitet dieses radikale Gehabe ganz unradikal in die liberale
Repressionshypothese zurück – à la ,,mehr Repression, dann vielleicht mehr sozialer
Kampf‘‘. <br/></p><p>
</p><h2><b>Tradition und Gegenwart des
katalanischen Republikanismus</b></h2>
<p>Na
klar gibt es ein an Demokratisierung kaum interessiertes katalanisches
Bürgertum, das aus egoistischen Gründen Spanien verlassen und einen eigenen
Nationalstaat gründen möchte: Katalonien gehört zu den reichsten Regionen
Spaniens und seine Herrschenden möchten nicht mehr Geld an die ärmeren Gegenden
abdrücken, noch von der Krise Spaniens betroffen sein. Das verhüllen sie, ganz
klassisch, mit einem katalanischen Nationalismus, der eine vermeintliche
Trennung zwischen Katalanen und anderen Völkern herstellen soll. Aber in
Katalonien gibt es allein schon historisch betrachtet eine ebenso starke,
teilweise auch vom katalanischen Bürgertum getragene
demokratisch-republikanische Bewegung. Gerade diese ist es, die sich gerade im
Aufschwung befindet. Gegen wen wendet sich die demokratisch-republikanische
Bewegung in Spanien? Gegen den post-franquistischen Zentralstaat, der trotz
(oder wegen) der<i> Transicion</i> parlamentarische Monarchie ist, und sein
Selbstverständnis. Dieses Selbstverständnis lautet: Spanien ist ein Imperium
und es ist unteilbar. Die demokratisch-republikanische katalanische Bewegung
hatte genau dieses Selbstverständnis infrage gestellt und zwischen 1936 und
1939 auch auf der Seite der Spanischen Republik gekämpft – gemeinsam mit den
KommunistInnen und AnarchistInnen. Franco hat ihnen das <a href="http://www.raco.cat/index.php/catalanhistoricalreview/article/viewFile/131018/180956">nie verziehen</a>:
Die Sprache und das Praktizieren kultureller Eigenheiten wurde im Faschismus
verboten, das Autonomiestatut abgeschafft. Die Krise einerseits aber auch
Madrids Ablehnung jeglicher Verhandlungslösungen nach mehr Autonomie
andererseits führten zu einem Aufschwung gerade dieser demokratisch-republikanischen
Bewegung, trotz der Tatsache, dass die katalanische herrschende Klasse selbst
mittlerweile eher eine nationalistische Perspektive besitzt. Unterstützte noch
vor wenigen Jahre nur eine Minderheit der katalanischen Bevölkerung die Autonomiebewegung,
so ist es jetzt vermutlich eine Mehrheit geworden.
</p><p>Jetzt
könnte man doch angesichts dessen auf die Idee kommen, dass es eine durchaus
demokratische Forderung ist, den spanischen Zentralstaat und sein
Herrschaftsnarrativ herauszufordern – schon allein aus antifaschistischen
Gründen. Bei der <a href="http://cup.cat/noticia/wir-konnen-nicht-mehr-deswegen-konnen-wir-jetzt-alles">CUP</a> klingt das dann so: „In
Zeiten sowohl von Diktatur als auch von Demokratie haben wir mit Generalstreiks
immer wieder demokratische und soziale Rechte verteidigen oder die Forderung
nach Selbstbestimmung stark machen müssen. Heute wissen wir, dass die Gewalt
die einzige Strategie des Staates ist, um den Willen des Volkes, die Sehnsucht
nach Freiheit und sozialer Gerechtigkeit zu brechen.“ Dass der Kampf für
soziale und demokratische Rechte im Falle Kataloniens auch unter Einbezug der
nationalen Frage geschieht, hat also historisch nachvollziehbare Gründe.
Unabhängigkeit heisst eben auch Bruch mit dem post-faschistischen Staat. Was an
der Tatsache, dass man sich gegen die post-faschistische Idee des
zentralspanischen Staates wendet und über sein Schicksal als Bevölkerung
abstimmen will ethnisch (nett für: völkisch) und autoritäre Krisenlösung sein
soll, bleibt das Geheimnis des Autors. Besonders weil es doch gerade der
spanische Staat ist, der die eigentliche repressive Krisenlösung mit
Gummiknüppeln betreibt.</p></div>
</section>
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<figure class="content-image">
<div class="content-image-wrapper">
<img alt="Ein Esel von einem Nationalisten." height="1365" src="/media/images/stieriges_Katalonien.original.jpg" width="2048">
<span class="content-copyright">Zino Peterek</span>
</div>
<figcaption>
<p>Ein Esel von einem Nationalisten.</p>
</figcaption>
</figure>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><h2><b>Die
Verquickung von nationaler, demokratischer und sozialer Frage</b></h2>
<p>Nation
ist ein ausschließendes und bürgerliches Konzept. Dort, wo eine nationale
Bewegung zum Nationalstaat wird, definiert dieser sich in Abgrenzung zu anderen
und gliedert sich ins kapitalistische Weltsystem ein. Wo soll da also der
Fortschritt sein?, fragt sinngemäß der<i> Jungle World</i> Autor. Es gehe im
Kern um die Emanzipation des unterdrückten Bürgertums gegen ein unterdrückendes
Bürgertum. Wenn es das wäre, wäre es kein Thema für uns Linke – wären da nicht noch die ArbeiterInnen, die
ebenso betroffen sind von der Unterdrückung. Was machen wir also in Ländern, in
denen sich (bürgerlich-)demokratische Errungenschaften nie vollständig
entfaltet haben – etwa in ehemals kolonialen Gesellschaften oder in
post-faschistischen Gesellschaften, in denen Minderheiten unterdrückt werden?
Die Aufgabe der revolutionären Linken ist es dann nicht, sich an den Schwanz
der jeweiligen Bourgeoisie ran zu hängen: Das Anerkennen des
Selbstbestimmungsrechts der Nationen sollte für uns niemals bedeuten, dass man
jeden nationalistischen Scheiß unterstützt, sondern sich für die Lösung der
nationalen Frage im Rahmen einer Demokratisierung und mit weitreichenden
sozialen Forderungen einsetzt. Oder eben jene revolutionär linken Kräfte vor
Ort unterstützt, die dies tun.</p><p>Ein
weiterer zentraler Aspekt sollte nicht außer Acht gelassen werden: Der Aspekt
des massenhaften Widerstands, ergo der massenhaften Politisierung. Sollte
Katalonien eine Republik werden oder mehr Autonomie erlangen, wird die
katalanische Bourgeoisie einer politisierten Bevölkerung gegenüberstehen, die
massenhaft die Erfahrung der Selbstorganisierung und Repression gemacht hat und
die sich nicht jede Sozialkürzung im neuen, katalanischen Gewand gefallen
lassen wird. Der nationale Widerspruch wäre gelöst, der demokratische mit der
Staatsform der Republik zumindest entwickelt und der Kampf um soziale und
demokratische Rechte auf eine neue Stufe gehoben. Das geschieht allerdings nur
dann, wenn die revolutionäre Linke als aktiv kämpfender Teil dieser an
demokratischen und sozialen Potenzialen reichen Bewegung teilnimmt, um gerade
die demokratischen und sozialen Kämpfe in den Vordergrund zu rücken.
</p><h2><b>Aktiver
Kampf inmitten der Widersprüche</b>
</h2><p>Wir
können also nicht einfach auf die „Etappe“ einer erfolgreich abgeschlossenen
nationalen Befreiung warten, um dann erst mit weiterreichenden demokratischen
und sozialrevolutionären Perspektiven aufzutauchen – weil dann hat schon längst
das Bürgertum das Ruder in der Hand. Wir müssen eine Perspektive der Lösung der
nationalen Frage entlang weitreichender demokratischer und sozialer
Forderungen, die oft nicht (mehr) im Interesse der Herrschenden sind, anbieten
und hierfür kämpfen können. Dann gibt es günstigere Bedingungen im neuen status
quo, den Kampf weiter in Richtung sozialer Revolution zu radikalisieren.
Andererseits können wir uns auch keine elitäre Abwesenheit im massenhaften
Kampf gegen nationale Unterdrückung und Faschismus leisten, weil dann ebenfalls
das Bürgertum das Ruder übernimmt und den legitimen und aussichtsreichen
Aufstand nationalistisch organisiert. Dann rückt die demokratische Revolution
in die Ferne, ganz zu schweigen von der sozialen.
</p><p>Dieses
Konzept, Momente eines Prozesses nicht statisch nebeneinander zu stellen,
sondern sie als verschiedene Widersprüche eines Bewegungs-Prozesses zu
begreifen, der in Zwischenschritten mit unterschiedlichen Möglichkeiten und
Kräfteverhältnissen verläuft, nennt sich auch dialektische Bewegung. Das kann
die deutsche Linke nicht so gut, weshalb sie regelmäßig großartige abstrakte
Differenzierungen raushaut oder sich enttäuscht von Bewegungsergebnissen
abwendet, wenn sie dem abstrakten Reflektionsstufe 10-Gusto nicht passen,
anstatt diese Ergebnisse als Teile eines Prozesses zu begreifen, von dem aus
der Kampf weitergehen muss und um den die Linke einen Hegemoniekampf führen muss.
Die Devise „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“ ist zum Scheitern
verdammt. Denn es wird keine weltweit auf einmal auftretende, rein
kommunistische antinationale Revolution ohne Zwischenschritte geben. Andere
Widersprüche, andere Kräfteverhältnisse, andere Formen des Kampfes. Und: Am
deutschen Wesen wird nicht die Welt genesen. Das ist eine Lektion, die die
deutsche Linke offensichtlich immer noch lernen muss.
</p></div>
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Demokratischer Massenaufstand in Katalonien2017-10-01T19:41:20.905297+00:002017-10-01T19:42:58.460437+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/demokratischer-massenaufstand-katalonien/
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<h1>Demokratischer Massenaufstand in Katalonien</h1>
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<span class="content-copyright">Zinografie</span>
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<div class="rich-text">Es war in den vergangenen
Jahren immer wieder Thema, stieß in der deutschen Linken jedoch nur
auf wenig Beachtung: Die Forderung nach der Unabhängigkeit
Kataloniens vom spanischen Zentralstaat. Zu Recht könnte man sagen.
Denn eine weitere Staatsgründung - womöglich unter
konservativ-neoliberaler Handschrift - mit den selben Problemen, die
bürgerlich-kapitalistische Staaten eben so mit sich bringen, ist für
eine internationale Linke ein reichlich uninteressantes Projekt.
Schließlich ist es egal, welche Farbe der Stock hat, der uns auf
Demonstrationen schlägt.<br/><br/>
<p>Dazu kommt, dass die
katalanische politische Arena im Prinzip seit 1980 von
neoliberal-konservativen Elementen, ab 2003 von einer neoliberalen
Sozialdemokratie beherrscht wurde, die beide die Forderung nach
Unabhängigkeit lange Zeit entweder gar nicht, oder später mehr
rhetorisch und zum Zwecke der Erpressung der spanischen
Zentralregierung in Madrid für ökonomische Zugeständnisse nutzte.
Diese politischen Kräfte, die sich im konservativ-neoliberalen
Wahlbündnis<i> </i><i>Convergència
i Unió</i>
(CiU) auf der einen
und in der sozialdemokratisch-neoliberalen<i>
Partit dels Socialistes de Catalunya </i>(PSC),
die
katalanische
Schwesterpartei der spanischen
PSOE auf der anderen,
sammelten, ging es vor allem darum, davon abzulenken, dass sie
selbst, als Vertreterin des spanischen Kapitals und der katalanischen
Elite zahlreiche der unpopulären Sozialkürzungsmaßnahmen in
Katalonien umsetzten. Denn Spanien befindet sich seit 2008, ebenso
wie mehrere andere Länder des europäischen Südens, in einer
schweren ökonomischen Krise. Insbesondere der unter Ägide der
CiU dominierende
Wohlstandschauvinismus, der mit dem lange Zeit rein rhetorischen
Autonomiegepoche einherging, hat die katalanische Frage international
in der Linken nicht gerade populär gemacht.</p>
<p>Was
hat sich also nun geändert? Durch die radikal-neoliberale
Kürzungspolitik der spanischen Zentralregierung in der Krise ist
eine Gegenbewegung auf der Straße entstanden, die gegen die
Sozialkürzungen, aber auch gegen das repressive Vorgehen des
spanischen Zentralstaats mobilisierte und historisch an den
Katalanismus anknüpfte. Seit 2009 werden durch den spanischen
Zentralstaat
massive Sozialkürzungspolitiken forciert, die durch die
Regionalparteien CiU und PSC
mitgetragen wurden. Die Region Katalonien ist von einer Kürzung von
fünf Milliarden Euro in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung
und anderen Sozialleistungen zwischen 2009 und 2016 <a href="https://cincodias.elpais.com/cincodias/2017/09/27/midinero/1506518837_523846.html">betroffen</a>.
Schließlich konstituierte sich eine Bewegung, in der
außerparlamentarische wie parlamentarische links-liberale bis
radikal linke Akteure über die Jahre Fuß fassen und den Diskurs
nach links und Richtung Unabhängigkeit verschieben konnten. Dieser
Bewegungs-Prozess begann bereits am 10. Juli 2010: Eine Million
KatalanInnen gingen auf die Straße, um gegen den Beschluss des
spanischen Verfassungsgerichts zur Annullierung des neuen
Autonomiestatuts von 2006,
das seinerzeit von der PSOE-Schwesterpartei PSC in Madrid eingereicht
wurde und ohnehin
zahnlos war, zu demonstrieren. Das Motto der Demonstrationen war „Som
una nació – nosaltres decidim” („Wir
sind eine Nation – wir entscheiden“) und bezog Stellung für eine
regionale Souveränität über Fragen der Autonomie.</p>
<p><a></a><a></a>
Durch den Druck der neuen Bewegung
auf der Straße, die dann auch 2012 die explizit radikal linke,
antikapitalistische Basisorganisation<i>
</i><i>Candidatura
d’Unitat Popular</i>
(CUP) mit drei
Prozent und 2015 mit acht Prozent ins katalanische Parlament wählte,
gleichzeitig aber auch durch die kompromisslose bis offen repressive,
antidemokratische Haltung des spanischen Zentralstaats, verschiebt
sich der Diskurs immer weiter in Richtung Unabhängigkeit. Als Motor
erwies sich hier auch die Unabhängigkeitsplattform<i>
Assemblea Nacional Catalana</i>
(ANC),<i> </i>die
immer wieder Demonstrationen mit hunderttausenden TeilnehmerInnen
organisierte und Druck auf die nicht-radikalen katalanistischen
Parteien ausübte. 2014 wurde das erste Referendum abgehalten, Madrid
erklärte es für illegal. Es findet dennoch statt – wohl weil
Madrid der CiU die Umsetzung im Falle eines Erfolgs nicht zutraut. 80
Prozent der WählerInnen stimmen für die Unabhängigkeit bei 40
Prozent Wahlbeteiligung. Die CiU zerbricht schließlich
2015 an der Unabhängigkeitsfrage aufgrund der verschiedenen
Interessen der sie stützenden Eliten. Der konservative Flügel tritt
aus. Ihr langjähriger liberaler Führer Arturo Mas gründet
daraufhin mit den LinksnationalistInnen der<i>
Esquerra Republicana de Catalunya</i>
(ERC) das
Pro-Unabhängigkeits-Wahlbündnis <i>Junts
pel Si, </i>das
derzeit unter Tolerierung der CUP den Ministerpräsidenten stellt und
einen inklusiven, sozialliberalen Katalanismus vertritt. Das
Pro-Referendums-Lager, das aus den Wahlen 2015 mit dieser Mehrheit
hervorging, hat nun auch das Referendum dieses Wochenende anberaumt.</p>
<p>Mit
was haben wir es also zu tun? Die derzeitige Pro-Referendums-Bewegung
auf der Straße ist eine klassenübergreifende Volksbewegung im
Wortsinn mit tendenziell linkem, liberalem Zuschnitt. In ihr sammeln
sich Kräfte von der radikalen Linken bis hin zu links-liberalen
Kräften, während sich konservative bis faschistische Gruppen und
Parteien ebenso wie die Parteien, die mit den spanischen
Zentralparteien verbunden sind, und ihr jeweiliger Anhang gegen das
Referendum stellen. Im Vorfeld des Referendums kam es zu mehreren
massenhaften Aktionen, Streiks und Blockaden – insbesondere gegen
zentralspanische Repressionsandrohungen, das Referendum mit Gewalt zu
verhindern. Die Bewegung ist inhaltlich diffus mit widerstreitenden
Interessen und es ist nicht ausgemacht, wohin sich das Ganze
entwickeln wird, gerade nach den Geschehnissen am Tag des
Referendums: Durch Polizeigewalt wurden bis zum Abend über 500
Menschen verletzt. Fakt ist jedoch, dass die konservativen Kräfte im
Katalanismus, die in der Vergangenheit eine wohlstandschauvinistische
Haltung beförderten, derzeit nachhaltig geschwächt scheinen.
</p>
<p>
Warum
sollten wir die nationale Bewegung trotz Zweifeln unterstützen? Der
völkische Nationalismus mit seinem Einheitsgedanken ist traditionell
in Spanien ein Konzept des spanischen Zentralstaats, mit dem unter
anderem der spanische Faschismus Francos und die Unterdrückung
nationaler Minderheiten legitimiert wurde. Die Minderheitenbewegungen
Spaniens im Baskenland, Katalonien oder Galizien standen deshalb
immer zwangsläufig auf der liberalen oder sogar linken Seite –
etwa im spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 – und vertraten gegen die
Monarchie ein republikanisches Konzept. Diese Konstellation ist im
Prinzip bis heute erhalten geblieben. Der brutale Einsatz der
ehemaligen faschistischen Folterpolizei und der heutigen
paramilitärischen Polizeieinheit<i>
Guardia Civil</i>
gegen das Referendum zeigt: Der Franquismus lebt im Staat und im
Selbstverständnis seines Personals fort und eine ,,Entnazifizierung“
hat es im Staatsverständnis Spaniens nie gegeben. Das wird auch
sichtbar an den Versuchen der spanischen Eliten, bis heute gedenk-
und aufarbeitungspolitische Ansätze für die Opfer des Faschismus zu
sabotieren. Genau für einen Bruch mit diesem spanischen,
franquistischen Staatsverständnis stehen aber mitunter die
nationalen Minderheitenbewegungen in Spanien, die daneben noch die
nach wie vor bestehende ehemalige Stütze des Franquismus – die
spanische Krone – angreifen. Es geht also um mehr in Katalonien.
Nationale, demokratische und soziale Frage fließen dort gerade
zusammen. Insbesondere zur sozialen und demokratischen Frage sollten
wir uns als internationale Linke verhalten, auch wenn wir dem
nationalen Teil der Agenda, dem Separatismus und einigen Strömungen
in der katalanischen Bewegung kritisch gegenüberstehen. Solidarisch
gegen die post-franquistische Repression ist das mindeste, was zur
Zeit geboten wäre.</p></div>
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