re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=4212018-04-26T11:56:24.172667+00:00Faschismus im Trikont: Ist der IS faschistisch?2018-04-09T04:41:21.465367+00:002018-04-26T11:56:24.172667+00:00Alp Kayserilioğlu und Geronimo Marulandaredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/faschismus-im-trikont-ist-der-faschistisch/
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<h1>Faschismus im Trikont: Ist der IS faschistisch?</h1>
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<div class="rich-text"><p>In
einem Punkt scheinen sich weite Teile der radikalen Linken in puncto
Syrien einig zu sein: Der Islamische Staat (IS), die
Djihadistenmiliz, deren Wurzeln im Al-Qaida Netzwerk des Irak liegen
und die bis vor ein, zwei Jahren weite Teile des Irak und Syriens
kontrollierte, muss weg. Die Motivation dahinter ist sicherlich
unterschiedlich. Ein Motiv taucht jedoch schon seit längerer Zeit
immer wieder auf, ohne dass es in der Regel hinreichend begründet
wird: Der Islamische Staat müsse bekämpft werden, denn er sei eine
faschistische Bewegung. Die kurdische Befreiungsbewegung spricht vom
Faschismus, weite Teile der türkischen Linken sprechen vom
Faschismus und auch in Deutschland ist das Argument von einem
<i>islamischen Faschismus</i> in
Bezug zur Türkei Erdoğans oder eben den zahlreichen
Djihadistenmilizen weltweit zunehmend populär – nicht nur in der
Linken, sondern gerade auch in der <i>Neuen Rechten</i>.
Warum ist die Frage also relevant? Weil an der Frage, ob etwas
faschistisch ist oder nicht, die Frage dranhängt, wie ein Gegner zu
bekämpfen ist, auf welche historische Strategien zurückgegriffen
werden kann oder eben nicht: ,,Know your Enemy“ ist eben auch für
eine Linke zentral, die den Kampf aufnehmen will.</p>
<h3>
<b>Was ist Faschismus?</b></h3>
<p>
Doch rekapitulieren wir nochmal: Was ist klassischerweise Faschismus?
Der Faschismus ist erstmal eine politische Bewegung und eine
autoritäre und staatsterroristische Variante bürgerlicher
Herrschaft, das heißt ein modernes Phänomen, das sich auf den
Kapitalismus als ökonomische Basis und den bürgerlichen Staat als
politischer Form bezieht. Er beinhaltet ein jeweils verschiedenes
Ideologiekonglomerat, das im Groben aus Versatzstücken eines
völkischen Nationalismus, verschiedenen Spielarten des Rassismus,
Militarismus, Autoritarismus, Antifeminismus und Antikommunismus
besteht. Einer seiner Hauptfunktionen – unabhängig von, aber
meistens deckungsgleich mit seinem eigenen Selbstverständnis – war
und ist die Eliminierung jeder fortschrittlichen Bewegung und
Organisation. Zur Macht gekommen war sein Regime stets in einem
Herrschaftsbündnis der rückständigsten und autoritärsten Teile
der Gesellschaft: Kirche, Krone, Militär, Geheimdienste, völkische
Konservative und Anhang, zusammen mit dem großen Kapital und dem
Großgrundbesitz. In seinem Klassenhintergrund und Standpunkt als
Bewegung ist er im Prinzip großbürgerlich mit kleinbürgerlicher
Massenbasis, versucht aber durch seine vermeintlich
antikapitalistische, faktisch völkische Rhetorik auch die unteren
Klassen unter sich zu vereinen. Ein zentrales Moment seiner
Herrschaftsmethode ist die Massenmobilisierung. Wenn wir diesen
Zusammenhang betrachten, müssen wir zunächst eines festhalten: Die
Mehrheit der Bewegungen und Regime, die klassischerweise als
faschistisch bezeichnet werden, waren europäisch. Das Konzept
Faschismus selbst kommt aus Italien.</p>
<h3>
<b>Die Ähnlichkeiten</b></h3>
<p>Kann
also auf diesem Hintergrund davon gesprochen werden, dass der IS
faschistisch ist? Zweifellos hat der IS ein reaktionäres Programm
mit entsprechender autoritärer Ideologie. Wie der historische
Faschismus, ist auch der IS die Nemesis jeder progressiven Bewegung.
Mit einer vermeintlich antiimperialistischen Rhetorik und sozialer
Demagogie versucht der IS eine klassenübergreifende
Unterstützungsbasis herzustellen. Der IS tastet
Eigentumsverhältnisse nicht an, sondern verbündet sich mit dem
jeweils lokal ansässigen Kapital und dem internationalen Kapital
seiner Unterstützer in der Türkei, Saudi-Arabien und so weiter.
Darüber hinaus verfolgt er ein strikt genozidales Programm der
Liquidierung von Minderheiten beziehungsweise deren Gleichschaltung
in ein totales theokratisches System. Ähnlichkeiten liegen also auf
der Hand.</p>
<h3>
<b>Die Unterschiede</b></h3>
<p>Kommen
wir zu den Unterschieden. Der IS baut seine Herrschaft in
nicht-europäischen Gesellschaften auf, die von Mischformen
bürgerlicher, feudaler und semi-feudaler Produktionsweisen und
Gesellschaftsformen oder zumindest transformierten Überresten
hiervon geprägt sind. Zumeist auch in solchen Ländern, in denen das
bürgerliche Staatsverständnis durch den westlichen Kolonialismus
erst importiert wurde und mehr auf Aushandlungen und Machtteilung mit
lokalen Eliten basierte als auf einer zentralstaatlichen Autorität.
Das sind ganz grundlegend andere Voraussetzungen, die andere Folgen
zeitigt: Der IS bezieht sich weder auf das moderne Konzept <i>Nation,
</i>noch auf das Konzept<i>
Volk, </i>noch auf das Konzept
<i>bürgerlicher Staat. </i>Stattdessen
begründet er seine Herrschaft religiös und verfolgt ein
Staatskonzept, in dem es keine Grenzen, nur Fronten gibt. Das Kalifat
ist im Prinzip ein weltumfassendes Konzept – etwas, das dem
Faschismus, der ja gerade eine Identität von (National-)Staat und
Volk herstellen möchte, schon im Prinzip widerspricht.</p>
<p>
Der größte Unterschied zum IS
zeigt sich jedoch in seiner ökonomischen Basis und damit seiner
politischen Perspektive: Der IS stellt keine durch Terror
stabilisierte Herrschaft des expansiven Großkapitals in einem
imperialistischen Land dar, sondern ist eine instabile
kapitalistische Kriegsökonomie, in der unterschiedliche
großkapitalistische Gruppen und politische Interessen der Welt (z.B.
Russland, USA, Saudi-Arabien, Türkei usw.) mitmischen. Dem IS fehlt
es somit an eigenständiger Perspektive, weil an eigenständiger
entwickelter ökonomischer Basis. Insofern ist und wird der IS
niemals derart von Bedeutung und Umfang sein, wie klassische
faschistische Herrschaften und Regime in Europa es waren, die durch
faschistische Stabilität und ihre ökonomische Potenz in die Lage
versetzt wurden, Weltkriege im Interesse ihrer Großkapitalisten zu
führen. Der IS ist demgegenüber rein ökonomisch ein
Übergangsregime, das bei aller zur Schau gestellter Brutalität ein
im Vergleich und strukturell betrachtet harmloses Ventil darstellt
für Möchtegernkalifen aber auch Unzufriedene, sowie der Neuordnung
der Kräfteverhältnisse im Nahost-Raum dient – unabhängig davon,
dass er selbst aktiv „das Kalifat“ anstrebt. Und deshalb ist er
zwar auch in der Lage, eines der brutalsten Schreckensregime der
letzten Jahre zu installieren – aber innerhalb von wenigen Jahren
auch wieder erst mal von der Bildfläche zu verschwinden.
</p><h3>
<b>Offene Fragen</b></h3>
<p>
Also alles Unsinn mit dem Faschismusbegriff? Nach der engeren
Definition sicher ja. Denn wir reden offensichtlich von einem System,
das sich in wesentlichen Punkten grundlegend vom historischen,
europäischen Faschismus unterscheidet. Wenn Begriffe nicht das
bezeichnen, was sie meinen, dann verlieren sie aber jeden Sinn. Der
wichtigste Punkt ist aber die Frage, ob die Konzepte
Faschismus/Antifaschismus für die linken Kräfte vor Ort eine Hilfe
darstellen: Ob sie helfen, den Gegner zu verstehen, ob die
historischen Strategien gegen den Faschismus helfen, ihn zu besiegen.
Das mag bezweifelt werden. Wie der Faschismus im Westen stets im
Zusammenhang mit Kapitalinteressen und Staatsinteressen begriffen
werden musste, da die führenden Eliten aller Länder stets in sein
Regime integriert und an vorderster Front an seiner Exekution
beteiligt waren, so muss die Herrschaft des IS in seinem historischen
und gesellschaftlichen Kontext gelesen und interpretiert werden.
</p>
<p>
Was
bedeutet es etwa für die Region und für eine progressive
Perspektive, dass Stammesverbände zunächst dem IS und nun wieder
der<i> Syrisch Arabischen Armee</i>
(SAA) von Präsident Assad die Treue schwören? Was sagen uns die
lokalen Herrschaftsbündnisse des IS über den syrischen und
irakischen Staat? Was sagen uns die Netzwerke mit Mäzenen in
Saudi-Arabien und Katar über die regionale Interessenlage? Wie
lässt sich die Wirkmächtigkeit von Religion im derzeitigen Konflikt
abseits kulturrassistischer Erklärungsmuster aufklären? Und:
Stellen wir dabei eine Hilfe für fortschrittliche Kräfte vor Ort
wie hierzulande dar, wenn wir den Faschismusbegriff in diesem Kontext
und in unserem Diskursraum nutzen? Man sollte zumindest zur Zeit
hierzulande zur Kenntnis nehmen, dass sich insbesondere solche
Strömungen auf den Begriff<i> islamischer Faschismus</i>
stützen, die damit vor allem eine antimuslimisch-rassistische,
kulturkriegerische und offen neo-koloniale Politik befördern wollen
und sich um Fragen von Kapitalismus und Imperialismus nicht oder nur
wenig kümmern.
</p></div>
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