re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=6172021-11-10T08:48:35.658684+00:00Deutsche Demokratische Republik – kurz: DDR (Teil 2)2021-11-10T08:46:19.577737+00:002021-11-10T08:48:35.658684+00:00Autoren-Kollektiv Ostredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/deutsche-demokratische-republik-kurz-ddr-teil-2/
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<h1>Deutsche Demokratische Republik – kurz: DDR (Teil 2)</h1>
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<div class="rich-text"><h3><br/><b>Demokratie ohne Parlamentsinszenierug</b></h3><p>Im realen Sozialismus der DDR kam es nicht zum, in Anlehnung an Lenincund von vielen westlichen Marxisten als Grundvoraussetzung geforderten, plakativen „Absterben des Staates“. [1] Allein aus dem Grund, weil die sozialistische Übergangsgesellschaft aus dem Kapitalismus kommend sich erst hin zu den gewünschten Idealen entwickeln muss. Davon ausgehend wurden Strukturen etabliert, die mit den Heutigen so wenig zu tun haben, dass es einfach erscheint sie per se als undemokratisch abzutun. Die DDR wollte keine bürgerliche parlamentarische Demokratie sein, sie hätte damit ihren Anspruch, jedem die gleich Teilhabe am Gemeinwesen zu ermöglichen, verfehlt. Entgegen des Vorwurfes der „Einparteien-Herrschaft“ gab es reichlich Parteien, die unterschiedliche Milieus in den Prozess des Aufbaus des Sozialismus einbinden sollten. Und zusätzlich Massenorganisationen, die bestimmte Großgruppen der Bevölkerung vertreten sollten, zum Beispiel Jugend und Frauen, deren Interessen als grundsätzlich gesellschaftlich relevant angesehen wurden, weshalb sie eine eigene Vertretung jenseits parteipolitischer Erwägungen haben sollten. Pseudopolitische Rituale, wie sie in der parlamentarischen Demokratie betrieben werden, die nur der Profilierung der einen oder anderen Partei dienen, Prozesse endlos in die Länge ziehen und im Ergebnis lediglich kosmetische Veränderungen bringen, während sie letztlich die Ungleichheiten zementieren - die Reichen reich, die Armen arm - waren dem Realsozialismus fremd. Ziel des Gemeinwesens war dagegen die materielle Gleichheit.</p><p>Geringe Ausschläge nach oben oder unten sollten mit sozialpolitischen Maßnahmen des Staates kompensiert und ausbalanciert werden. Unterstützte man diesen anzustrebenden verfassungsmäßigen Grundsatz, und wer könnte als Humanist*in etwas dagegen haben, war man aufgefordert am Prozess gesellschaftlicher Veränderung teilzunehmen und damit Teil der sozialistischen Zivilgesellschaft. Deren Arbeit sollte in schon bestehenden oder neu zu gründenden staatlich unterstützten Strukturen stattfinden, so zum Beispiel die Seniorenbetreuung in der „<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Volkssolidarit%C3%A4t">Volkssolidarität</a>“ oder in vielerlei gesellschaftlichem Engagement vom Umweltschutz bis zur Interessenvertretung von Homosexuellen unter dem Dach des „<a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturbund_der_DDR">Kulturbundes</a>“. Dort musste nichts von oben angeordnet werden, niemand wartete auf irgendwelche „Direktiven“. Gab es dennoch solche Direktiven, die bei den proklamierten gesellschaftspolitischen Zielen nicht ungewöhnlich waren, waren sie hilfreich, sicherten sie doch den Anspruch auf Ressourcen, um die Bedürfnisse der jeweiligen Klientel zu erfüllen. Wollte man unabhängig gesellschaftlich aktiv werden, wurde man argwöhnisch beäugt und unter die Lupe genommen, um zu prüfen, ob neben dem sozialen und kulturellen Engagement nicht auch ein politischer Zweck dahintersteckte. War dies nicht der Fall, wurde man „eindringlich eingeladen“, doch die etablierten Strukturen zu nutzen.</p><p>Dieses Vorgehen stieß sicher manchmal auf den Unmut der Beteiligten, hatte aber dann, wenn man staatlich akzeptiert war, seine Vorteile, konnte man doch langfristig finanziell gesichert seine Arbeit nachgehen. Ist das politische Gängelung oder Einflussnahme von oben? Natürlich gab es Funktionär*innen, die in solchen Fragen dogmatisch zu Werke gingen und damit einiges an Initiative von unten kaputtmachten und Engagierte so unter das Dach vor allem der evangelischen Kirche als vermeintlichen Teil der Opposition drängten, welche nicht zwangsläufig staatliche Repressionen nach sich zogen. Aber es gab auch die anderen, die Engagement förderten. Und bei aller Kritik überwog doch das Letztere, wenn die Vielfalt der Arbeit in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Organisationen, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Massenorganisation#Massenorganisationen_in_der_DDR">Massenorganisationen</a>, betrachtet wird.</p><p>Die Bewegung, die 1989 den Sozialismus schließlich besser machen wollte und heute im Westen gerne zu einer bürgerlichen Demokratiebewegung umgedeutet wird, war nicht nur von ein paar randständigen Dissident*innen getragen. Es waren Menschen, die auch schon vorher im Beruf oder darüber hinaus Verantwortung getragen hatten. Objektiv gesehen waren die Bedingungen, unter denen Bürger*innen realsozialistischer Gesellschaften Reformen hätten verwirklichen können, vorhanden. Die Knappheit materieller Ressourcen ließ aber Vieles, was als wünschenswert gefordert wurde, nicht zu. Die Defizite lagen dabei weniger in den daraus folgenden Prioritätensetzungen, sondern vielmehr in der Unfähigkeit, die in Expertengremien manchmal schmerzlich getroffenen Notwendigkeiten, demokratisch breit zu kommunizieren. Dieses Manko offenbarte die mit der Zeit eintretende Distanz von Verwaltungsstrukturen und Betroffenen. Hätte man an den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln etwas Grundsätzliches ändern wollen, hätte man unter den gegebenen Bedingungen, die Staatsräson, die soziale Gleichheit, in Frage stellen müssen. Dass dies ein Kernanliegen der Reformbewegung von 1989 gewesen sein soll, bleibt eine phantastische Erzählung der Leitmedien.</p><p>Tatsächlich verfuhr der realsozialistische Staat selbst ab den 80er Jahren schon sehr flexibel mit diesem Ideal. Ein Beispiel war die Befriedigung der Wünsche nach größeren Konsummöglichkeiten mit Hilfe der „Exquisit-Läden“, in denen dann aber auch teilweise Waren des täglichen Bedarfs zu deutlich höheren Preisen zu finden waren. Das waren Maßnahmen, die kurzfristig Probleme angehen sollten, gleichzeitig aber wieder Unzufriedenheit auslösten, da sie Ungleichheiten produzierten. Die von der Bevölkerung nie in Frage gestellte, selbstverständliche Gleichheit Aller - für sie Gradmesser des Sozialismus - begann somit von innen heraus ausgehöhlt zu werden.</p><h3><b>Fehlerdiskussion im sozialistischen Aufbau</b></h3><p>Die, die in der DDR gelebt haben, sind wahrscheinlich die Einzigen, die einschätzen können, ob man dort seine Meinung sagen konnte oder eher nicht. Man konnte es, solange man den Sozialismus und seine Grundlagen öffentlich nicht in Frage stellte. Kritik war sogar gewollt, wusste man doch um ihr Potenzial, Verbesserungen anzuregen. Doch traf diese Kritik, berechtigt oder nicht, natürlich nicht immer nur auf Zustimmung der Entscheidungsträger*innen. Grundsätzlich ist Kritik immer unbequem und beide Seiten müssen in der Lage sein konstruktiv mit ihr umzugehen. Das war von offizieller Seite, wenn es um die größeren Fragen ging, selten der Fall. Vielmehr versuchte man, vor allem für den Westen, ein Bild allseitiger Harmonie zu zelebrieren, das unrealistisch und für eine lebendige Gesellschaft auch nicht erstrebenswert ist. Eine „offene Fehlerdiskussion“ hätte viel mehr Glaubwürdigkeit bei der eigenen Bevölkerung erzeugt und auch weniger „Munition für den Klassenfeind“ hergegeben.</p><h3><b>Debattenkultur und Zensur</b></h3><p>Presse, Rundfunk und Fernsehen, und alle anderen Publikationen unterlagen einer Zensur. Wieder war der Grund, zu verhindern, dass der Sozialismus und seine Grundlagen öffentlich in Frage gestellt werden. Es gab keine vom Staat unabhängigen Medien, weil alles, was ein bestimmtes Maß an Öffentlichkeit produzierte, und damit über das Private hinausging, allen nützlich sein sollte. Das schloss Einzelinteressen in Konkurrenz zu anderen aus, denn man war in einer Gesellschaft der Gleichberechtigten ja auf Ausgleich und Kooperation angewiesen. Um die Publikation solcher Inhalte wirksam auszuschließen, wurden Veröffentlichungen vorher geprüft. Das war sicher kein Vertrauensbeweis der SED gegenüber dem Rest der Bevölkerung und unterminierte das Gleichheitsideal in diesem Verhältnis. Die DDR-Führung folgte damit dem, was schon der Praktiker Lenin fand: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Im heutigen real existierenden Kapitalismus sind es die Chefredaktionen und Eigentümer*innen, die in ihrem privatkapitalistischen und marktwirtschaftlichen Interesse die politische Linie in den „Qualitätsmedien“ festlegen. Zum ganzen Bild gehört auch, dass die zensierende, führende Staats- und Regierungspartei im Jahr 1987 über 2 Millionen Mitglieder hatte und damit über 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Auch alle anderen Parteien und Massenorganisationen und damit ihre insgesamt hunderttausenden Mitglieder, hatten sich entsprechend ihrer Satzungen dem Sozialismus verpflichtet.</p><h3><b>Reisen entlang der Systemkonkurrenz</b></h3><p>Die DDR war nicht eingemauert, der Weg nach Osten stand offen und das zu den damals weltweit üblichen Bedingungen. Es gab Länder mit und ohne Visa-Freiheit. Dies galt zunächst nicht in Richtung Westen. In den 80er Jahren, vor der Maueröffnung, wurde es jedoch zunehmend auch für Personen im Erwerbsalter, allerdings nur in Verwandtschaftsangelegenheiten und auf Antrag, möglich dorthin zu reisen. Neben dem nicht zu unterschätzenden Fakt der Systemkonkurrenz und seinen unangenehmen Begleiterscheinungen, war der Grund natürlich, die <a href="https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47253/zug-nach-westen">Abwanderung von Fachkräften</a> bei vorheriger Finanzierung ihrer Ausbildung. In den 1950er Jahren, vor dem Mauerbau, sollen es ein Drittel der Akademiker gewesen sein. Als nach dem 2.Weltkrieg ein <a href="https://archiv.ossietzky.net/7-2008&textfile=49">gemeinsamer deutscher Staat</a> aufgrund der rigorosen Ablehnung des Westens immer unrealistischer wurde, sah man sich gezwungen die letzte Option zu ziehen und die Grenze zu schließen, um die Realisierbarkeit des humanistischen Ideals Sozialismus weiterhin zu gewährleisten.</p><p>Jenseits aller Psychologisierungen ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für die Bürger*innen der DDR durch die Entscheidungsträger*innen bestimmt nicht leicht gefallen. Der gelungene Coup, den Westen vollkommen überrascht zu haben, löste wahrscheinlich schon Genugtuung aus. In den 80er Jahren gewann die Ausreisebewegung in bestimmten kulturellen Milieus an Bedeutung, spielte aber im Alltag der Arbeiter*innenschaft weiterhin eine sehr marginale Rolle. Der Mangel an Devisen tat auch in der Reise-Frage sein Übriges. Da die Währung der DDR international nicht konvertibel war, um Währungsspekulationen und damit den Einfluss von außen auf die Volkswirtschaft zu verhindern, musste der Staat jedem*r Bürger*in mit einem Mindestmaß an Reisezahlungsmitteln ausstatten, wollte er seinem Anspruch, die Alternative zum Kapitalismus zu sein, gerecht werden.</p><p>Für Osteuropa war das kein Problem, war man doch politisch wie wirtschaftlich verbunden. Aber anstatt die mühsam im Export mit dem Westen erwirtschafteten Geldmittel individuell-touristischen Zwecken zur Verfügung zu stellen, entschied man sich, sie in die planmäßig zu entwickelnde Gesellschaft der Gleichberechtigten zu stecken. Das ist ein weiteres Beispiel von vielen für die Bevorzugung des Gemeinwohls gegenüber dem Interesse Einzelner. Der Grund für diese Prioritätensetzung war, dass bestimmte Güter nur auf dem Weltmarkt für harte Dollar oder D-Mark gekauft werden mussten, da der <a href="https://www.helle-panke.de/de/topic/158.publikationen.html?productId=68453">Rat</a> für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) seine Aufgabe, Arbeitsteilung unter den realsozialistischen Ländern zu organisieren, wegen falsch verstandener Eigenständigkeit einiger seiner Mitgliedsstaaten, nicht vollumfänglich realisieren konnte. [2] Trotzdem hätte man in Reise- und Ausreisefragen mit der Zeit Lösungen finden müssen, um Unzufriedenheiten abzubauen. Das wäre durch eine frühzeitigere, also nicht erst im Rentenalter und/oder periodische Möglichkeit der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR umzusetzen gewesen oder durch mehr kollektiven Reisen in den Kapitalismus, mit Abstechern auch in die Arbeiter:innen-Milieus, oder über die FDJ-Freundschaftsbrigaden hinausgehende Solidaritätsaufenthalte in die Länder des globalen Südens, bei denen neben personellen Ressourcen auch Sicherheitsfragen der eingesetzten Fachkräfte eine Rolle spielten.</p><h3><b>Selbstbewusst in die Diskussion</b></h3><p>Das alles und noch viel mehr war die Deutsche Demokratische Republik – kurz: DDR. Um sich als gesellschaftliche Linke den heute drängenden sozialen und sich daraus ergebenen politischen Fragen in Ostdeutschland zu widmen, muss ein ein kritischer aber gleichfalls solidarischer Blick auf die konkreten historischen Antworten eines realen, nicht theoretischen, Sozialismus gelenkt werden. Die Versuche ernsthafte soziale und wirtschaftliche Lösungen als Alternative zum Kapitalismus zu finden, sind in einer Fülle von wissenschaftlich Studien, mit mehr oder weniger ideologischer Interpretation und unterschiedlichster politischer Couleur dokumentiert. Zusätzlich kann jeder, der aus dem Osten kommt oder jemanden dort kennt, versuchen, sich über Biografien „gelernter DDR-Bürger“ auch ein subjektiv geprägtes Bild zu verschaffen.</p><p>Im Zentrum einer Diskussion um eine eigenständige ostdeutsche Linke sollten keine allseits bekannten Debatten und Auseinandersetzungen um theoretische Fragen realsozialistischer Bewegungen und Projekte stehen, spiegeln diese doch nur die unterschiedlichen Vorstellungen der jeweiligen Protagonist*innen über eine postkapitalistische Gesellschaft wieder, die man auch mit dem „besseren Argument“ nicht endgültig klären kann. Ostdeutsche sollten selbstbestimmt, ohne Rechtfertigungszwang und vor allem selbstbewusst ihre Themen setzen, die sich aus ihrer eigenen Geschichte ergeben.</p><p>Nicht nur, aber vielleicht auch gerade wegen der gut gemeinten, gönnerhaft wirkenden Erzählung eines „deformierten Arbeiter- und Bauernstaates“ aus den unterschiedlichsten Lagern der westdeutschen Linken, halten wir mit Vehemenz an der konkreten gesellschaftlichen Erfahrung der DDR fest: Sie war ein Land, das dem Ideal der sozialen Gleichheit seiner Bürger*innen sehr nahe kam, weil diejenigen, die das gesellschaftliche Mehrprodukt erwirtschafteten, auch die Verfügungsgewalt darüber hatten. Und das bei allen existierenden Defiziten.</p><p><i>Im dritten und letzten Text der inzwischen dreiteiligen Artikelserie „</i><a href="https://revoltmag.org/articles/warum-eine-ostdeutsche-linke/"><i>Warum eine ostdeutsche Linke?“</i></a><i> sollen deren politische Bewegungsform, das anzusprechende Milieu und die grundsätzliche inhaltliche Ausrichtung, beschrieben anhand ausgewählter Politikfelder, andiskutiert werden.</i></p><p></p><hr/><p></p><h3>Quellen:</h3><p>[1] Lenin, Wladimir Iljitsch: Staat und Revolution, Wladimir Iljitsch Lenin Werke, Band 25, Berlin/DDR, S.393-507, 1972.<br/></p><p>[2] Roesler, Jörg: 1962.1971 - Schicksalsjahre des RGW, Reihe "Pankower Vorträge", Heft 215, 2017.</p><p></p></div>
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Deutsche Demokratische Republik – kurz: DDR (Teil 1)2021-10-01T09:04:30.026382+00:002021-10-02T17:33:00.322325+00:00Autoren-Kollektiv Ostredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/deutsche-demokratische-republik-kurz-ddr-teil-1/
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<div class="rich-text"><p></p><p><b><i>Dies ist der Anfang eines zweiteiligen Artikels. Er gehört zu der im Frühling 2021 gestarteten Serie „Warum eine ostdeutsche Linke?“.</i></b></p><p></p><p>Für Menschen die bewusst in der DDR gelebt haben ist die Frage nach deren Charakter eine einfache. Sie können sich aufgrund ihrer damals erworbenen Alltagserfahrungen eine subjektive und - durch den Filter heutiger gesellschaftlicher Zustände - eine auf der Erfahrung mit zwei Systemen basierende realistische Meinung bilden. Schwierig ist es für die Nachgeborenen, für die aus Westdeutschland sowieso. Für die dritte Generation Ostdeutsche, welche die DDR nicht bewusst erlebt hat, ist die Ausgangslage diesbezüglich auf den ersten Blick besser, auf den zweiten umso verwirrender. Die „Leitmedien“, fest in westdeutscher Hand, zeichnen mitnichten ein realistisches Bild, denn sie verfolgen das Interesse, das heutige kapitalistische Gesamtdeutschland zu legitimieren. Im Kalten Krieg und seit der Wiedervereinigung ist eine Struktur in Kultur, Wissenschaft und Politik entstanden, die die dafür notwendige Erzählung gesellschaftlichen Stimmungen immer wieder anpasst.</p><p>Auf der anderen Seite steht die ostdeutsche Halböffentlichkeit, vor allem das familiäre Umfeld, das ein differenzierteres Bild zeichnet.</p><p>Für Linke wirkt sich das eigene politische Milieu nicht förderlich aus - selbst wenn man sich in einem marxistischen Umfeld bewegt -, denn man hat es bei der übergroßen Mehrheit mit dem westeuropäischen Blick auf den Realsozialismus zu tun. Der Tenor ist, der Sozialismus der DDR sei ein orthodoxer Arbeiterbewegungs/Parteien-Sozialismus gewesen, der diesen Namen eigentlich nicht verdient, oder gar Staatskapitalismus, autoritär, deshalb anti-emanzipatorisch, ökonomisch ineffizient und so weiter. Mitnichten sei er das gewesen, „was Marx beabsichtigte“, und deshalb nicht der Mühe wert, sich mit ihm zwecks Erfahrungstransfer zu beschäftigen. Letztlich ist dieses Urteil identisch mit dem der bürgerlichen Presse.</p><p>Die, die etwas anderes behaupten, sind gesellschaftlich marginalisiert. So ist es leicht, sie als nicht ernstzunehmende politische Sekten abzutun, und zum großen Teil trifft dieses Urteil zu. Ostdeutsche ohne eigene DDR-Erfahrung tendieren dazu, diese hegemoniale Meinung anzunehmen. Die Wiedervereinigungserzählung in ihrer Alternativlosigkeit, die schlussendlich doch „blühende Landschaften“ gebracht haben soll, stellen sie hingegen eher in Frage, denn die familiären Erzählungen von Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und der überwiegende Ausschluss aus gesellschaftlichen Diskussionen aufgrund ihrer Herkunft stehen dazu konträr. Die „Leitmedien“ haben diesen Trend erkannt und lassen ein wenig Dampf aus dem Kessel. Wurde die DDR die letzten 30 Jahre entweder beschwiegen oder wie zu Zeiten des Kalten Krieges denunziert, wird heute zumindest ihre kulturelle Alltagsgeschichte erzählt, natürlich immer mit dem Fingerzeig auf die „SED-Diktatur“.</p><p>Konzessionen machen die Medien neuerdings auch beim Thema Wiedervereinigung, die immer noch ein großes Geschenk für die Deutschen ist (vor allem aus westdeutscher Perspektive). Es wurden Fehler gemacht, sagt man heute - Stichwort Treuhand [1]. Der ostdeutsche Abwicklungsprozess, der die darauffolgende gesamtgesellschaftliche Deregulierungsära einleitete, lässt sich medial mit seinen bis heute spürbaren Folgen nicht mehr unterschlagen. Die Liquidierung einer vermeintlich maroden Planwirtschaft und ihrer Industrien bleibt in dieser Erzählung jedoch weiterhin unausweichlich. Dass das Quatsch ist, weiß jeder, der sich mit der Materie beschäftigt. Selbst in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft kann man unter seriösen Historiker*innen diese These nicht mehr vertreten. <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/38373">Sie widerspricht den historischen Fakten</a>, was die statistischen Belege im Folgenden dokumentieren. Diese Erkenntnisse, ein Ansatzpunkt für eine ostdeutsche Linke, schafft es jedoch selten in die Massenmedien.</p><p></p><h2>Erst Verstehen, dann Bewerten<br/></h2><p>Schlussfolgerungen für eine eigenständige Politik, vor allem auch aus dem linken Lager, werden aus den ostdeutschen Realitäten aber nicht gezogen. Eine Diskussion darüber wird trotz der unübersehbaren und zunehmenden Distanz zu gesellschaftlichen Groß-Gruppen als „rückwärtsgewandt“ disqualifiziert. Die gesellschaftliche Linke kümmert sich in ihrer Mehrheit entweder aus Mangel an Kompetenz nicht um ökonomische Fragen oder schwelgt in Zeiten der Globalisierung in irrealen konservativ-romantischen Vorstellungen von Kleinteiligkeit und Dezentralisierung. Das Höchste der Gefühle sind Diskussionen über Vergesellschaftung der öffentlichen Daseinsfürsorge. Für den Rest der ressourcenverschwendenden Marktwirtschaft gibt es ein paar theoretische Überlegungen zur Wirtschaftsdemokratie - scheinradikale Ausrutscher, die niemanden weh tun, weil sie von Ansätzen der Realisierbarkeit Lichtjahre entfernt sind.</p><p>Die Beschränkung auf entweder „Delegitimation“ oder „Rehabilitation“ realsozialistischer Verhältnisse verunmöglicht den Rückgriff auf deren nachgewiesene anwendbare Lösungen für heutige gesellschaftliche Probleme. Auch linke postkapitalistische Diskussionen machen mit bei der Reduktion auf diese beiden Extrema, welche die Gegenseite vehement forciert und zu ihren Gunsten ausnutzt.</p><p>Eine <i>kritisch-solidarische Aufarbeitung</i> der DDR-Wirtschaftsgeschichte wäre für das zur Schau gestellte, überbordende westdeutsche Selbstbewusstsein lästig. Besonders dann, wenn man feststellen müsste, dass die vielgescholtene Planwirtschaft realsozialistischer Prägung es geschafft hat, das Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt der BRD nach dem zweiten Weltkrieg, in 40 Jahren pro Kopf von 39 Prozent auf 55 Prozent zu verbessern [2]. Die Anfangsdifferenz hatte ihre Ursachen in historisch-strukturellen Unterschieden im Laufe der industriellen Entwicklung, vor allem aber durch die zu leistenden Reparationen an die Sowjetunion. Nebenbei erwähnt, hatte die DDR von Mitte der 1960er bis Mitte der 80er Jahren durchgängig höhere wirtschaftliche Wachstumsraten als die BRD [3]. Das führte dazu, dass das Land 1988 beim pro Kopf Bruttoinlandsprodukt (12.197 Euro [4]) in Europa auf Platz 14 lag, knapp hinter <a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">Großbritannien</a><a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html"> (13.700</a> <a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">Euro</a><a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">)</a> und <a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">Italien</a> <a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">(13.500</a> Euro<a href="http://www.economic-growth.eu/Seiten/20-Jahres-Ueberblick/BIP-pro-Kopf-20_Jahre.html">)</a>, deren gesellschaftlicher Reichtum aufgrund kapitalistischer Verhältnisse natürlich eine immense Ungleichverteilung aufwies. Eine historische Leistung vor allem der ostdeutschen Arbeiter*innenschaft unter den Vorzeichen von Ressourcenknappheit und einer vom Westen betriebenen Embargopolitik eines immer weitergehenden Ausschlusses des Ostblocks aus der internationalen Arbeitsteilung.</p><p>Das war die Ausgangslage bei der Wiedervereingung und das Ergebnis ist bekannt: kein Aufholen oder Konsolidieren – sondern Deindustrialisierung mit all ihren Folgen. Bei der Ursachenforschung für den Zustand der heutigen ostdeutschen Gesellschaft kann man deshalb nicht erst beim Prozess der deutschen Einheit beginnen, sondern muss sich mit der DDR beschäftigen, um zu verstehen, warum heute so viele Ostdeutsche, auch die Nachgeborenen, so unzufrieden mit der Lage in ihrem Teil des Landes sind.</p><h2>Einheit und sozialistischer Aufbau (im Osten)</h2><p>Die DDR war das Resultat des vom deutschen Faschismus angezettelten und verlorenen Zweiten Weltkrieges. Nicht alle Deutschen haben die Nazis unterstützt. Der Stimmenanteil von über 30 Prozent für SPD und KPD bei den letzten Reichstagswahlen am 5. März 1933, schon <i>nach</i> der Machtergreifung, sind ein klares Indiz dafür, dass der Großteil der Arbeiterklasse sich nicht mit den Faschisten identifizierte.</p><p>Nach der Kapitulation der Wehrmacht wurde Deutschland in Besatzungszonen der Siegermächte aufgeteilt. Die Sowjetunion hatte ein Interesse an einem neutralen, entmilitarisierten und ungeteilten Gesamtstaat unter alliierter Überwachung, um eine erneute aggressive Entwicklung zu verhindern. Alle Spaltungsinitiativen in den folgenden Jahren gingen historisch bewiesenermaßen von den westlichen Besatzungszonen und der späteren Bundesrepublik aus: Währungsreform [5], Staatsgründung [6], <a href="https://ifddr.org/studien/studies-on-the-ddr/auferstanden-aus-ruinen/">Wiederbewaffnung</a>. Die Schließung der innerdeutschen Grenze und die Berliner Mauer waren eine Reaktion auf den Kalten Krieg zweier hochgerüsteter, konkurrierender, grundsätzlich unterschiedlicher Gesellschaftsentwürfe.</p><p>Die ostdeutschen Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen hatten ihre Lehren aus dem Dritten Reich gezogen und waren der Meinung, dass nur der Aufbau des Sozialismus, schon immer Ziel der Arbeiter*innenbewegung, eine neue Tragödie verhindern könne. Das Verhalten der neuen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren">Bundesrepublik mit ihren wieder in Amt und Würden gekommenen Alt-Nazis</a> <b>[7]</b> bestätigte dies nur. Das man in solch einer Situation auf die Erfahrungen des ersten sich sozialistisch nennenden Landes, das gleichzeitig die eigene Besatzungsmacht war, setzte, ist nicht überraschend.</p><p>Marx und seinen Analysen folgend, war die Herstellung nicht nur der politischen, sondern auch der materiellen Gleichheit vonnöten, um das Ideal einer aus Gleichberechtigten bestehenden Gesellschaft zu erreichen. Letzteres hatte die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und seine Überführung in gesellschaftliches zur Voraussetzung: Volkseigentum. Jede*r sollte und konnte am Gedeihen des Gemeinwesens teilnehmen, weshalb Arbeitslosigkeit qua definitionem ausgeschlossen war. Diese Gründungsmaxime war bis zum Ende der DDR nicht verhandelbare Staatsräson und Grundlage jeglicher gesellschaftspolitischen Entscheidung.</p><h2>Die unumstrittenen Vorzüge der DDR, ein sicheres Terrain…</h2><p>Der Zugang zum <i>Bildungs- und Gesundheitswesen</i> war für alle kostenlos.<br/>Frühkindliche Erziehung und Bildung mit pädagogischen Standards, eine gleiche allgemeinbildende polytechnische Schulbildung für alle Kinder bis zur zehnten Klasse, sehr wenige Spezialschulen für die wirklich Hochbegabten, natürlich auch aus Arbeiterfamilien, bildeten die Grundstruktur des Bildungswesens. Danach folgten entweder ein zweijähriges Abitur oder eine Berufsausbildung, wahlweise mit Abitur. Es gab für jede*n Jugendliche*n eines dieser Angebote, entsprechend ihrer*seiner Fähigkeiten. Nach der Hochschulreife war ein Studienplatz garantiert, nicht ausschließlich nach den eigenen Wünschen, sondern abhängig von den schulischen Leistungen und dem gesellschaftlichen Bedarf. Man bildete nur so viele Fachkräfte aus, wie die Gesellschaft benötigte. Das Resultat: ein gesicherter Arbeitsplatz im erlernten Beruf für die Absolventen und ein effizienter Umgang mit vorhandenen Ressourcen, die auch in anderen Bereichen der Gesellschaft benötigt wurden. Auch entfiel der Druck zum sozialen Aufstieg, denn Gleichheit war garantiert, alltäglich spürbar im Respekt gegenüber Hand- wie Kopfarbeit, der sich in den, im Vergleich zu heute, um ein Vielfaches geringeren Unterschieden in den Löhnen widerspiegelte.</p><p>Das <i>Gesundheitswesen</i> war effizient organisiert, um die medizinischen Bedürfnisse der Bevölkerung auf modernstem Niveau zu befriedigen. Es gab <b>eine</b> staatliche Krankenkasse, Polikliniken, in denen alle medizinischen Fachrichtungen einer ambulanten Betreuung ortsnah konzentriert waren. Grundsätzlich setzte man auf Prävention statt auf eine Gerätemedizin, die Menschen heilen soll, die zuvor vielfach zu krankmachendem Konsum animiert wurden und mit der wieder viel Geld verdient werden kann. Natürlich gab es auch die hochspezialisierten Kliniken in der DDR, für die es aufgrund des gemeinwohlorientierten Ansatzes der Gesellschaft weniger Bedarf gab.</p><h2>…mit Perspektive, Kitaplatz und Zentralheizung</h2><p>Im <i>volkseigenen Wohnungswesen</i> war die <a href="https://www.helle-panke.de/de/topic/158.publikationen.html?productId=62483">W</a><a href="https://www.helle-panke.de/de/topic/158.publikationen.html?productId=62483">ohnung</a><a href="https://www.helle-panke.de/de/topic/158.publikationen.html?productId=62483">sfrage</a><a href="https://www.helle-panke.de/de/topic/158.publikationen.html?productId=62483"> als soziales Problem</a> Ende der 80er Jahre gelöst. Kosten und Nutzen ins Verhältnis setzend, war es der Plattenbau am Stadtrand, weniger die Sanierung der Altbauen, sondern ihr teilweiser Abriss, der zu diesem Ergebnis führte - eine Methode übrigens, die zur selben Zeit auch in Westdeutschland Anwendung fand. Dass genug gebaut wurde (und das grundsolide und langlebig), kann man heute sehr einfach daran erkennen, dass wegen des massiven Bevölkerungsschwundes in Ostdeutschland Wohngebäude abgerissen, „zurückbaut“ werden, um einen Marktzustand herzustellen, der Rendite für private Wohnungsunternehmen garantiert. Um diesen eigentlich absurden Vorgang in Zeiten exorbitant steigender Wohnungsmieten zu legitimieren, ist es auch in dieser Frage dann wieder eine sich mehrheitlich als linksliberal verstehende Mittelschicht, die die dafür notwendige Begründung für den DDR-Kontext produziert: grundsätzliche hässliche Architektur, fast schon menschenunwürdig, weil, wie man ja heute sieht, Orte der sozialen Ausgrenzung und damit Grundlage für Diskriminierung. Ein Argument von Gut-Situierten, die ansonsten die Architektur der Bauhaus-Moderne für ihr Eigenheim als Gipfel der Ästhetik verstehen. Eine industrielle Großsiedlungsform mit viel Licht, Luft und Grün für alle ist aber eine zu beendende autoritäre Anmaßung. Eine Pseudo-Kritik, die sich gesellschaftlichen Ursachen von sozialen Lagen verweigert, sie vielmehr durch eine Umkehr von Ursache und Wirkung verschleiert.</p><p>Teil der gelösten Wohnungsfrage waren in der DDR selbstverständlich die Mietpreise: eine Drei-Zimmer-100qm-Altbauwohnung mit Ofenheizung kostete kalt circa 100 DDR-Mark, die Neubauwohnung etwas mehr. Das war natürlich nicht kostendeckend. Das musste es auch nicht, denn sie wurde wie vieles andere vom Staat subventioniert, aus der sogenannten zweiten Lohntüte, die nicht ausgezahlt wurde. Von allen erwirtschaftet, für alle.</p><h2>Die schwierigen Themen</h2><p>Bildungs-, Gesundheits-, Wohnungswesen, der Zugang zu Kunst, Kultur und Sport und so weiter, all die sozialen Errungenschaften sind Wohlfühlthemen, wenn es um eine Einschätzung der DDR für Unvoreingenommene geht. Zwar versuchen die bürgerlichen Medien es auch hier mit dem Umdeuten offensichtlich positiver Maßnahmen, doch die Argumentationen klingen zunehmend gewollter, und nicht nur für in der DDR Sozialisierte immer absurder.</p><p>Aber bei vielen Linken verfängt das Diktatur-Argument. Der Weg ist dann nicht weit bis zur Assoziation mit der Sozialpolitik im Dritten Reich, nur für Arier, das in der Kampf-Begrifflichkeit der „zwei deutschen Diktaturen“ seine Entsprechung findet. Aber egal, ob man dem zustimmt, so demokratisch wie es heute im zwar „bösen“ Kapitalismus zugeht, sei es in der „SED-Diktatur“ ja nun wahrlich nicht gewesen und in der Öffentlichkeit hätten alle nur geflüstert, wegen der Staatssicherheit und so. Das Ertragen der Unfreiheit hätte sich das „Regime“ über soziale Zugeständnisse erkauft. So, oder so ähnlich, ist die Erzählung.</p><p>Jenseits von Sozialpolitik betritt die wohlwollende Betrachter*in von DDR-Realitäten aber unsicheres Terrain. Themen, wie Demokratie, Zivilgesellschaft, Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit versucht man lieber zu umgehen, weil dies zwangsläufig zum Hinterfragen westlich-bürgerlich-liberaler Gesellschaften und ihrer wie eine Monstranz vor sich hergetragener „Werte“ führen müsste.<br/></p><p><i>Ende des Monats erscheint die Fortsetzung, in der wir uns mit diesem unsicheren Terrain beschäftigen.</i></p><hr/><h3><b>Anmerkungen:</b></h3><p><b>[1]</b> Zum Thema Treuhand siehe auch: <a href="https://www.zeroone.de/movies/goldrausch-die-geschichte-der-treuhand/">https://www.zeroone.de/movies/goldrausch-die-geschichte-der-treuhand/</a></p><h3><b>Quellen:</b></h3><p><b>[2]</b> <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/38373">Heske, Gerhard: Wertschöpfung, Erwerbstätigkeit und Investitionen in der Industrie Ostdeutschlands, 1950-2000. Daten, Methoden, Vergleiche. Historical Social Research, 38(4), 2013</a>, S. 29.</p><p><b>[3]</b> <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/38373">Ebd.</a> S. 25.</p><p><b>[4]</b> <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/28587">Heske, Gerhard</a>:<a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/28587"> Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung DDR 1950-1989: Daten, Methoden, Vergleiche. Historical</a> <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/28587">Social Research, Supplement, 21, 2009</a>, S. 248.</p><p><b>[5]</b> Unentdecktes Land e.V.: Ausstellungskatalog „Unentdecktes Land“, 2019, S. 22.</p><p><b>[6]</b> Ebd. S. 6.</p><p><b>[7]</b> Nobert Podewin (Hrsg.): Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Berlin 1968.</p><p></p><hr/><p>Bildlizenz: <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/">(CC BY-NC 2.0)</a></p></div>
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Warum eine ostdeutsche Linke?2021-03-26T10:47:19.164463+00:002021-03-26T12:39:24.110411+00:00Autoren-Kollektiv Ostredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/warum-eine-ostdeutsche-linke/
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<h1>Warum eine ostdeutsche Linke?</h1>
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<div class="rich-text"><p><i>Die beiden Autoren trennt beinahe eine ganze Ost-Generation. Doch die aktuelle politische Entwicklung der sozialen Frage in Ostdeutschland und die damit verbundenen Projekte, wie zum Beispiel</i> <a href="https://twitter.com/aufbruchost?lang=de"><i>Aufbruch Ost</i></a><i>, entfalten Kräfte, die viele Ost-Linke unterschiedlichster Prägung zusammenbringen. Im Kontext der Auseinandersetzung über linke Strategien aus der Perspektive von Lohnabhängigen in Ostdeutschland entstand dieser Text als Auftakt einer Artikelserie. In dieser wollen wir den gesellschaftlichen Erfahrungen realsozialistischer Praxis aus Beschäftigungs-, Bildungs-, und Gesundheitspolitik etc. nachgehen, um daraus mögliche Perspektiven eines sozialistischen Aufbruch Ost abzuleiten. Ein Aufbruch, der sich nicht auf importierte und damit unrealistische Politikkonzepte stützt, sondern Antworten aus der konkreten Situation der Lohnabhängigen in Ostdeutschland entwickelt.</i></p><h3><b>Von großen Hoffnungen…</b></h3><p>Jede Gesellschaft hat einen spezifischen Charakter, der von der politischen Ökonomie, einer darauf basierenden Kultur und historischen Grundlagen abhängig ist. Das gilt für kapitalistische, wie für sozialistische Gesellschaften: die eine beruht auf Konkurrenz, die andere auf Kooperation. Vor nunmehr 30 Jahren wurde der nach dem 2. Weltkrieg entstandene realsozialistische Teil Deutschlands, die DDR, dem größeren, kapitalistischen Teil, der BRD, angeschlossen. In der DDR hatte eine knappe Mehrheit in den März-Wahlen 1990 der Allianz für Deutschland den Auftrag für einen schnellen Vollzug gegeben. Die meisten ahnten nicht, zu welchen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Verwerfungen dies im Laufe der Jahre führen würde. Obwohl man als informierte*r DDR-Bürger*in nicht nur aus dem Staatsbürgerkunde-Unterricht, sondern auch dem West-Fernsehen wusste, wie die bundesdeutsche Gesellschaft funktionierte, vertraute man den Versprechungen einer Vereinigung auf Augenhöhe. Man versprach sich davon die Teilhabe an den sozialen Segnungen der westdeutschen Nachkriegsmarktwirtschaft, die ergänzt werden würden durch ostdeutsche Errungenschaften.</p><p>Doch es kam anders. Dem sozialen Abstieg infolge der Deindustrialisierung, Rückgang der <a href="https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/38373">Bruttowertschöpfung</a> 1991 auf ein Drittel (31 Prozent) im Vergleich zu 1989, und der daraus resultierenden Arbeitsplatzvernichtung auf fast die Hälfte (56,5 Prozent) folgten mehrere Wellen von Arbeitsmigrationen nach Westdeutschland. Fast ein Viertel der Bevölkerung von knapp 17 Millionen Menschen <a href="https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/ost-west-wanderung-abwanderung-ostdeutschland-umzug?utm_referrer=https://www.google.com/">verließ bis heute</a> das Gebiet der ehemaligen DDR. Sie hinterließen eine überalterte und abgehängte Gesellschaft. An der <a href="https://www.iwh-halle.de/publikationen/detail/vereintes-land-drei-jahrzehnte-nach-dem-mauerfall/">wirtschaftlichen Lage</a> hat sich bis heute nichts grundlegendes geändert.</p><p>In Bezug auf die Kultur hatten es sich die bundesdeutschen Eliten zum Ziel gesetzt, alles in 40 Jahren in der DDR entstandene, das nicht ihren Vorstellungen entsprach, den freien Marktkräften zu überlassen. Große Teile der Infrastruktur verschwanden. Als prominentes Beispiel seien hier die über 2000 <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kulturh%C3%A4user_in_der_DDR">regionalen Kulturhäuser</a> genannt. Institutionen, die in die kleinbürgerliche Welt von ‚Hoch-Kultur‘ passten, wurden in diesem Sinne vereinnahmt: ausgewählte Museen, Theater und Gedenkstätten. Immaterielles, wie Literatur, Kunst, Filme, Musik, etc. wurde im Kontext eines ‚wiedervereinten‘ Deutschlands totgeschwiegen oder diskreditiert.</p><h3>...<b>zur Kolonie der Bundesrepublik</b></h3><p>Zur Sicherstellung des machtpolitischen Übergangs nutzte man westdeutsche Funktionseliten aus der zweiten Reihe. Diesen standen in den neuen Gebieten Karrieremöglichkeiten in Politik, Medien, Wissenschaft und Justiz offen, die in ihren Heimatregionen nie möglich gewesen wären. Dort waren alle entsprechenden Positionen schon besetzt. Legitimiert wurde dieser Schritt offiziell damit, dass das Gros ehemaliger DDR-Bürger*innen auch jenseits früherer Posten im Realsozialismus nicht in der Lage wäre, ausreichend schnell das neue westdeutsche System umzusetzen. Und Eile war das Gebot der Stunde. Um erwartbarer Kritik und Widerstand zuvor zu kommen, gab man als Alibi einem verschwindend geringeren Teil von Ostler*innen die Chance auf berufliche Stabilität oder Aufstieg im eigenen Territorium. Um diese Stellen zu behalten war allerdings klar, wessen Positionen sie zu vertreten hatten. Die Hoffnung, dass sich eine derartige Besetzungspolitik von Führungspositionen zugunsten der nachfolgenden ostdeutschen Generation ändern und damit demokratiefördernd auswirken werde, ist nicht eingetreten. Die Lage hat sich teilweise <a href="http://docplayer.org/27104334-Wer-beherrscht-den-osten.html">sogar verschärft</a>. Heute kann man alles in allem von kolonisierten Verhältnissen sprechen.</p><h3><b>Enttäuschungen und rechtes Spektakel</b></h3><p>Die in ihrer Region verbliebenen Ostler*innen waren nach der Wende paralysiert von der unerwarteten Wucht der Veränderungen. Viele passten sich aus Mangel an Alternativen mit der Zeit an, ohne jedoch ihren, nicht erst in der Zeit der Wende erworbenen, Hang zum Widerspruch ganz zu verlieren. Nach einem anfänglichen Vetrauensverlust, der auf die ungelösten Widersprüche in der DDR-Gesellschaft zurückzuführen war, wurde die Nachfolgerin der früher führenden Staats- und Regierungspartei, SED/PDS, von circa 20 Prozent der an den Wahlen teilnehmenden Ostdeutschen bevorzugt.<br/> Diskussionen über die Geschichte und Kultur der DDR fanden vor allem im privaten und halböffentlichen Raum statt. In den offiziellen Medien wurden sie entweder weiterhin im Stil des ‚Kalten Krieges‘, oder als apolitische ‚Ostalgie‘ ausschließlich denunziatorisch geführt. Als nach etwa zwei Jahrzehnten für die Wähler*innen im Osten nicht mehr zu übersehen war, dass die politische Folgestruktur der SED/PDS, die PDS/LINKE, auch nur die Verhältnisse verwaltete und keine Ideen für die wirtschaftliche und damit soziale Verbesserung der Lage hatte, wandte man sich nach und nach einem neuen parlamentarischen Oppositionsprojekt zu: der AfD. Eine in ihren Strukturen und führenden Köpfen zutiefst westdeutsche Partei, begegnet den ostdeutschen Erfahrungen sozialer Deklassierung mit nationalistischen und rassistischen Angeboten und kann dabei auf eine seit dem Anschluss der DDR an die BRD entstandene rechtsradikale Basis bauen.<br/><br/> Angefangen mit der nationalistischen PEGIDA-Bewegung und den daran anschließenden Wahlerfolgen der AfD setzte bei jungen Linken mit ostdeutschem Hintergrund allmählich ein Prozess der konkreteren Beschäftigung mit ihrer Region ein, in dem Bewusstsein, dass diese sich vom Rest des Landes unterscheidet. Dabei geht es um Diskussionen zu ökonomischen, politischen und kulturellen Themen sowie ihre historische Einordnung, die sie aus dem Privaten kannten. In der Öffentlichkeit wurden diese aber anders oder gar nicht verhandelt – auch nicht in ihrer linken Lebenswelt. Aus einer verschämten, nie selbst thematisierten ostdeutschen Herkunft, wurde ein selbstbewusstes Auftreten, das auch in Westdeutschland <a href="https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/das-ist-unser-haus">nicht mehr übersehen werden</a> konnte.</p><h3><b>Im Unterschied vereint?</b></h3><p>Das Experiment der politischen und wirtschaftlichen Vereinigung zweier unterschiedlich gewachsener Gesellschaften, kann durch die vollständige Assimilierung der einen als gescheitert gelten. Dies gilt auch für die Linke. Das Ergebnis nach 30 Jahren ist: Deindustrialisierung, Entvölkerung und eine rechtsnationalistische politische Entwicklung im angeschlossenen Teil. Dabei gab es eine linke Chance, als die sozialen Anschlussverwerfungen zu Tage traten. Der anfängliche Vertrauensvorschuss wurde von der PDS zugunsten einer gesamtdeutschen Perspektive verspielt. Außer ein paar Streicheleinheiten für die ostdeutschen Seele, hatte man wenig zu bieten. Auf die zu Recht formulierten spezifischen Probleme der Lohnabhängigen in Ostdeutschland gibt es bis heute keine Antworten. Fast drei Jahrzehnte nach der Deindustrialisierung und trotz des Wissens, dass nur die massive Schaffung von Arbeitsplätzen der Schlüssel zu einer langfristigen Lösung der sozio-ökonomischen Probleme ist, wird in gesamt- oder ostdeutschen Milieus bis heute nicht über eine digitale, nachhaltig-ökologische Re-Industrialisierung diskutiert.<br/></p><p>Empirisch stellt man bei der Beschäftigung mit der sozialen Frage die Unterschiede zu einem historisch gewachsenen, westdeutschen Kapitalismus fest. Die Privatisierungspolitik der Treuhand führte neben der Deindustrialisierung auch dazu, dass es keine Klasse von Kapitaleigner*innen mit DDR-Biographien gibt. Bei dem Wenigen, was übrig blieb, waren Ostdeutsche die große Ausnahme. Das allermeiste fiel an westdeutsche und einige internationale Kapitalist*innen, die eine andere Standortpolitik betreiben, als Familienunternehmen aus der Region. Auf der Seite der Lohnabhängigen kann man, wie weiter oben schon beschrieben wurde, von einer sich seit 30 Jahren verfestigenden prekären Lage sprechen. Die angebotenen gesamtdeutschen politischen Lösungen, die ausschließlich einer bundesrepublikanischen Tradition folgen, imaginieren bis heute eine vermeintliche Homogenität von Ost und West, die es aber nie gegeben hat. Gleichzeitig sind die Angebote auch für die alten Bundesländer zum großen Teil ungeeignet, eine Entwicklung hin zu mehr sozialer Gleichheit zu ermöglichen. Doch das müssen die im Westen Sozialisierten für sich selbst entscheiden.</p><h3><b>Für einen (sozialistischen) Aufbruch Ost!</b></h3><p>Eine fortgesetzte Anwendung elitärer Politikkonzepte, bei der eine aus der linksliberalen, kleinbürgerlichen Mittelschicht rekrutierte Funktionselite sich gegenüber der Mehrheit an Lohnabhängigen als intellektuelle Führung aufspielt und die zu verhandelnden Themen vorgibt, wird zu noch mehr Abwehrtendenzen führen. Das gilt nicht nur für Ostdeutschland. Aber dort ist das Versagen der gesamtdeutschen Linken am offensichtlichsten. Diese ist in ihrer Mehrheit scheinbar nicht Willens oder in der Lage, eine auf humanistischen Lösungen basierende Politik für <i>alle</i> Lohnabhängigen zu machen. Stattdessen wird das Bedürfnis nach sozialen Sicherheiten, wer möge es den Ostdeutschen verdenken, von diesem weitestgehend materiell abgesicherten Milieu ignoriert oder als antiquiert verachtet und so de facto den Rechtspopulist*innen mit ihren nationalistischen und rassistischen Lösungen überlassen. Diese nehmen das Geschenk dankend an.<br/> Angesichts dieser Entwicklungen müsste sich eine gesamtgesellschaftliche Linke, die traditionell die Interessen der Lohnabhängigen vertrat, fragen, was sie denn falsch macht. Der Bezug zur Klasse ist offensichtlich zum großen Teil, und insbesondere in Ostdeutschland, verloren gegangen. Stattdessen werden in weiten Teilen der Linken moralische Verwarnungen ausgesprochen. Angesichts der Wahlerfolge der AfD fühlt man sich in der Einschätzung der sogenannten Masse und ihres „rassistischen Grundkonsens“ bestätigt, wendet sich umso mehr dem eigenen kleinbürgerlichen Milieu und seinem ganz eigenen Blick auf die Welt zu und verliert dabei immer mehr an gesellschaftlichem Einfluss. Parallelen zu anderen europäischen Ländern sind nicht zufällig.</p><h3><b>Eine ostdeutsche Linke</b></h3><p>Eine ostdeutsche Linke muss sich der postmodernen, identitätspolitischen Gefahren bewusst sein, die lauern. Gleichzeitig dürfen aber auch keine historisierenden sozialistischen Antworten gegeben werden. Das ostdeutsche Unwohlsein beruht nicht in erster Linie auf einer besonderen kulturellen Identität, die sich in einen mit der Zeit unüberschaubar werdenden Kanon anderer Identitäten einreiht und mit Antdiskriminierungsappellen heilen ließe. Dieses Gefühl beruht vielmehr auf der, unter Marxist*innen allseits bekannten, materiellen Ungleichheit im Kapitalismus. Das ist nicht jeder Person, die dieses Gefühl beschleicht, gleich bewusst. Aber wofür ist denn eine Linke da, wenn nicht dafür, diese Erkenntnis zu vermitteln?<br/> Die Lohnabhängigen haben aufgrund ihrer Alltagserfahrungen ein reichhaltiges Wissen über die sozialen Verwerfungen. Man muss ihnen Lösungen anbieten, die nicht aus den goldenen Zeiten der Arbeiter*innenbewegung stammen, aber auf deren Grundlagen beruhen und dabei die realsozialistischer Gesellschaften kritisch reflektieren. Und man muss sie einladen und ihnen zu ermöglichen, bei der politischen Arbeit mitzuwirken, um ihren Interessen gesellschaftliche Hegemonie zu verschaffen. Es geht dabei nicht nur um die Unterstützung gewerkschaftlicher Kämpfe, sondern um die aktive Schaffung einer Basis, die auch im Alltag jenseits der Produktionsphäre ansetzt.<br/></p><p>Bis in die dritte Generation hinein kennen Ostdeutsche noch aus eigenem Erleben oder Erzählen die Vorzüge der DDR-Gesellschaft. Ansonsten würden sie mit der heutigen Situation nicht so unzufrieden sein. Es ist nicht das nationalistische Gefühl, „Deutscher 2.-Klasse“ zu sein. Aus diesem Erklärungsansatz spricht nur die grenzenlose Überheblichkeit westdeutscher Eliten, die dieses Deutschland für das Maß aller Dinge halten. Für die Lohnabhängigen einer verlängerten Werkbank im Osten, in ihrem tagtäglichen Kampf, über die Runden zu kommen, ist es das nicht. 30 Jahre Ungleichheitserfahrungen mit dem Wissen, dass es auch anders gehen könnte, sind vielleicht der Grund dafür, dass fast zwei Drittel der Ostdeutschen <a href="https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/269349/ostdeutsche-identitaet-zwischen-medialen-narrativen-und-eigenem-erleben#fr-footnode2">sich noch immer mit der DDR verbunden fühlen</a>.<br/><br/> Die ostdeutsche Gesellschaft braucht eine originäre ostdeutsche Linke, die den Lohnabhängigen Politikangebote entsprechend der vorhandenen gesellschaftlichen Spezifik unterbreitet. Nach 40 Jahren DDR und 30 Jahren angeschlossenes Ostdeutschland, also insgesamt 70 Jahren unterschiedlicher Entwicklung, steht den Ostler*innen nicht nur aus demokratietheoretischer Sicht das Recht zu, sich eigenständige politische Verkehrs- und Aushandlungsformen zu schaffen.<br/> Dies sollte man nicht als Aufruf zu einer irgendwie gearteten Spaltung, der mühsam vereinigten, aber immer handlungsunfähiger werdenden gesamtdeutschen ‚Mosaiklinken‘ verstehen. Vielmehr als Beitrag, die notwendigen, eigenständigen Debatten im Osten zu führen. Die westdeutsche Linke sollte es als Chance zur Reflexion des eigenen Zustandes begreifen und als Inspiration für Veränderungen. Wir sind an einer Fülle von Meinungen und einer sich daraus entwickelnden Debatte zum Thema „ostdeutsche Linke" äußerst interessiert.<br/><br/></p></div>
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Die DDR und der neue Faschismus [II]2019-11-04T08:54:24.686140+00:002019-12-20T13:52:18.541726+00:00Geronimo Marulandaredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/die-ddr-und-der-neue-faschismus-ii/
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<div class="rich-text"><p><i>Im vorangegangen Beitrag wurde darauf hingewiesen, dass eine kritisch-solidarische Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR fehlt und deshalb Erklärungsansätze für den Rechtsruck in der Linken populär sind, die sich allzu oft mit bürgerlichen Positionen überschneiden. Doch fehlt nicht nur die solidarisch-kritische historische Aufarbeitung. Zu einem Verständnis der Virulenz des Rechtsradikalismus im Osten Deutschlands mangelt es auch an Verständnis für die Rolle des westdeutschen Staates, seiner strategischen Zielstellung als gesamtdeutscher Staat und seinem Verhältnis zum parallel laufenden neofaschistischen Aufbau. In einem zweiten Teil soll nun die Frage des Verhältnisses zwischen Abwicklung des Sozialismus, Entwicklung eines gesamtdeutschen Nationalismus, Wiedereinstieg in die Weltpolitik als imperialistische Macht und faschistischem Aufbau Thema sein.</i> Auch dieser Artikel erscheint, wie sein Vorgänger i<i>n der zum 30. Jahr des „Mauerfalls“ erscheinenden Broschüre</i> <a href="https://antifa-nordost.org/8948/broschuere-veranstaltungsreihe-deutschland-ist-brandstifter/">„Deutschland ist Brandstifter! Gegen den BRD-Imperialismus und den Mythos Friedliche Revolution“</a>.</p><p></p><hr/><p></p><h3><b>Abwicklung der DDR und Nationale Wiedergeburt</b></h3><p>Mit der Annexion der DDR 1989 begann die umfassende Demontage des sozialistischen Staates. Zunächst wurden sämtliche staatlichen Institutionen von Personen gesäubert, die als überzeugte Kommunist*innen eingestuft wurden und <a href="https://www.rote-hilfe.de/rote-hilfe-zeitung?download=149:rote-hilfe-zeitung-4-2016">de facto Berufsverbote eingeführt</a>. Die frei gewordenen Stellen besetzten zumeist <i>vorbildliche</i> westdeutsche <i>Demokrat*innen</i>. [1] Danach setzte die Abwicklung der DDR-Wirtschaft über die Treuhand ein. Waren bereits zuvor Viele aufgrund ihrer politischen Überzeugungen aus ihren Berufs- und Lebensbiografien gerissen worden, folgte nun die zweite Welle der Repression. Aus den <i>blühenden Landschaften</i> entwickelten sich Binnen-Migrations-Gebiete mit kollabierender sozialer, kultureller und ökonomischer Infrastruktur. Gleichzeitig setzte eine Institutionalisierung des antikommunistischen Diskurses ein - mit dem Ziel der nachhaltigen Delegitimierung des sozialistischen Staats als <i>zweite deutsche Diktatur</i> <a href="https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/errichtungsgesetz-1081.html">in direkter Kontinuität zum</a> <a href="https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/errichtungsgesetz-1081.html">NS</a><a href="https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/errichtungsgesetz-1081.html">-Faschismus</a>. Damit waren auf drei Ebenen - personell-strukturell, ökonomisch und ideologisch - die Weichen auf eine umfassende Delegitimierung gestellt. Einzig im politischen Raum hielt sich mit der SED-Nachfolgerpartei PDS ein gewisser Widerstand und Trotz als politischer Ausdruck gegen die, als aufoktroyiert empfundene, westdeutsche Erzählung.</p><p>Diese Delegitimierung war Voraussetzung für zwei Prozesse, die in den darauffolgenden Jahren forciert werden sollten:</p><p><b>1)</b> Ein gesamtdeutsches, von Westdeutschland geprägtes, nationales Narrativ musste sich ausbilden, um die Legitimität der Annexion zu zementieren. Zentral für diese Homogenisierung des Nationsverständnisses war die Einsortierung der DDR in die <i>Verfehlungsgeschichte</i> Deutschlands und eine gegen diese gestellte, vermeintlich demokratische, bundesdeutsche Erzählung des <i>besseren Deutschlands</i>. Das Narrativ setzte sich zusammen als vermeintliche historische Line einigender Momente, angefangen mit der Varusschlacht, über die <i>friedliche Revolution</i> bis zum Fußball-Sommermärchen <a href="https://web.archive.org/web/20071218071638/http://www.presseportal.de/story.htx?nr=736253&firmaid=59579">in der Kampagne „Du bist Deutschland“</a>. Dazu mussten unliebsame Stimmen unsichtbar gemacht werden. In der gesamtdeutschen Geschichtsschreibung zur so genannten <i>friedlichen Revolution</i>, die alles war, nur keine Revolution, taucht zum Beispiel die oppositionelle DDR-Linke nicht auf. Zu ungemütlich und unvereinbar waren deren Positionen gegen eine <i>Wiedervereinigung</i>, für <a href="https://revoltmag.org/articles/antifa-vereinigte-linke-und-die-innerlinke-opposition-der-ddr/">eine demokratischere</a> <a href="https://revoltmag.org/articles/antifa-vereinigte-linke-und-die-innerlinke-opposition-der-ddr/">DDR</a> auf sozialistischem Fundament.</p><p><b>2)</b> Diese nun homogene, gesamtdeutsche nationale Erzählung schuf die Voraussetzung zur Wiederanknüpfung an großdeutsche Ideen, den erneuten Anspruch auf die Zentralmacht in Europa. Die DDR verhinderte aufgrund ihrer bloßen Existenz als zweiter legitimer deutscher Staat das Wiederauferstehen eines großdeutschen Imperialismus und Nationalismus. Mit ihrer Annexion griffen die deutschen Eliten die jahrelang trotz <i>Hallstein-Doktrin</i> [2] verwehrte und sich nun bietende Gelegenheit auf. Spätestens seit der Regierung Schröder/Fischer 1998 befindet sich Deutschland erneut auf Weltmachtkurs - nicht trotz, sondern wegen der Verantwortung von Auschwitz (Joseph Fischer). Die vermeintlich geläuterte und mit neuem nationalen Narrativ versehene Großmacht dominiert nun nach über einem Jahrzehnt Merkel-Regierung den Staatenbund EU ökonomisch, wie politisch. [3]</p><p>Zur Verankerung dieser neuen, westdeutschen ideologischen Erzählung, die auf die Zerstörung der DDR-Geschichtsschreibung als alternative Erzählung zielt [4], bedurfte es der Mobilisierung eines gesamtdeutschen Nationalismus. Die Kohl-Regierung und mit ihr der gesamte bürgerliche westdeutsche Parteienblock nahmen spätestens im Rahmen der Asylrechtsdebatte, ganz nach der Devise des ehemaligen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef-Strauss, die Herausbildung einer starken neo-faschistischen Szene in Kauf. Strauss bestimmte das Verhältnis seiner Partei zu den Neo-Faschist*innen der NPD <a href="https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45197600.html">in einem Spiegel-Bericht 1970</a> folgendermaßen: „Man muß sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind. Hinterher ist es immer möglich, sie elegant abzuservieren. Denn mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein“.</p><p></p><h3><b>Der westdeutsche Neo-Faschismus und die</b> <b><i>Wende</i></b></h3><p>Der deutsche Faschismus stellt weder historisch noch aktuell eine Bewegung dar, die vollkommen abseits des bürgerlichen Staates existiert(e). Allein ideologisch richtet sich die rechtsradikale Agenda nicht gegen den deutschen Staat an sich, sondern nur gegen seine derzeitige (parlamentarisch-demokratische) Form. Was die Neo-Faschist*innen stört und worin sich ihre Kritik erschöpft, ist, dass die BRD nicht gänzlich so funktioniert, wie ihre Armee. Ergo ist es für den*die durchschnittliche*n Neofaschist*in durchaus opportun, zur selben Zeit im Dienste des Staats zu stehen, und diesen gleichzeitig ideologisch anzugreifen. Der bürgerliche Staat und bürgerliche Parteien wiederum hatten vor und auch nach der faschistischen Herrschaft ein pragmatisches und immer auch widersprüchliches Verhältnis zu den <i>nationalen Kräften</i> - insbesondere im Kontext des Kalten Kriegs.</p><p>Nach 1945 ließ beispielsweise der US-amerikanische Geheimdienst CIA mit Kenntnis Konrad Adenauers den hochrangigen Ex-Nazi-General Reinhard Gehlen den Vorläufer des Bundesnachrichtendiensts (BND) aufbauen. Dieser organisierte bevorzugt mit alten Nazi-Kontakten im Petto in den darauffolgenden Jahrzehnten <a href="https://www.antifainfoblatt.de/artikel/nato-geheimarmeen-%E2%80%93%C2%A0terror-im-namen-der-demokratie">eine</a><a href="https://www.antifainfoblatt.de/artikel/nato-geheimarmeen-%E2%80%93%C2%A0terror-im-namen-der-demokratie"><i> stay behind</i></a><a href="https://www.antifainfoblatt.de/artikel/nato-geheimarmeen-%E2%80%93%C2%A0terror-im-namen-der-demokratie">-Armee</a> mit dem Namen Gladio, die sich überwiegend aus deutschen Neo-Faschisten rekrutierte. Solange die Rechtsradikalen in taktischer Übereinstimmung mit reaktionären politischen Interessen im Staatsapparat und den Eliten standen, ließ man sie gewähren, verdunkelte und vertuschte ihre Taten. Wenn sie über die Stränge schlugen, überzog man sie mit Organisationsverboten und zerschlug einige Strukturen, ließ andere dafür unversehrt oder tolerierte bloße Umbenennungen. An diesem Verhältnis der grundsätzlichen Staatsnähe und der taktischen Kollaboration bei Interessensüberschneidung hat sich bis heute wenig geändert, wie wir seit dem Scheitern des NPD-Verbots 2001-2003 [5], sowie der Selbstenttarnung des NSU [6] wissen - und derzeit anhand des Mordfalls Lübcke (CDU) erneut erleben [7]. Die Mehrheit der neo-faschistischen Strukturen ist von V-Leuten durchsetzt; gleichzeitig finden sich viele radikale Rechte in bürgerlichem Gewand in den Apparaten wieder [8].</p><p>Wenig bekannt ist dahingegen, dass bereits in den 1980er Jahren viele aufkommende neo-faschistische Gruppen und Parteien Arbeitspläne für Ostdeutschland entwickelten. Ende der 1970er mobilisierte und organisierte sich eine neue Generation von Neo-Faschist*innen abseits der traditionellen Rechten (bis dahin vorrangig repräsentiert von der NPD) in der Bundesrepublik. Zentrale Kader der neofaschistischen Bewegung in den 1980ern und 1990ern organisierten sich zuvor in der vom US-Neo-Nazi Gary Lauck 1972 gegründeten Nazi-Internationale NSDAP-AO<i>.</i> Dieser Organisation entsprangen so bedeutende Kader der 1980er/1990er-Rechten, wie der Österreicher Gottfried Küssel, neben Michael Kühnen, Christian Worch, Arnulf Priem, Christian Malcoci und Michael Swierczek. Die politische Agenda des westdeutschen Neo-Faschismus lässt sich auf einen aggressiven Antikommunismus, revanchistische Träume von der Wiederauferstehung des großdeutschen Reichs, Militarismus und eliminatorische Fremdenfeindlichkeit beziehungsweise Antisemitismus zusammenfassen. Die entsprechenden Publikationen der 1980er Jahre quellen dementsprechend über vor solchen Inhalten. Als besondere Schmach wird hier immer wieder die <i>Besatzung</i> durch die <i>imperialistischen</i> <i>Mächte</i> USA und Sowjetunion herausgehoben. Der Antisemitismus äußert sich via Holocaustleugnung, offener Entmenschlichung in Karikaturen oder aber in einer vermeintlichen Kritik an israelischer Politik, die unverhohlen gegen Jüdinnen und Juden gerichtet ist. [9]</p><p></p><h3><b>Die Nationalistische Front (NF): „Nur der organisierte Wille bedeutet Macht!</b>“</h3><p>Die strasseristische [10] Nationalistische Front (NF) war eine teils aus der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), teils von FAP-Kadern gegründete NS-Kaderorganisation. Dieser Anspruch wurde gegen die rechten <i>Wahlparteien</i> (NPD/DVU) in Stellung gebracht, in Abgrenzung zu einem bewegungsnahen Konzept. In der von der NF herausgegebenen Zeitung <i>Nachrichten aus der Szene (2/88)</i> skizziert diese im Strategieartikel „Langsam aber gewaltig“ folgende, für die radikale Rechte neuen, Komponenten ihrer Organisierung: „Aber eine Wahlpartei ohne Kader erreicht das Ziel ebenso wenig, wie ein Heer ohne Kommandostruktur scheitern muß. Der Kader braucht die große Zahl von Multiplikatoren, die das politische Wollen in breiten Bevölkerungskreisen bekanntmachen (...) Dazu benötigen wir (...) effektive Verteilerstrukturen, straff organisierte und disziplinierte Basisgruppen, nationalistische Zentren, Kader (...) Nur der organisierte Wille bedeutet Macht!“ [11] Die NF entfaltete als eine der ersten westdeutschen neo-faschistischen Gruppen ein <i>Gegenmacht</i>-Konzept mit hegemonietheoretischen Versatzstücken - damals noch ohne Rekurse auf den kommunistischen Theoretiker Antonio Gramsci. [12] Hinzu kommen dokumentierte Kontakte der Organisation und besonders ihres Führers Andreas Pohl zu ostdeutschen Hooligans und Skinheads zwischen 1983 und 1985 in Ostberlin. [13] 1987 schrieb Pohl selbst in einer Kolumne der NF-nahen <i>Klartext</i> (5/2 Nr.17) von seinen vergangenen Besuchen: „Schon seit Jahren besteht zwischen SKINS und Fußballfans von Hertha BSC und Union Ost<i> Berlin</i> ein festes Bündnis der Freundschaft, das sich leider, bedingt durch die Mordmauer, nur in Besuchen unsererseits ausdrückt“ [14]. Die Kontakte liefen also maßgeblich über Westberlin. Bespielt wurden dabei sowohl der BFC Dynamo, als auch Union Ost-Berlin. Die Kontakte bestanden weiterhin, trotz DDR-Einreiseverbot für Pohl ab 1985. Bedenkt man, dass die Entstehung einer rechtslastigen Skinhead- und Hooligankultur auf das Jahr 1982/83 datiert wird, fällt also die Organisierung dieser Subkultur in so genannte Fascho-Gruppen [15] zusammen mit der Präsenz westdeutscher Nazi-Kader des NF<i>.</i></p><p></p><h3><b>Die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF): Eine neue NSDAP</b></h3><p>Die bedeutsamere Organisierung war jedoch die westdeutsche Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) und die ihr angeschlossenen Organisationen, unter anderem die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA, verboten 1983<i>),</i> später die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP, verboten 1995<i>).</i> Die Kadergruppe um den <i>Führer</i> Michael Kühnen bestand unter anderem aus dem bis heute aktiven Neofaschisten Christian Worch (heute: die Rechte), dem österreichischen Neo-Faschisten Gottfried Küssel und dem ostdeutschen neuheidnischen Rocker Arnulf Priem. Diese Führungsgruppe, die sich explizit auf Adolf Hitler und die NSDAP bezog, gab im Zuge der Wende einen „Aufbauplan Ost“ heraus, der über mehrere Etappen realisiert wurde. Die Organisation und ihre Vorfeldstrukturen war nachweislich ab 1989, bereits zur Zeit der Montagsdemonstrationen, im Gebiet der ehemaligen DDR (Mitteldeutschland im Nazi-Sprech) aktiv [16]. Mit der Deutschen Alternative (DA) verfügte man als weitere Vorfeldstruktur über einen Arm im Osten, der als eine Art <i>Umbrella</i>-Organisation auch Mitglieder und Sympathisant*innen von NPD (im Osten 1990: Mitteldeutsche Nationaldemokraten - MND) und der rechtsradikalen Republikaner (REP) sammelte. Mit der Wiking-Jugend (WJ) gab es schließlich sogar einen Kinder- und Jugendverband, der lange Zeit unter Einfluss der GdnF stand.</p><p>Grundsätzlich wusste die GdnF geschickt das im Zuge der Wende entstehende und Anfang der 1990er Jahre offensichtlich werdende staatliche Vakuum zu nutzen. Was in der DDR beispielsweise durch die FDJ geboten wurde, erfüllten nun zunehmend an die GdnF angelehnte Jugendgangs. Die Gruppierung erkannte auch als eine der ersten neo-faschistischen Organisationen <a href="https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14024296.html"><i>das Potential</i></a> der rechtsradikalen ostdeutschen Skinhead- und Fußballszene und ihres radikalen Kerns, der so genannten Fascho-Gruppen. Dieser erfolgreiche Jugendaufbau der GdnF verlief in drei Etappen: (1) 1989 - 1991 organisierte die GdnF die rechtsradikalen Führer der ostdeutschen Hooligan- und Skinheadszene in den städtischen Zentren. Hier ist zum Beispiel die aus der neofaschistischen Hooligantruppe Lichtenberger Front entstandene Nationale Alternative (NA) als Bündnispartner zu nennen. Diese verfügte bereits über ein besetztes Haus <a href="https://www.antifa-nazis-ddr.de/berliner-hausbesetzerinnen-geschichte-das-neo-nazi-haus-weitlingstrasse-122-in-berlin-lichtenberg/"><i>in der Berliner Weitlingstraße 122</i></a>, das in den folgenden Jahren zum Ausgangspunkt von Organisierung und militanter Aktion werden sollte. (2) Die Ausbildung von <i>braunen Ringen</i> um die Großstädte, den Aufbau von Strukturen gezielt in ostdeutschen Kleinstädten, zum Beispiel über rechtsradikale Subkultur-Läden. Schwerpunktregionen waren das Umland von Berlin (Königs-Wusterhausen, Potsdam, Oranienburg), Cottbus (Guben, Hoyerswerda), Chemnitz, Erfurt (Weimar, Arnstadt) und Halle/Leipzig (3) Ab 1991 das verschärfte öffentliche Agieren, darunter massenweise gewalttätige Übergriffe und Aufmärsche bis hin zu den Pogromen in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992).</p><p></p><img alt="IMG_20190907_124050.jpg" class="richtext-image full-width" height="1045" src="/media/images/IMG_20190907_124050.width-800.jpg" width="800"><p></p><h3><b>An einem Strang im Aufbau in</b> <b><i>Mitteldeutschland</i></b></h3><p>Beide Gruppierungen organisierten bereits vor 1989 die sich aus der Skinhead-Subkultur im Osten ausbildende neo-faschistische Subkultur. Nun muss an dieser Stelle die Unterscheidung getroffen werden, dass der Nährboden für die NF-Agitation und Organisierung aus der DDR-Gesellschaft selbst entsprang und diese zusammenläuft mit einer Hegemoniekrise der SED über die Jugend und Jugendkultur. Genauso, wie sich Anfang der 1980er eben eine rechtslastige Skinhead- und Hooligankultur ausbildete, entwickelte sich auch eine eher linke Punk- und Hippiebewegung. Beide Alternativbewegungen bekämpften sich vor der Wende und durch die Wendejahre <a href="https://www.antifa-nazis-ddr.de/der-naziueberfall-auf-die-zionskirche/"><i>hindurch bis aufs Messer</i></a>, fanden sich paradoxerweise aber zur selben Zeit auf den Montagsdemonstrationen wieder (freilich nicht ohne Gewalt). Der Übergang aber von einer sehr diffusen, unorganisierten rechtslastigen Skinhead- und Hooligan-Subkultur zu einer konspirativen, strategisch arbeitenden Struktur, eben den Fascho-Gruppen, war offensichtlich angeleitet und/oder beeinflusst durch westdeutsche neo-faschistische Kader des NF. Diese Strukturen bildeten sich 1986 aus und begannen eine Infiltrationspolitik in NVA, FDJ und VoPo-Einheiten. Diese wurde begünstigt durch die Tatsache, dass nicht wenige der jungen Neo-Faschist*innen aus Familien von DDR-Funktionär*innen kamen, weshalb sie schärferer Repression zumeist entgingen. Das Problem wurde offiziell lange Zeit entpolitisiert und geleugnet. Hier liegt eines der großen Versäumnisse und tatsächliches Versagen des DDR-Staats-Antifaschismus offen zu Tage. [17] So war das Entstehen des Bodens, auf dem die <i>braune Saat</i> Mitte der 1980er Jahre gedeihen sollte, verschiedenen Faktoren geschuldet:</p><p><b>a)</b> Der harschen Repression der DDR-Führung gegen die entstehenden Jugendsubkulturen und Kultur im Allgemeinen, was nicht wenige Jugendliche gegen den Staat aufbrachte, antikommunistisch ausrichtete und empfänglich für neofaschistisches Gedankengut machte.</p><p><b>b)</b> Die in verschiedenen Teilen der DDR-Gesellschaft, genau wie in der BRD, weiterlebenden Kontinuitäten des NS-Faschismus, zum Beispiel in der NDPD, in der SED selbst, in Familienbiografien, wie auch (im Vergleich zur BRD aber deutlich geringeren) Kontinuitäten in den bewaffneten Organen.</p><p><b>c)</b> Das Unterbleiben breiter Aufklärungskampagnen und öffentlicher Thematisierung dieses ab 1981 immer deutlicher werdenden Problems durch die politischen Institutionen. Darauf aufbauend das Fehlen institutionalisierter Initiativen der Bevölkerung gegen derartige Entwicklungen, als beispielhaft ganz praktisch sichtbares Defizit sozialistischer Demokratie in der DDR.</p><p><b>d)</b> Schließlich zeigte hier ein rein auf die Verbindung von Faschismus und Herrschaftsinteressen reduzierter, ökonomistischer Faschismusbegriff, so notwendig und wichtig er für eine revolutionäre Linke auch heute noch sein muss, seine Grenzen auf, indem er blind wurde gegenüber ideologischen, wie auch sozialpsychologischen (zum Beispiel biografischen) Voraussetzungen faschistischer Bewegungen. Diese verschwinden schließlich nicht einfach mit dem Aufbau des Sozialismus, sondern setzen sich vielmehr als Widersprüche fort.</p><p>Die westdeutschen Faschist*innen erkannten diese Fehler, ebenso wie 1989/90 die westdeutschen Eliten, und nutzten die Schwäche des sozialistischen Systems auf verschiedene Weise. Während es den westdeutschen Eliten schlussendlich um eine Wiedervereinigung unter westlich-kapitalistischem Führungsanspruch ging, forderten die Neo-Nazis um Kühnen und Co. gleich das alte Reichsgebiet und erweiterten mit der Wende folglich ihr Aktionsgebiet auf <i>Mitteldeutschland</i>. Im Kern traf sich jedoch der westdeutsche Revanchismus beider politischer Tendenzen objektiv, bei subjektiv unterschiedlicher Programmatik im Antikommunismus, bei dem Wunsch nach Rückkehr zur Weltmacht, nach dem Untergang des 40 Jahre anhaltenden <i>sozialistischen Blockierers</i>. So wurden sämtliche radikal rechten Parteien noch zur Zeit der Montagsdemonstrationen aktiv und fordern einmütig mit den Plänen der westdeutschen Eliten die <i>Einheit</i>.</p><p></p><h3><b>Die objektiven Interessensüberschneidungen</b></h3><p>Unabhängig von der (subjektiven) Rolle verschiedener Teile des Staatsapparats bestand der (objektive) Nutzen der rechtsradikalen Aktivität für die westdeutschen Eliten in den Jahren zwischen 1986 und 1994 ganz klar in der folgenden Reihenfolge:</p><p><b>1)</b> der revanchistischen Forcierung des Untergangs der DDR, sowie der Etablierung antikommunistischer, nationalistischer Diskurse, dann</p><p><b>2)</b> im Aufbau eines gesamtdeutschen nationalen Narratives, plus chauvinistischem Nationalismus gegen das Zwei-Staaten-Narrativ der DDR als Voraussetzung für <i>neue Verantwortung in der Welt</i> und</p><p><b>3)</b> der Durchsetzung des Asylkompromisses und damit des ersten massiven Angriffs auf Grundrechte nach der so genannten <i>Wende</i>.</p><p>Deutlich wird diese seit Beginn taktische, sich vor allem an bestimmten ordnungs- und migrationspolitischen, strategischen Zielen der westdeutschen Eliten festmachende Beziehung vor allem in den 1990er Jahren. Während das nunmehr gesamtdeutsche Kapital über seine bürgerlichen Parteien den Asyldiskurs in geistiger Brandstiftung münden lässt, wird die radikale Rechte in Pogromen und omnipräsenter Gewalt aktiv. Natürlich verlaufen die Wechselbeziehungen von radikaler Rechter und wiedererstarktem deutschen Nationalismus und Imperialismus widersprüchlich. Zuweilen agieren die liberaleren Teile des Staatsapparats repressiv gegenüber schlecht zu verkaufenden rechten Aktivitäten. Zuweilen wird aber auch aktiv weggeschaut, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=5P21AfG6SPE">wenn Pogrome geschehen</a>, Gewalttaten werden verharmlost, Ermittlungen behindert. So kommt es schon in den 1990er Jahren dazu, dass rechtsradikale Umtriebe von Teilen des Apparats schlicht ignoriert oder totgeschwiegen werden, andererseits besonders radikale Strukturen mit Verboten und Repression überzogen werden. [18] Die durchaus anders gearteten Ziele der faschistischen Bewegung verschränkten und verschränken sich eben genau dort in den vergangenen 20 Jahren, wo über die Verstärkung eines gesamtdeutschen Nationalismus unter Inkaufnahme von Ausländer*innenfeindlichkeit, Gewalt und Pogrom Schläge gegen die weiterwirkende ideologische und politische Kontinuität von 40 Jahren Sozialismus gesetzt werden können. Dass in diesem Prozess Widersprüche in den Blöcken auftraten und bis heute auftreten, die zuweilen repressiv (staatlicherseits) oder terroristisch (durch rechtsradikale Gruppen und Personen) ausscheren, ist evident. Schließlich handelt es sich bei faschistischen Bewegungen und dem bürgerlichen Staat trotz ihrer gemeinsamen Verschränkungen um keine monolithischen, nach einheitlichem Willen gelenkten Strukturen. Die Rolle des Staatsapparats und die Agenden des herrschenden politischen Blocks verlaufen keinesfalls eindimensional im Sinne eines politischen Gesamt-Plans, der von allerlei Institutionen exekutiert wird. Vielmehr ist nach der Selbstenttarnung des NSU-Komplexes ein Netzwerk von Staat und politischen Interessensgruppen klar zu verorten, welches in verschiedenen staatlichen und proto-staatlichen Organen eine rechtsoffene Agenda aktiviert und fördert, die jeweils unterschiedlich stark in den jeweiligen Institutionen umgesetzt wird. [19]</p><p></p><img alt="karteosten (2) Kopie.jpg" class="richtext-image full-width" height="1066" src="/media/images/karteosten_2_Kopie.width-800.jpg" width="800"><p></p><h3><b>Aufbau: Braun mit dem Verfassungsschutz (VS)</b></h3><p>Durch die NSU-Prozesse ist inzwischen noch unvollständiges Material zugänglich, das früher verschwörungstheoretisch anmutende Annahmen inzwischen als aktenkundige Realität ausweist. So kann nach der Auswertung der Einsatzgebiete der wenigen im NSU-Prozess bekannt gewordenen Kader und bereits zuvor bekannt gewordener V-Männer folgendes festgehalten werden:</p><p>Interessanterweise war insbesondere die NF mit V-Agenten durchsetzt. Bekannt ist der NF-Kader Norbert Schnelle, der auf der Gehaltsliste des VS Nordrhein-Westfalen stand und nachgewiesenermaßen mit seinem Spitzellohn die NF mitfinanzierte. Ein weiterer aufgeflogener V-Mann im NF ist Bernd Schmitt, seinerzeit am Aufbau rechtsterroristischer Verbände beteiligt, die den Mordanschlag von Solingen verübten. Der niedersächsische VS wiederum setzte den rechtsradikalen Skinhead Michael Wobbe (Deckname: Artland, später: Rehkopf) im NF ein, der dort die Rolle des <i>Sicherheitschefs</i> übernahm. Dieser fungierte als Reisekader ab 1992 dokumentiert schwerpunktmäßig in Ostdeutschland. Wobbe verriet sich selbst, indem er sich gegenüber dem BKA <a href="https://www.der-rechte-rand.de/wp-content/uploads/drr_150.pdf">als V-Mann zu erkennen gab</a>. Und nicht nur der VS war in der explizit <i>klandestinen</i> NF aktiv. Auch der Bundeswehr-Nachrichtendienst <a href="https://www.heise.de/tp/features/Ehemaliger-V-Mann-des-MAD-in-der-Neonazi-Szene-veroeffentlicht-Dokumente-des-Geheimdienstes-im-3450615.html">MAD</a><a href="https://www.heise.de/tp/features/Ehemaliger-V-Mann-des-MAD-in-der-Neonazi-Szene-veroeffentlicht-Dokumente-des-Geheimdienstes-im-3450615.html"> platzierte 1989</a> den Fallschirmjäger und selbsterklärten <i>Patrioten</i> Michael P. Der Soldat lieferte militärisches Know How und Material, wurde aber bereits 1990 abgezogen und erhielt 2002 in den USA Asyl. Schlussendlich ist der durch den NSU-Prozess bekannt gewordene Thomas Richter (alias Corelli) zu nennen, der ebenfalls in der NF aktiv war, bevor er nach Verbot der Organisation bei Blood & Honour eingesetzt wurde.</p><p>Wir fassen zusammen<i>:</i> Eine vom VS bis in die Führung infiltrierte, vermeintlich <i>klandestine</i> Kaderorganisation unterhält seit 1983 dokumentiert Kontakt zu Skinheadgruppen in der DDR. Zur gleichen Zeit bilden sich aus dieser Subkultur heraus erste klandestine, faschistische Gruppen, vermutlich mit angeleitet durch das NF. Diese neu aufgebauten Gruppen begleiten unter anderem inhaltlich und gewalttätig die Montagsdemonstrationen 1989/90 und werden nach der Annexion der DDR Ausgangspunkt von insbesondere von der GdnF und der NF selbst bespielten militanten rechtsradikalen <i>braunen Ringen</i> um ostdeutsche Großstädte. Diese wiederum begleiten Pogrome und begehen in den 1990ern nahezu täglich Übergriffe mit Todesfolge.</p><p>Der NSU-Prozess deckt nun weiteres auf. So wurden im Zuge des Prozesses die Namen weiterer V-Männer öffentlich, die schwerpunktmäßig mit der militanten Basis des NSU, dem Thüringer Heimatschutz (THS) und folglich mit Blood & Honour/Combat 18<i> (</i>nachfolgend: B&H/C18<i>)</i> verbunden waren und die in den 1990er bis in die frühen 2000er Jahren eingesetzt wurden. B&H/C18 wiederum war stets der subkulturelle Arm der NSDAP/AO und somit verbunden mit der GdnF<i>.</i> Unumstrittene Führungsfigur von Blood & Honour/Combat 18 ist heute Thorsten Heise, ein ehemaliger Kader der FAP (ergo GdnF)<i>.</i> In den GdnF/NSU/C18-Komplex fallen demnach folgende <i>VS</i>-Aktivitäten und Agenten, die anhand vierer exemplarischer Figuren für vier Schwerpunktregionen des braunen Aufbaus, plus einer Person mit überregionaler Bedeutung vorgestellt werden:</p><p>- <a href="https://www.nsu-watch.info/tag/thomas-richter-corelli/"><b>Thomas Richter</b></a> (alias Corelli / Einsatzgebiet Halle): Noch einmal Corelli. Nachdem dieser V-Mann schon sein Intermezzo in der NF hatte, wurde er nach Verbot der NF in das B&H Netzwerk versetzt. Hier gab er mit VS-Finanzierung die Zeitung <i>Nationaler Beobachter</i> heraus und betrieb verschiedene Webseiten. Weiterhin baute er den Nationalen Widerstand Halle (NWH) auf. Insgesamt soll er mehrere hunderttausend Euro dafür erhalten haben.</p><p>- <a href="https://www.nsu-watch.info/2013/04/mindestens-24-spitzel-im-nsu-umfeld/"><b>Thomas Dienel</b></a> (alias Küche / Einsatzgebiet Erfurt): Inzwischen untergetauchter Gründer und Führer der Deutsch-Nationalen Partei (DNP) in Thüringen, die mit der GdnF verbunden war. Auch Dienel war medial aktiv und gab die neonazistische Zeitung <i>Mitteldeutsche Stimme</i> heraus. Diese sei laut Dienel komplett vom VS finanziert worden.</p><p>- <a href="https://www.nsu-watch.info/tag/piatto-carsten-szczepanski/"><b>Carsten Szczepanski</b></a> (alias Piatto / Einsatzgebiet Berlin/Potsdam): Der aus Berlin stammende Szczepanski zog nach der Wende nach Königs-Wusterhausen in Brandenburg. Seit 1991 war er V-Mann und baute in den Folgejahren eine B&H/C18-nahe Szene auf. Er erhielt laut VS bis zu 50.000 Mark Prämien, mit denen Szczepanski einen an B&H/C18 angeschlossenen Versandhandel und eine C18-Zeitung mit dem Namen <i>United Skins</i> herausgab, sowie Konzerte, zum Beispiel in Chemnitz, finanzierte. Die Angabe der Höhe der VS-Zuwendungen ist laut Anwältinnen der NSU-Opfer zu niedrig angegeben und unglaubwürdig.</p><p>- <a href="https://brandenburg.nsu-watch.info/dossier-toni-stadler/"><b>Toni Stadler</b></a> (alias Bartok /Einsatzgebiet Guben/Cottbus): Stadler betreibt in Guben den rechtsradikalen Szene-Laden Top One und ist vernetzt mit dem Fanzine <i>Volkswille</i>. Weiterhin ist er als ehemaliger Soldat der Bundeswehr in Reservistenkreisen vernetzt. Laut VS arbeitete Stadler lediglich zwischen 2000 und 2002 für den Dienst. Wahrscheinlicher ist, dass Stadler schon lange vorher Kontakte hatte. So gibt er selbst über die Kooperation mit dem VS an, er hätte den Rechtsrock-Handel „niemals in so großem Stil aufgezogen, wenn die Potsdamer mir nicht Straffreiheit zugesagt hätten“.</p><p>- <a href="https://www.nsu-watch.info/tag/stefan-lange-pinocchio/"><b>Stefan Lange</b></a> (alias Pinocchio/ Einsatzgebiet Berlin/bundesweit): Stefan Lange war einer der ranghohen Führer des seit 2000 verbotenen B&H/C18-Netzwerks. Laut VS, der zunächst versucht hatte, die V-Mann Tätigkeit von Lange unter den Tisch fallen zu lassen, soll dieser erst seit 2002 für den Dienst gearbeitet haben. Journalist*innen bezweifeln dies und nehmen an, dass Lange ebenfalls in den 1990ern angeworben wurde.</p><p>Wir fassen zusammen: Der VS rekrutiert in den 1990er Jahren im gesamten ostdeutschen Gebiet und insbesondere in den von Neo-Faschist*innen als Schwerpunktzonen deklarierten Gebieten V-Männer. Diese sind in aller Regel keine kleinen Fische, sondern federführend an Strukturentwicklung oder sogar am Aufbau ganzer regionaler Szenen beteiligt und bevorzugt in medialen beziehungsweise institutionellen Schlüsselpositionen tätig (Versandhandel, Medien, lokale Treffpunkte). Die Tätigkeit dieser Personen baut auf dem Strukturaufbau der GdnF und NF Ende der 1980er und Anfang der 1990er auf.</p><p></p><h3><b>Fazit: Als Antifa die richtigen Fragen stellen und Antworten geben</b></h3><p>Das Problem des Neo-Faschismus in Ostdeutschland ist nicht von den Annektions- und den daran anschließenden neuen deutschen Großmachtplänen seit 1990 zu trennen, sondern geht mit diesen strategischen Zielsetzungen einher. Hier laufen verschiedene Enden zusammen. Es bricht für eine ganze Bevölkerung die biografische Lebenswelt und gewohnte Sozialstruktur zusammen. Hinzu kommen Verarmung und der Kollaps ganzer Infrastrukturen in Ostdeutschland. Der westdeutsche Neo-Faschismus ergreift im Geleit des VS zu den Montagsdemonstrationen seine Chance und greift dabei auf ein bereits bestelltes Feld organisierter ostdeutscher neo-faschistischer Gruppen zurück. Die radikale Rechte gewinnt in den Montagsdemonstrationen durch massive Gewalt die Hegemonie, die Annexion der DDR wird durchgeführt. Anschließend wirbt der VS-Apparat, der ohnehin bereits in NF und GdnF aktiv ist, zentrale Personen in Schwerpunktregionen an und finanziert deren Publikationen und Szenetreffpunkte. Von diesen Schwerpunktregionen gehen der NSU sowie andere Mord- und Totschlags-Kameradschaftsgruppen aus. Weitere Punkte, der hinzukommen, sind die Kolonisierung des Ostens durch Reichsbürger*innen, Prepper und NPD-nahe Strukturen und die desaströse akzeptierende Jugendarbeit, die für eine de facto Übernahme von Jugendzentren durch neo-faschistische Kader sorgte.</p><p>Alles Zufälle? Mitnichten. Hier verdichtet sich das Interesse der reaktionärsten Teile des westdeutschen Staatsapparats mit der neofaschistischen Bewegung. Das Mindeste, was angesichts dieser offen zu Tage liegenden Beteiligungen vermutet werden kann, ist, dass bis weit in das Innenministerium ein Netzwerk reicht, das in den 1990er und 2000er Jahren einen neofaschistischen Aufbau deckte, in dem offensichtlich ein politischer Nutzen gesehen wurde. Dieser bestand relativ deutlich darin, dass eine <i>patriotische Jugend,</i> beziehungsweise eine rechte Hegemonie, in Ostdeutschland die sozialistische Hegemonie ablöste und möglichst nachhaltig unschädlich machen sollte. Die Wahlerfolge der neofaschistischen AfD sind nun tatsächlich eine „Vollendung der Wende“ und zwar in der Hinsicht, dass nicht nur ganze Landstriche inzwischen braun kolonisiert sind und terrorisiert werden, sondern sich diese rechte Hegemonie inzwischen auch parlamentarisch niederschlägt und die <i>SED/PDS/LINKE</i> nun auch dort ablöst.</p><p>Angesichts dieser Entwicklung erscheint es unklar, warum die antifaschistische Bewegung immer noch nichts aus dem NSU lernen möchte und von ostdeutschen Sozialcharakteren oder konservierten Volksgemeinschaften schwadroniert (siehe Teil I des Artikels). Statt den Rechtsruck als Resultat eines erfolgreichen, staatlich begleiteten Aufbaus zu begreifen und sich die Frage zu stellen, mit welchen Interessen dieser verbunden sein könnte - oder was von links versäumt wurde - wird auf die ostdeutsche Bevölkerung geschimpft. Hier liegen, wie diese Artikel versucht haben, aufzuzeigen, mehrere Denkfehler vor. Ein Antifaschismus in Ostdeutschland darf nicht gegen die Bevölkerung, deren Biografien und Leistungen argumentieren. Gleichzeitig darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein bestimmter Prozentsatz bereits an die gewachsenen neofaschistischen Strukturen und deren Ideologie verloren ist. Diese Gradwanderung zu schaffen, ist schwer. Ein Anfang wäre, damit aufzuhören, in puncto Debatte um den Rechtsruck in das selbe Horn zu blasen, wie die herrschenden Parteien. Hier kann Staatskritik und eine kritisch-solidarische Haltung zur DDR-Geschichte gegen das staatliche Narrativ zur so genannten Wende neue Handlungsmöglichkeiten und Diskurse stärken, die der Etablierung einer antifaschistischen, nicht-staatlichen Linken nutzen.</p><p></p><hr/><h3><b>Anmerkungen:</b></h3><p><b>[1]</b> Zum Beispiel Helmut Roewer, unter dessen Ägide der Thüringer VS eine ganze Horde V-Männer um den NSU ein ganzes Jahrzehnt finanzierte. Der V-Mann und Sexualstraftäter Tino Brandt gab gar an, dass der VS Thüringen einen Großteil des von ihm entwickelten rassistischen Spiels Pogromly (von: Monopoly) erstanden hat. Roewer hatte außerdem Gelder für bis heute unbekannte Quellen veruntreut.</p><p><b>[2]</b> Zwischen 1955 bis 1969 außenpolitische Doktrin der BRD. Sie besagte, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch Drittstaaten als „unfreundlicher Akt“ gegenüber der Bundesrepublik betrachtet werden müsse und reklamierte damit einen Alleinvertretungsanspruch.</p><p><b>[3]</b> Zur Vorgeschichte des Projekts EU im Rahmen deutscher imperialistischer Europapolitik zum Beispiel bei Wehr, Andreas, 19.11.2016: Geschichte und Wirklichkeit der EU. Zugriff am 24.09.2019 unter https://www.andreas-wehr.eu/geschichte-und-wirklichkeit-der-eu.html</p><p><b>[4]</b> Die DDR-Geschichtsschreibung war der marxistischen Klassentheorie verpflichtet. Laut dem Historischen Materialismus ist Geschichte ein dialektisch verlaufender Prozess von Klassenkämpfen. Es gilt demnach zwischen herrschaftsförmiger, bürgerlicher Geschichtsschreibung und materialistischer Geschichtsschreibung zu unterscheiden. Der Versuch des <i>Aufbaus eines neuen, demokratischen und friedliebenden Deutschlands</i> musste sich logischerweise gegen die imperialistische Tradition Deutschlands wenden und neue Bezüge herstellen.</p><p><b>[5]</b> Das Scheitern des ersten Anlaufs wurde mit einer „fehlenden Staatsferne<i>“</i> begründet, das heißt es war unklar, inwieweit die NPD durch das Wirken des VS überhaupt so arbeitet und auftritt, wie sie es tut. Die Judikative der BRD hat damit im Prinzip zugegeben, dass NPD und VS über V-Mann-Einsätze in großen Teilen ununterscheidbar geworden sind.</p><p><b>[6]</b> Neben den in diesem Artikel präsentierten Fakten log der VS im NSU-Prozess nachweislich, verdunkelte Informationen und verweigerte wiederholt die Auskunft. Ganze Akten wurden in der so genannten Aktion <i>Konfetti</i> vernichtet. Ausführliche Dokumentation liefert Wolf Wetzel und NSU-Watch: https://www.nsu-watch.info / https://wolfwetzel.wordpress.com/</p><p><b>[7]</b> C18 und Thorsten Heise sind seit Jahren straffrei unterwegs. Ihr Umfeld ist durchsetzt mit V-Männern und ununterscheidbar von den Diensten. Eine ausführliche Recherche zu B&H/C18 und dem Täterumfeld bieten EXIF-Recherchegruppen: „Die Kernfrage muss deshalb lauten: Wieso hat der Verfassungsschutz ein Interesse daran, dass diese Organisation weiter existiert? Die Antwort darauf kann nur lauten: Weil er – und andere Geheimdienste und evtl. auch Polizeibehörden – es (sic!) mit Spitzeln durchsetzt haben“. Exif-Recherche [Hrsg.], 16.07.2018: «Combat 18» Reunion. Zugriff am 24.09.2019 unter https://exif-recherche.org/?p=4399.</p><p><b>[8]</b> Siehe Hans-Georg Maaßen, <i>CDU</i>-Politiker, der zwischen 2012 und 2018 die Verdunklung und Strafvereitelung in puncto NSU organisierte. Er ist in seiner politischen Agenda vom völkischen Flügel der AfD ununterscheidbar.</p><p><b>[9]</b> Aus den 1980er Jahren legen verschiedene Publikationen Zeugnis darüber ab. Unter anderem: <i>Klartext</i> (JN/NF)<i>, Nachrichten aus der Szene</i> (NF)<i>, Deutscher Beobachter</i> (Nationale Offensive), <i>Revolte</i> (NF) und viele mehr.</p><p><b>[10]</b> Der Strasserismus ist eine Strömung im deutschen Neo-Faschismus, die sich auf so genannte nationalrevolutionäre Theorien der NSDAP-Mitglieder Otto und Georg Strasser beziehen.</p><p><b>[11]</b> Siehe Nationalistische Front (NF) [Hrsg.]: Langsam aber gewaltig! - zur Taktik und Strategie der Nationalistischen Front (NF), in: <i>Nachrichten aus der Szene (2/88).</i></p><p><b>[12]</b> Die rechtsradikale Rezeption des italienischen Kommunisten wurde erstmals durch den neofaschistischen französischen Intellektuellen Alain de Benoist vorgenommen. Sie ist in der heutigen <i>Neuen Rechten</i> hegemonial.</p><p><b>[13]</b> Siehe <i>Klartext</i> (5/2 Nr.17)<i>.</i></p><p><b>[14]</b> Antifaschistisches Autorenkollektiv Berlin [Hrsg.]: Drahtzieher im braunen Netz: Der Wiederaufbau der NSDAP. Edition ID-Archiv 1992</p><p><b>[15]</b> ebd.</p><p><b>[16]</b> ebd.</p><p><b>[17]</b> Faschistische Gewalt wurde in den allermeisten Fällen entpolitisiert und juristisch unter dem Begriff <i>Rowdytum</i> verfolgt.</p><p><b>[18]</b> Sämtliche im Artikel genannten Organisationen waren früher oder später von Repression betroffen. Die meisten konnten sich jedoch durch Umbenennungen und Umstrukturierungen immer wieder weiter betätigen. Insbesondere die Kader der GdnF sind bis heute aktiv. Das Blood & Honour-Netzwerk besteht beispielsweise als Combat 18 bis heute legal weiter.</p><p><b>[19]</b> Hier wirkte das Netzwerk insbesondere in der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Sozialen Arbeit. Der Schaden, den die so genannte <i>akzeptierende Sozialarbeit</i> als staatlich gepushte Theorie und Praxis in diesem Kontext anrichtete, ist dokumentiert in: Rother, Richard: Rechtsextremistische Tendenzen unter ostdeutschen Jugendlichen. 1994: „Die Jugendklubs in Ostdeutschland wurden für rechte Jugendliche und Skinheads geöffnet (…). Zunächst hatte dies den Effekt, daß junge Leute mit linken oder pazifistischen Politikvorstellungen (...) durch zum Teil brutale Gewalt verdrängt wurden. Später wurden sogar normale und unpolitische Jugendliche aus einzelnen Klubs (in Schwedt oder Weimar etwa) ausgeschlossen, in denen dann rechtsextremistische Kameradschaften im engsten Kreise durchführen konnten“ (Rother, Richard 1994, S.21 ff.).</p></div>
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Die DDR und der neue Faschismus [I]2019-11-03T10:35:56.234633+00:002019-12-20T13:51:29.439891+00:00Geronimo Marulandaredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/die-ddr-und-der-neue-faschismus-i/
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<h1>Die DDR und der neue Faschismus [I]</h1>
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<div class="rich-text"><p><i>Auch in diesem Jahr sind wir als Medienpartner*innen an einem Broschürenprojekt aus Berlin beteiligt. In der zum 30. Jahr des „Mauerfalls“ erscheinenden Broschüre</i> <a href="https://antifa-nordost.org/8948/broschuere-veranstaltungsreihe-deutschland-ist-brandstifter/">„Deutschland ist Brandstifter! Gegen den BRD-Imperialismus und den Mythos Friedliche Revolution“</a> <i>steuern wir als re:volt magazine unter anderem den ersten Teil des nachfolgenden Textes zu einem scharf umkämpften Diskursfeld bei: Der Frage um die kritisch-solidarische Aufarbeitung des Realsozialismus in der DDR (Teil I) und dessen Verbindung zu Rechtsruck und neuem Faschismus (Teil II). Release der Broschüre ist am Donnerstag, den 7. November 2019 um 19:30 Uhr im Zielona Góra (Grünberger Straße 73 / Friedrichshain).</i></p><p></p><hr/><h3><b>Ein Plädoyer für eine kritisch-solidarische Debatte</b></h3><p>Geht es um die DDR, scheiden sich in der deutschen Linken die Geister. Auch 30 Jahre nach dem Kollaps des Sozialismus werden Diskussionen um die Frage des Charakters des ostdeutschen Staates unsachlich und feindselig geführt, wie die Debatte um die Ausgaben der <i>Rote Hilfe Zeitung</i> <a href="https://www.rote-hilfe.de/rote-hilfe-zeitung?download=149:rote-hilfe-zeitung-4-2016">„Siegerjustiz“ (RHZ 4/2016)</a> einerseits und <a href="https://www.rote-hilfe.de/rote-hilfe-zeitung?download=192:rote-hilfe-zeitung-1-2019">„Wenn wir brüderlich uns einen...“ (RHZ 1/2019)</a> andererseits zeigt. Sei es nun im Bezug zur konkreten historischen Situation, in der der ostdeutsche, sozialistische Staat entstand und in dessen weltpolitischer Konstellation er sich bewegen musste. Sei es zu den fortschrittlichen, wie defizitären und repressiven Formen, die er historisch annahm und auch zwangsläufig annehmen musste. Selten kommt eine Debatte zu diesen Fragen ohne den Vorwurf des Antikommunismus durch Traditionskommunist*innen einerseits oder die komplette Delegitimierung als von vornerein zum Scheitern verurteiltes Projekt - oder gar als linker <i>Totalitarismus</i> - seitens undogmatischer Linker andererseits aus. Dieser feindselig geführte Debattenstand zieht sich bis weit hinein in andere Kampffelder der Linken. So auch bis in die Debatte um den <i>Rechtsruck</i>, der in den so genannten <i>neuen Bundesländern</i> seit Jahren immer schärfere Formen annimmt.</p><h3><b>Der moderne Antikommunismus im linksliberalen Gewand</b></h3><p>Die Erklärungsmuster für die Wahlerfolge der AfD, die in Brandenburg eine Kampagne mit dem Namen „Wende 2.0 – Vollende die Wende“ mit Slogans wie „Freiheit statt Sozialismus“ lanciert hat, bleiben oftmals dürftig. So sollen beispielsweise laut dem linksliberalen Historiker Harry Waibel der Autoritarismus der DDR-Gesellschaft und die Politik der SED [1] die psychosoziale Disposition für faschistisches Gedankengut hervorgebracht haben. Besonders radikalisiert bringt diesen Standpunkt der <i>Jungle World</i>-Autor Mario Möller auf den Punkt, der den <a href="https://jungle.world/artikel/2012/09/gemeinschaft-ueber-alles">NSU als originäres Erbe der DDR</a> bezeichnet. Jochen Hippler wiederum identifiziert<a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd0205/t410205.html"> in der linken Online-Zeitschrift</a><a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd0205/t410205.html"><i> trend</i></a> im Jahre 2005 eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen Faschismus und DDR-Sozialismus, da „(…) die kommunistische Kaderpartei (...) nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern (...) ein System neuer Privilegien zur Belohnung von Maulheldentum, Untertanengeist und und Parteidisziplin“ geschaffen habe. „Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebte unter anderem Vorzeichen eine Renaissance“, meint der Autor. Diese exemplarischen Argumentationen von Links zeigen, wie eine begründete kritische Haltung und Einforderung der Auseinandersetzung gegenüber Aspekten des Sozialismus in der DDR häufig der Denunzierung der DDR als Ganzes dient und damit in der Kontinuität des westdeutschen Antikommunismus [2] steht. Die heutige neofaschistische Bewegung wird von den genannten Autoren* schlussendlich in direkte Kontinuität zum Sozialismus der DDR gestellt, wie auch die DDR als Konservatorium des NS-Faschismus gilt. Eine solidarische Diskussion zu ihrem Erbe ist mit derlei zugespitzten Thesen verunmöglicht.</p><p>In diesen kritischen, aber häufig eindimensionalen Erzählungen zeigen sich regelmäßig die Probleme einer Bewegung, die historisch zu Recht eine im Traditionskommunismus oftmals ökonomistisch verkürzte Faschismusdefinition kritisierte. Allerdings mündete die Aufnahme weiterer (sozialpsychologischer, ideologiekritischer und anderer) Perspektiven nicht in der Schärfung des (materialistischen) Analysewerkzeugs, sondern endet heute oftmals in der <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd1112/t321112.html">Entsorgung jeglichen kritischen Gehalts</a>. Die Folge ist eine de facto Deckungsgleichheit mit bürgerlichen Extremismustheorien, die den Sozialismus in der DDR als <i>zweite deutsche Diktatur</i>, beziehungsweise in Abstraktion ihres Inhalts als <i>wesensgleich</i> zum NS-Faschismus konstruiert. Dazu rächt sich die unsolidarische Ausklammerung der DDR-Geschichte als reale historische Erfahrung und Bezugspunkt einer kommunistischen Linken. Damit wird nicht nur die Perspektive der deutschen kommunistischen Bewegung, sondern darüber hinaus die Perspektive der Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung, die nicht im Dauerkonflikt mit dem sozialistischen Staat stand, im Diskurs unsichtbar. Im linken Gewand kippt so ein kritischer Diskurs zur DDR in Herrschaftsideologie, wenn er deckungsgleich mit den westdeutschen Eliten des neuen großdeutschen Projekts argumentiert, nur unter linkem Label. Dass dieser antifaschistische Diskurs in Ostdeutschland auf taube Ohren stößt, bei einer Bevölkerung, <a href="https://yougov.de/news/2016/02/24/der-sozialismus-hat-deutschland-einen-besseren-ruf/">die dem Sozialismus nicht mehrheitlich ablehnend</a> gegenübersteht, da er die Biografien und auch positive Erfahrungen und Errungenschaften in der DDR einfach negiert, ist kaum verwunderlich. Trotz des offensichtlichen Scheiterns des linksliberalen <i>weltoffenen</i> Diskurses, weigert sich eine Linke in ihrer Breite weiterhin, eine kritisch-solidarische und damit vorwärtsweisende Diskussion zum real existierenden sozialistischen Projekt und auch zur <i>ostdeutschen Frage</i> anzugehen.</p><h3><b>Wer seine*ihre Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft</b></h3><p>Tatsächlich sind viele der heute von Kritiker*innen des realsozialistischen Projekts hervorgebrachten Argumente nicht von der Hand zu weisen und wären in eine kritische Reflektion mit einzubeziehen.</p><p><b>1)</b> Dass beispielsweise auch die DDR auf die Mitarbeit <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd7809/t157809.html">postfaschistischer</a> <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd7809/t157809.html"><i>Genoss*innen</i></a> beim Aufbau des Sozialismus angewiesen war, ist dokumentiert. Aber auch, Dass dies (insbesondere auf Führungsebene) in geringerem Umfang geschah und aus historischer Kontinuität heraus zwangsläufig so sein musste.</p><p><b>2)</b> Dass es daher auch in der DDR, wenn auch abseits der Chefetagen, zur Konservierung chauvinistischer Einstellungen kam, <a href="http://www.scharf-links.de/46.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=58071&tx_ttnews[cat]=27&cHash=9709de4cdd">wie zum Beispiel in der Blockpartei NDPD</a> - aber auch in der SED -, ist ein gesamtdeutsches, geteiltes Problem. In Westdeutschland fand sich dieses Klientel in der FDP oder CDU und besonders in der CSU wieder.</p><p><b>3)</b> Dass es daher auch in der DDR <a href="https://www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/erfurt/alltagsrassismus-in-der-ddr-100.html">zu pogromartigen Ausfällen</a> und rassistisch motivierten Übergriffen kam, die allzu häufig mit unzureichender öffentlicher Thematisierung einhergingen, ist dokumentiert.</p><p><b>4)</b> Dass es, bedingt durch die weltpolitische Situation des Kalten Kriegs, wie auch aus Skepsis gegenüber der eigenen post-faschistischen Bevölkerung, massive Defizite im Bereich der politischen und kulturellen Freiheiten gab, aus denen nur eine stark reglementierte sozialistisch-demokratische Kultur entspringen konnte, ist dokumentiert. [3]</p><p><b>5)</b> Dass sich spätestens Ende der 70er in der DDR unter den Augen der Führung des MfS, der FDJ und der SED eine <a href="https://www.antifainfoblatt.de/artikel/extreme-rechte-der-ddr">neofaschistische Subkultur ausbildete</a>, die insbesondere von der FDJ-Basis erkannt, aber lange Zeit für schlicht inexistent erklärt wurde.</p><p><b>6)</b> Die dokumentierte, oftmals vollkommen überzogene Repression gegenüber anderen linken Strömungen, seien es dissidente Marxist*innen-Leninist*innen, unangepasste Subkulturen und Andere, die eine Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen äußerten. Dies führte bis zum Ruin ganzer Biografien durch öffentliche Demütigung (<i>Zersetzung</i>), anhaltende Bespitzelung und <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd0419/t040419.html">schärferen Formen der Repression durch den MfS</a>.</p><p><b>7)</b> Und schließlich die Tatsache, dass im Bevölkerungsschnitt vergleichsweise <a href="http://www.wissen-weblog.de/montagsdemonstrationen-in-leipzig-1989.html">kleine Demonstrationen</a> (zu Hochzeiten: 500.000, bei 16 Millionen Einwohnern) de facto in der Lage waren, das System zu verunsichern. Eine Tatsache, die auf eine grassierende Fragilität des politischen Systems hinweist, welches Widersprüche nicht mehr integrieren konnte.</p><p>All diese kritischen Erkenntnisse und Tatsachen könnten heute fruchtbar sein in einer innerlinken Diskussion um Erfolge, Fehler und möglicherweise unvermeidbare, historisch bedingte Notwendigkeiten beim ersten sozialistischen Aufbauversuch in Deutschland, angesichts der massiven Mobilmachung durch den antikommunistischen Westblock.</p><h3><b>Die projektive Abwehrhaltung des Traditionskommunismus</b></h3><p>Die negativen Aspekte und politischen Fehlentwicklungen des ostdeutschen Sozialismus dürfen in einer Debatte um kritische Aufarbeitung, wie auch um historische Kontextualisierung nicht verschwiegen werden. Sie verweisen auf Widersprüche im sozialistischen Aufbauprozess, die für uns Kommunist*innen Ausgangspunkt einer kritischen Überprüfung - und nicht der projektiven Abwehr - sein sollten. Es handelt sich um Widersprüche, mit denen sich in Abwesenheit eines gleichzeitigen, weltweiten Ausbruchs der <i>Weltrevolution</i> auch der kommende sozialistische Aufbau-Versuch herumschlagen wird müssen.</p><p>Eine sinnvoll geführte, sachliche und materialistische Aufarbeitung und das Herausarbeiten zentraler Problem- und Fragestellungen wird also integral sein, soll unser nächster Anlauf souveräner verlaufen. Hier sind insbesondere jene Traditionskommunist*innen in unseren Reihen <a href="http://www.k-p-d-online.de/index.php/aktuell/inland/717-rote-hilfe-fuer-die-schwarzen">zu kritisieren</a>, die angesichts des oben skizzierten Antikommunismus in der Linken, in projektive Abwehrhaltungen verfallen. Allerdings, jede kritische Erkenntnis zur DDR-Geschichte, sei diese tatsächlich durch antikommunistische Intellektuelle hervorgebracht, unter dem Vorwurf des Antikommunismus und innerkommunistische Kritik unter dem Kampfbegriff des <i>Revisionismus</i> allumfassend abzukanzeln, wird der Komplexität des Themas einfach nicht gerecht und offenbart nur die eigene organisatorische, wie auch ideologische Schwäche als vermeintliche Gralshüter*innen der <i>reinen Lehre</i>. Abzulehnen sind daher Ansätze der Mobilisierung einer <i>Agententheorie</i>, nach der das Übel alleine von außen kam, aber auch eine idealistisch argumentierende Ideologiekritik und Scholastik, die den <i>Revisionismus der SED</i> [4] zum alleinig schuldigen Moment erklärt. Vielmehr sollten die Klassenwidersprüche und damit die Ökonomie der DDR, sowie die demokratischen, kulturellen und nationalen Widersprüche, die eben auch im Sozialismus als <i>niederer Form des Kommunismus</i> weiterexistieren mussten, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.</p><p>Nicht zuletzt aufgrund dieser in der kommunistischen Bewegung selbst nur sehr mangelhaft geführten Aufarbeitungsdebatte resultiert, dass die in Kontinuität des westdeutschen Antikommunismus argumentierenden Linksliberalen als einziger kritischer Pol in der linken Debatte wahrgenommen werden, ein Monopol für DDR-Kritik für sich reklamieren können und schließlich notwendige Selbstkritik in totalitarismustheoretisch argumentierenden Antikommunismus überführen.</p><h3><b>Eine solidarische Debatte muss her – kritisch und materialistisch</b></h3><p>So ärgerlich also das Fehlen einer historisch-materialistische Auseinandersetzung mit den Fehlern der DDR durch Traditionskommunist*innen ist: Hegemonial sind diese Positionen in der Linken nicht. 30 Jahre nach dem Niedergang des Sozialismus kann konstatiert werden, dass ein antikommunistisches Narrativ innerhalb der deutschen Linken hegemonial geworden ist, was sich unter anderem in umfassender Entsorgung und Delegitimierung der DDR als historisch irgendwie gearteten Bezugspunkt äußert. Genau in dieser <i>umfassenden</i> Ablehnung der Existenz der DDR als antifaschistische Konsequenz aus dem faschistischen Raub- und Vernichtungskrieg, dem zweiten Versuch der deutschen Eliten die Weltherrschaft zu erringen, liegt der Antikommunismus des weiter gefassten linken Diskurses. Hier geht es nämlich nicht mehr um aus ihrem historischen Kontext und den objektiven gesellschaftlichen Bedingungen heraus zu erklärende Fehler, mit dem Ziel einer solidarisch-kritischen Aufarbeitung, bei der Verteidigung des sozialistischen Staats aus seinem historischen Kontext heraus. Es geht vielmehr um dessen geschichtliche Entsorgung. Ihr Antikommunismus liegt daher in der Markierung der DDR als <i>innerlinken Feind</i>, der so schnell es geht vergessen gemacht werden muss, anstatt deren historische Legitimität angesichts von wiederkehrendem faschistischem Terror, Imperialismus und Krieg zu verteidigen und ihre Fehler aufzuarbeiten.</p><p>Diese Form des linken Antikommunismus bedient im Prinzip das Narrativ des „rotlackierten Faschisten“ (Kurt Schumacher, SPD) [5]. Er begründet sich stets mit Argumentationsmustern unterschiedlicher Couleur, die der <i>Totalitarismus-</i> und <i>Extremismustheorie</i> ähneln, bis hin zu teils offener Gleichsetzung mit dem NS-Faschismus. Aus einer historisch materialistischen Perspektive, die zu Recht <a href="http://www.trend.infopartisan.net/trd0319/t400319.html">von Kritiker*innen</a> der jüngsten <i>Rote Hilfe</i> Ausgabe eingefordert wird, würden dahingegen folgende Feststellungen und Fragestellungen eine marxistische, und damit revolutionär linke Debatte zur DDR voranbringen, die nicht ins Fahrwasser des Antikommunismus oder der unkritischen DDR-Jubelei gerät:</p><p><b>1)</b> Die Anerkennung der Grenzen des historisch Möglichen beim Aufbau des Sozialismus in der DDR zum einen durch die weltpolitische Konstellation der andauernden Aggression durch den Westblock, aber auch der Abhängigkeit von Moskau als deutsche Kommunist*innen. Zum anderen durch die Kontinuität des NS-Faschismus in der Bevölkerung, mit der der sozialistische Aufbau vollzogen werden musste. An dieser Bewertung hängt auch die uralte Fragestellung vom „Sozialismus in einem Land“ (Stalin), d.h. das Eingeständnis, dass keine gleichzeitig überall auftauchende Weltrevolution kommen wird, oder des konsequentem Internationalismus (Trotzki) [6] und Verzicht auf diese Perspektive.</p><p><b>2)</b> Die Anerkennung des aus diesem denkbar schlechten Kontext heraus Erreichten, das heißt der historischen Errungenschaften. Sei es allein die Existenz eines sozialistischen Staates, der die Wiederaufrichtung eines deutschen Imperiums durch die post-faschistischen westdeutschen Eliten im dritten Anlauf nahezu 40 Jahre verhinderte. Sei es die komplette Enteignung ranghoher NSDAP-Unterstützer*innen. Sei es der hohe Stand an sozialer Sicherheit, des Erziehungs- und Bildungssystems, der Emanzipation der Frau oder der Legalisierung der männlichen Homosexualität, wenn sie auch wegen gesellschaftlichen Stigmata verborgen gelebt werden musste. Oder sei es eben auch die Tatsache, dass diese 40 Jahre einer der wenigen Abschnitte deutscher Geschichte darstellen, in denen kein Krieg von deutschem Boden ausging.</p><p><b>3)</b> Die Fragestellung um die objektiven ökonomischen Möglichkeiten einer Planwirtschaft zum damaligen Stand der Technik, wie auch Verfehlungen in der Wirtschaftspolitik des Ostblocks im Allgemeinen. Da wären zum Beispiel bereits die Anreizsysteme, oder die Fortsetzung der fordistischen Produktionsweise in ihrem historischen Kontext zu betrachten. Die Frage ist zu stellen, warum die DDR solch massive Probleme hatte, Fachkräfte zu halten – eine der Hauptursachen für den Mauerbau. Aus den historischen Bedingungen verständlich oder Anfang vom Ende des Sozialismus? Wie kann ein sozialistischer Aufbau funktionieren, der nicht an diese ökonomischen Grenzen stoßen soll?</p><p><b>4)</b> Die aus den Eigendynamiken einer faschistischen Kontinuität, der Frontstellung gegen den Westen und dessen nachgewiesener Agent*innen- und Sabotagetätigkeit, wie auch problematischer ideologischer Annahmen eines <i>Stalinschen</i> Marxismus-Leninismus [7] folgende Repression durch den MfS und die Polizeiorgane. Die Dialektik aus notwendiger Selbstverteidigung gegen westliche Destabilisierungsagitation, aber auch massive Wühlarbeit gegen nicht DDR-feindliche linke Dissident*innen mit berechtigtem Reformanliegen. Ergo das Verhältnis von notwendiger Selbstverteidigung und Einschränkung beziehungsweise Behinderung einer sozialistischen Demokratie. Wie ist der Aufbau eines Sozialismus denkbar, der angesichts einer allzeit drohenden Aggression gegen eine Revolution nicht in einen restriktiven Polizeistaat umschlägt, sondern Formen der sozialistischen Demokratie stärkt und gleichzeitig selbstverteidigungsfähig ist?</p><p><b>5)</b> Die Stellung und Verfasstheit einer revolutionären Organisation in der Gesellschaft, die die Revolution organisiert, den Aufbau des Sozialismus begleitet und vorantreibt, wäre vor diesem Hintergrund eine Up-To-Date Diskussion. Diese Debatte dreht sich heute um die Fragestellung nach der Rolle revolutionärer Organisierungsprozesse in sozialen Bewegungen, den Stadtteilen und den Betrieben. Warf die Identität von Partei und proletarischem Staat in der DDR zentrale Problemstellungen auf? Wie wäre dieses Verhältnis anders zu denken gewesen? Wie hätte ein „Absterben des Staates“ (Lenin) durch Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen (Sowjets) in Gang gesetzt werden können? Welche Organisierungsstruktur braucht eine revolutionäre Organisierung?</p><p><b>6)</b> Was sagt uns das Wiederaufkommen neofaschistischer Tendenzen zu Anfang der 80er Jahre über die materiellen Voraussetzungen in der DDR? Wie war das Verhältnis der Klassen dort geartet? Handelte es sich gar um eine neue (nicht-kapitalistische) Klassengesellschaft? Welche Form der Herrschaft nahm die Diktatur des Proletariats also real an und warum? An diesen Fragestellungen hängt schlussendlich die Frage nach einer möglichen Herrschaft der Bürokratie (Trotzki) oder einer Restauration des Kapitalismus (Mao) bereits vor 1989. Ebenso wie die Frage der Fortsetzung des Klassenkampfs im Sozialismus und dessen Gestalt.</p><p>Hier wären dann aus meiner Sicht einige, wenn auch nicht alle Fragen und Feststellungen aufgeworfen. Nicht abstrakte Ideologiekritik am historischen Gegenstand vorbei wird uns bei der Beantwortung einer so gearteten Diskussion weiter voran bringen. Sondern die Entwicklung zentraler Fragestellungen anhand des historischen Kontexts, die für eine kommunistische Bewegung auch heute nach wie vor Gültigkeit besitzen. Wir sollten uns dabei vorbehaltslos des Werkzeugkastens, den uns die historische kommunistische Bewegung hinterlassen hat, bedienen, um folgende für uns heute aktuelle Fragen zu beantworten: Wie sind die objektiven Bedingungen für einen sozialistischen Aufbau heute? Brauchen wir eine revolutionäre Organisation oder Partei und welchen Anforderungen muss sie genügen? Wie steht sie zu den neuen sozialen Bewegungen, wie zu den Möglichkeiten des Internets? Wie gestalten wir eine sozialistische Ökonomie? Brauchen wir Repression gegen rechtsradikale innere Gegner*innen und Angriffe von außen? Wenn ja, wie soll diese organisiert sein? Wie ist das Verhältnis zwischen revolutionärer Organisation und Gesellschaft geartet? Wie kann eine bürokratische Entkopplung von den Massen verhindert werden?</p><h3><b>Ohne solidarische DDR-Aufarbeitung kein wirkungsvoller Antifaschismus</b></h3><p>Eine offene und solidarische Debatte um diese Fragen und die Überwindung der unsolidarischen Polemik wäre ein ganz gewaltiger Schritt nach vorne für die deutsche Debatte. Eine solche auf einen kritisch solidarischen Bezug zielende Debatte fehlt der deutschen Linken derzeit jedoch im Ganzen. Dass sie dringend Not täte, zeigt das Abgleiten des Antifa-Diskurses in Totalitarismus- und Extremismustheorie. Immerhin: Im Zuge der Debatte um <i>Neue Klassenpolitik</i> und auch die durch die Initiative <i>Aufbau Ost</i> vorangebrachte ostdeutsche Klassenfrage werden die Anfänge für ein klassentheoretisches Verständnis des Rechtsrucks im Osten Deutschlands abseits von bürgerlichen Demokratieideologien gelegt. Jedoch bleiben beide Ansätze zum einen unvollständig, wenn eine solidarisch-kritische Geschichtsdebatte unterbleibt, die den Verlust einer historischen Realität thematisiert, die jene vieler Menschen im Osten Deutschlands ist und an die eine Linke anknüpfen kann. Zum anderen aber auch, wenn der Prozess der Deindustrialisierung und Faschisierung Ostdeutschlands nicht im Kontext des Wiederauferstehens gesamtdeutscher Größenideen 1989 und deren realpolitischer Umsetzung durch sämtliche Bundesregierungen danach gesehen wird.</p><p>Kurzum: Der Rechtsruck ist nicht auf ein<i> ideologisches</i> Phänomen der vermeintlichen Kontinuität im Autoritarismus zu verkürzen. In den Erzählungen der AfD-Wähler*innen im Osten geht es häufig um Verlust, um die Angst, noch mehr zu verlieren, um den Stolz etwas aufgebaut zu haben, was durch die <i>Wende</i> verloren ging oder um eine historische Demütigung durch den Westen. Dieses Narrativ nicht adäquat aufzunehmen, sondern stattdessen westdeutsch chauvinistische Erklärungsmuster zu bedienen, rächt sich für die Linke zur Zeit sträflich. Die Analyse bleibt auf der Diskriminierungsebene verhaftet und mündet folglich in falsche Erklärungen. Seien es Erklärungsmuster, wie eine angebliche <i>völkische Konservierung,</i> demokratische <i>Rückständigkeit,</i> vermeintliche<i> Bildungsdefizite abgehängter Ostdeutscher</i> oder Anschlussfähigkeit an vermeintliche<i> totalitäre Denkmuster des DDR-Staats.</i> Diese Erklärungen markieren eine gesamte Bevölkerung zur rückständigen Gegnerin, ethnisieren <i>die Ostdeutschen</i> zu <i>rückständigen Staatssubjekten</i>. Ein Großteil der Linken - insbesondere der Hauptstadtlinken - beteiligt sich unreflektiert mit Vernichtungs- und Maueraufbaufantasien oder<i> #Säxit</i>-Scherzen an diesem liberalen herrschenden Diskurs. Wen wundert es da noch, dass diese zumeist im Geleit westdeutscher Medien auch und vor allem von links kommenden Stigmatisierungen zu beinahe schon ostdeutsch-nationalistischen Abwehrhaltungen gegen links und damit zur Hinwendung nach rechts führen?</p><p></p><hr/><p></p><h3><b>Anmerkungen:</b></h3><p><b>[1]</b> Waibel, Harry: Die braune Saat <b>-</b> Antisemitismus und Neonazismus in der DDR. Schmetterling Verlag 2017</p><p><b>[2]</b> Vgl. Hallstein-Doktrin, in der die BRD den Alleinvertretungsanspruch proklamierte. Die DDR galt als grundsätzlich illegitimer Staat. Die Hallstein-Doktrin ist das Kernstück des westdeutschen Antikommunismus – bis heute.</p><p><b>[3]</b> Der Kulturkonservatismus der DDR-Führung und die Feindseligkeit gegenüber Entwicklungen, die man nicht kontrollieren konnte, sind sprichwörtlich in deren Reden enthalten. Beispielhaft Walter Ulbricht zur Beat-Musik. Ähnlich seine Nachfolger, die die entstehenden Jugendkulturen, anstatt deren Entstehen als Aufbrechen von Widersprüchen zu begreifen, vollkommen undialektisch als <i>Degeneration</i> ansahen. Siehe auch die Vorfälle um die Jugendunruhen von 1977, ein frühes Anzeichen der Unzufriedenheit mit der Politik der SED.</p><p><b>[4]</b> Natürlich gab es Agent*innentätigkeit des Westens und eine Strategie der Zersetzung der KPs. Auch diese Dimension muss daher Berücksichtigung und ihre Aufarbeitung Würdigung finden. Mit diesem Argument aber innere Widersprüche, die 1989 eben abseits davon zentral waren, zu negieren und unsichtbar zu machen, leistet unserer Sache einen Bärendienst. Dahinter steht ein ideologischer Fehler: Der hier in Reinform auftretende S<i>talinsche</i> Marxismus-Leninismus geht davon aus, dass der Klassenwiderspruch sich mit dem Aufbau des Sozialismus auf die internationale Konfrontation gen imperialistische Staaten verschiebt. Das kann in der jeweiligen Interpretation so weit gehen, dass behauptet wird, es gäbe gar keine Klassen mehr im Sozialismus. Logischerweise kann diesem Gedanken folgend die Konterrevolution nur noch von außen durch Kollaborateur*innen und/oder von außen beeinflussten oder fehlgeleiteten Agent*innen im Innern (Revisionist*innen) kommen. Der Gedanke, dass zum Beispiel eine arbeiter*innen-, kultur- und demokratiefeindliche Politik zur Entfernung der Partei von den Massen führen und damit ein nicht-antagonistischer Widerspruch antagonistisch werden kann, ist in dieser Denkweise leider eine Randglosse.</p><p><b>[5]</b> Eine schon seit der Weimarer Republik gängige Bezeichnung der KPD durch SPD-Anhänger*innen. Das Symbol militanter Sozialdemokrat*innen von der Eisernen Front zeigte daher auch drei Pfeile gegen drei vermeintlich wesensgleiche antidemokratische Tendenzen (Faschismus, Monarchismus, Kommunismus).</p><p><b>[6]</b> Eine gute Zusammenfassung der Kontroverse, die natürlich nicht abseits von Machtkämpfen ablief, sich aber auch nicht auf diese beschränken lässt bei: Losurdo, Domenico: Stalin - Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende. Köln 2013</p><p><b>[7]</b> Herausstechendes Charakteristikum ist ein extremer Ökonomismus. Der sozialistische Aufbau wird de facto gänzlich unter die Entwicklung der Produktivkräfte subsumiert. Sozialistische Demokratie in Form von beispielsweise Arbeiter*innenselbstverwaltung oder kultureller Freiheit abseits staatlicher Kulturpolitik, kommt hier nicht mehr als Kategorie vor. Damit geht die irrige und antidemokratische Annahme einher, dass soziale Kämpfe und andere Artikulationen der Klasse im Sozialismus grundsätzlich von Überresten des Klassenfeindes oder imperialistischer Intervention ausgehen müssen. Die sich in diesen Kämpfen äußernden Widersprüche des sozialistischen Aufbaus, zum Beispiel eine Bürokratisierung der Partei und deren Entfremdung von den Massen mit der Folge des <i>links überholt Werdens</i>, wird von Waltraud Aust in ihrem Bericht zum Aufstand 1956 beschrieben. Dass dieser auch (!) vom Westen unterstützt wurde und keine fortschrittliche Form annahm, spricht nicht gegen die Analyse als aufbrechender Widerspruch. Diese nicht vorzunehmen ist sträflich und rächt sich. Selbiges gilt für alle anderen Regungen der Bevölkerung in der DDR - seien sie fortschrittlich, rückschrittlich oder beides.</p><p></p></div>
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Antifa, Vereinigte Linke und die innerlinke Opposition in der DDR2018-10-01T09:34:18.495820+00:002018-10-01T10:42:17.081570+00:00Nestor Machwasredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/antifa-vereinigte-linke-und-die-innerlinke-opposition-der-ddr/
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<div class="rich-text"><p></p><p></p><p><i>Am
03. Oktober stehen in Deutschland die Einheitsfeierlichkeiten an. Dabei
geht es auch um Diskurshoheit in Bezug zu nationaler Geschichte und
damit zum sozialistischen Versuch der DDR. Unser Autor Nestor Machwas beleuchtet im Gespräch mit Dietmar Wolf von der Zeitschrift <a href="https://telegraph.cc">telegraph</a>
die Ereignisse rund um die so genannte „Wende“ und zeigt auf, wie sich
die radikale Linke in der DDR positionierte. Gleichzeitig untersucht er
die Frage nach der Zusammenarbeit mit antifaschistischen Strukturen aus
dem Westen und die Niederlage der „Vereinigten Linken“.</i></p><p></p><p><b>Nestor [re:volt]: Hallo Dietmar, welche Utopien hattet ihr in der
Antifa Ostberlin? Was sollte mit der DDR nach der "Wende"
passieren und welche zentralen Perspektiven hatte die DDR-Linke?</b></p><p></p>
<p><b>Dietmar Wolf:</b> Spätestens
mit der Gründung der „Umweltbibliothek Berlin“ im Jahre 1986 und
der „Kirche von Unten“ 1987 gab es erste Gruppen innerhalb der
DDR-Opposition, die ich strukturell und politisch als anarchistisch
und auch linksradikal bezeichnen würde. Doch schon im Jahr 1985
gründete eine Freundeskreis aus Gransee (Nordbrandenburg),
Oranienburg (bei Berlin) und Ostberlin eine Gruppe „Föderation
Kommunistischer Anarchisten“, die im gleichen Jahr erstmals eine
nichtstaatliche Ehrung zum Todestag von Erich Mühsam in Oranienburg
durchführte. Der Kern dieser Gruppe initiierte im Frühjahr 1990
auch die Gründung der ersten DDR-Gruppe der Freien Arbeiter Union
(FAU), in Ostberlin. Eine weitere explizit anarchistische Gruppe
existierte seit 1986 in Dresden. Diese nannte sich „Wolfspelz“.
Nach dem Überfall von DDR-Naziskins auf ein Rockkonzert in der
Ostberliner Zionskirche im November 1987, gründeten sich erste
unabhängige Antifagruppen in Potsdam und Dresden.
Auch diese speisten sich aus einem anarchistisch orientierten
Spektrum und ich würde sie als linksradikal bezeichnen. Mit der
Gründung der ersten unabhängigen Antifa in Ostberlin im April 1989,
gab es eine erste Gruppe, die sich, inspiriert durch die Autonome
Bewegung aus dem Westen explizit „Autonome Antifa“ nannte.</p>
<p>Während
Gruppen wie die Umweltbibliothek Berlin oder die Kirche von Unten
bemüht waren, ihre Vorstellung von einer freien anarchistischen Idee
in der DDR zu formulieren, gab es in den verschiedenen Antifagruppen
zunächst keine wirklichen Ansätze, derartiges zu erarbeiten und zu
formulieren. Diese Gruppen sahen ihre Aufgabe im Wesentlichen darin,
aus einer Position der Selbstverteidigung, auf die Existenz und die
stark ansteigende Bedrohung durch Nazis in der DDR aufmerksam zu
machen. Die Formulierung von politisch-gesellschaftlichen Utopien war
für die Antifagruppen zunächst wenig relevant und untergeordnet.
Hinzu kam, dass die Aktivist_innen in den Antifagruppen mehrheitlich
sehr junge Menschen waren, in Teilen auch erst anpolitisiert. So
verwundert es auch nicht, das in den Fällen, in denen versucht wurde
inhaltliche Ideen und Ziele zu formulieren, diese gelegentlich nicht
immer ganz ausgegoren und auch diffus waren. Das änderte sich aber
zunehmend mit Beginn der heißen Phase der revolutionären Ereignisse
im Herbst 1989. Vorherrschend
waren dann vor allem rätesozialistische Ideen für eine
herrschaftsfreie und parteienlose Gesellschaft, die sich von der
gesellschaftlichen Basis her über eine gesamtgesellschaftliche
Räte-Struktur selbstverwalten sollte. Das wurde oft mit
anarchistischen Ideen verbunden. Als
die revolutionären Prozesse im Herbst/ Winter 1989 stark an Fahrt
gewannen, entstanden unter anderem in Ostberlin sehr schnell weitere
Gruppen, die sich selbst als „Autonom“ bezeichneten. Zu nennen
sind da der „Revolutionäre Autonome Jugendverband (RAJV)“ mit
mehreren Gruppen in verschiedenen DDR-Städten, oder die „13.
Autonome Gruppe“ aus Berlin-Pankow. <br/></p><p>Eine
auch aus heutiger Sicht gute Beschreibung der Idee einer
herrschaftsfreien, sozialistischen und parteienlosen Räterepublik,
wie wir es uns vorstellten, formulierte die „13. Autonome Gruppe“
in einem Papier, dass auch Eingang in den Dokumententeil des
Kongress-Readers des „1. DDR-weiten Arbeitstreffens der Initiative
für eine Vereinigte Linke“ vom 25./26. November 1989
fand:</p><p>
<i>„(...)Wir sind gegen eine
Tendenz der Privatisierung der Wirtschaft, im Besonderen sind wir
dagegen, dass ausländisches Kapital in der DDR Produktionsmittel
besitzt. Wir sind gegen das Leistungsprinzip, das vom
kapitalistischen System kopiert ist und die 2/3 Gesellschaft
befördert. Wir sind gegen die Diskriminierung der Frauen am
Arbeitsplatz. Wir halten nichts von pauschalen Mieterhöhungen und
Aufhebungen der Subventionen bei Grundnahrungsmitteln,
Energieversorgung der Haushalte und im öffentlichen Nahverkehr.
Folglich sind wir gegen eine konvertierbare DDR-Mark. [ ... ] Wir
sind für ein groß angelegtes, zunächst zeitlich befristetes
Experiment mit allen Formen des Eigentums an Produktionsmitteln,
dabei wollen wir besonders die verschiedenen Möglichkeiten des
gesellschaftlichen Eigentums beachten und vor allem
genossenschaftliche Modelle erproben. Wir verlangen eindeutige
Grenzen für privaten Besitz sowie privaten Handel.</i><i> [
... ]</i> <i>Aus unserer Sicht wird dies durch
das Prinzip der gesellschaftlichen Selbstverwaltung in Form des
Rätesystems garantiert, durch das die Bevölkerung auf allen Stufen
an der Verwaltung des Staates und an der Leitung der Wirtschaft
beteiligt ist. Die Räte entstehen als Resultat freier und geheimer
Wahlen in den Betrieben und anderen Produktionsstätten, in den
staatlichen Institutionen und Organen und in den Wohngebieten, wo die
nichtarbeitenden bzw. die nicht mehr arbeitenden Teile der
Bevölkerung erfasst werden. Die so entstandenen Räte sind durch ein
Delegiertensystem für das ganze Land zu verbinden, ihr oberstes
Organ ist der Rätekongress, der in freier und geheimer Abstimmung
die Regierung wählt. Die Regierung ist dem Rätekongress und allen
anderen Selbstverwaltungsorganen rechenschaftspflichtig.
Regierungsfunktionen sind auf zwei Wahlperioden begrenzt.
Grundsatzentscheidungen für die Entwicklung und Sicherheit des
Landes trifft allein der Rätekongress, der in übersehbaren
Abständen zusammentritt. Die Delegierten sind ihren Wählern und
Räten rechenschaftspflichtig, der Rätekongress tagt öffentlich.
...“</i><a href="#sdfootnote1sym"><sup> 1</sup></a></p>
<p>Ähnliche
Positionen formulierte der „Revolutionäre Autonome Jugendverband
(RAJV)“. So war dieser auch für eine „Gesellschaft
fernab von Stalinismus und Kapitalismus“. Die SED sollte zugunsten
einer sozialistischen Rätedemokratie entmachtet werden. Die
Planwirtschaft sollte in der DDR beibehalten werden, jedoch unter
vollständiger Kontrolle von Räten, die sich ausschließlich
basisdemokratisch von unten organisieren sollten- über die Räte.</p>
<p>In
Folge der „Wende“ sahen wir, wie viele andere Aktivist_innen die
sich in Opposition zur noch herrschenden SED/ PDS sahen, mit der
Entstehung der "Initiative für einen Vereinigte Linke (IVL)"
folgerichtig zunächst eine Chance für eine wirkliche sozialistische
Entwicklung in der DDR. Als logische Konsequenz engagierte sich die
Autonome Antifa, zusammen mit andern autonomen und anarchistischen
Gruppen in der „Initiative für einen Vereinigte Linke (IVL)“.</p>
<p><b><br/></b></p><p><b>Nestor [re:volt]: Wer
war die IVL und wofür stand diese? Wie war euer Verhältnis als
Autonome zur IVL?</b></p>
<p><b>Dietmar Wolf:</b> Die
„Initiative für eine Vereinigte Linke (IVL)“ war ein Versuch auf
Grundlage der so genannten „Böhlener Plattform“ eine
Zusammenfassung verschiedener linken Gruppen und Strömungen der DDR
zu einer gemeinsamen Plattform, bzw. Organisation, zu erreichen. Die
„Böhlener Plattform“ wurde offiziell am 4. September 1989
veröffentlicht. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass dieses
Grundsatzpapier bei einem Arbeitstreffen in Böhlen bei Bautzen
verfasst worden sei, ist nur Wenigen bekannt, dass dieses Papier
unter maßgeblicher Federführung des konspirativ arbeitenden
oppositionell-marxistischen Diskussionszirkels „Gegenstimmen“ in
Berlin erarbeitet wurde. Sie hatte, im Vergleich zu den Aufrufen
anderer Organisations- und Parteineugründungen, den detailliertesten
und weitestreichenden Forderungskatalog. Am 02. Oktober fand in der
„Berliner Umweltbibliothek“ eine Zusammenkunft von Mitgliedern
unabhängiger linker Gruppen, Arbeitskreise und Einzelpersonen statt.
Es wurde beschlossen, im November 1989 ein DDR-weites Arbeitstreffen
durchzuführen. Bereits am 12.10.1989 forderte die IVL den Rücktritt
des Politbüros und der Regierung und die Bildung einer neuen
politischen Führung, sowie einer zeitlich befristeten
Übergangsregierung. Weshalb sie vom „Neuen Forum“ Leipzig als
staatsfeindliche Provokateure bezeichnet wurde.</p>
<p>Ideologisch
und auch programmatisch wurde die IVL von Anfang an von Mitgliedern
der linken DDR-Oppositionsbewegung dominiert, die sich selbst als
Marxist_innen, Trotzkist_innen und Leninist_innen bezeichneten. Aus
Sicht dieser federführenden Akteur_innen war es unbedingt
erforderlich, einen möglichst allgemein gehaltenen, akzeptablen
Minimalkonsens zu schaffen. Vor allem, um die IVL in Richtung
SED-Reformer_innen oder Vertreter_innen von linksliberalen
Initiativen, wie etwa dem „Neuen Forum“, offen zu halten. Das
hatte zu Folge, dass damit von vorne herein vermieden wurde,
Maximalforderungen aufzustellen, was aus meiner oder unserer
damaligen Sicht als DDR-Autonome, die IVL in ihrer politischen
Klarheit von Anfang an beträchtlich geschwächt hat. So wurde von
der IVL zum Beispiel der zentrale Begriff eines „durch Freiheit und
Demokratie gekennzeichneten Sozialismus“ verwendet.</p>
<p>Innerhalb
kürzester Zeit wurde uns als Aktivist_innen autonomer Gruppen mit
mehrheitlich anarchistischen und/ oder rätesozialistischen Ideen und
Auffassungen klar, dass die theoretischen und programmatischen Köpfe
der IVL trotz ihrer allgemein positiven Einstellung zu der Idee von
Arbeiter_innenräten über das, was der Sozialismus sein sollte, ganz
andere Auffassungen vertraten als wir.</p>
<p>Trotz
ihrer scharfen Kritik an der wirtschaftliche Grundlage der DDR und
der Forderung einer „radikalen Umwälzung in der DDR“, ihrer
Forderung nach „Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums“,
ihrer Kritik an der parlamentarischen Demokratie und ihrer
Befürwortung von Arbeiter_innenräten und der Rätebildung in den
Betrieben, hatte sich die IVL mit der „Böhlener Plattform“ eine
Programmatik geschaffen, die der Idee einer parteienlosen
Räterepublik im Grundsatz entgegenstand. So sprachen sie sich im
Kern für ein System parlamentarischer Demokratie aus, mit der
„Existenz mehrerer Parteien, welche von der Verfassung garantiert
werden “ und über ein klassisches "Verhältniswahlrecht"
gewählt werden sollten. In einem Konzeptpapier „Parlamentarismus
und Räteidee in einer sozialistischen Demokratie“ das von der
Arbeitsgruppe 1 des „1. DDR-weiten Arbeitstreffens der IVL“, am
25. und 26. November 1989 im Ostberliner Haus der jungen Talente
(Heute Podewill) mit etwa 500 bis 600 Teilnehmer_innen erarbeitet
wurde, heißt es dazu:</p><p><i>„</i><i>Wir
halten es für eine gefährliche Illusion, bei den in unserem Lande
gegenwärtig bestehenden politischen, sozialen und vor allein auch
historischen Bedingungen und Voraussetzungen davon </i>auszugeben<i>,
man könne jetzt zur Installation einer ,reinen‘ Rätemacht
übergehen. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass bestimmt durch die
konkreten Bedingungen der Entwicklung dieses Landes sowie durch das
politische Kräfteverhältnis, die Hauptform, der sich entwickelnden
Demokratie der Parlamentarismus sein wird. Wer nicht bereit ist,
diese politische Tatsache anzuerkennen, verurteilt sich selbst
letztlich zum politischen Sektierertum.</i><i>“ </i><a href="#sdfootnote2sym"><sup>2</sup></a></p>
<p>Letztendlich
führten diese inhaltlichen, ideologisch-konzeptionellen Unterschiede
zu einem Eklat, der sich Final auf dem Abschluss-Podium Bahn brach.
Jene bereits beschriebene marxistisch orientierten Gruppierung
versuchte im Prozess der endgültigen Konstituierung der IVL mit der
Einführung eines zentralen Koordinationsbüros
und der damit verbundenen Machtstellung eines zentralen
Sprecher_innenrates in Berlin von vorne herein
eine strukturelle und parteiartige Zentralisierung von oben nach
unten zu erreichen. Weiterhin versuchte sie den eigentlich
vorgeschlagenen und von der Mehrheit der Teilnehmer_innen längst
akzeptierten Namen „Initiative für eine Vereinigte Linke“
kurzerhand durch „Vereinigte Linke“ zu ersetzen und damit
letztendlich von Anfang an die Weichen auf eine Entwicklung hin zu
einer Wahlpartei zu stellen. Dies scheiterte in dieser Situation an
dem vehementen und lautstarken Widerstand der anwesenden
Vertreter_innen autonomer und anarchistischer Gruppen. So wurde als
Ergebnis dieser Tagung zunächst lediglich die Bildung eines
DDR-weiten Informationsnetzes beschlossen.</p>
<p>Doch
schnell stellte sich heraus, dass die von den Zentralist_innen
befürwortete Ausrichtung der IVL nur vorübergehend verhindert
werden konnte. So wurde schon Ende Januar 1990 bei der 1.
Delegiertenkonferenz der IVL in Leipzig der Organisationsname
„Vereinigte Linke (VL)“ durchgesetzt. Auch organisatorisch gelang
es den Verfechter_innen von parteikommunistischen Konzepten sich nun
durchzusetzen. Es wurde ein Statut verabschiedet, das eine
Zentralisierung der Organisation regelte. Die 16 existierenden
Basisgruppen wurden nun in territoriale Verbandsstrukturen
umgegliedert. Im Berliner Haus der Demokratie (damals noch in der
Friedrichstraße) residierte nun die Organisationszentrale mit einem
zentralen Sprecher_innenrat und Geschäftsausschuss. Außerdem
beteiligte sich die IVL weiter an allen regionalen und zentralen
Runden Tischen (quasi Schattenparlamente mit Vertreter_innen aller
Oppositionsgruppen und Organisationen, sowie Parteienvertreter_innen
der Volkskammer. Hier wurden Wünsche formuliert und an die weiterhin
regierende SED mit der Bitte um Umsetzung weitergereicht). Die
VL stellte kurzzeitig einen von fünf „Ministern ohne
Geschäftsbereich“, die ohne Wahl-Mandat von der Regierung Modrow
ernannt wurden. Folgerichtig beteiligte sich die VL auch an der
letzten Volkskammerwahl der DDR.</p><p> <br/></p>
<p><b>Nestor [re:volt]: Bei
den letzten Wahlen am 18. März 1990 hat dann ja das CDU-Bündnis
gewonnen und die Vereinigte Linke hat ziemlich schlecht
abgeschnitten. Wie ist es euch denn nach den Wahlen ergangen. Wie
habt ihr weiter gemacht?</b></p>
<p><b>Dietmar Wolf:</b> In
Folge der sich sofort abzeichnenden Grundwidersprüche zwischen
verschieden Ideen und Auffassungen und der damit verbundenen
Konflikte zogen sich viele anfänglich Interessierte schnell wieder
von der IVL zurück. Neben diversen Einzelaktivist_innen waren es auf
der einen Seite Verteter_innen des SED-Reform-Flügels, und auf der
anderen Seite aber auch anarchistische Aktivist_innen. Demgegenüber
verblieben einige autonome Gruppen wie die „autonome Antifa“, der
„Revolutionäre Autonome Jugendverband“, oder die „13. Autonome
Gruppe“, als sogenannte assoziierte Gruppen zunächst weiter in der
VL. Damit wurde ihnen quasi ein Beobachtungsstatus zugebilligt. Sie
hatten auf Vollversammlungen Rederecht und bei Abstimmungen pro
Gruppe eine Stimme. Letztendlich waren diese drei autonomem Gruppen
nur ein linksradikales Feigenblatt der VL, aber ohne wirklichen
Einfluss. Als sich die VL entschlossen hatte, an den letzten Wahlen
zur DDR-Volkskammer teilzunehmen, unterstützten wir diese mit allen
uns zur Verfügung stehenden Ressourcen und Möglichkeiten, auch wenn
wir grundsätzlich gegen diese Form von Wahlen waren und schon gar
keine großen Erfolgschancen der VL sahen. <br/></p><p>Was die
jeweiligen Handlungsmöglichkeiten im Wahlkampf anging, waren die
Karten für alle der beteiligten Akteur_innen deutlich ungleich
verteilt. Während der „Vereinigten Linken“ nur kleine
Stückzahlen selbstgemachter und mehrheitlich auch selbstproduzierter
DIN A3- und DIN A4- Plakate zur Verfügung standen, die zudem auch
nur punktuell verklebt werden konnten, wurde vom Westen aus Millionen
von D-Mark in flächendeckende Hochglanzwerbung für die Ost- SPD,
CDU und FDP – Blockparteien investiert. Während die
oppositionellen Gruppen nur Wahlwerbe-Zeit im DDR-TV und Radio zur
Verfügung hatten, wurde das Westfernsehen, die westlichen
Radiostationen und die meisten westlichen Zeitungen für einen
großangelegten Wahl- und Propagandafeldzug benutzt, um einen
sicheren Wahlsieg für entweder der Sozialdemokratischen Partei
[SDP], dem Bund Freier Demokraten (Liberal-Demokratische Partei
Deutschlands [LDP] Deutsche Forumpartei [DFP], F.D.P. der DDR ) ,
oder der Allianz für Deutschland (CDU der DDR, Deutsche Soziale
Union [DSU] und Demokratischer Aufbruch [DA]) herbei zu garantieren.
Hinzu kam, dass sich die westlichen Parteien, zusammen mit ihrem
hochkarätigen Führungskader auch selbst aktiv in den Wahlkampf
einmischten. Bereits seit der Maueröffnung wurde, vor allem von der
CDU, alles unternommen, die Meinungen und Stimmungen der Menschen in
der DDR weg von sozialistischen Reformen in einer souveränen DDR hin
zu einem vermeindlichen Wunsch nach einer „Deutschen Einheit“ zu
beeinflussen und fundamental zu verändern. Aus dem im Frühherbst
1989 ursprünglich kreierten Ruf einer freiheitlichen Emanzipation
der Bevölkerung der DDR: „Wir sind das Volk“ wurde durch sehr
viel Geld und eine ungebremste Propagandamaschinerie sehr schnell der
Ruf: „Wir sind ein Volk“.</p>
<p>
</p>
<p>Eigentlich
hatten vor der Wahl alle, oder zumindest viele, mit einem knappen
Wahlsieg der SPD gerechnet. Selbst viele Demoskopen aus dem Westen,
prognostizierten einen Sieg der Ost-SPD. Das die Wahl mit einem
Erdrutschsieg der „Allianz für Deutschland“ ausging, hat alle,
auch uns, sehr erstaunt und vor allem uns als Ost-Linke durchaus
schwer erschüttert. Selbst die kleinsten Hoffnungen auf eine
eigenständige sozialistische DDR waren damit begraben worden. Was
für viele übrig blieb, war, sich auf die nun kommenden, wiederum
düsteren Zeiten vorzubereiten und das maximale aus den restlichen
Wochen und Monaten des „kurzen Sommers der Anarchie“ heraus zu
holen.<br/>
</p>
<p>Diese
Tatsache des desaströsen abschneiden der meisten beteiligte
Oppositions-Gruppen und Initiativen (Vereinigte Linke 0,18 Prozent,
Bündnis 90 2,9 Prozent, DDR-Grüne/UFV 2,0 Prozent – Allianz für Deutschland
48,15 Prozent, DDR-SPD 21,9 Prozent, PDS 16,4 Prozent)
führte gerade bei unserer Gruppe zu der Erkenntnis, dass es ein
grundsätzlicher Fehler war, sich entgegen der eigenen politischen
Überzeugungen an diesem pseudodemokratischen Parteien- und
Wahlzirkus zu beteiligen. Und während sehr viele linksalternative
und linksradikale Aktivist_innen dieses ernüchternde Wahlergebnis
zum Anlass nahmen, um sich resigniert komplett aus jeglichem
politischen Engagement ins Privatleben zurückzuziehen, war es für
die wenigen letzten autonomen Vertreter_innen in der VL zu mindest
ein wichtiger Grund für ihren Rückzug aus der VL noch vor dem
Sommer 1990 und zur Rückbesinnung auf ihre eigenen und eigentlichen
politischen Aktionsfelder.</p>
<p>Allen
ehemaligen Oppositionsgruppen und Initiativen, die sich zur Wahl
gestellt hatten, war es mehr oder weniger gelungen, einige wenige
Mandate in der letzten Volkskammer zu erlangen. Selbst die VL bekam,
dank fehlender Prozenthürde, ein Mandat. Und so beteiligte sich auch
die VL ein halbes Jahr am parlamentarischen Zirkus und begleitete die
letzte DDR-Regierung von Lothar de Maizière bei der Abwicklung der
DDR. Zu dieser Zeit, also spätestens ab etwa Sommer 1990, war der
Zerfall der VL schon voll im Gange. Unter den verbliebenen
Mitgliedern der VL hatten sich die Vertreter _innen für eine weitere
Beteiligung an einem bürgerlich-demokratischen Parteiensystem und an
parlamentarischen Wahlen mehrheitlich durchgesetzt. Angesichts der
bevorstehenden Übergabe der DDR an die BRD und damit bevorstehenden
weiteren Wahlen wurden nun auch selbst aktiv an imaginären, aber
letztendlich nicht zu Stande gekommenen Wahl-Bündnissen mit anderen
„Ex-DDR-Oppositionsgruppierungen“ geschmiedet. Während sich
einzelne VL-Kader als „freie Kandidaten“ für die PDS und das
„Neue Forum / Bündnis 90“ aufstellen ließen, gingen die meisten
noch bestehenden unabhängigen, autonomen und anarchistischen
Basisgruppen im Osten in die zeitweise recht starke
Hausbesetzer_innenbewegung, in die autonome Antifa, in
Kulturprojekte, Medieninitiativen und Ökokommunen. Sie bildeten den
Grundstock für eine radikale autonome Linke im Osten, die sich in
den 1990er Jahren partiell an der westdeutschen radikalen Linken
orientierte. Dabei beharrte sie stets auf Eigenständigkeit, vertrat
eigene Ideen und Konzepte und ging eigene Wege, auch wenn das
gelegentlich Irrwege waren. Das Siechtum der „Vereinigten Linken“
zog sich letztendlich bis in die 2010er Jahre, weil sich die letzte
Handvoll Mitglieder_innen bis in das Jahr 2017 nicht zu einem
endgültigen Schlussstrich durchringen konnten. Eine echte und
nachhaltige Handlungs- und Interventionsfähigkeit der VL war
wahrscheinlich schon mit dem Ablauf der 1990er Jahre kaum bis gar
nicht mehr gegeben. Einige dieser letzten Aufrechten und Altvorderen
der VL beschuldigen bis in die heutige Zeit die anarchistischen und
autonomen Aktivist_innen von damals. Diese hätten mit ihrem
radikalen Einspruch auf der 1. Arbeitstagung im November 1989 schon
den Grundstein für das Scheitern der IVL/VL gelegt. Sie hätten
ursächlich die Organisation schon in dieser, entscheidenden Phase
der Gründung mutwillig und verantwortungslos in ein Chaos gestürzt
und viele potentiell Interessierte damit verprellt und abgeschreckt.
Andernfalls hätte die VL eine gute Chance für eine größere Basis
und fundamentale linke Alternative gehabt. Dies ist
selbstverständlich nur eine reine Schutzbehauptung. Es ist der
billige Versuch, sich selbst aus der Schuld zu nehmen, diese Anderen
zu zu schieben und vom eigenen politischen Unvermögen abzulenken.</p><p><br/></p>
<p><b>Nestor [re:volt]: Wie
setzte sich die DDR-Opposition zusammen, gerade vor dem Hintergrund
das heute nur von „Bürgerrechtlern“, die sich angeblich den
Kapitalismus gewünscht haben, gesprochen wird?</b></p>
<p><b>Dietmar Wolf: </b>Hier
muss ich erst einmal was zu Begrifflichkeiten und zu Deutungshoheiten
bzw. staatlicher Geschichtsrevision sagen. Zunächst gibt es keine
„DDR-Bürgerrechtler_innen“ und auch keine
„DDR-Bürgerrechtsbewegung“. Diese Begriffe sind ganz klar eine
Erfindung der BRD-Medien, oder der von der politischen Elite der BRD
gewollten und aufwendig finanzierten Geschichtsfälschung. Sie geht
einher mit der Lüge, dass die Opposition in der DDR eine rein
Bürgerliche gewesen sei, deren einziges Ziel das Ende der DDR und
also die „Deutsche Einheit“ gewesen sei. Und jeder, dem die Stasi
damals noch etwas Gehirn gelassen hat, weiß, dass dies großer
Blödsinn ist. Leider ist es so, dass die große Mehrheit der
ehemaligen DDR-Opposition seit langem schweigt, oder nicht in der
Lage ist, sich entsprechend Gehör zu verschaffen.</p>
<p>Und
so gibt es kaum Widerstand gegen diese große Geschichtslüge der
BRD-Medien- und Propagandamaschine in Tateinheit mit einer
ausgesuchten Handvoll von ehemaligen DDR-Oppositionellen, die sich
profitabel an das herrschende System verkauft und ihre einstigen
Ideale dafür längst über Bord geworfen haben. Sie sind nimmer müde
im Auftrag ihres neuen Herrn zu behaupten, was jeder Realität
entbehrt. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass einige das
alles so verinnerlicht haben, dass sie dies mittlerweile selbst mit
tiefster Überzeugung glauben.
Selbstverständlich gibt es auch einzelne und spezielle Ausnahmen,
wie Vera Lengsfeld. Sie begann ihren Weg ganz Links: Zunächst selbst
SED-Mitglied, schloss sie sich später der linken DDR-Opposition an.
Im Januar 1988 wurde sie bei einer Protestaktion, zusammen mit
hunderten Ausreisewilligen und einige anderen DDR-Oppositionellen
verhafte und eingesperrt. Trotz großer und starker Solidarität und
Protestaktionen in der ganzen DDR und die Forderung nach Entlassung
in die DDR, ließ Sie sich schon nach kurzer Zeit und unter dubioser
Vermittlung von Amnesty International nach England frei kaufen. Von
da an begann offenbar ein politisches Umdenken, das
bekanntermaßen zu ihrem Marsch über Grüne, CDU zu Pegida und AfD
geführt hat. Sie ist ohne Zweifel eine Überzeugungstäterin.</p>
<p>Doch
zurück zum Ausgangspunkt. Ich sagte ja bereits, dass es keine
„Bürgerrechtler_innen“ bzw. „Bürgerrechtsbewegung“ gab.
Tatsächlich gab es überall in der DDR viele verschiedene und auch
politisch nicht immer klar festzumachende Gruppen, die sich
mehrheitlich in Räumen der evangelischen Kirchen organisierten.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie DDR-weiten Treffen oder
gemeinsamen politischen Aktionen in Folge staatlicher Repression
kamen diese Gruppen nur selten zusammen und agierten weitestgehend
unabhängig voneinander. Sie vernetzten sich in der Regel auch nur
informell. Die evangelische Kirche bot damals als Einzige die
Möglichkeit, sich ohne direkte Strafverfolgung und Verhaftung zu
versammeln. Hier trafen sich neben Christ_innen auch diverse
politische Aktivist_innen, die sich in Opposition zur SED-Herrschaft
befanden. Und es ist auch so, dass sich die überwiegende Mehrheit
bis weit in die Wende 1989 hinein links von der SED positionierte und
sich entweder konkret oder aber nur ganz allgemein für einen
freiheitlichen und demokratischen Sozialismus in der DDR aussprachen.
Das belegen diverse Papiere der verschiedenen Gruppen und
Organisations-Gründungen im Zeitraum Sommer/Herbst 1989.</p>
<b>
</b><p><b>Exemplarische
Belege:</b><br/>
<b>„Demokratie
Jetzt“ <a href="http://www.ddr89.de/dj/DJ.html">Gründungsaufruf</a>, vom 13.August 1989:</b></p>
<p>„<i>(...)
Der Sozialismus muss nun seine eigentliche, demokratische Gestalt
finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll. Er darf
nicht verloren gehen, weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach
überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen
zur westlichen Konsumgesellschaft braucht, deren Wohlstand die übrige
Welt bezahlen muss ..."</i><a href="#sdfootnote3sym"><sup> <br/></sup></a></p><p>
<b><a href="http://www.ddr89.de/dj/DJ.html">Aufruf</a> zur Bildung einer Initiativgruppe, mit dem Ziel eine
sozialdemokratische Partei in der DDR ins Leben zu rufen, vom
27.07.1989:</b></p>
<p>„<i>...
Angesichts dieser Lage halten wir folgende Bemühungen für
notwendig:</i></p>
<p><i>a)
Die Erarbeitung einer politischen Alternative für unser Land, die an
politische Traditionen anknüpft, die an Demokratie und sozialer
Gerechtigkeit orientiert sind.</i></p>
<p><i>Zu
diesen Traditionen gehört an wichtiger Stelle die des
Sozialismus. ...“</i></p>
<p><b><a href="http://www.ddr89.de/nf/NF152.html">Aufruf</a> des Neuen Forum, an alle Mitglieder der SED, vom 06.10.1989</b><b>:</b></p>
<p>„<i>...
</i><i>Zehntausend
Unterschriften aus allen Bevölkerungsschichten beweisen schon jetzt,
dass Gemeinschaftshandeln und Verantwortungsgefühl in der Stagnation
unseres gesellschaftlichen Lebens nicht untergegangen sind. [...] Die
zehntausend Unterschriften sind weit davon entfernt, eine
staatsfeindliche Handlung zu sein - sie sind ein Akt
staatsbürgerlicher Verantwortung. [...] Wir protestieren gegen die
Versuche der Regierung, uns als Sozialismusfeinde darzustellen. Das
Neue Forum ist eine Stätte für neues Denken. Das ist in der DDR
ebenso wenig sozialismusfeindlich wie in der Sowjetunion.</i>
<i>...“</i></p>
<p><b>Edelbert
Richter, Demokratischer Aufbruch,</b><b>
in einem <a href="http://www.ddr89.de/da/DA1.html">Zeitungsinterview</a>, vom 16.09.1989:</b></p>
<p>„(...)
Nicht nur das Wort sozialistisch, sondern auch bestimmte
gesellschaftliche Prinzipien des Sozialismus haben für uns nach wie
vor einen guten Klang. Rechte Gedankengänge sind damit
ausgeschlossen (...)“</p>
<p><b>Aus
einem <a href="http://www.ddr89.de/da/DA.html">Flugblatt</a> des Demokratischen Aufbruch, vom 14.09.1989:</b></p>
<p>„Der
Demokratische Aufbruch ist ,ein Teil der politischen Opposition in
der DDR‘ (...) für eine sozialistische Gesellschaftsordnung auf
demokratischer Basis" eintritt. (...) Seine
Mitglieder wehren sich gegen die Unterstellung die DDR in
kapitalistische Verhältnisse zurückreformieren zu wollen. Sie
stehen ein für die Umgestaltung untragbarer Zustände, um die
zukünftige Existenz der DDR als Friedensfaktor in Europa zu
ermöglichen“</p>
<p>Wenn
es überhaupt einen Sammelnamen für diese „Bewegung“ oder
Gruppen gibt, dann wäre das „Friedens-, Menschenrechts und
Umwelt-Gruppen der DDR“, bzw. in der „evangelischen Kirche der
DDR“. Weil das aber ein ziemlich umständlicher Name ist haben wir
immer von der „DDR-Opposition“ oder den „Gruppen der
DDR-Opposition“ gesprochen. Wobei das so zu werten ist, dass es
eine politische Opposition in der DDR war und nicht gegen die DDR.</p>
<p>Allerdings
muss auch gesagt werden, dass sich ab etwa Mitte der 1980er Jahre
auch politische Flügel herausbildeten und zur Wende hin immer klarer
ausformulierten. Und es ist deshalb nicht verwunderlich, dass eine
ganze Reihe der Gruppen und Aktivist_innen im Zuge der
Wendeentwicklungen, spätestens aber ab der Maueröffnung und der
sich mehr und mehr abzeichnenden Entwicklungen in Richtung
Angliederung an die BRD, politisch endgültig nach rechts
umschwenkten. Sie gaben ihre ursprüngliche Positionierung für
Sozialismus in der DDR preis und setzten sich selbst aktiv für die
Übergabe der DDR an die BRD und das BRD-Kapital ein.</p>
<p>Und
um sich auch klar von diesen Renegat_innen abzugrenzen reden linke
DDR-Oppositionelle heute auch in der Regel vom linken Flügel der
DDR-Opposition - wenn sie von den Aktivist_innen und Gruppen reden,
die sich immer und klar für einen Sozialismus in der DDR
ausgesprochen und eingesetzt haben und das vor, während und nach der
Wende.</p><p><br/></p>
<p><b>Nestor [re:volt]: Wie
war das Zusammentreffen und die Zusammenarbeit mit westdeutschen
Antifas? Gab es Konflikte? Und gibt es Kontinuitäten in den
Unterschieden der politischen Arbeit von Antifaschist_innen zwischen
Ost und West?</b><br/>
</p>
<p><b>Dietmar Wolf:</b> Zunächst
hier eine Vorbemerkung: Die Frage ist ziemlich weit gefächert. Sie
betrifft einen gehörig weiten Zeitabschnitt, in dem viel passiert
ist. Das alles abzudecken wäre sehr umfangreich. Ich beziehe
mich zunächst auf die Zeit vor, während und nach der Wende. AA/BO
ist schon ein Zeitsprung. Da ginge es um die Zeit 1992 bis 1995.</p><p>
Kontakt
zu Aktivist_innen aus dem Westen gab es seitens der DDR-Opposition
schon lange vor dem Herbst 1989. Das waren zum einen
Mitglieder/Abgeordnete der West-Grünen/ Alternative Liste, zum
Anderen aber auch Aktivist_innen der Graswurzelbewegung und der
Autonomen. Diese Kontakte waren stets hoch konspirativ und
beschränkten sich auf Ostseite auf einzelne Personen, die diese
Kontakte für die Gruppen hielten. Das Ergebnis dieser Kontakte war
zum Beispiel, dass wir mit bescheidenen technischen Voraussetzungen
versehen wurden, um diverse Untergrundzeitungen in bescheidenen
Stückzahlen zu produzieren (Umweltblätter, Grenzfall, Antifa Info
Ostberlin).</p>
<p>Eine
andere Zusammenarbeit gab es zur IWF/und Weltbank-Tagung im Herbst
1988 in West- Berlin. Parallel zur bundesweiten Aktionswoche gegen
den IWF in Westberlin, die von Grünen, Autonomen und der 3.
Welt-Bewegung organisiert wurde, organisierten die DDR
Oppositionsgruppen in enger Koordination mit den Westgruppen
ebenfalls eine Aktionswoche in Ostberlin - darunter Veranstaltungen
und spektakuläre öffentliche Aktionen. Dies geschah vor dem
Hintergrund, dass viele Mitarbeiter_innen und Delegierte der
IWF/Weltbank-Tagung in den Luxus- und Devisenhotels in Ostberlin
untergebracht und mit einem umfangreichen Kultur- und
Sightseeingprogramm in Ostberlin bespaßt wurden. <br/>
</p>
<p>Ein
drittes Beispiel war der „Schwarze Kanal“: Ost-Aktivist_innen
produzierten Radiobeiträge, die dann nach Westberlin geschmuggelt
und regelmäßig einmal im Monat unter dem Namen „Schwarzer Kanal“
über den Sender „Radio 100“ in den Osten ausgestrahlt wurden.
Gleichzeitig wurden diese Sendungen in Form von Tonband-Kassetten
DDR-weit verbreitet. Die
Berliner Antifa-Gruppen bekamen aber erst direkten Kontakt zu
Westberliner Antifaschist_innen mit der Öffnung der Mauer. Daraus
resultierte eine langjährige, zum Teil komplizierte, auch konträre,
aber mehrheitlich gute Zusammenarbeit, vor allem zur Kreuzberger
Antifa K1, dem Antifaschistischen Infoblatt (West) aber auch zu
diversen anderen Antifa-Gruppen aus dem Westen Berlins.</p>
<p>Ganz
allgemein und abgesehen von einer ganzen Reihe guter Ausnahmen, war
es aber so, dass sich die Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen
Autonomen in Ost und West, also auch im Antifabereich, nach
anfänglichen großen Interesse und Austausch in verschiedenen
politischen Feldern sehr kompliziert und konfliktreich gestaltete.
Das ging schon mit Verständigungsproblemen und richtig gehenden
Irritationen in der Sprache los. Das
ging bei den oftmals grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen
und Ansätzen in der konkreten Umsetzung politischer Ziele weiter.
Viele ostdeutsche Aktivist_innen hatten
schon im Lauf des Jahres 1990 das Gefühl, von den Leuten aus dem
Westen nicht ernst genommen zu werden. D.h. sich fortlaufenden und
immer unangenehmer werdenden Formen von ideologischer Hegemonie und
so genannten „Besser-Wessi-Tums“ ausgesetzt zu sehen. Zunehmend
und umso näher die Angliederung an den Westen rückte, hieß es,
dass unsere Biographien und Erfahrungen bestenfalls für nette
Erzählabende genügen würden. Wenn es aber darum geht, nun bald das
gesamtdeutsche Kapital zu bekämpfen, hätten die Aktivist_innen aus
dem Westen alleinig die Erfahrung, das Wissen und die erprobten
Methoden dies zu tun. Wir als Ostler_innen täten gut daran, dies zu
akzeptieren, von den Westler_innen zu lernen und uns in ihren
Strukturen hinten einzureihen. Diese besondere Art von „linkem
Kolonialismus“ führte letztendlich zu einer vorübergehen
Abkoppelung eines Teils der linken ostdeutschen Strukturen. Und dann
In den Jahren zwischen 1992 – 1994 zu einer separaten Organisierung
in einem eigens dafür geschaffenen „Ostvernetzungstreffen“, in
dem West-Aktivist_innen grundsätzlich „Hausverbot“ hatten.<br/>
</p>
<p>Gleichzeitig
gab es eine kategorische Abgrenzung zu dem Versuch westdeutscher
Antifa-Gruppen, mit der „Antifaschistischen Aktion / Bundesweiten
Organisation (AA/BO)“ eine aus Sicht der meisten Ost- Gruppen
parteiähnliche Antifa-Kader-Organisation aufzubauen. Bis auf einige
Ausnahmen, in denen einzelnen ostdeutsche Antifagruppen gelegentlich
bei der AA/BO vorbeischauten, lehnten die Ostdeutschen Antifa-Gruppen
zu dieser Zeit die AA/BO grundsätzlich ab. In späteren Jahren nach
1994, gelang es der AA/BO in einzelnen Regionen im Osten Fuß zu
fassen. So etwa in Berlin. Hier gelang es ihr in die durch einen
allgemeinen Niedergang der klassischen autonomen Antifa
Gruppen-Struktur entstandene, durchaus defizitäre, Lücke mit ihrer
Kader-Organisation zu stoßen und in Form der AAB (Antifaschistische
Aktion Berlin) über einige Jahre zu dominieren. Die zunehmende
hegemoniale Dominanz der AAB in Berlin unterband zwangsläufig
Eigeninitiative und politische Kreativität und führte wiederum
dazu, dass immer weniger jüngere Menschen, immer seltener bereit
waren, sich in den wenigen Antifa-Strukturen zu engagieren. Ähnliche
Versuche der AAB in Brandenburg hatten nur einen kurzfristig und
mäßigen Erfolg. Das lag zum einen daran, dass die Antifa-Gruppen in
Brandenburg weiterhin zahlreich vertreten waren und dabei auf
Unabhängigkeit beharrten. Zum Anderen, weil es mit der
„Umlandgruppe“ eine Berliner-Potsdamer Support-Gruppe gab, die
die Brandenburger Antifa-Gruppen aktiv unterstützte und diese, ganz
im Gegensatz zur AAB, nicht versuchte, ideologisch zu vereinnahmen.
Sie ließ ihnen ihren Freiraum für die Entwicklung eigener Ideen und
Konzepte.</p>
<p><br/>
<b>Nestor [re:volt]: Nun
eine Frage zum Schluss. Warum sind so viele Antifagruppen
ausgestorben? </b></p><p><b>
</b><b>Dietmar Wolf:</b> Oje.
Das ist schwer. Und das wird dann irgendwie auch subjektive
Kaffeesatzleserei. Ich werde es mal versuchen. Ein Grund ist die
zuvor beschriebene AA/BO. An diesem Versuch ein parteiähnliche
Antifaorganisation aufzuziehen, spaltete sich die Antifabewegung in
der ganzen BRD in Befürworter_innen und Gegner_innen. Besonders
die Antifa-Gruppen im Osten lehnten die AA/B0 kategorisch ab. Die
Aktivistinnen stießen sich vor allem am parteikommunistischen Jargon
der AA/B0 und an ihrer „pseudostalinistischen“ Ästhetik, die
sich in Teilen an der Sowjetischen Propaganda der 1930er Jahre
anlehnte. Das wird auch im 2017 herausgebrachten Buch „30 Jahre
Antifa in Ostdeutschland - Perspektiven auf eine eigenständige
Bewegung“ sehr gut beschrieben. Man hatte sich nicht gerade erst
die FDJ und die SED vom Hals geschafft, um gleich wieder in solch
eine straffe Organisation zu gehen. Statt dessen setzten sich die
Antifaschist_innen im Osten eher auf eine eigene, ostdeutsche und vor
allem dezentrale Vernetzung und gründeten das
Ostvernetzungsstreffen, das mehrere Jahre Bestand hatte und an dem
West-Antifa-Gruppen und vor allem die AA/B0 per Beschluss keine
Zutritt hatten. Trotz allem gelang es der B0 auch im Osten eigene
Gruppen zu gründen und junge Menschen im Osten in ihre Organisation
zu locken. Vor allem in Berlin gelang es der B0 ab Mitte/Ende der
1990er Jahre eine gewisse Hegemonie zu erlangen und die
Deutungshoheit, wie antifaschistische Organisierung zu sein hat. Das
änderte sich erst mit dem Aufkommen der Antideutschen.
</p>
<p>Ebenso
hat der Staat es geschafft, mit den Verboten diverser Nazivereine,
-parteien und -organisationen, wie zum Beispiel der „FAP“, der
„Deutschen Alternative“, der „Nationalistischen Front“ oder
der „Wiking Jugend“, dass die bis dahin sehr offen und zunehmend
organisiert auftretenden Nazistrukturen für längere Zeit von der
Straße und in die Versenkung verschwunden sind und sich dann eher
halb konspirativ in so genannten „Freien Kameradschaften“
organisierten und vernetzten. Mit einem Schlag waren den
Antifa-Gruppen ihre mittlerweile gut ausgeforschten und strukturell
gut bekannten Feindorganisationen abhanden gekommen. Viele
Antifa-Gruppen befanden sich, vor allem auch durch ihr weitestgehend
erfolgloses und fast schon handlungsunfähiges Agieren während der
rassistischen Pogrome von Hoyerswerda, Mannheim-Schönau und
Rostock-Lichtenhagen zunehmend in einer inhaltlichen und
strukturellen Sinnkrise.</p>
<p>Diese
Krise wurde dann später, durch den von „Rot-Grün“ initiierten,
finanzierten und politisch kontrollierten Staatsantifaschismus des
sogenannten „Aufstands der Anständigen“ noch massiv verschärft.
Dieser „Aufstand der Anständigen“ und die damit ausgerufene
anständige Zivilgesellschaft machte es ideologisch möglich,
vermeintlich antifaschistisches, oder „antirechtsextremes“
Engagement von grundsätzlichen, politisch-gesellschaftlichen
Diskursen um Herrschaft und Kapitalismus, abzukoppeln. Man konnte als
aufrechter Demokrat gegen Nazis und trotzdem für Kapitalismus sein.
Und das zieht sich mittlerweile bis heute durch.</p><p>
Ein
weiterer negativer Effekt war, das spätestens mit Beginn der 2000er
Jahre immer stärker werdende Phänomen der „Antideutschen“, die
nun neben der ohnehin in einer Sinnkrise steckenden, stark
angeschlagenen Antifa-Szene, auch die linksradikale Szene ideologisch
massiv und bis heute fatal nachhaltig angriff und schädigte. Mit
einem vehementen, fast überintellektuellen und gebetsmühlenartig
vorgebrachten Diskurs-Hijacking gelang es den „Antideutschen“
alle gegen alle auf- und gegeneinander zu hetzen. Dabei genügten
simple, aber intellektuell verpackte fast schwarz-weiß, gut-böse,
Freund-Feind-Diskurse, bei denen sie sich beliebterweise am
Palästina-Israel-Konflikt bedienten, am Thema pro- oder anti-USA,
oder aber grundsätzlich jegliche Kritik am Kapitalismus als
Antisemitismus deklarierten. Das Fatale dabei ist: auch
wenn es die Antideutschen seit etwa 2005 offiziell nicht mehr gibt,
haben sie es geschafft, ihr Gift einer falschen und zerstörerischen
Ideologie nachhaltig in die aktuelle und heranwachsende zukünftige
Generation von Aktivist_innen zu pflanzen. <br/>
</p><h3><b>Anmerkungen: </b><br/></h3>
<p></p><p>
<a href="#sdfootnote1anc">1 </a>Auszüge
aus: <a href="http://www.ddr89.de/vl/VL61.html">Beitrag der 13. Autonomen Gruppe</a> zum Kongress der Vereinigten
Linken am 25. und 26. November in Berlin.</p>
<p></p>
<p></p><p>
<a href="#sdfootnote2anc">2</a> aus:
1. DDR - weites <a href="http://www.ddr89.de/vl/VL19.html">Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke</a>
25./26. November 1989, Konferenz Reader, Herausgeber: Initiative
Vereinigte Linke Berlin.<br/></p>
<p></p>
<p></p><p></p></div>
</section>
</article>
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