re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=5352018-06-14T18:01:29.517215+00:00Racial Profiling abschaffen! Am besten organisiert!2018-06-14T16:24:55.293348+00:002018-06-14T18:01:29.517215+00:00Felix Broz und Tim Reicheredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/racial-profiling-abschaffen-am-besten-organisiert/
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<h1>Racial Profiling abschaffen! Am besten organisiert!</h1>
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<div class="rich-text"><p>Vor
ziemlich genau einem Jahr, im Juni 2017, gründet sich in Berlin die Kampagne
„Ban! Racial Profiling“. Sie ist laut Eigenaussage ein Zusammenschluss von
Bürger*innenrechtsorganisationen, Beratungsstellen und antirassistischen
Initiativen. Alle verfolgen das Ziel, die Praxis von verdachtsunabhängigen
Polizeikontrollen, welche oftmals aufgrund rassistischer Stereotype
durchgeführt werden, mit Betroffenen und Nicht-Betroffenen anzugreifen und auf
diese Weise zu einer Abschaffung beizutragen. Diese vage erscheinende Hoffnung
ist nicht ganz unbegründet. So hat der rot-rot-grüne Berliner Senat in seiner
Regierungserklärung 2016 festgehalten, die Rechtsgrundlage des „Racial Profiling“
überprüfen zu wollen. Nachdem sowohl die Polizei als auch der Berliner Senat
unter SPD und CDU jahrelang die Existenz solcher rassistischen Praxen
dementierte, sollen sie nun auf einmal abgeschafft werden. Passiert ist jedoch
bisher nichts. Deshalb ist die Kampagne auch ein Versuch, das Thema mit eigenen
Forderungen auf die politische Agenda zu setzen. Um die Notwendigkeit von
Veränderungen auch juristisch zu unterstreichen und mögliche Wege aufzuzeigen,
erfolgte die Erstellung eines Rechtsgutachtens. Gleichzeitig organisiert „Ban!
Racial Profiling“ eine kollektive Gegenbewegung, um der herrschenden „cop
culture“, also der herrschenden polizeilichen Praxis, aktiv etwas entgegen zu
setzen, ohne auf „die Politik“ warten zu müssen. Auch in Hamburg, Freiburg,
Frankfurt/Main oder Bremen existieren
Initiativen mit unterschiedlichen praktischen Ansätzen, zum Beispiel „Cop
Watch“.</p>
<p>Kern
der Arbeit ist neben der gegenseitigen Vernetzung eine breit aufgestellte
Informations- und Solidaritätskampagne. So waren die Themen und Materialien auf
zahlreichen Kundgebungen, Veranstaltungen, Kiez- und Hoffesten in der Stadt
präsent. Videobeiträgen oder Statements in den sozialen Medien machten die
Erfahrungen von Betroffenen sichtbar. Gleichzeitig konnten interessierte
Menschen im Rahmen einer Unterschriftenaktion auf Postkarten zumindest ein
symbolisches Zeichen setzen. Darüber hinaus gab es Plakataktionen in einigen
Berliner Kiezen, um an den betroffenen Orten über die fatale Polizeipraxis
aufzuklären. Auf diese Weise stieg auch die Aufmerksamkeit für bereits
bestehende Beratungsangebote für Betroffene. So verzahnten sich
unterschiedliche Ebenen der politischen Arbeit. Die Artikulierung
parlamentarischer Forderungen basierend auf juristischer Expertise ging Hand in
Hand mit einer Straßenkampagne, die Betroffene und Nicht-Betroffene informieren
und solidarisch vernetzen konnte. Obwohl ein Aktivist während der
Pressekonferenz darauf hinweist, dass die Arbeit noch breiter in die Kieze
hätte gestreut werden können, ist der bisherige Verlauf der Kampagne
beachtlich.</p>
<p>In diesem Sinne eröffnet „Ban! Racial Profiling“ eine
bedenkenswerte Perspektive zu den Möglichkeiten nachhaltiger politischen
Kampagnenarbeit. Denn wie oft ist die aktuellste Kampagne genauso schnell
wieder vergessen, wie sie aufkam, da schon das nächste „hot topic“ die
Aufmerksamkeit beansprucht. Zentral ist in diesem Zusammenhang sicherlich das
in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, welches im Juli veröffentlicht wird, mit
dem die Kampagne gewissermaßen den Weg für zukünftige kollektive Arbeit geebnet
hat. Statt nur Forderungen an die herrschende Stadtpolitik zu richten, zeigt
sie konkrete Schritte zu deren Umsetzung auf.</p>
<p>Der
dringlichste von ihnen ist sicherlich die Abschaffung von Paragraph 21 des
„Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“ des Landes Berlin (kurz: ASOG).
Der Paragraph ermöglicht der Polizei an bestimmten Orten, die als besonders
„kriminalitätsbelastet“ eingestuft werden, verdachtsunabhängige
Personenkontrollen durchzuführen. Warum eine entsprechende Einschätzung
erfolgt, muss die Berliner Polizei weder begründen noch muss sie die
entsprechenden Orte bekanntgeben. Diese Orte müssen nicht mal konkret, also
klar umgrenzt, benannt werden. Der Willkür ist somit Tür und Tor geöffnet.
Dementsprechend bekommen von Kontrollen Betroffene als Begründung der Maßnahmen
schon mal zu hören: „Dein ganzer Stadtteil ist ein Kriminalitätsschwerpunkt.“
Nach welchen Kriterien die sogenannten „kriminalitätsbelastete Orten“ (kbO) von
der Polizei ausgewählt werden, bleibt indes schleierhaft. Nachdem Polizei,
lokale Medien und Springer-Presse über Monate hinweg gezielt Ängste vor
Gewalttaten im öffentlichen Raum schüren und somit den von rechts dominierten
ordungs- und sicherheitspolitischen Diskurs von AfD & Co befeuern, mussten
sie Anfang Juni mitteilen, dass zwei Orte, der Leopoldplatz in Berlin-Wedding
sowie der „Kleine Tiergarten“ in Berlin-Moabit die medial als besonders
„kriminalitätsbelastet“ dargestellt wurden, aufgrund stark zurückgehender
Straftaten von der Liste der „kbO“ gestrichen wurden.Die Erklärung von
bestimmten Stadträumen zu „kriminalitätsbelasteten Orten“ hat dabei
weitreichende Auswirkungen auf die Nutzenden. Vor allem rassistische Kontrollen
werden auf diese Weise verstärkt. Einerseits werden bestimmte Delikte aufgrund
rassistischer Stereotype eher nicht-weißen Gruppen zugeschrieben (Drogenhandel)
und andererseits weist der §21 auch explizit Verstöße gegen das
Aufenthaltsrecht als kontrollrelevant aus. An die unmittelbaren Kontrollen kann
sich je nach Situation noch ein ganzer Rattenschwanz weiterer Maßnahmen, wie
Durchsuchungen, Festhalten oder der Abtransport auf die nächste „Dienstelle“,
folgen – das alles wohlgemerkt ohne beweisbaren Verdacht. Vor diesem
Hintergrund weist auch das Rechtsgutachten der Kampagne auf zahlreiche
juristische Ungereimtheiten in Zusammenhang in dieser Polizeipraxis hin.</p>
<p>So
stellt die Berliner Rechtsanwältin Maren Burkhardt als eine der Gutachter*innen
die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit von §21 in Frage. Die entsprechende
Kontrollen seien nicht nur „geringfügige Eingriffe“ in die persönliche
Freiheit, wie es in der gängigen Rechtssprechung oft betont wird. Stattdessen
beträfen sie aufgrund der hohen Streuweite viele Menschen und könnten wegen der
zentralen Lage vieler kbO nur schwer umgangen werden. Außerdem erfolgten
entsprechende massenhafte Einschränkungen auf der Grundlage eines
verwaltungsinternen und gleichzeitig in Berlin höchst intransparenten
Verfahrens, das auf dem Rechtsweg nur schwer angreifbar sei. Gleichzeitig
bestünde noch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, da die Verfolgung des
vordergründigen Ziels im Sinne einer „Abwehr und Verfolgung von Straftaten“
aufgrund fehlenden Datenmaterials nicht belegbar sei. Vor diesem Hintergrund
erscheint es wahrscheinlich, das mit der Polizeipraxis an kbOs weitere Ziele,
wie bspw. die stadtplanerische Aufwertung von „Problemkiezen“ sowie die
Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen, verfolgt werden. Ergänzend stellt
der zweite Gutachter Cengiz Barskanmaz (Rechtswissenschaftlicher am
Max-Planck-Institut) fest, dass §21 durchaus den grundrechtlichen Schutzbereich
des Diskriminierungsverbots aufgrund der zugeschriebenen „Rasse“ (Art.3 GG)
berührt. Weiterhin nähme der Paragraph bestehende Schwerpunkte der europäischen
Rechtsprechung in Bezug auf rassistische Diskriminierung nur unzureichend auf.
Insgesamt kommen beide zu dem Urteil, das es zahlreiche Anhaltspunkte einer
Unvereinbarkeit des §21 ASOG mit bestehenden Rechtsnormen gibt, weshalb er
abgeschafft werden müsse.</p>
<p>Da
Polizeirecht in der BRD „Ländersache“ ist, erscheint die Berliner Kampagne
„Ban! Racial Profiling“ auf den ersten Blick sehr spezifisch. Allerdings finden
sich entsprechende Regelungen in allen Landespolizeigesetzen, wenn auch in
teilweise leicht abgewandelter Form. In diesem Sinne zeigt sie einen Weg, auf
dem kollektiv Veränderungen bewirkt werden können. Das Rechtsgutachten bildet
dabei zwar den Abschluss der Kampagne, eröffnet jedoch zahlreiche
Möglichkeiten, die Arbeit fortzuführen. So können die Ergebnisse einerseits
genutzt werden, um von den politischen Entscheidungsträger*innen konkrete
Schritte abzufordern. Andererseits liefert das Gutachten wichtiges
Argumentationsmaterial für die Aktivist*innen in den Kiezen, um bspw.
Betroffenen die Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens noch bewusster zu
machen. Gleichzeitig trägt es dazu bei, den Druck in konkreten
Kontrollsituationen zu erhöhen, indem den eingesetzten Beamt*innen argumentativ
die Rechtsgrundlage für ihr Vorgehen streitig gemacht werden kann. Auf diese
Weise kann die Solidarität zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen gestärkt
werden. Ohnehin zeigen die zahlreichen Berichte auf der Facebook-Seite von
„Ban! Racial Profiling“, dass viele Menschen in Berlin nicht mehr wegsehen. Neben
den Schilderungen von unmittelbar Betroffenen finden sich einige Beobachtungen
von Passant*innen, die in argumentativ in die Kontrollsituation eingegriffen
haben oder die Betroffenen danach unterstützten.</p>
<p>Obwohl
das Mittel der polizeilichen Kontrollen ohne konkrete Gefahr inzwischen überall
in der BRD gängige Praxis ist, liegt seine Einführung noch nicht all zu lange
zurück. Es ist Produkt einer historischen Entwicklung und die kann als solches
kollektiv zurückgedrängt werden. Die Kampagne „Ban! Racial Profiling“ zeigt
einen möglichen Weg der Organisierung von Widerstand gegen die bestehenden
Auswüchse der herrschenden „cop culture“ auf. Die Erfahrungen, die dabei
gemacht wurden, könnten sich insbesondere im Angesicht umfassender
Verschärfungen der Polizeigesetze in vielen Bundesländern und eines notwendigen
Kampfes dagegen in Zukunft als ziemlich wertvoll erweisen. Gerade im Zuge der
aufkommenden Organisierungsdebatten in der radikalen Linken ist die
antirassistische Arbeit gegen die Praxis des „racial profiling“ ein wichtiger
Ankerpunkt, solidarische Praxen mit Betroffenen zu entwickeln und sie in
stadtteilpolitische Arbeit als festen Bestandteil einzubetten. Die
Hinterfragung des sicherheitspolitischen Drucks von Polizei & Co bietet
konkrete Möglichkeiten der kollektiven Organisierung in den Stadtteilen. Dies
bedeutet, dass sich dabei stadtpolitische Aktivist*innen und bisher noch nicht
in politischen Strukturen befindliche Betroffene vernetzen und gemeinsam
politisch wirkmächtig werden können.</p></div>
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