re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=4072018-04-04T09:53:44.927139+00:00Eine kurze Geschichte der Klimagerechtigkeit2018-03-28T16:41:13.996555+00:002018-04-04T09:53:44.927139+00:00Jakobus Mühlsteinredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/eine-kurze-geschichte-der-klimagerechtigkeit/
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<h1>Eine kurze Geschichte der Klimagerechtigkeit</h1>
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<span class="content-copyright">Ende Gelände</span>
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<div class="rich-text"><p><i><br/></i></p><p><i>and they call you an activist<br/>and they call you a radical<br/>and they call you a terroris</i><i>t<br/>just because you want your drinking water clean”<br/></i>Ash Grunwald, Blues-Musiker</p><p>Auch in Deutschland ist die internationale Bewegung
für Klimagerechtigkeit im Aufwind. Nahezu unbekannt ist vielen Aktivist*innen
allerdings, dass die Anfänge dieser Bewegung zurückreichen bis zur
afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA, welche bereits in den
1980ern den Kampf gegen <i>Umweltrassismus</i>
aufnahm. Aus der Analyse rassistischer Verhältnisse entwickelten Aktivist*innen
die Forderung nach Umwelt- und später Klimagerechtigkeit. Die Konzepte dieser
Bewegungen sind – auch angesichts erschwerter Kampfbedingungen in GroKo-Zeiten
– hilfreich, um Strategien für linksradikale Umweltpolitik zu entwickeln, ohne
in die Fallstricke des „katastrophistischen Klimatheaters“ zu tappen oder „das
Ökothema“ als Nebensächlichkeit, dessen Bearbeitung bis nach der Revolution
warten kann abzukanzeln.
</p><h2><b>Umweltrassismus</b></h2>
<p>In den 1960/70er Jahren war eine klassische Umweltschutzbewegung in den
USA aktiv. Diese soziale Bewegung war dominiert von weissen Aktivist*innen aus
der Mittelschicht. Die Themen Gleichheit und Soziale Gerechtigkeit wurden
selten thematisiert. Ebenso war die Tatsache, dass arme Menschen und <i>People
of Color</i> erheblich größeren Umweltrisiken ausgesetzt waren und sind, kein
Thema der Bewegung. Die afroamerikanische <i>Civil Rights Movement</i> war
währenddessen noch vor allem mit den Kämpfen um Grundrechte vollauf
beschäftigt.</p><p>
</p><p>1982 trafen sich die Bewegungen schließlich
thematisch: Ausgangspunkt war der Konflikt um die Platzierung einer
Giftmülldeponie zur Entsorgung hochgiftiger polychlorinierter Biphenyle (PCB)
in <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Warren_County_PCB_Landfill">Warren County, North Carolina</a>. Der von den Behörden geplante Standort war brisant: Warren
County war einer der ärmsten Landkreise des Bundesstaates, zwei Drittel der
Bevölkerung waren Afroamerikaner*innen. Während der Proteste gegen die
Giftmülldeponie kam es zu über 500 Festnahmen, darunter auch von hochrangigen
Politiker*innen und Kirchenvertreter*innen. Die Giftmüllanlage wurde trotz des
Widerstands gebaut. Die Gegenproteste waren jedoch zugleich Ausgangspunkt einer
neuen sozialen Bewegung. Kampfbegriff dieser neuen Formierung war der Ausdruck Umweltrassismus [1]. Damit ist
gemeint, dass <i>People of Color </i>(nachfolgend: PoC)<i> </i>in
Planungsprozessen systematisch diskriminiert werden. Spürbar wurde dies unter
anderem durch die prinzipielle Platzierung von Giftmüllanlagen und -deponien in
Stadtvierteln und Landkreisen, in denen ein hoher Anteil der Bewohner*innen PoC
waren<i>. </i>Parallel zu sozialen Bewegungen griffen
Sozialwissenschaftler*innen das Thema auf. In zahlreichen Studien wurde seither
nachgewiesen, dass in Gemeinden mit einem hohen Anteil an PoC viel häufiger
Giftmüllanlagen oder dreckige Industrien platziert werden als in Gemeinden mit überwiegend
weisser Bevölkerung. Die Umweltrisiken und Gesundheitsgefährdungen für PoC sind damit – und bis heute anhaltend! – viel
höher als für weiße Menschen [2]. Kamen andere Ergebnisse zustande, lag dies
zumeist an methodischen Tricksereien der Forschenden [3]. </p>
<h2><b>Umwelt- und Klimagerechtigkeit</b></h2>
<p>Auf die Analyse von Umweltrassismus
folgte schon bald die umfassendere Forderung nach <i>Umweltgerechtigkeit
(Environmental Justice)</i>. „Umwelt“ wurde dabei nicht mehr im Sinne der
klassischen Umweltschutzbewegungen als bewahrenswerte „wilde Natur“ verstanden,
sondern breiter gefasst: Umwelt meint die gesamte „natürliche“ und gebaute
Umgebung von Menschen und ihren Communities. Sämtliche gesellschaftlichen
Verhältnisse und Naturbeziehungen werden in diesem Verständnis miteinbezogen.
Der Ausdruck <i>Gerechtigkeit</i> verdeutlicht, dass der Fokus nicht alleine
auf rassistischer Diskriminierung liegt, sondern auf den Umweltdimensionen
sämtlicher Verteilungsfragen.</p><p>
</p><p>Seit Jahrzehnten zeigen Sozialforschung und soziale Bewegungen immer
wieder, dass Umweltgerechtigkeit
in einem unauflösbaren Widerspruch zu den Profitinteressen des Kapitals steht.
Ganz egal um welche Art von Naturzerstörung es geht, meist stehen dahinter
Profitinteressen des Kapitals. Das Konzept der Umweltgerechtigkeit stammt zwar aus sozialen Kämpfen in den USA,
doch die Zustände, die es benennt, sind Betroffenen, Linken und
Umweltaktivist*innen weltweit bekannt. Beispielsweise sind es immer wieder die
Armen und Marginalisierten, welche ungleich stärker von Einflugschneisen oder
der Platzierung krankmachender Industriebetriebe in ihren Vierteln betroffen
sind. Zugleich werden Stadtparks oder Naherholungsgebiete meist in teureren
Stadtteilen angelegt. Wenig überraschend ist aus dieser Sicht auch, dass
Villenviertel selten als Standorte für Schwerindustrie oder Mülldeponien
erwogen werden.</p><p>
</p><p>Soziale Ungerechtigkeiten und der Kampf um
Soziale Gerechtigkeit sind überhaupt nichts Neues im Kapitalismus. Linke haben
sich (zumindest in Deutschland) historisch oftmals auf soziale Fragen
beschränkt. Das „Ökothema“ galt oftmals als reine Nebensächlichkeit.
Selbstverständlich gab es berühmte Ausnahmen, wie den Widerstand gegen den
Flughafenausbau in Frankfurt am Main oder die Anti-Atom Bewegung, an welchen
viele Linke beteiligt waren und zu deren vielfältigen Mitteln u.a. ziviler
Ungehorsam, aber auch militanter Widerstand gehörten. Die Kämpfe um Flughafen
und Atomenergie verdeutlichten eindrücklich die Verschränkung sozialer und
ökologischer Konflikte in kapitalistischen Gesellschaften: Wer fliegt? Zu
welchem Preis? Auf wessen Kosten? Und weitergedacht: Wer leidet unter der zum
Fliegen notwendigen Erdölförderung und deren regelmäßigen Naturzerstörungen
(z.B. durch Shell im Nigerdelta)? Dennoch ignorier(t)en viele radikale Linke das Thema in ihrer politischen Praxis. Die
ökologische Frage und ihre sozialen Auswirkungen wurden häufig reformistischen
Umwelt-NGOs wie dem WWF oder der Partei DIE GRÜNEN überlassen.</p><p>
</p><p>In Europa rückte das Thema Ökologie erst ab 2009
wieder stärker in den Fokus der radikalen Linken. Anlass waren die Proteste gegen den damaligen UN-Klimagipfel in
Kopenhagen. Unter der Forderung nach <i>Klimagerechtigkeit</i> fanden
Graswurzel-NGOs, Regierungen aus dem globalen Süden und Aktivist*innen aus dem
globalen Norden in Protestbündnissen zusammen. Kleinster gemeinsamer Nenner war
die Forderung nach Ausgleich bzw. <i>Wiedergutmachung</i> der immens gewordenen
<i>Klimaungerechtigkeiten</i> (<i>Climate Injustices</i>), welche global
entlang der Nord-Süd-Trennlinie verlaufen. So sind zum Beispiel die pazifischen
Inselstaaten am stärksten vom steigenden Meeresspiegel betroffen, während sie
historisch am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beitragen.</p>
<h2><b>Hier ging‘s noch nie um Eisbären!</b></h2>
<p>Eine linke Analyse von Umweltfragen erschöpft sich
nicht in der Sorge um Naturschutzgebiete und den Erhalt von einer angeblichen
„wilden Natur“. Die Begriffe Umweltgerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zeigen
auf, dass das Thema Ökologie noch nie ein rein
ökologisch-naturwissenschaftliches Thema war. Stattdessen verdeutlichen sie,
dass soziale Fragen der Verteilung und der gleichberechtigen Zugänge, das
heißt, die Teilhabe an Ressourcen und Möglichkeiten von Gesellschaften, stets
ökologische Konsequenzen haben. Umgekehrt hängt die Ausgestaltung von
Mensch-Naturverhältnissen stets von gesellschaftlichen Machtverhältnissen ab.</p><p>
</p><p>Die Einen brausen mit dem Hybrid-SUV über immer neue
Schnellstraßen zum Bio-Kräutershopping oder ins schicke Öko-Wellnesshotel aufs
Land, oder sie jetten zur Regenwaldexpedition-Himalayabesteigung an das andere
Ende der Welt, um sich so von den Strapazen ihres Großstadtalltags im
energetisch sanierten Altbauapartment zu erholen. Andere dagegen wurden schon
lange von der Gentrifizierung aus der Innenstadt verdrängt und wohnen nun an
genau dieser lauten Schnellstraße oder unter der Einflugschneise. Sie bekommen
den krankmachenden Lärm und Dreck von Verkehrsmitteln ab, die sie sich selbst
nicht leisten können, und das Geld aus der prekär-befristeten Lohnarbeit oder klammen
Sozialleistungen reicht sicher nicht für ausgewählte Bio-Lebensmittel oder
vermeintlich authentische Naturerlebnisreisen. Ausdifferenziert ist das Thema
offensichtlich um einiges vielschichtiger und widersprüchlicher. Gibt es kein
gutes öffentliches Nahverkehrsnetz, so wird die Alltagsbewältigung ohne eigenes
Auto sehr schwierig. Ebenso profitieren die Ausgebeuteten innerhalb des
globalen Nordens, global betrachtet selbst von der Ausbeutung des globalen
Südens [4], wenn sie zum Beispiel eingeflogenes Obst vom Discounter, Schokolade
oder Kaffee konsumieren etc… Ebenso wie nicht alle Menschen im globalen Norden
gleichermaßen von der Ausbeutung von „Natur“ [5] und Mensch profitieren, sind
auch längst nicht alle Menschen im globalen Süden nur passiv Leidtragende der
gegenwärtigen sozial-ökologischen Verhältnisse [6], weltweit sind Mittel- und
Oberschichten anzutreffen, welche ressourcenintensive „<i>westliche“</i>
Lebensstile verfolgen.</p><p>
</p>
<h2><b>GroKo na und?</b></h2>
<p>Momentan ist sie kaum zu ignorieren: die Große Koalition aus CDU und SPD
(nachfolgend: <i>GroKo</i>). Neben mächtigen Unternehmen ist sie aktuell in
Deutschland das größte Hindernis sinnvoller Umweltpolitik. Auf praktisch allen
Ebenen verhindert bzw. bekämpft die neue GroKo
Klimagerechtigkeit: Schon in den ersten Sondierungsgesprächen wurden
Deutschlands Klimaziele für das Jahr 2020 gestrichen. Die aktuelle GroKo ist, wie ihre
Vorgängerregierungen, Teil des Problems und war noch nie Anlass zur Hoffnung
auf soziale oder ökologische Verbesserungen. Ignorieren lässt sie sich jedoch
kaum, weshalb eine Analyse der GroKo-Politik
für linke Klimapolitik wichtig ist: Eine frühere GroKo hatte im Jahr 2007 das Ziel bekanntgegeben, Deutschlands
CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu
senken. Dieses Ziel wurde nun von der neuen GroKo gestrichen. Als Grund wurde angegeben, dass es nun sowieso
nicht mehr zu schaffen sei und deshalb alle Mühen vergebens seien. „Aber, aber“
<a href="https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Lexikon/EnergieLexikon/C/2013-09-18-co2-emission.html">setzt die GroKo</a> nach, zwar könne das 2020er-Ziel nicht (mehr)
eingehalten werden, doch dafür gibt es nun eine neue Zahl in ferner Zukunft:
2030. Wow. Und damit das Ganze jetzt nicht nach Vertrösten klingt, solle bis
zum Jahr 2030 eine CO<sub>2</sub>-Minderung von abenteuerlichen 55 Prozent im
Vergleich zu 1990 erreicht werden. Außerdem solle im Stromsektor der Anteil der
Erneuerbaren Energien auf 65 Prozent ausgebaut werden, der aktuell ca. ein
Drittel ausmacht. Klingt erstmal sehr ambitioniert könnte mensch denken.</p><p>
</p><p>Allerdings fällt beim genauen Hinschauen auf, dass so
naheliegende konkrete Maßnahmen wie ein sofortiger (oder zumindest baldiger)
Kohleausstieg nicht Teil der neuen Klimaziele sind. Ebenso werden weiterhin
Massentierhaltung, industrielle Landwirtschaft und Verbrennungsmotoren
subventioniert, statt abgeschafft. Auffällig ist auch, dass da viel von Zielen
die Rede ist, aber wenig vom Weg dorthin: Anstelle eines Kohleausstiegs finden
sich verschiedene Wirtschaftsförderungsprogramme: von der Planung von Zuschüssen
für Altbausanierungen oder dem Austausch alter Heizkessel bis hin zur Förderung
vom Neubau weiterer Windkraft- und Solaranlagen. Klingt alles gar nicht so
übel, doch hat es mit der zügigen Reduktion von Treibhausgasemissionen in
absoluten Zahlen nichts zu tun. Sämtliche Maßnahmen zielen lediglich auf
Effizienzsteigerungen ab, bestimmte Investitionen sollen gefördert werden, und
kommen damit vor allem dem Kapital zu Gute frei nach dem Motto: „Wer hat, dem
wird gegeben“.</p>
<h2><b>Erfolgreiche Klimapolitik? Wie geht das?</b></h2>
<p>In der deutschen Nachkriegsgeschichte gab es lediglich
zwei Ereignisse, die eine nennenswerte Reduktion der Treibhausgasemissionen zur
Folge hatten. Zum einen war dies die Stilllegung der Industrie der ehemaligen
DDR 1990 und zum anderen die krisenbedingt reduzierte Wirtschaftsleistung
2008/09. Mit „vorbildlicher Klimapolitik“ oder einer absichtlichen Verschiebung
der sozial-ökologischen Verhältnisse hatte dies nie etwas zu tun. In diesem
Kontext lassen sich die Klimaziele der Regierung auch einfach als Teil des „<i>Klimatheaters</i>“
verstehen, welches Politik und Kapital aus Imagegründen regelmäßig
veranstalten. International gibt es regelmäßige Gipfeltreffen des Klimatheaters und auf nationaler Ebene
ist der Ableger davon das beschriebene Gedöns um angebliche Klimaziele. Aber
der Reihe nach.</p>
<h2><b>Das katastrophistische Klimatheater (oder: Alle Jahre wieder)</b></h2>
<p>Das Klimatheater wird von der internationalen Politik inzwischen
regelmässig veranstaltet. Geburt der internationalen Umweltpolitik war eine UN-Konferenz
1972 in Stockholm. Seitdem folgten regelmäßig neue Theatervorstellungen: 1992
wurde in Rio de Janeiro der Grundstein des Kyoto-Protokolls gelegt. Seitdem
steht das Klima im Mittelpunkt internationaler Umweltpolitik. 10 Jahre später
gab es noch einen Aufguss davon: „Rio+10“ in Johannesburg. Die UN-COPs – auch
bekannt als Weltklimagipfel oder eben „Klimatheater“ – begannen im Rahmen des Kyoto-Protokolls
und finden seither jährlich statt. Zuletzt 2017 in Bonn, oder eben besonders
aufwändig massenmedial inszeniert in Kopenhagen 2009 und in Paris 2015. Für
2018 steht Katowice in Polen auf dem Tourneeplan.</p><p>
</p><p>Das Theaterskript ist immer dasselbe: Inspiriert von
naturwissenschaftlicher Klimaforschung und deren neuesten Prognosen wird ein
ultimativ bedrohliches Klimakatastrophenszenario entworfen. Die Länder nehmen
ihre Plätze ein: Diese drohende Klimawandel-Apokalypse gelte es selbstverständlich
(mal wieder) zu verhindern! Und deshalb gibt es ja jetzt auch einen Gipfel
dazu, auf dem nun ein schwammiger Plan und unverbindliche Verträge komponiert
werden. Anschliessend wird noch mit verschiedenen Zahlen jongliert: Mal ein
2-Grad-Ziel. Das nächste Mal 1,5 Grad. Dann eine Reduktion von Treibhausgasen
um 20 Prozent, ein anderes Mal gar 30, 40 oder 80 Prozent. Oder ganz verwegen
das <a href="https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/internationale-klimapolitik/kyoto-protokoll/">Kyotoprotokoll</a>, der „Meilenstein“. Zum Abschluss – alle bitte lächeln! – die Pressefotos.
So werden letzten Endes irgendwelche politisch festgelegten Zahlen massenmedial
vermarktet, ohne dass sich an den Um- und Zuständen der kapitalistischen Tristesse
irgendwas ändert [7]. Erfolgreiche Reduktionen von Treibhausgasen haben bislang
zumindest in Deutschland kaum stattgefunden. Ähnlich trist sieht es mit
Deutschlands Klimazielen für 2020 aus. Interessant ist am <i>Klimatheater</i>
und dessen Erzählung der drohenden Katastrophe nur das, wovon es ablenkt, oder,
was es leugnet.</p>
<h2><b>Die Katastrophe ist längst da</b></h2>
<p>Die Katastrophe ist längst angekommen in Gegenwart und Alltag. In Form
von Megastaudammprojekten, Atomkraftwerken, Fracking, Bergbau,
landwirtschaftlichen Monokulturen, industrieller Massentierhaltung,
Landgrabbing, dem Verbrennen fossiler Brennstoffe, und so weiter und so fort….
Der alltägliche kapitalistische Wahnsinn und seine <i>Naturverhältnisse</i>
töten bereits heute, machen krank und berauben Menschen und ihre Communities
weltweit ihrer Lebensgrundlagen. Ganz unabhängig davon, was die Zukunft noch
bringen wird. Ursache hierfür ist nicht allein der Klimawandel, sondern der
soziale Umgang (global bis lokal) mit sich verändernden natürlichen Umständen.</p><p>
</p><p>So wird zeitgleich etwa grosszügig verschwiegen, dass
die Hauptursache des Klimawandels das Verbrennen der fossilen Ressourcen Kohle,
Öl und Gas ist, ohne die im Kapitalismus so ziemlich gar nichts läuft.
Sinnvolle Klimapolitik würde also konsequent dafür sorgen, diese Vorkommen
unangetastet im Boden zu lassen – bzw. die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass fossile Brennstoffe Stück für Stück durch nachhaltigere Mittel
ersetzt werden, sei es in Produktion wie Transport. Praktisch zu Ende gedacht bedeutet dies das Ende des Kapitalismus. Und
während die GroKo ab und zu eine neue Zielzahl herausposaunt, ist Deutschland
weiterhin Braunkohleweltmeister und millionenfacher Autoproduzent.</p>
<h2><b>Was tun?</b></h2>
<p>All jene, denen an Klimagerechtigkeit gelegen ist, können sich selbstverständlich
nicht auf irgendeine Bundesregierung oder den nächsten Gipfel verlassen. Hier und
jetzt gilt es die gesellschaftlichen
Naturverhältnisse grundlegend zu verändern, d.h. zu demokratisieren und
Vetos von unmittelbar Betroffenen gegen Vorhaben wie dreckige Industrieanlagen,
Bergbau oder landwirtschaftliche Monokulturen zu respektieren. Hierfür kann das
Konzept <i>Umwelt-/Klimagerechtigkeit</i> samt seinen Wurzeln in den Kämpfen
gegen Umweltrassismus praktisch
sein.</p><p>
</p><p>Als Analyse ökologisch-gesellschaftlicher Umstände und
als Forderung nach umfassender Gerechtigkeit bietet das Konzept Klimagerechtigkeit Chancen für eine
grundlegend revolutionäre Perspektive und ermöglicht zugleich einen Entwurf für
linksradikale ökologisch-orientierte
Realpolitik, welche sich sofort praktisch anwenden ließe. Eine ähnliche
Strategie in Hinblick auf soziale Fragen schlug Anja Klein etwa im re:volt-Artikel
„<a href="https://revoltmag.org/articles/der-groko-salat/">Der GroKo-Salat</a>“ vor.</p><p>
</p><p>Der Begriff Umweltgerechtigkeit
verdeutlicht, dass die Katastrophe schon längst da ist und vor allem weiterhin
sozial verursacht wird. Eine Veränderung der sozialen Verhältnisse (wie z.B.
ein neuer Standort für eine Giftmüllanlage oder eben deren Schliessung) hat
sofort soziale und ökologische Folgen. Und jeden Tag kämpfen Menschen an
zahllosen Orten auf der Welt um die Verbesserung dieser Verhältnisse, welche
auch langfristig die Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen sicherstellen. <br/></p><p>Zu guter Letzt scheint eine Vereinnahmung des Konzeptes Klimagerechtigkeit der herrschenden Politik bislang kaum zu gelingen,
und anders als das Einschwören auf ferne Klimaziele oder grünen Kapitalismus,
welche in Umweltpolitik lediglich neue Verkaufsargumente sehen, lässt sich
mittels Klimagerechtigkeit im
Blick behalten, dass es um Befreiung geht. Und die gibt es nur ohne
Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat und alle anderen Formen von Unterdrückung
und Ausbeutung. Klimagerechtigkeit zu Ende gedacht bedeutet viel mehr als „das Ökothema“. Wieder einmal
führt eine gründliche Analyse zu antikapitalistischer, sozialrevolutionärer,
internationalistischer Befreiungspolitik. Wen wundert‘s. In diesem Sinne lasst
uns hier und heute anfangen und weitermachen mit den Kämpfen um realpolitische
ökologische Verbesserungen gegen Tagebaue, Flughafenerweiterungen,
Massentierhaltung und vieles mehr. Mit den analytischen Konzepten Umweltrassismus und Klimagerechtigkeit gelingt es
womöglich besser, im Alltagsgetümmel eine revolutionäre Vision zu entfalten und
mögliche lebenswerte soziale Naturverhältnisse als praktikable Alternativen zum
Kapitalismus zu entwickeln.</p><p>
</p><p>Naja und für Linke, die immer noch finden, dass „das
Ökothema“ reine Nebensache ist und bis nach der Revolution warten kann, gibt’s
ja immer noch die diesbezüglich unrühmliche Geschichte des realsozialistischen
Ostblocks. Generell bleibt zu sagen: Die kolonial-autoritäre Durchsetzung von
industriellen Großprojekten wie Atomkraftwerken, Bergbau, Schwerindustrie,
landwirtschaftlichen Monokulturen und vieles mehr – gegen alle Einwände von Betroffenen,
Indigenen und Anwohner*innen – ist nicht gerade das, was ich unter der Flagge
linker Befreiung Mensch <i>und</i> „Natur“
zumuten möchte.</p>
<p><i>„Al socialismo
se puede llegar solo en bicicleta“<br/>(Der </i><i>Sozialismus kann nur mit dem Fahrrad erreicht werden)</i><br/>José Antonio Viera-Gallo, Staatssekretär Justiz in der
Regierung Allende</p>
<hr/><p>Der Autor Jakobus Mühlstein ist ein hessischer
Kleinstadtautonomer. Er fühlt sich im Autonomen Kulturzentrum <i>Metzgerstraße</i>
<i>8</i> in Hanau zu Hause. Er engagiert sich im Arbeitsschwerpunkt <i>Gesellschaftliche
Naturverhältnisse</i> der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und der
Klimabewegung. Bei EndeGelände wurde er auch schon gesichtet.</p>
<p></p><hr/><h2><b>Anmerkungen</b></h2>
<p>[1] Erstmals wurde der Vorwurf und Begriff des Umweltrassismus von Benjamin F.
Chavis Jr. öffentlich vorgebracht. Er war einer der über 500 Festgenommenen und
damaliger Geschäftsführer der United
Church of Christ.</p><p>
</p><p>
</p><p>[2] Ein Klassiker der Umweltsoziologie ist die Studie „<a href="https://d3n8a8pro7vhmx.cloudfront.net/unitedchurchofchrist/legacy_url/13567/toxwrace87.pdf?1418439935">Toxic
Wastes and Race in the United States</a>“. Sie wurde direkt nach den Protesten in Warren County begonnen
und 1987 veröffentlicht und ist bis heute unwiderlegt. Die Studie „<a href="http://www.ucc.org/environmental-ministries_toxic-waste-20">Toxic Waste
and Race at Twenty 1987 – 2007</a>“ von Robert D. Bullard, Paul Mohai, Robin Saha und Beverly Wright
(2007) ist eine Aktualisierung der Studie von 1987 mit präziseren
Erhebungsmethoden und Daten. Zusätzlich enthält sie einen sehr ausführlichen
Überblick über die Geschichte der Umweltgerechtigkeitsbewegung und ihrer
Anfänge in Warren County sowie einige weitere Fallstudien. </p><p>
</p><p>
</p><p>[3] Besonders gut dokumentiert
z.B. im Artikel Environmental Justice von Paul Mohai, David Pellow und J.
Timmons Roberts (2009), veröffentlicht im <i>Annual Review of Environment and
Resources</i> Vol.34/2009. Auf Seite 411 geht es um die verschiedenen
Datengrundlagen und mathematischen Methoden der Auswertung.</p><p>
</p><p>
</p><p>[4] „Imperiale Lebensweise“ ist der aktuell sehr hippe
Begriff dafür. Eine kurze Erklärung von Ulrich Brand und Markus Wissen findet
sich <a href="http://www.buko.info/fileadmin/user_upload/gesnat/ak585_Imperiale_Lebensweise_1.pdf">hier</a>, ausführlicher
wird dieses analytische Konzept in ihrem gleichnamigen Buch dargestellt. Samuel
Decker fasst es in seinem Artikel <a href="https://www.akweb.de/ak_s/ak634/12.htm">Bitte keine Verzichtsdebatten</a>“ (<i>analyse und kritik </i>Nr.
634 vom 23.01.2018) kurz und prägnant zusammen. </p><p>
</p><p>
</p><p>[5] Das Wort Natur bzw. „Natur“ steht bei näheren
Überlegungen auf sehr wackligen theoretischen Füßen, dennoch verwende ich es
hier der Einfachheit halber, um mich nicht völlig in wissenschaftstheoretischen
Diskussionen zu verlieren.</p><p>
</p><p>
</p><p>[6] In der Tradition der Kritischen Theorie wird dies
in der Umweltsoziologie mit dem Konzept „Gesellschaftlicher Naturverhältnisse“
erfasst.</p><p>
</p><p>
</p><p>[7] Um Missverständnissen vorzugbeugen: Es geht
keineswegs darum Klimaforschung sowie deren Erkenntnisse und Berechnungen zu
diskreditieren oder zu leugnen. Insbesondere in Zeiten von Trump, AFD und
Konsorten ist das Letzte, was wir brauchen, die stumpfe irrationale
Diffamierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Der Punkt ist lediglich der,
nicht auf die sehr einseitige katastrophistische Instrumentalisierung der
Klimaforschung durch das Klimatheater der internationalen Politik
hereinzufallen.</p>
<p></p></div>
</section>
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