re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=3952019-08-29T15:34:23.521942+00:00FARC-EP nimmt den bewaffneten Kampf wieder auf2019-08-29T15:19:10.151866+00:002019-08-29T15:34:23.521942+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/farc-ep-nimmt-den-bewaffneten-kampf-wieder-auf/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>FARC-EP nimmt den bewaffneten Kampf wieder auf</h1>
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<span class="content-copyright">Screenshot FARC-EP</span>
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<div class="rich-text"><p>In den Abendstunden des 28. August 2019 veröffentlichte ein anonymer Account auf dem Online-Videoportal <i>YouTube</i> <a href="https://www.youtube.com/watch?v=GQNMQxTV46o">eine Erklärung</a> des seit über einem Jahr untergetauchten ranghohen Führers der Linkspartei <i>Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común - FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volks),</i> Iván Márquez. In der Erklärung erklärt Márquez, seinerzeit Chefunterhändler für die marxistische Guerilla im nunmehr endgültig gescheiterten Friedensprozess, dass man den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen werde. An seiner Seite stehen in dem Video die ebenfalls seit längerer Zeit untergetauchten ranghohen Ex-Kommandeure der Guerilla <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">Jesús Santrich</a> und Hernán Darío Velásquez (alias: El Paisa). Laut Márquez wurde das Video in der Nähe des im Südosten Kolumbiens gelegenen Flusses Inírida aufgenommen. Bereits am Morgen desselben Tages wurde durch den Direktor der <i>Fundación Paz y Reconciliación (Stiftung für Frieden und Versöhnung)</i> Ariel Ávila das Gerücht verbreitet, die Gründung <a href="https://www.infobae.com/america/colombia/2019/08/28/alerta-en-colombia-disidentes-y-ex-lideres-de-las-farc-estan-negociando-la-conformacion-de-una-nueva-guerrilla/">einer neuen Guerilla stehe unmittelbar bevor</a>.</p><p></p><h3>Der Grund: Eine feindselige Regierung</h3><p>In der knapp halbstündigen Videobotschaft begründet Márquez ausführlich den Schritt, den er als „Neue Etappe des Kampfes“ und den Beginn eines „Zweiten Marquetalia“ [1], umschreibt. Anschließend an seine im vergangenen Jahr immer wieder veröffentlichten kritischen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=WLbvtK69swU">Wortmeldungen</a>, benennt Márquez die Haltung des kolumbianischen Staates im Friedensprozess als „Verrat am Friedensprozess von Havanna“. Er stellt klar, dass das militärische Ziel nicht in erster Linie in „Polizist*innen und Soldat*innen“, noch in „Klassenbrüdern“ und „Klassenschwestern“ bestehen werde, sondern in der Oligarchie Kolumbiens selbst, die „mafiös“ und „gewalttätig“ sei und sich „auf Kosten einer allgemeinen Armut“ bereichere. Die Regierung habe unter anderem „einseitige Veränderungen“ an Friedensverträgen von Havanna vorgenommen, sei ihren in den Verträgen bestimmten „Verpflichtungen nicht nachgekommen“, habe fingierte Prozesse der strafrechtlichen Verfolgung ins Leben gerufen. Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs sei als „Antwort auf eine Offensive“ zu verstehen, die nun am Ende eines durch die Regierung „betrogenen Friedens“ stehe. Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs solle einhergehen mit der Verstärkung von sozialen Bewegungen gegen die „Ausbeutung durch multinationale Konzerne“, die „Zerstörung der Umwelt durch den Klimawandel“, „Korruption“ und „Straffreiheit“ der kolumbianischen Eliten. In der Erklärung wird explizit eine Zusammenarbeit mit der weiterhin bewaffnet kämpfenden marxistischen Guerilla <i>Ejército de Liberación Nacional - ELN (Nationale Befreiungsarmee)</i> und allen „Genoss*innen der <i>FARC-Dissidenz</i>“ befürwortet.</p><p>Dieser gravierende Schritt kommt für <a href="https://revoltmag.org/articles/kolumbien-vor-neuem-krieg/">Beobachter*innen der Auseinandersetzungen</a> um den Friedensprozess wenig überraschend. Die rechte, neoliberale Regierung um den kolumbianischen Präsidenten Iván Duque umging seit Amtsantritt 2018 de facto sämtliche Vereinbarungen der Friedensverträge von Havanna, machte einige Vereinbarungen gar rückgängig oder griff diese juristisch und politisch an. Zuletzt versuchte man, das Kernstück der Friedensverträge, die <a href="https://blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/praesident-duque-will-friedensgesetz-aendern/"><i>Sonderjustiz für den Frieden (JEP)</i></a><a href="https://blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/praesident-duque-will-friedensgesetz-aendern/">, auszuhebeln</a>, indem Verbrechen während der Zeit des bewaffneten Konflikts unter reguläre Strafverfolgung gestellt werden sollten. Diese Maßnahme hätte, aufgrund der weitgehenden Straffreiheit von ehemaligen rechtsradikalen Paramilitärs und Politiker*innen, de facto nur die ehemalige Guerilla getroffen. Angesicht dieser, die Friedensverträge Stück für Stück revidierenden Politik, verließen immer mehr Ex-Guerillerxs die Wiedereingliederungszonen für den Frieden. Sie setzten sich zur <i>FARC-Dissidenz</i> und anderen bewaffneten Gruppen ab, oder gingen in den Untergrund. Die nun vollzogene Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs macht außerdem deutlich, dass die vor kurzem vollzogene <a href="https://www.jungewelt.de/artikel/360107.kolumbien-zur%C3%BCck-zu-den-wurzeln.html?fbclid=IwAR295QIJf5x42g2MYZX_tIm9RCJRXJGrCFd03JpWomPbrk-Erqgoka88YG0">Wiederaufnahme der Aktivität</a> der <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano - PCCC (Klandestine Kolumbianisch Kommunistische Partei)</i> und ihrer Vorfeldstrukturen auf das Konto von Iván Márquez und Jesús Santrich gehen. [2]</p><p></p><h3>Die Linkspartei FARC: Vor der Spaltung</h3><p>In der legalen Partei <i>FARC</i>, die aus dem Friedensprozess im Jahre 2017 hervorging, verschärften sich aus den genannten Gründen schon seit Längerem die Spannungen zwischen dem rechten Parteiflügel um Ex-Kommandant Rodrigo Londoño (alias Timochenko) und dem linken Flügel um Iván Márquez. Londoño und seine Verbündeten bemühen sich um eine Sozialdemokratisierung der Partei, das heißt, um eine ausschließliche Orientierung auf parlamentarische Politik und Wahlen. Angesichts der zwischenzeitlich knapp 150 getöteten Ex-Guerillerxs und der Ermordung von weiteren 500 sozialen Aktivist*innen in zwei Jahren, fuhr die Führung der <i>FARC</i> bis zuletzt eine sehr passive, ultra-pazifistische und versöhnlerische Haltung gegenüber der Rechtsregierung um Iván Duque. Die Anpassungslinie ging teilweise so weit, dass es von Rodrigo Londoño angeregte parteiinterne Diskussionen dazu gab, ob abgetauchte Mitglieder der Partei, zum Beispiel Jesús Santrich, aus der Partei <a href="http://www.radiosantafe.com/2019/07/15/expulsion-de-santrich-del-partido-farc-se-definira-en-cuatro-meses/">ausgeschlossen werden sollen</a>. Die Strömung um Londoño steht parteiintern dementsprechend für eine ausgeprägte Bürokratisierung und Anpassung an das politische System, was insbesondere von der Parteibasis in den vergangenen Jahren immer wieder scharf kritisiert wurde.</p><p>Dass nun zwei an der Parteibasis äußerst beliebte Führungsfiguren, Márquez und Santrich, den bewaffneten Kampf unter dem ursprünglichen Namen <i>Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo</i> (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) wieder aufnehmen, dürfte die Partei endgültig spalten. Und das vor den bevorstehenden Regionalwahlen am 27. Oktober, an denen sich die Partei zum ersten Mal mit eigenen Kandidat*innen beteiligen will. Neben dem erwartbaren Mitgliederschwund und dem endgültigen Kollaps vieler Wiedereingliederungszonen, wird die verbliebene, legal operierende Partei <i>FARC</i> unter massiven Repressionsdruck geraten. Entsprechend scharf fällt auch das Statement von Rodrigo Londoño und seinen Verbündeten im Vorstand der Partei, etwa von Carlos Antonio Lozada oder Pastor Alape, aus. Londoño stellte <a href="https://caracol.com.co/programa/2019/08/29/6am_hoy_por_hoy/1567077515_016832.html?fbclid=IwAR2iwtWPmP9MhK0vGp8nlu6Yz7B53ZocYQdee2rwkEtcl8RqfC-F73YvTQk">bereits in einem Tweet klar</a>, dass „die übergroße Mehrheit an dem Vereinbarten“ festhalte. Gleichzeitig merkte Lozada an, dass es sich bei der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs um „einen großen Fehler“ handele und ihm das Handeln von Márquez und Santrich so vorkommte, als „(...) gäbe es ihrerseits eine abgebrochene Verbindung mit der Realität, die das Land durchlebt". Pastor Alape wiederum <a href="https://www.facebook.com/PastorAlape">bezeichnet</a> die Wiederbewaffnung als „Abenteuer, das den Gegnern des Friedens zum Vorteil gereicht, die sich heute freuen dürften“.</p><p></p><h3>Die Perspektive: Ein neuer Krieg</h3><p>Der rechte kolumbianische Präsident Iván Duque verfügt mit der gestrigen Erklärung nun über alles propagandistische Rüstzeug, den Friedensprozess seinerseits für gescheitert zu erklären, militärische Offensiven anzuordnen und die dadurch erzeugte politische Stimmung für weitere Schläge gegen das Friedensabkommen zu nutzen. „Hier gab es keinen Frieden, sondern Gnade für einige Verantwortliche für grauenhafte Straftaten zu hohen institutionellen Kosten“, äußerte sich auch schon sein politischer Ziehvater, der rechtsradikale Hardliner Álvaro Uribe Vélez, vergangene Nacht zur Erklärung. Eine politische Erklärung seitens des Präsidenten bleibt zur Stunde noch aus und wird in den kolumbianischen Morgenstunden erwartet. Aller Erwartung nach wird diese ähnlich ausfallen. Es bleibt abzuwarten, wie sich ein mögliches Bündnis zwischen der neuen <i>FARC-EP</i>, der <i>ELN</i> und der <i>FARC-Dissidenz</i> auf die politische Landschaft Kolumbiens auswirken wird. Angesichts der im vergangenen Jahr sich mehrenden politischen Anzeichen des „Zerreißens der Friedensverträge“ (Iván Duque im Wahlkampf 2018), ist jedoch mit einer Rückkehr in die dunkelste Ära der jüngsten kolumbianischen Geschichte zu rechnen.</p><p></p><p></p><hr/><h3><br/><b>Anmerkungen</b></h3><p><b>[1]</b> Bei dem Verweis auf <i>Marquetalia</i> handelt es sich um ein Anknüpfen an den historischen Gründungsmythos der <i>FARC-EP,</i> nach dem die marxistisch-leninistische Guerilla ihren Ursprung in der bäuerlichen Selbstverteidigung gegen eine militärischen Offensive der konservativen Zentralregierung im Bürgerkrieg der <i>la violencia (die Gewalt)</i> im heutigen Verwaltungsbezirk Huíla (Süd-Kolumbien) hat.</p><p></p><p><b>[2]</b> Die <i>PCCC</i> war die politische Struktur der Guerilla <i>FARC-EP</i> unter dem vom kolumbianischen Staat getöteten Ex-Kommandeur der Guerilla Alfonso Cano.</p><p></p><p><i>Die Spenden-Kampagne „Solidarität mit linker Kulturpolitik in Kolumbien!“ sammelt Geld für die Genoss*innen der Linken Kulturgruppe</i> <a href="https://www.facebook.com/RASH.BTA.SEC.OFICIAL/"><i>RASH Bogotá</i></a><i>, die unter den im Artikel genannten prekären Bedingungen linke Kulturarbeit in Kolumbien leistet und dem bolivarianischen Spektrum angehört.</i> <a href="https://www.betterplace.me/kolumbiensoli"><i>Zur Spendenseite geht es hier.</i></a></p></div>
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Kolumbien vor neuem Krieg2019-06-12T15:54:10.202132+00:002019-06-12T16:08:18.808518+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/kolumbien-vor-neuem-krieg/
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<div class="rich-text"><p><i>Der Autor sammelt mit der Spenden-Kampagne „Solidarität mit linker Kulturpolitik in Kolumbien!“ Geld für die Genoss*innen der Linken Kulturgruppe </i><a href="https://www.facebook.com/RASH.BTA.SEC.OFICIAL/"><i>RASH Bogotá</i></a><i>, die unter den im Artikel genannten prekären Bedingungen linke Kulturarbeit in Kolumbien leistet und dem bolivarianischen Spektrum angehört.</i> <a href="https://www.betterplace.me/kolumbiensoli"><i>Zur Spendenseite geht es hier.</i></a></p><h3>Ein Friedensprozess am Ende</h3><p>Als der ehemalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos im Jahr 2016 die seit 2012 währenden Friedensverhandlungen mit der marxistischen Guerilla <i>Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo</i>, kurz FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) erfolgreich abschloss und diese sich schließlich 2017 demobilisierte, waren die Erwartungen groß. Die <a href="https://www.eltiempo.com/contenido/politica/proceso-de-paz/ARCHIVO/ARCHIVO-16682558-0.pdf">Friedensverträge von Havanna</a> verpflichteten die Regierung faktisch dazu, einen modernen, demokratischen Nationalstaat mit umfangreichen Sozialsystemen aufzubauen. Eine gigantische Herausforderung für eines der <a href="https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/radiografia_de_la_desigualdad.pdf">sozial ungleichsten Länder der Erde</a>. Wirtschaftlich wäre es auf ein keynesianisches Investitionsmodell, insbesondere in den ruralen Regionen, hinausgelaufen. Die <i>Jurisdicción Especial para la Paz</i>, kurz JEP (Sonderjustiz für den Frieden), die seit 2016 eingerichtet wurde, hätte eine sukzessive Aufarbeitung paramilitärischer, mit dem Staat verbundener Morde und Massaker bedeutet. Schließlich hätte die Substitution des Koka-Anbaus durch nachhaltige Agrarwirtschaft und die Neuverteilung von Land über den eigens dafür geschaffenen Fond dem andauernden Drogenkrieg das Fundament entzogen. Kurz: Eine Umsetzung der Verträge von Havanna hätte ein Fundament für einen dauerhaften Frieden darstellen können. Ihnen lag eine Definition von Frieden zu Grunde, die diesen nicht alleine als Zustand der Abwesenheit von physischer Gewalt begriff, sondern vor allem auch die Lösung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts in der politischen und ökonomischen Machtstruktur ins Visier nahm. Das alles hätte jedoch einen Bruch mit dem neokolonialen und militaristischen Bürgerkriegsmodell bedeutet, das aus einem exklusiven Staatsapparat besteht, in dem linke und linksliberale Stimmen marginalisiert und mit paramilitärischem Terror überzogen wurden und werden. Das ist offensichtlich nicht gewollt. Spätestens seit dem Amtsantritt Iván Duques als Präsident im August 2018 wird nichts unversucht gelassen, um Bestimmung für Bestimmung zu revidieren, damit der Friedensprozess und mit ihm die politische Linke des Landes beerdigt werden kann.</p><p></p><h3>Plebiszit und erste Revision</h3><p>Der erste Schlag gegen den Frieden geschah bereits, bevor das Abkommen offiziell unterzeichnet worden war. Mit einer Volksabstimmung sollte die Bevölkerung über die Annahme der Friedensverträge von Havanna entscheiden. Diese Abstimmung durchzuführen war ein explizites <a href="https://amerika21.de/2013/04/82298/volksabstimmung-farc">Anliegen der Regierungsseite</a> und mitnichten der Guerilla, die nur zu gut weiß, dass die Kräfteverhältnisse in den bevölkerungsreichen Zentren des Landes, den Cordilleras, nicht zu ihren Gunsten stehen. <a href="https://lowerclassmag.com/2016/10/07/ein-sieg-der-apathie-und-der-gewalt/">Eine Mischung</a> aus historischem Antikommunismus und rechter Medienmacht, erfolgreichen, hetzerischen Mobilisierungen der Rechten, ebenso wie eine nicht mehr vorhandene Präsenz beziehungsweise Einfluss der Guerilla in den großen Städten des Landes, sowie eine weit verbreitete politische Apathie (Wahlbeteiligung: 37,43%) im Land, führten schließlich zu einer knappen Ablehnung der Friedensverträge im Oktober 2016. In den darauf folgenden Wochen, in denen das Vertragswerk überarbeitet wurde, wurden bereits <a href="https://lowerclassmag.com/2016/11/21/ein-frieden-fuer-wen/">zentrale Revisionen</a> vorgenommen. Dabei wurde unter anderem die Unantastbarkeit des Privateigentums an Land festgeschrieben, was die vorgesehene Umverteilung der in Großgrundbesitzerhänden befindlichen Ländereien an Opfer des bewaffneten Konflikts und/oder Kleinbäuer*innen nachhaltig unterminierte.</p><p></p><h3>Die Verhaftung Jesús Santrichs</h3><p>Zweifellos einer der ausschlaggebendsten Vorfälle und gleichzeitig exemplarisch war die noch von Juan Manuel Santos veranlasste <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">Verhaftung</a> des FARC-Führers und Chefideologen der alten Guerilla Jesús Santrich am 9. April 2018 in dessen Haus in Bogota. Santrich wurde vom US-amerikanischen Dienst <i>Drug Enforcement Administration</i>, kurz DEA (Drogenvollzugsbehörde), vorgeworfen, mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell [1] nach der Zeichnung der Friedensverträge mit Kokain gehandelt zu haben. Da dieser Handel nach der Zeichnung der Verträge erfolgt sein soll, habe Santrich kein Recht auf eine Verhandlung des Falls vor der JEP, so seine Ankläger*innen. Die USA forderten daraufhin seine Auslieferung auf Basis der historischen Auslieferungsgesetzgebung der 1980er Jahre, die aber im Zuge der Implementierung der Körperschaft JEP ausgesetzt wurde – zumindest für solche Delikte während des bewaffneten Konflikts. Beweise gibt es, bis auf ein Telefonat und Bilder eines angeblichen Treffens, die beide von seinem ehemaligen Mitarbeiter Marlon Marín <a href="https://colombiareports.com/marlin-marin-the-dea-informant-who-put-farc-leader-back-behind-bars/">eingefädelt worden waren</a>, keine. Marín ist interessanterweise zwischenzeitlich als Kronzeuge der DEA in den USA wieder aufgetaucht. Die Rechtsregierung unter Duque hält faktisch also einen Kongressabgeordneten (!) der Republik ohne Beweise fest und arbeitete an einer Auslieferung auf Basis einer Gesetzgebung, die für Fälle wie Santrich in den Friedensverträgen explizit ausgesetzt worden war. Zwischenzeitlich attackierte Duque die JEP auch auf dem parlamentarischen Weg, mit dem Ziel, diese de facto auszuhebeln. Das hätte eine reguläre Strafverfolgung aller Guerilleros/as in den Entwaffnungszonen bedeutet. Dieses Szenario wurde nun vorläufig vom <a href="https://amerika21.de/2019/06/227039/santrich-freilassung-kolumbien">Obersten Gerichtshof verhindert</a>. Weiterhin wurde Santrich auf Weisung der JEP gegen den Willen der Staatsanwaltschaft vorläufig auf freien Fuß gesetzt.</p><p></p><h3>Die Rechtsradikalen gewinnen die Wahl</h3><p>Der <a href="https://revoltmag.org/articles/das-ende-von-frieden-und-soziale-gerechtigkeit/">Wahlsieg Iván Duques</a> gegen seinen linken Herausforderer Gustavo Petro im vergangenen Jahr machte allen klar, dass die politischen Weichen in Richtung Scheitern des Friedensprozesses gestellt werden. Duque gab sich in seinem Wahlkampf nicht einmal die Mühe, seine Absichten zu verbergen und verkündete vor Anhänger*innen dann schon mal, dass er die Friedensverträge mit den FARC „zerreißen“ werde. Nach seinem Wahlsieg ließ er zwar verlautbaren, dass er nur noch „Änderungen“ an den Verträgen plane, jedoch merkte der liberale Politiker und ehemalige Chefunterhändler der Regierung Santos, Humberto de la Calle zu Recht an, dass es sich bei diesen angepeilten Veränderungen um eine „Änderung des Wesensgehalts der Verträge“ handele. Bei diesen Wahlen wurde auch deutlich, wie gravierend die Guerillabewegung an Einfluss in den politischen Zentren des Landes eingebüßt und wie stark ihre politische Isolation geworden war. Die nunmehr im November 2017 als legale Partei <i>Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común -</i> FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volks) transformierte Ex-Guerilla konnte über ihre eigene Anhänger*innenschaft hinaus <a href="https://revoltmag.org/articles/eine-niederlage-f%C3%BCr-die-gesamte-kolumbianische-linke/">kaum Stimmen gewinnen</a>. Aufgrund der Bestimmungen in den Friedensverträgen entsendete die neue Linkspartei dennoch fünf Kandidat*innen in Senat wie Abgeordnetenhaus, von denen allerdings nicht alle ihr Mandat aufnahmen.</p><p></p><h3>Das Whitewashing des Staates...</h3><p>Auch auf dem Feld der Aufarbeitung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts kam es zum umfassenden Rollback. Nahezu symbolisch für die einseitige Geschichtserzählung vom bewaffneten Konflikt steht die <a href="https://amerika21.de/2019/03/223025/ultrarecher-neuer-leiter-des-cnmh-kolumb">kürzliche Ernennung</a> des Ultra-Rechten Darío Acevedo zum Leiter des <i>Centro Nacional de Memoria Histórica</i>, CNMH (Nationales Zentrum für Historisches Gedächtnis). Acevedo gehört zu jenen „Historikern“, die entgegen dem Forschungsstand zum bewaffneten Konflikt behaupten, dass diesem keine soziale Komponente zu Grunde liege, sondern es sich um einen „Kampf gegen den Terrorismus“ handele. In dieser Erzählung steht ein vermeintlich sauberer Staat einer mit Blut besudelten Guerilla gegenüber, die vollkommen abseits jeder politischen Intention die Bevölkerung mit Drogenhandel und Terror überzogen hätte – eine derzeit bis weit hinein in linke Intellektuellenkreise reichende Annahme.</p><p></p><h3>...und die Fortsetzung des Staatsterrorismus</h3><p>Das Ansteigen der politischen Morde seit Zeichnung der Friedensverträge im Jahr 2016 ist dabei ein besonders düsteres Kapitel des gescheiterten Friedensprozesses. Ein kürzlich unter anderem durch die linke soziale Bewegung <i>Marcha Patriótica</i> und der NGO <i>Instituto de estudios para el desarollo y la paz</i>, INDEPAZ (Institut für Entwicklungs- und Friedensstudien) <a href="http://www.indepaz.org.co/wp-content/uploads/2019/05/SEPARATA-DE-ACTUALIZACIO%CC%81N-mayo-Informe-Todas-las-voces-todos-los-rostros.-23-mayo-de-2019-ok.pdf">herausgegebener Bericht</a> spricht von zwischenzeitlich 702 ermordeten Aktivist*innen und 135 ermordeten Ex-Kämpfer*innen der Guerilla seit Zeichnung der Friedensverträge im Jahr 2016. Mit jährlich steigender Tendenz. Gleichzeitig ging die Regierung nach wie vor bei sämtlichen Gelegenheiten mit massiver Gewalt und unter Inkaufnahme schwerster Verletzungen mit Todesfolge mit der Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD gegen soziale Proteste, etwa im Chocó, oder auch in <a href="https://revoltmag.org/articles/ein-kampf-um-frieden-und-w%C3%BCrde/">der armen Pazifikstadt Buenaventura</a> vor. Die kolumbianische Regierung ist dabei nicht nur als unfähig, sondern vor allem als unwillig zu bezeichnen, was die Bekämpfung des Problems des Paramilitarismus anbelangt. Öffentlich leugnete bereits die vergleichsweise liberale Regierung von Juan Manuel Santos die historischen wie aktuellen und <a href="https://amerika21.de/analyse/152975/paramilitarismus-kolumbien">hinreichend belegten Verbindungen</a> zwischen kolumbianischem Staat und paramilitärischen Gruppen. Mit Iván Duque ist der politische Arm des Paramilitarismus wieder zu Amt und Würden gekommen. Die Haltung der derzeitigen Regierung zu dieser Frage hat kein Politiker besser auf den Punkt bringen können als Álvaro Uribe Velez, Ziehvater des jetzigen Präsidenten Iván Duque und Gründer der ersten paramilitärischen Gruppen, selbst. So schrieb dieser Ex-Präsident Kolumbiens kürzlich über seinen <a href="https://www.eltiempo.com/politica/congreso/sigue-polemica-por-trino-de-alvaro-uribe-sobre-masacre-348022">Twitter Account</a>, dass „wenn eine ruhige Autorität, stark und mit sozialen Kriterien Massaker bedeutet, dann weil auf der Gegenseite mehr Gewalt und Terror herrscht als Protest“. Dieses, die Morde an Aktivist*innen legitimierenden Statement ging anschließend unter dem Hashtag <i>#Masacreconcriteriosocial</i> (#MassakermitsozialemKriterium) viral. Dazu passt dann auch, dass Iván Duque nichts zum Schutz der Menschen tut, aber stattdessen eine Sicherheitspolitik forciert, in der es erneut möglich wird, legale <a href="https://amerika21.de/2019/02/222140/duque-foerdert-legalen-paramilitarismus">paramilitärische Gruppen zu gründen</a>. In den 90er Jahren hatte Álvaro Uribe Velez bereits mit den CONVIVIR eine legale Form des Paramilitarismus in Form von privaten Bürgermilizen geschaffen, die Hand in Hand mit dem Staat gegen die Guerilla und andere Linke vorgingen, um dann später umstandslos in die Kontra-Guerilla der AUC überzugehen.</p><p></p><h3>Der Ausbau des Militär-Regimes</h3><p>Bei nicht wenigen Aktivist*innen für den Friedensprozess war mit den Verträgen von Havanna die Hoffnung verbunden, dass ein dauerhafter Waffenstillstand mit der letzten verbliebenen relevanten Guerilla <i>Ejército de Liberación Nacional</i>, ELN (Nationales Befreiungsheer) folgen könnte und der aufgeblähte kolumbianische Militärapparat damit eingekürzt würde. Real ist auch hier das Gegenteil eingetreten. Hatte Juan Manuel Santos noch vergleichsweise erfolgreiche Friedensverhandlungen mit der ELN geführt, blockierte die Regierung Duque die Verhandlungen zunächst, um sodann die militärische Aggression gegen die letzte verbliebene linke Guerilla zu verstärken. Diese reagierte zu Anfang des Jahres 2019 mit einem Anschlag gegen eine Polizeiakademie in Bogota, was dann endgültig zum Vorwand genommen wurde, den fragilen Friedensprozess zu begraben. Mit diesem Manöver erhielt sich die Regierung Duque einen inneren Feind, um die Aufrechterhaltung der immensen Militärausgaben (drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes) und deren Erhöhung um drei Milliarden US-Dollar (2018) zu rechtfertigen. Bereits seit Santos gilt Kolumbien als <a href="https://amerika21.de/2018/05/202241/kolumbien-globaler-partner-nato">„globaler Partner“ der NATO</a> in Südamerika. Die USA nutzen darüber hinaus nach wie vor <a href="https://www.semana.com/nacion/seguridad/articulo/estados-unidos-utilizara-total-siete-bases-militares-colombia/105908-3">sieben Militärbasen</a> auf kolumbianischem Territorium, insbesondere als Drohung gegen die Linksregierung in Venezuela. Kürzlich wurden in der New York Times fragwürdige Weisungen im kolumbianischen Militär öffentlich gemacht. Die Weisungen sehen Belohnungen von Tötungen von Guerilleros vor und Strafe bei Nicht-Erfüllung des „Solls“. Damit betreibt die Regierung Duque eine ähnliche <a href="https://amerika21.de/2019/05/226575/militaer-foerderung-morde-kolumbien">falso positivo-Militärpolitik</a> wie seinerzeit Álvaro Uribe Velez und dessen damaliger Verteidigungsminister Juan Manuel Santos.</p><p></p><h3>Ein Gezielter Bruch der Verträge</h3><p>Zu den genannten Faktoren und Entwicklungen treten dann noch mangelhafte Umsetzung <a href="https://amerika21.de/2017/03/171162/kolumbien-farc-entwaffnungszon">der Bestimmungen</a> für die <i>Zonas Veredales Transitorias de Normalización</i>, ZVTN (Transitionszonen) nun <i>Espacio Territoriales de Capacitación y Reincorporación</i>, ETCR (Territoriale Orte der Fortbildung und Wiedereingliederung) hinzu. Weiter die <a href="https://amerika21.de/2017/02/171000/farc-gefangene-hungerstreik">fortgesetzte Inhaftierung</a> von politischen Gefangenen der FARC, keine Umsetzung der sozialen Bestimmungen der Friedensverträge, geschweige denn jener zur ruralen Entwicklung, sowie die wieder aufgenommene militärische Vernichtungspolitik von Koka-Plantagen mit krebserregendem Glyphosat statt Substitution und Landentwicklung. War die Regierung unter Juan Manuel Santos noch ambivalent und hielt eine Balance zwischen erfüllten und unerfüllten Bestimmungen, kann man von der Duque-Regierung sagen, dass sie in sämtlichen Bereichen das genaue Gegenteil zu den vereinbarten Verträgen umsetzt. Es wird mehr als deutlich, dass der kolumbianische Staat und seine politische Klasse spätestens seit Iván Duques Präsidentschaft darauf hinarbeiten, die Verträge unwirksam werden zu lassen. Der Friedensprozess wurde einseitig, nämlich durch die Regierungsseite, aufgekündigt, während die ehemalige Guerilla sämtliche Bestimmungen wortgenau umsetzte. Inwieweit eine solche negative Entwicklung <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">bereits unter Santos</a> absehbar war, ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Fest steht jedoch, dass bereits in der Ära Santos Probleme in der Umsetzung der Bestimmungen auftraten, weil Teile des Staatsapparats sich weigerten, die Bestimmungen adäquat umzusetzen. Weiterhin fällt bereits in die Ära Santos die Verhaftung von Santrich und die Aufkündigung <a href="https://www.elcolombiano.com/opinion/editoriales/termina-el-fast-track-que-sigue-XE7776617">des so genannten Fast Track-Verfahrens</a>, d.h. einer beschleunigten, dekretartigen Beschlussfassung ohne weitere Diskussion in den politischen Kammern. Durch die Aufkündigung des Verfahrens musste Bestimmung für Bestimmung der Friedensverträge erneut durch die Kammern des kolumbianischen politischen Systems diskutiert beziehungsweise beschlossen werden. Es ist also zwar anzunehmen, dass ein liberalerer, nicht mit dem Paramilitarismus verbundener Präsident, weniger aggressiv gegen die Friedensverträge vorgegangen wäre. Allerdings muss zugleich festgehalten werden, dass keine einzige der mit der kolumbianischen Oligarchie verbundenen politischen Parteien – von den Rechten um <i>Centro Democrático</i>,<i> Cambio Radical</i>, <i>Partido Social de Unidad Nacional</i> und <i>Partido Conservador Colombiano</i> bis hin zu den Liberalen um die <i>Partido Liberal Colombiano</i> – ein <a href="https://lowerclassmag.com/2016/08/19/freiheit-frieden-und-soziale-gleichheit-sind-die-parolen-unserer-sache/">Interesse an der wortgenauen Umsetzung</a> der Friedensverträge hat. Diese lesen sich zwar aus einer westlichen Perspektive als moderate, sozialdemokratische Programmatik, bedrohen jedoch in einem System, in dem die politische Linke, inklusive Sozialdemokratie und Gewerkschaften, stets ausgeschlossen und verfolgt wurde, potentiell das traditionelle Herrschaftssystem.</p><p></p><h3>Die Folgen für die bolivarianische Bewegung in Kolumbien</h3><p>Für die bolivarianische Bewegung [2] und insbesondere die neue Linkspartei FARC ergeben sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios gravierende Probleme. Zum einen kann festgehalten werden, dass die Stärke des politischen Gegners unterschätzt und die eigene Stärke überschätzt wurde. Die ehemalige Guerilla stellte zu Recht fest, dass eine klar sozialistische Partei im politischen Spektrum des Landes fehlte und gründete demnach eine solche Partei mit vergleichsweise moderatem Programm und eben keine Kommunistische Partei [3]. Als Erfolg kann festgehalten werden, dass diese Partei in den Städten teilweise in der Lage war, insbesondere junge Menschen politisch zu organisieren. Ein Erfolg ist wohl auch, dass es mit Gustavo Petro ein erstmals links stehender Präsidentschaftskandidat in die Stichwahl schaffte mit immerhin 41,77 Prozent der abgegebenen Stimmen. Jedoch haftete der Partei das Stigma des vermeintlichen Hauptschuldigen am bewaffneten Konflikt derart stark an, dass sie nicht nur von ihren politischen Gegnern, sondern auch innerhalb der Linken selbst politisch isoliert wurde. Das Wahlergebnis, aber auch das <a href="https://www.semana.com/nacion/articulo/entrevista-rodrigo-londono-timochenko-como-candidato-de-la-farc/554946">inhaltliche Umkippen</a> des Präsidentschaftskandidaten der FARC Rodrigo Londoño in puncto Venezuela und dann der folgende Abbruch seiner Kandidatur sind Ausdruck dieser politischen Isolation. [4] Die von ihr angestrebte Rolle eines Sammelpunkts einer breiter aufgestellten Linken und der Bewegung für den Frieden wurde ihr von der Wahlbewegung Gustavo Petros, <i>Colombia Humana</i> (Menschliches Kolumbien) abgelaufen.</p><p></p><p>Dieser ausbleibende politische Erfolg wurde begleitet von der Zunahme politischer Morde an der Anhänger*innenschaft der Partei ebenso wie an ihr nahestehenden Aktivist*innen, den zunehmenden Vertragsbrüchen und der symbolischen Verhaftung von Santrich. Gleichzeitig verließen immer mehr demobilisierte Guerillerxs die Entwaffnungszonen in die Anonymität oder zurück in den bewaffneten Kampf. Von 13.049 ursprünglich registrierten Kämpfer*innen sind heute nur noch 3.500 in den ETCR. Die Führung der FARC geriet so nicht nur unter Druck des politischen Gegners, da dieser zunehmend auf die abnehmende Zahl von in den Zonen präsenter Kämpfer*innen verweisen konnte, sondern stand einer unzufriedener werdenden Basis gegenüber, die partiell nicht mehr bereit war, den Friedensprozess unter diesen Bedingungen mitzutragen. So bildeten sich innerhalb der Partei mehrere Flügel aus, die nun zunehmend schärfer miteinander in Konflikt geraten. Zur Zeit lassen sich drei Positionen im bolivarianischen Spektrum feststellen:</p><p></p><p><b>(1)</b> Da wäre der Versuch der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs, an dem insbesondere Gentil Duarte arbeitet. Der ehemalige hochrangige Kommandeur des <i>Bloque Oriental</i> (Östliche Front der FARC-EP) der Guerilla arbeitet seit seinem Untertauchen 2016 an einer Wiedervereinigung der <a href="https://amerika21.de/blog/2019/01/220059/kolumbien-dissidentischen-gruppen-farc">versprengten Restverbände der FARC</a>, die auch die <i>Disidencia</i> genannt werden. Diese versprengten Verbände haben sich unter Führung lokaler Ex-Kommandeure warlordisiert. Partiell kämpfen sie auch weiter unter politischem Banner. Bis dato gibt es noch keinen Einblick in die politische Programmatik der Gruppen. Ein Hinweis jedoch gibt die Aktion von dissidenten Mitgliedern der FARC in der Nationaluniversität in Bogotá im August 2018. Dort hatte eine vermummte und <a href="https://www.youtube.com/watch?v=qYvzUWIrJu0">bewaffnete Miliz eine Kundgebung im traditionellen Stil</a> der Milicias Urbanas (Stadtguerilla der FARC-EP) aus den Zeiten des bewaffneten Konflikts abgehalten. In der Rede wurde der Friedensprozess als gescheitert und die Führung der legalen Partei als „Verräter“ bezeichnet. Parallel dazu zirkulierte ein <a href="http://www.rebelion.org/docs/245447.pdf">16-seitiges Pamphlet</a>, in dem die Reaktivierung der <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano</i>, PCCC (Klandestine Kolumbianische Kommunistische Partei), dem politischen Arm der aufgelösten Guerilla, und die Rückkehr zum Marxismus-Leninismus als Leitlinie gefordert wird.</p><p></p><p><b>(2)</b> Der linke Parteiflügel um Iván Márquez und Jesús Santrich. Diese beziehen in der parteiinternen Auseinandersetzung eine Position der Selbstkritik und der scharfen Kritik am aus ihrer Sicht <a href="https://amerika21.de/2018/10/214602/kolumbien-farc-frieden-abkommen-brief">gescheiterten Friedensprozess</a>. Márquez, der gemeinsam mit anderen Kritiker*innen des Friedensabkommens im Juni 2018 wegen der Verhaftung von Santrich abgetaucht ist, veröffentlichte in regelmäßigen Abständen Schreiben der Selbstkritik an die Parteibasis. Dies trifft auf ein wachsendes Unwohlsein in der Führung der Partei, gilt Márquez als deutlich beliebter und als alter Rivale des Parteichefs Londoño. <a href="https://kolumbieninfo.noblogs.org/post/2019/05/21/an-die-guerilleros-in-den-etcr-und-an-alle-kolumbianer-ivan-marquez/">Sein letztes Schreiben</a> anlässlich des skandalösen Hin und Her um die Entlassung von Santrich bedauerte erneut die vorzeitige Entwaffnung, sprach sich aber zugleich für einen Kampf um den Frieden aus. Welchen Plan Márquez über eine kritische Begleitung des Friedensprozesses hinaus verfolgt, bleibt bislang unklar. Er steht derzeit für eine Position des „Weder-Noch“: Weder ein „Weiter so!“, noch Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs. Márquez wurde in seiner Haltung durch Jesús Santrich noch vor dessen Entlassung <a href="https://www.pulzo.com/nacion/jesus-santrich-denfendio-ivan-marquez-por-declaraciones-timochenko-PP702886">wie zu erwarten bestärkt</a>, während der Parteivorsitzende Rodrigo Londoño als Vertreter des rechten Parteiflügels sich abwesend zeigte.</p><p></p><p><b>(3)</b> Der rechte Flügel der Partei um den Parteivorsitzenden Rodrigo Londoño will unter allen Umständen am Friedensprozess festhalten und verteidigt den gescheiterten Prozess innerhalb und außerhalb der Partei bedingungslos gegen seine Kritiker*innen. Gleichzeitig wird man den Eindruck nicht los, dass dieser Flügel eine Art Anbiederungspolitik verfolgt. So entschuldigte sich Londoño kürzlich <a href="https://www.kienyke.com/politica/farc-disculpa-rodrigo-londono-espana-camiseta-eta-recibimiento-jesus-santrich">offiziell beim spanischen Staat</a>, da auf dem Video der Entlassung Santrichs ein Unterstützer der Partei mit dem Logo der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ETA aufgetreten war. Die rechte Presselandschaft hatte dieses Symbol anschließend zum Anlass genommen, der Linkspartei die Friedfertigkeit abzusprechen - was angesichts von 135 Toten Parteimitgliedern einer glatten Opfer-Täter-Umkehr gleichkommt. Das Schreiben Márquez’ schließlich provozierte Parteiführer Rodrigo Londoño kürzlich so sehr, dass er im Alleingang und an sämtlichen Parteigremien vorbei dessen Position zu einer <a href="https://twitter.com/TimoFARC">Position für den Krieg</a> (Twitter, 22. Mai 2019) und damit unvereinbar mit der Partei erklärte. Die Folge war ein Aufschrei an der Basis, sowie öffentliche Richtigstellungen und Verurteilungen aus der Führungsriege der Partei. Benedicto González, einer der Kongressabgeordneten der FARC und hochrangiges Mitglied, erklärte die Stellungnahme öffentlich de facto für illegitim und <a href="https://kolumbieninfo.noblogs.org/post/2019/05/26/kritik-an-farc-chef-timochenko/">nicht repräsentativ</a>. Londoño ruderte anschließend zurück und beschwor die Einheit in der Partei.</p><p></p><p>Während Londoño angeschlagen aus der öffentlichen Auseinandersetzung hervorgeht, rumort es innerhalb der Basis der Partei weiter. Zahlreiche Anhänger*innen des linken Flügels haben die Partei bereits verlassen. Besonders opportunistische Anhänger*innen des rechten Flügels sind zur grün-liberalen <i>Partido Verde</i> (Grüne Partei) übergelaufen. Mit weiteren Angriffen der kolumbianischen Regierung um Iván Duque auf das wenige Erreichte im Friedensprozess, insbesondere die JEP, und die legale Partei, ist zu rechnen. Die Situation wird daher für die FARC eher noch prekärer werden. Sollten sich noch mehr Mitglieder der legalen Partei vom Ziel des Friedens abwenden, steht Kolumbien vor einem erneuten bewaffneten Konflikt mit altbekannten Akteur*innen. Wird dahingegen weiter an einem faktisch gescheiterten Friedensprozess festgehalten droht ein Massaker im Ausmaß <a href="https://www.youtube.com/watch?v=AMQng34vHJc">der Auslöschung</a> der FARC-Vorgängerpartei <i>Unión Patriótica (UP)</i> bzw. die Integration als liberale Systempartei. Die politische Verantwortung für dieses jeweilig desaströse Ergebnis des Friedensprozesses hat jedenfalls, wie Jesús Santrich es kürzlich in seiner Botschaft anlässlich seiner Entlassung richtig mitteilte, allein der kolumbianische Staat zu tragen.</p><p></p><h3>Anmerkungen:</h3><p><b>[1]</b> Die DEA stand erwiesenermaßen immer wieder im Bündnis mit Narco-Kartellen. Zuletzt wurde bekannt, dass sie sich mit dem Sinaloa-Kartell gegen die Zetas in Mexiko verbündet hatte. Also genau mit dem Kartell, das nun laut DEA mit Santrich Geschäfte gemacht haben soll. Die Recherche wurde von der mexikanischen Tageszeitung <a href="http://archivo.eluniversal.com.mx/nacion-mexico/2014/impreso/la-guerra-secreta-de-la-dea-en-mexico-212050.html">El Universal öffentlich gemacht</a>.</p><p></p><p><b>[2]</b> Die FARC nennen ihre ideologische Leitlinie Marxismus-Bolivarianismus, das heißt eine Symbiose von Marxismus-Leninismus und der panamerikanischen Ideen des antikolonialen Befreiungskämpfers Simón Bolívar. Auf den Bolivarianismus beziehen sich in Kolumbien viele Organisationen und Strömungen, unter anderem die soziale Bewegung <i>Marcha Patriótica</i>, die politische Partei <i>Unión Patriótica</i>, die <i>Partido Comunista Colombiano (PCC)</i>, die Jugendorganisation <i>Juventud Rebelde</i>, die Guerilla FARC-EP und nun die legale Linkspartei FARC.</p><p></p><p><b>[3]</b> Der politische Arm der FARC-EP war bis zur Gründung der Linkspartei die <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano (PCCC)</i>.</p><p></p><p><b>[4]</b> Londoño hatte in dem Interview das Wording der radikalen Rechten in Kolumbien (Castro-Chavismus) zur Beschreibung von Venezuela übernommen und sich davon distanziert. Das hatte noch nicht einmal der gemäßigte Sozialdemokrat Gustavo Petro so geäußert.</p></div>
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Das Ende von „Frieden und Soziale Gerechtigkeit“?2018-06-19T09:20:16.485685+00:002018-07-07T09:11:06.484009+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/das-ende-von-frieden-und-soziale-gerechtigkeit/
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<h1>Das Ende von „Frieden und Soziale Gerechtigkeit“?</h1>
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<div class="rich-text"><p>Am vergangenen Sonntag gewann Iván Duque, Kandidat des rechtspopulistischen
Centro Democrático, die <a href="https://presidente2018.registraduria.gov.co/resultados/2html/resultados.html">zweite Runde der Präsidentschaftswahlen</a> in Kolumbien. Zuvor hatte sich der
sozialdemokratische Kandidat Gustavo Petro, aufgestellt von der mitte-links
Kampagne Colombia Humana, gegen seine liberalen Mitbewerber in der ersten Runde
der Präsidentschaftswahlen am 27. Mai durchgesetzt. Er galt damit als erster
dezidierter mitte-links Präsidentschaftskandidat in der zweiten Runde der
Präsidentschaftswahl in der kolumbianischen Geschichte. Im zweiten Wahlgang aber
setzte sich Iván Duque mit einer klaren Mehrheit von 54 zu 41,8 Prozent durch
und konnte damit zwei Millionen Stimmen mehr verbuchen als sein Gegenkandidat
Petro. Selbst unter Einbezug des im Vorlauf bekanntgewordenen möglichen
Stimmenkaufs und des <a href="http://pacifista.co/hablamos-con-la-registraduria-sobre-el-supuesto-fraude-electoral-a-favor-de-duque/">Wahlbetrugs</a> durch UnterstützerInnen des rechten Kandidaten
kann sogar von einem klaren Sieg der Rechten ausgegangen werden. Die
Wahlbeteiligung von 53,4 Prozent gilt für das südamerikanische Land als
vergleichsweise hoch, insbesondere im Vergleich zum Plebiszit über die Friedensverträge
von Havanna mit den FARC am 2. Oktober 2016, bei der eine Wahlbeteiligung von 37,43
Prozent ermittelt wurde. Aufgrund der Ergebnisse der Legislativwahlen am 11.
März diesen Jahres verfügt Duque darüber hinaus mit seinen UnterstützerInnenparteien,
auch ohne die offensichtlich wankelmütige Partido Liberal, in beiden
kolumbianischen Kammern <a href="https://es.wikipedia.org/wiki/Elecciones_legislativas_de_Colombia_de_2018">über die klare Mehrheit</a>. </p>
<h2><b>Ein
Generalangriff auf die Friedensverträge</b></h2>
<p>Das Wahlergebnis ist als eine Tendenzwahl zu verstehen. Der Rechtspopulist
Iván Duque, protegiert vom rechten Hardliner und Ex-Präsidenten Alvaro Uribe Vélez,
ist ein ausgesprochener Feind der Friedensverträge. Während seine ParteigängerInnen
immer wieder wörtlich ankündigten, <a href="https://www.semana.com/nacion/articulo/uribismo-hara-trizas-acuerdo-acuerdo-con-farc-esta-blindado/524529">„die Friedensverträge zu zerreißen“,</a> lehnt
er zudem jede Form des Waffenstillstands oder etwa Verhandlungen mit der
verbliebenen marxistischen Guerilla ELN ohne deren Demobilisierung ab. Der neue
rechte Präsident zielt nun, angeblich nicht mehr „zerreißend“, auf „Änderungen“
in den Friedensverträgen. Damit sind Umgestaltungen gemeint, die der ehemalige
liberale Präsidentschaftskandidat Humberto de la Calle zu Recht als „Änderung
des Wesensgehalts der Verträge“ bezeichnete. Es geht dabei unter anderem
um die geplante Demontage der Sonderjustiz für den Frieden (JEP), einer durch
die Friedensverträge aufgestellte Sondergerichtsbarkeit für
Menschenrechtsverbrechen im bewaffneten Konflikt. Die Bestrafung, die sämtliche
Akteure erhalten, denen Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden, reichen
dabei von einer breiten Palette von Resozialisationsarbeitsprogrammen bis hin
zur klassischen Haftstrafe. Duque ist das nicht genug. Er möchte die JEP
aushebeln und die Bestrafung der regulären Strafjustiz überantworten, die kaum
mit Resozialisierungsprogrammen arbeitet. Es ist in diesem Zusammenhang
bemerkenswert, dass Duque, im Einklang mit seinem Ziehvater Alvaro Uribe, gegen
den <a href="http://www.vanguardia.com/actualidad/colombia/233151-uribe-es-quien-tiene-mas-investigaciones-en-contra">über 250 Verfahren</a> wegen Drogenhandel, Korruption, Vergewaltigung
und Verbindungen zum Paramilitarismus anhängig sind, die Schaffung eines
sogenannten „Super-Corte“ vorantreiben will. Es handelt sich hier um eine
faktische Aufhebung der Kompetenzenteilung der Justiz auf höchster staatlicher
Ebene. Nach diesem Vorschlag, den Duque Anfang Juni bereits beim
Verfassungsgericht zur Prüfung eingereicht hat, würden die bislang sechs getrennten
hohen landesweiten Gerichte (Verfassungsgericht, Bundesgerichtshof, Staatsrat,
Justizrat, Sonderjustiz für den Frieden, Nationaler Wahlrat) zu einem einzigen Landesgericht,
mit geringerem Personalbestand, zusammengeführt. Ein Schelm, wer hierbei Böses
denkt. </p>
<p>Weiterhin wird es um die Demontage der politischen Partizipation der neuen
Linkspartei und ehemaligen Guerilla FARC gehen. Seit der Inhaftierung des
FARC-Führers und Abgeordneten des Kongresses Jesús Santrich, unter äußerst fragwürdiger
Beweislage <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">der dubiosen US-Anti-Drogenbehörde DEA</a> im April 2018, herrscht Unsicherheit über die
Besetzung der – der Ex-Guerilla laut Friedensverträgen jeweils in Senat und
Kongress zugesicherten – fünf Sitze. Duque will die Führer der ehemaligen
Guerilla nun entgültig hinter Schloss und Riegel bringen. Dafür käme ihm die
Aushebelung der Sonderjustiz zu Gute. Die ist nämlich die einzige Regelung, die
verhindert, dass die mit den USA bereits in den 1980ern auf Basis des „War on
Drugs“ vereinbarten <a href="http://extradicion.com.co/historia-de-la-extradicion-en-colombia/">Auslieferungsabkommen</a> wirksam werden. Es ist darüber hinaus zu
erwähnen, dass die Ultrarechten unter Revision der ursprünglichen
Friedensverträge bereits im Jahr 2016 das Privateigentum in den
Friedensverträgen festschreiben ließ, womit seither die in Vertrag Eins verhandelte
Agrarreform zu Gunsten von Vertriebenen und Kleinbauern erschwert wird. Duque
möchte auch diesen Vertrag nun „strukturell reformieren“. Der neue Präsident steht
also nicht nur für eine Fortsetzung der exportorientierten, post-kolonialen GroßgrundbesitzerInnen-Ökonomie
Kolumbiens, sondern möchte eine Politik der Steuersenkungen, des „Schlanken
Staats“ (einer möglichst kleinen gestrafften, wirtschaftsorientierten
Staatsverwaltung) und der ausländischen Investitionen vorantreiben. Der Aufbau
eines umfassenden Sozialstaats, der mit der Umsetzung der in den
Friedensverträgen vereinbarten Bestimmungen einhergehen würde, ist damit
vollkommen unvereinbar. Duque hat darüber hinaus bereits die Fortsetzung der
gewaltsamen Drogenbekämpfung angekündigt, im Gegensatz zu den Bestimmungen der
friedlichen Substitution in Vertrag Vier der Friedensverträge. Summa Summarum
droht nun also ein Generalangriff auf jeden einzelnen Vertragspunkt der
Friedensverträge. Dieser wird praktisch auf allen Ebenen komplett aushebelt und
eben nicht nur, wie Duque nunmehr in seiner ersten Rede als Präsident betont
hat, <a href="https://www.americaeconomia.com/politica-sociedad/politica/presidente-electo-de-colombia-dice-que-no-hara-trizas-el-acuerdo-de-paz">an einigen Stellen korrigiert.</a></p>
<h2><b>Wie konnte es dazu kommen?</b></h2>
<p>Die Umstrukturierung ist ein Horrorszenario für sämtliche Kräfte, die den Friedensprozess
unterstützen. Sie kann über verschiedene Ebenen erklärt werden. Der wichtigste
Grund dürfte sein, dass Kolumbien sich längst weder von den Praktiken, noch vom
Diskurs des Krieges verabschiedet hat. <a href="https://revoltmag.org/articles/eine-niederlage-f%C3%BCr-die-gesamte-kolumbianische-linke/">Wie bereits in einem früheren Artikel
dargelegt</a>, leidet Kolumbien unter
einem stramm rechten politischen Diskurs, der die politische Verantwortung des
Staates, etwa für <a href="https://amerika21.de/analyse/152975/paramilitarismus-kolumbien">seine Parapolitik</a>, die Praxis des „Verschwindenlassens“ und viele
weitere Verbrechen schlicht unberücksichtigt lässt und gegen jeden historischen
Beleg, den Paramilitarismus zum rein kriminellen Phänomen („Bandas Criminales“,
BACRIM) verklärt. In diesem Diskurs erscheinen die FARC nicht lediglich als
eine der beteiligten Fraktionen, die für Menschenrechtsverbrechen zur
Verantwortung zu ziehen ist, sondern vollkommen <a href="http://www.centrodememoriahistorica.gov.co/descargas/informes2013/bastaYa/resumen-ejecutivo-basta-ya.pdf">wahrheits- und faktenwidrig</a> als Hauptschuldige und DrogenhändlerInnen, vor
denen Santos angeblich „auf die Knie gegangen“ sei. Weiterhin
instrumentalisiert das Centro Democrático bewusst die <a href="https://amerika21.de/analyse/178561/venezuela-unerledigte-dinge">schwere ökonomische und politische Krise
Venezuelas</a>, um – den
tatsächlich außerordentlich gemäßigten – Mitte-Linkskandidaten Gustavo Petro zu
einem angeblich kommunistischen („castro-chavistischen“) Monster zu karikieren,
welches „das Land in Venezuela verwandeln“ werde. Tatsächlich verlief aber die
Wahl am vergangenen Sonntag eher zwischen einem liberal-grünen Sozialdemokraten
und einem rechtskonservativen, neoliberalen Populisten. Eine „Wahl der Extreme“,
wie sie herbeiphantasiert wird, gab es jedenfalls nie. Es handelte sich also vielmehr
um eine Form der rechten Meinungsmache, die immer wieder auf allen
kolumbianischen Medien hoch und runter lief und bei nicht wenigen zu einer
Wahlentscheidung für den tatsächlich extremen Rechtspopulisten Duque geführt
haben könnte.</p>
<p>Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Fragmentierung der
kolumbianischen Linken und hier insbesondere des Friedenslagers. Es spricht
Bände, dass die traditionellen mitte-links Parteien des Landes – Alianza Verde
und Polo Democrático Alternativo – den neoliberalen Universitätsprofessor
Sergio Fajardo als Kandidaten aufstellten, der sich im Diskurs stehts bemühte,
sich selbst als <a href="http://www.elpais.com.co/politica/hay-que-romper-con-la-polarizacion-de-este-pais-sergio-fajardo.html">„Mitte zwischen den Extremen“</a> dastehen zu lassen und zum Beispiel in Venezuela –
in Übereinstimmung mit der radikalen Rechten – eine <a href="https://www.youtube.com/watch?v=nFVhbwYcAo4">„Diktatur“ am Werke</a> sieht. „Mitte“ heißt in Kolumbien eben, einen
stark rechts geprägten Diskurs zu bedienen. Und schließlich versagten aus dem
gleichen Grund auch die liberalen FriedensbefürworterInnen Sergio Fajardo, Humberto
de la Calle sowie Santos' Partido de la U und die Führung der Partido Liberal
dem angeblich „extremen“ Gustavo Petro in der zweiten Präsidentschaftsrunde die
Unterstützung. Während die ehemaligen Präsidentschaftskandidaten <a href="http://www.eltiempo.com/elecciones-colombia-2018/presidenciales/el-mensaje-de-fajardo-en-que-defiende-el-voto-en-blanco-230764">Fajardo</a> und <a href="http://caracol.com.co/radio/2018/05/31/politica/1527783042_740366.html">De la Calle</a> für ein „voto en blanco“ (Ungültig Wählen)
votierten (zuletzt dann 4,8 Prozent der Stimmen), liefen letztere <a href="http://caracol.com.co/radio/2018/05/31/politica/1527783042_740366.html">„Friedensparteien“</a> sogar offen zum Friedensgegner Duque über.
Angesichts dieser Spaltung des Pro-Friedenslagers half es dann auch wenig, dass
die Alianza Verde, ein Teil des Polo Democrático Alternativo und die Basis der
Partido Liberal den Kandidaten Petro unter teilweise <a href="https://www.elespectador.com/elecciones-2018/noticias/politica/las-condiciones-de-la-alianza-verde-para-apoyar-gustavo-petro-articulo-791591">absurden Auflagen</a> unterstützte, indem sie diesen etwa auf die Erhaltung der Demokratie
verpflichteten und damit erneut in eine „extreme“ Ecke stellten.</p>
<p>Abseits dieser Faktoren kann festgehalten werden, dass die kolumbianische
Gesellschaft offensichtlich noch nicht bereit dazu ist, das Koordinatensystem
des Krieges zu verlassen. Petro stand für zu viel Wandel und zu wenig
Kontinuität. Sein Programm war im Prinzip ein modernes links-liberales
Programm, das bürgerliche Rechte der Minderheiten, Ökologiefragen,
Frauenrechte, demokratische Rechte und die Entwicklung einer stabilen
Binnenwirtschaft unter Vorzeichen eines sozialstaatlichen Kapitalismus auf
Basis der Friedensverträge in den Mittelpunkt stellte. Ein Programm, das
offensichtlich für den politischen Diskurs des Landes zu progressiv war, um
Mehrheiten gewinnen zu können. Allerdings auch ein Programm, das nicht im
Interesse des kolumbianischen Kapitals ist, dem eben an der Exportbindung, und
nicht an der Entwicklung einer nationalen Industrie gelegen ist. </p>
<h2><b>Widerstand oder Kapitulation?</b></h2>
<p>Für die noch im Guerillakrieg aktive ELN wird das Wahlergebnis aller
Voraussicht nach einen Eintritt in die bewaffnete Konfrontation auf hohem
Niveau bedeuten. Es ist davon auszugehen, dass Duque nicht zuletzt auf Druck
aus den Reihen seiner Partei die Verhandlungen mit der ELN, die von der
Santos-Regierung zuletzt in der kubanischen Hauptstadt Havanna wieder
aufgenommen wurden, platzen lassen wird – zumal diese bislang wenig ergiebig
waren und immer wieder durch Phasen massiver Kampfhandlungen begleitet wurden.
Die ELN hat bis zuletzt darauf hingewiesen, dass ein Gelingen von
Friedensverhandlungen an der Umsetzung der Verträge von Havanna mit den FARC
gemessen wird. Ein Szenario, das mit einem Präsidenten Duque nahezu
unerreichbar geworden ist. </p>
<p>Wie die neue Linkspartei FARC auf die komplette Delegitimierung ihrer
Agenda reagieren wird, ist bislang noch unklar. Bekannt ist, dass immer mehr
entwaffnete Ex-Guerilleros aufgrund der mangelnden Garantien unter einem
Präsidenten Duque, aber auch der Inhaftierung von Jesús Santrich <a href="https://amerika21.de/analyse/203512/kolumbien-dissidenz-friede-wahlen?platform=hootsuite">die Entwaffnungszonen (ZVTN) verlassen</a> und sich entweder anderen bewaffneten Gruppen
anschließen oder untertauchen. Es ist in diesem Sinne bezeichnend, dass FARC-Führer
Iván Márquez sich bereits an einen unbekannten <a href="http://www.elcolombiano.com/colombia/ivan-marquez-se-ira-a-miravalle-caqueta-FB8571654">Ort in Caqueta zurückgezogen hat</a>. Gleichzeitig versucht die Führung der
Linkspartei, ihre Basis an der Stange zu halten. Präsident Duque wird die
Ex-Guerilla mit allen Mitteln attackieren und unter Druck setzen – ganz zu
schweigen von der drohenden Komplett-Demontage der Friedensverträge und aller
Garantien. Faktisch bleiben der FARC vor diesem Szenario nur zwei Wege offen:
Sie kann den Weg der Unión Patriótica (UP), ihrer Vorgängerpartei, gehen und
versuchen, den legalen Kurs aufrecht zu erhalten und sich auf den Widerstand
der sozialen Bewegungen, zum Beispiel einem breiten linken Bündnis mit Petros
Colombia Humana, zu verlassen. In Anbetracht der zunehmenden
Bedeutungslosigkeit der Friedensverträge sowie der Ermordung von Mitgliedern
und Sozialen AktivistInnen geschähe dies allerdings unter fortwährendem Zerfall
der Partei. Auf diesen Kurs der Führung weist das <a href="https://www.redglobe.de/lateinamerika-karibik/kolumbien/20069-farc-zum-wahlergebnis-in-kolumbien">aktuelle Statement der FARC</a> zum Wahlsieg Duques hin. Es ist aber ebenso
möglich, dass nun Sektoren an der Basis der neuen Linkspartei die Rückkehr in
den bewaffneten Konflikt wählen und diese damit weiter schwächen. Angesichts
der vollständigen Entwaffnung und der weitestgehenden Offenlegung ihrer
Struktur wäre dies ein gefährliches Unterfangen und würde die Wiedervereinigung
der derzeit führungslosen FARC-Dissidenz voraussetzen. Auf eine solche mögliche
Entwicklung weisen verschiedene <a href="https://amerika21.de/analyse/203512/kolumbien-dissidenz-friede-wahlen?platform=hootsuite">linke AnalystInnen hin</a>. Daneben ist auch eine Stärkung der ELN möglich,
da diese als weiterhin authentische, militante Kraft gilt.</p>
<p>Abseits der bewaffneten Dimension wird es für die Partei-, wie
außerparlamentarische Linke im Land nötig sein, dem rechten Diskurs
selbstbewusst entgegen zu treten. Es ist keine Lösung <a href="https://www.semana.com/nacion/articulo/entrevista-rodrigo-londono-timochenko-como-candidato-de-la-farc/554946">vor diesem einzuknicken</a>, wie in den vergangenen Jahren von nahezu allen
AkteurInnen geschehen, indem gegen die eigene Agenda als Linke Stellung bezogen
wird, um im rechten Diskurs als „akzeptabel" zu gelten – so
nachvollziehbar das angesichts der Mehrheitsverhältnisse ist. Angesichts der
unter Duque fortgesetzten oder sich sogar intensivierenden staatlich-paramilitärischen
Repressions- und Tötungspraxis, sowie der Ablehnung durch die Bevölkerungsmehrheit
verlangt dieser Weg viel Mut und Engagement. Er ist jedoch unabdingbar, um die „linke
Lücke“ in einem öffentlich wahrnehmbaren politischen Diskurs zu füllen. Die
kolumbianische Linke und im Besonderen die sozialen Bewegungen brauchen dabei internationale
Unterstützung und Solidarität – nicht nur gegen den weiterhin mordenden
Paramilitarismus, sondern auch für die Umsetzung der Friedensverträge von
Havanna als Ausgangspunkt für einen politischen Kampf gegen die Ursachen des
bewaffneten Konflikts. „Frieden und Soziale Gerechtigkeit“ wird dabei eine
zentrale Losung bleiben, unter der sich eine breite linke Widerstandsfront
gegen den Rechtspopulisten Duque formieren kann. </p></div>
</section>
</article>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
<p>Copyright © 2017 re:volt magazine Redaktion - Einige Rechte vorbehalten</p>
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Angriff auf den Friedensprozess in Kolumbien2018-04-10T19:29:25.464337+00:002018-04-10T20:09:58.622260+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/
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<h1>Angriff auf den Friedensprozess in Kolumbien</h1>
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<div class="rich-text"><p>
</p><p>Am
vergangenen Montag, den 9. April 2018, verhaftete der exekutive Arm
der kolumbianischen Staatsanwaltschaft<i> CTI (Cuerpo Técnico de
Investigación)</i> Jesús Santrich, führendes Mitglied der legalen
Linkspartei <i>FARC (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común)</i>
in seinem Haus im Bogotaner Stadtteil Modelia. Der Vorwurf lautet auf
Produktion, Transport und Verkauf von Drogen, insbesondere mittels
Charterflügen in die USA. Die Vorwürfe werden von einem New Yorker
Gericht erhoben, das via Interpol die Auslieferung des ehemaligen
Kommandanten der inzwischen demobilisierten Guerilla <i>FARC-EP</i>
beantragt hat. Laut kolumbianischen <a href="http://www.semana.com/nacion/articulo/cti-de-la-fiscalia-captura-a-jesus-santrich/563060">Tageszeitungen</a>
sollen die US-amerikanische Botschaft in Kolumbien und die
international geheimdienstlich operierende US-amerikanische
Anti-Drogen-Behörde <i>DEA</i> (<i>Drug Enforcement Administration</i>)
ebenfalls <a href="https://canal1.com.co/noticias/cti-de-la-fiscalia-captura-a-jesus-santrich-tras-un-allanamiento-a-su-casa/">eine
Rolle</a> bei den Ermittlungen <a href="http://www.semana.com/nacion/articulo/cti-de-la-fiscalia-captura-a-jesus-santrich/563060">gespielt
haben</a>. Laut den Ermittlungsbehörden liegen
stichhaltige Beweise in Form von internationalen Transaktionen,
Buchführungen zum Handel, Computerdaten und einem angeblich
mitgeschnittenen Treffen mit kolumbianischen Narcos im November 2017
gegen Santrich vor. Dem Ex-Guerillero, der mit bürgerlichem Namen
Seuxis Hernández Solarte heißt, droht nun die Auslieferung,
Verurteilung und Inhaftierung in den USA, basierend auf der
Auslieferungsgesetzgebung für die Verfolgung des Drogenhandels aus
dem Jahr 1980. Aktualisiert wurde das Gesetz nochmals <a href="http://www.suin-juriscol.gov.co/viewDocument.asp?id=1698775">als
Vertrag</a> zwischen <a href="http://www.suin-juriscol.gov.co/viewDocument.asp?id=1698781">den
USA und Kolumbien</a> 1986.</p>
<h3><b>Sondergerichtsbarkeit
bricht Auslieferungsjustiz </b>
</h3>
<p>Ganz
unabhängig davon, ob Santrich nun tatsächlich Verbindungen zum
Drogenhandel hat oder nicht handelt es sich bei ihm um einen
Präzedenzfall. Die Friedensverträge von Havanna zwischen der
kolumbianischen Regierung des scheidenden Präsidenten Juan Manuel
Santos, die im Winter 2016 gezeichnet wurden, sehen eine sogenannte
<i>Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP)</i> vor. Unter diese
Gerichtsbarkeit fallen laut Friedensverträgen sämtliche
Menschenrechtsverletzungen durch Guerilla und Staat innerhalb der
Periode des bewaffneten Konflikts bis zur Unterzeichnung der
Friedensverträge 2016. Angemerkt werden muss hier, dass jede/r
gefangene KämpferIn der ehemaligen Guerilla in der Vergangenheit
grundsätzlich auf Basis der Straftatbestände <i>Rebellion</i> und
<i>Drogenhandel</i> zu hohen Haftstrafen verurteilt wurde. Das
Strafmaß für sämtliche Straftaten, inklusive des vermeintlichen
Drogenhandels, ist demnach in dieser Sondergerichtsbarkeit erheblich
reduziert – aus Gründen der Wiedereingliederung der Guerilla ins
gesellschaftliche Leben und der politischen Partizipation als legale
Organisation. Darüber hinaus wird die Auslieferung an die USA
grundsätzlich untersagt:
</p><p><i>,,Es
kann keine Auslieferung genehmigt werden, noch können Maßnahmen,
die zu einer Auslieferung führen unternommen werden in Hinblick auf
Taten oder Verhalten, die Gegenstand der Spezialjustiz für den
Frieden (JEP) sind und während dem Konflikt begangen wurden'' </i>[1]
</p><h3><b>Die
erste Revision der Verträge</b></h3>
<p>Unter
anderem die Garantien auf sichere politische Betätigung, politische
Partizipation und Wiedereingliederung in das politische Leben stehen
allerdings bereits seit dem explizit von Regierungsseite gewollten
Plebiszit im Oktober 2016 zur Disposition. [2] Zunächst konnte die
politische Elite um Santos aufgrund der knappen Ablehnung des
Plebiszits bei niedriger Wahlbeteiligung, den Friedensvertrag in die
Revision durch die Rechtsradikalen um Álvaro Uribe Vélez geben.
Unter anderem ist in der Revision der Verträge die für die
ehemalige Guerilla so wichtige Landreform faktisch verunmöglicht
worden, da das Privateigentum, das sich die
GroßgrundbesitzerInnenfamilien historisch illegal mit Hilfe von
Paramilitärs und Vertreibungen angeeignet haben, als unantastbar
festgeschrieben wurde. [3] Zudem wurden die Haftstrafen der Sonderjustiz verschärft und, besonders
wichtig, der Verfassungsrang der Verträge gestrichen, womit diese als
gewöhnliche Verträge gelten. Wer weiß, wie fahrlässig z.B. Tarifverträge
mit der Regierung in Kolumbien gehandhabt werden, hat eine Vorstellung
davon, wie bitter diese Pille für die FARC gewesen sein muss.
</p><h3><b>Liberale
und rechtsradikale Elite im Konflikt</b></h3>
<p>Die
nicht minder neoliberale und konservative Regierung um Juan Manuel
Santos und ihr Projekt des Friedensprozesses befand sich bis heute
faktisch durchweg unter politischem Angriff der Rechtsradikalen.
Dahinter verbirgt sich ein politischer Dissens zweier kolumbianischer
Kapitalfraktionen mit gegenläufigen politischen Interessen. Santos
vertritt mit US-Unterstützung das multinationale Kapital, sowie die
Sektoren der kolumbianischen Wirtschaft, die sich von einem Frieden
einen wirtschaftlichen Boom versprechen (etwa der Tourismus-Sektor).
Uribe und seine Rechtsradikalen hingegen stehen für die Agenda der
GroßgrundbesitzerInnen im ländlichen Teil Kolumbiens, die <a href="http://lowerclassmag.com/2016/08/freiheit-frieden-und-soziale-gleichheit-sind-die-parolen-unserer-sache/">kein
Interesse</a> an einer, wie in den Friedensverträgen
vereinbarten, Landreform haben und eine militärische Zerschlagung
der Opposition bevorzugen. Da es sich bei den GroßgrundbesitzerInnen
um keinen vernachlässigbaren Teil der kolumbianischen Eliten,
sondern um eine wichtige Wirtschaftskraft handelt, befand sich Santos
faktisch seit 2012 unter konstantem Druck, nicht zu viele
Zugeständnisse an die Guerilla zu machen. Er ging dazu über,
Vereinbarungen zu sabotieren und sich als starken Mann in den
Verhandlungen zu präsentieren.
</p><h3><b>Systematische
Blockade und: ,,Die FARC sind an allem Schuld!‘‘</b></h3>
<p>Vor
diesem Hintergrund ist wenig verwunderlich, dass die Regierung seit
Zeichnung der Friedensverträge faktisch immer wieder vertragsbrüchig
wurde, vereinbarte Maßnahmen nicht oder nur langsam umsetzte oder
genau gegenläufig zu den Friedensverträgen handelt. Man kuscht
dabei allerdings nicht nur vor den Rechtsradikalen und ihrer
Medienmacht, sondern Teile der Friedensverträge sind auch schlicht
nicht im Interesse der Eliten des Landes. So ist das sogenannte
<i>Fast-Track-Verfahre</i>n, das den Friedensverträgen entsprechende
Gesetzpakete im Eilverfahren durch die parlamentarischen
Institutionen jagen sollte, inzwischen ausgesetzt [4]. Reformen
kommen kaum noch ohne Neudiskussion durch, was faktisch einer
Neuverhandlung der Friedensverträge gleichkommt – nur mit einer
entwaffneten, entmachteten, in <i>Entwaffnungsszonen (ZVTN)</i>
eingepferchten ex-Guerilla. Und diesmal mit der gesamten Rechten des
Landes, statt mit dem liberalsten Teil der Oligarchie. Die soziale
Opposition wird nach wie vor auf Demonstrationen durch die
Anti-Riot-Polizei <i>ESMAD</i> brutal attackiert, nicht selten mit
Todesfolgen. Die Koka-Anbaugebiete werden nicht, wie in den Verträgen
mit staatlichen Substitutionsprogrammen vorgesehen umgewandelt,
sondern nach wie vor mit Vernichtungsfeldzügen der Armee übersät.
Dabei kommt es auch zu Massakern der Armee. Dazu kommen nicht
eingehaltene menschenrechtliche Standards in den Übergangszonen der
Guerilla, mangelhafte Schutzgarantien gegenüber der neuen Partei
<i>FARC</i> im Wahlkampf, eine nach wie vor zunehmende Ermordung von
sozialen AktivistInnen, insbesondere im ländlichen Raum. Alles bei
gleichzeitiger Untätigkeit des Staates gegenüber dem
Paramilitarismus und der Beförderung eines öffentlichen Diskurses,
der eine blanke Weste des Staates im bewaffneten Konflikt und die
alleinige Schuld der Guerilla, entgegen aller anerkannten
Statistiken, <a href="https://www.elespectador.com/noticias/politica/acuerdo-de-paz-hace-metastasis-articulo-749182">historisch
festschreiben möchte</a>.
</p><h3><b>Der
Rechtsruck manifestiert sich</b></h3>
<p>Wenn
wir nun noch die kürzlichen Wahlergebnisse zu Regional- und
Landesparlamenten, die den FriedensgegnerInnen um das <i>Centro
Democrático</i> <a href="https://revoltmag.org/articles/eine-niederlage-f%C3%BCr-die-gesamte-kolumbianische-linke/">satte
Zugewinne</a>, wenn auch keine Mehrheit bescherten,
betrachten, wird die Gefährlichkeit der derzeitigen Situation klar.
Der derzeit in Umfragen führende Kandidat des <i>Centro Democrático,</i>
Iván Duque Márquez, ließ in den <a href="https://www.youtube.com/watch?v=XK9uMwrCJIc">Fernsehdebatten</a>
keinen Zweifel daran, dass er insbesondere die Sonderjustiz und die
Beteiligung der ehemaligen Guerilla nicht respektieren wird. ,,Die
<i>FARC</i> kamen in den Kongress ohne zu entschädigen, ohne Strafen
abzusitzen, ohne die Wahrheit zu sagen (…) was wir machen müssen,
ist das Mandat des 2. Oktobers (des Plebiszits – Anm. d. Verf.) zu
verteidigen, um die Friedensverträge zu reformieren‘‘. Diese
Aussagen sind, wie der liberale Präsidentschaftskandidat und
ehemalige Unterhändler im Friedensprozess Humberto de la Calle im
vorangegangenen Moment der Debatte richtig feststellte,
gleichbedeutend mit der Neutralisierung der Friedensverträge.
</p><h3><b>Schwenkt
Santos auf die Rechtsradikalen ein?</b></h3>
<p>Der
Friedensprozess steht somit mit der Verhaftung und möglichen
Auslieferung Santrichs auf Messers Schneide. In einer <a href="http://www.eltiempo.com/politica/proceso-de-paz/por-que-capturaron-a-jesus-santrich-segun-santos-y-el-fiscal-martinez-203168">gestrigen
Pressekonferenz</a> äußerte der scheidende Präsident
Juan Manuel Santos, dass er nicht zögern werde, Santrich
auszuliefern, da die ihm vorgeworfenen Taten nach der Unterzeichnung
des Friedensvertrags datiert und stichhaltig seien. Viel
wahrscheinlicher ist allerdings, dass Santos vier Wochen vor den
Präsidentschaftswahlen und vier Tage vor dem Besuch des
amerikanischen Vize-Präsidenten Mike Pence in Kolumbien vor der
radikalen Rechten, den USA und seinen Anhängern Stärke
demonstrieren und mit einem konstruierten Fall ein Exempel statuieren
will, um auf eine mögliche Verschärfung der Gangart gegenüber der
ex-Guerilla unter – einer derzeit sehr wahrscheinlichen –
ultrarechten Folgeregierung vorzubereiten. Denn: Eine Auslieferung
des <i>FARC</i>-Offiziellen bedeutet nicht nur eine faktische
Unterminierung aller Sicherheitsgarantien und der Sonderjustiz als
Präzedenzfall, sondern sägt auch noch an der Vereinbarung zur
politischen Partizipation, da Santrich einer von fünf Abgeordneten
der neuen Partei im Kongress ist. Also genau an jenen zwei
Vertragspunkten, die insbesondere die Rechtsradikalen und ihr
aussichtsreicher Kandidat Iván Duque angreifen.
</p><h3><b>Die
Zersplitterung der Linken</b></h3>
<p>Die Oligarchie und ihr liberaler, wie konservativer Flügel rechnen
also damit, dass die neue Linkspartei und ihr demobilisierter Anhang
in den <i>ZVTN</i> das einfach mit sich machen lassen, oder zumindest
testen sie aus, wie weit sie bei der Revision der Verträge gehen
können. Die Guerilla und die sozialen Bewegungen hatten in diesem
Punkt die Haltung der Oligarchie gegenüber dem Friedensprozess genau
so eingeschätzt. Gehörig verkalkuliert haben sie sich aber in der
Einschätzung der Stärke der sozialen Bewegungen des Landes, der
eigenen Mobilisierungsfähigkeit und der Unterstützung für den
Frieden in der Mehrheitsgesellschaft. Man rechnete seitens der
FARC-Führung fest damit, es mit der Stärke der Straße im Rücken
mit der Oligarchie aufnehmen zu können. Insbesondere das
außerparlamentarische Segment der linken Gegenöffentlichkeit ist
seit Abschluss des Friedensvertrags aber erstaunlich passiv geworden,
während weite Teile der organisierten legalen Linken sich von den
FARC distanzieren, sich mit verschiedenen Kandidaturen und Kampagnen
untereinander separieren und damit der Marginalisierung der Linken
und einer Wahlniederlage bei der Präsidentschaftswahl zuarbeiten.
Während die Rechte mit Iván Duque einen einzigen Kandidaten stellt,
ist die Mitte und linke Mitte mit Germán Vargas Lleras, Humberto de
la Calle, Sergio Fajardo, Gustavo Petro, sowie ursprünglich sogar
noch Piedad Córdoba und ex-FARC-Kommandant Timoleón Jiménez, aka
Rodrigo Londoño (in dieser Reihenfolge von rechts nach links in den
politischen Positionen) heillos zersplittert.
</p><h3><b>Revision
der Friedensverträge bedeutet Revival der bewaffneten Gruppen</b></h3>
<p>Die
Oligarchie nutzt also die Schwäche und Zersplitterung der Linken zur
Revision der Verträge. Soweit so bedauerlicherweise absehbar. Wenn
dieser Friedensprozess aber wieder einmal aufgrund der Unwilligkeit
der kolumbianischen Oligarchie für soziale und demokratische
Veränderung scheitern sollte, wird es aber eben auch zu einem
Wiederaufleben des bewaffneten Konflikts kommen. Noch hat die Führung
der legalen Linkspartei die Kontrolle über die Mehrheit der
demobilisierten Guerillerxs in den <i>ZVTN</i>. In einer
<a href="http://www.farc-ep.co/comunicado/comunicado-sobre-captura-de-nuestro-companero-jesus-santrich.html">Pressekonferenz</a>
zum Morgen des 10. April verurteilten die <i>FARC</i> scharf den
Vertragsbruch der Regierung, riefen aber zugleich ihre
AnhängerInnenschaft zur Ruhe auf. Mit zunehmendem Vertragsbruch
durch die Regierung und vor allem mit möglichen Massakern unter
einer rechtsradikalen Regierung, könnte es jedoch zu
Massendesertionen aus den <i>ZVTN</i> zur weiterkämpfenden
<i>FARC-Dissidenz</i> oder zur aktuell mächtigsten Guerilla <i>ELN</i>
kommen. Und das nicht nur aus politischer Überzeugung, sondern auch,
weil den demobilisierten Guerillerxs bei einer Demontage der
<i>Sonderjustiz für den Frieden</i> schwere Haftstrafen und
politische Verfolgung drohen.
</p>
<p>
<br/>
</p><b>Anmerkungen:</b>
<p><b>[1]
</b><a href="http://www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/Documents/informes-especiales/abc-del-proceso-de-paz/abc-jurisdiccion-especial-paz.html">Artikel
IX</a> :,No
se podrá conceder la extradición ni tomar medidas de aseguramiento
con fines de extradición respecto de hechos o conductas objeto de la
JEP, cometidos durante el conflicto armado y con anterioridad a la
firma del Acuerdo Final. Por otra parte, cualquier delito cometido
con posterioridad a la firma del Acuerdo Final podrá ser objeto de
extradición“
</p><p>
<b>[2]</b>
Die Regierung setzte das Plebiszit <a href="https://amerika21.de/2013/04/82298/volksabstimmung-farc">ohne
Rücksprache mit der FARC-EP-Delegation</a> in den
Friedensverhandlungen durch.
</p><p><b>[3]</b>
<a href="http://www.altocomisionadoparalapaz.gov.co/procesos-y-conversaciones/Documentos%20compartidos/24-11-2016NuevoAcuerdoFinal.pdf">Vertrag
1: S. 13</a> ,,Nichts, was in den Verträgen vereinbart
wurde darf das verfassungsgemäße Recht auf Privateigentum
antasten''
</p><p><b>[4]
</b>Das Verfassungsgericht erklärte das Fast Track Verfahren 2017
<a href="http://www.elcolombiano.com/colombia/acuerdos-de-gobierno-y-farc/fallo-de-fast-track-el-desafio-de-la-implementacion-del-acuerdo-de-paz-con-farc-NE6565609">für
verfassungswidrig</a>. Die Rechtsradikalen jubelten.
</p><p><br/>
</p></div>
</section>
</article>
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Eine Niederlage für die gesamte kolumbianische Linke2018-03-20T16:51:59.909222+00:002018-03-27T13:09:43.090140+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/eine-niederlage-f%C3%BCr-die-gesamte-kolumbianische-linke/
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<span class="content-copyright">FARC - https://www.farc-ep.co</span>
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</div>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Die
neue Linkspartei FARC (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común) hat bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und Senat vergangenen
Sonntag eine bleierne Niederlage erlitten. Nach derzeitigen
Ergebnissen konnte die Partei, die aus der ehemaligen
marxistisch-leninistischen Guerilla FARC-EP hervorgegangen ist, mit
gerade einmal 0,34 % und damit 52,000 Stimmen wenig mehr als die
eigene AnhängerInnenschaft mobilisieren. Eine schallende Ohrfeige
setzte es auch für den scheidenden Präsidenten Juan Manuel Santos,
dessen Partei Partido de la U mit knapp 12% auf dem fünften Platz
landete. Die explizit rechtsradikale Partei Centro Democrático des
ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, die mit knapp 16% die
Wahl zum Senat gewann und das zweitbeste Ergebnis zum
Abgeordnetenhaus erhielt, wird dennoch mit ihrer ablehnenden Position
zum Friedensprozess in der kommenden Legislatur nicht zwangsläufig die Mehrheit
stellen. Denn die ebenfalls starken links- und rechts-liberalen Parteien Cambio
Radical und Partido Liberal unterstützten in der Vergangenheit mal
mehr mal weniger den Friedenskurs des scheidenden Präsidenten [1] und stellen zumindest derzeit eine weitere Unterstützung des Friedensvertrags in Aussicht.<br/></p>
<p>Dennoch
bleibt der Ausgang der Wahlen besorgniserregend, insbesondere als
Signal für die im Mai stattfindenden Präsidentschaftswahlen und den
Friedensprozess mit der ehemaligen Guerilla. So konnten die
Rechtsradikalen um Uribe, trotz dessen anhaltender Skandale um
sexuellen Missbrauch [2] und Unterstützung des rechtsradikalen
Paramilitarismus [3], im Vergleich zur vergangenen Wahl an Zuspruch
gewinnen. Dazu gesellte sich mit einem mehr als doppelt so guten
Ergebnis auf Platz 2 die Partei des Präsidentschaftskandidaten
Germán Vargas Lleras ,Cambio Radical‘, die in der Vergangenheit
als zentraler Unterstützer des rechtsradikalen und weiter mordenden
Paramilitarismus [4] galt, jedoch in den letzten Jahren den
Friedensprozess kritisch mittrug. Besorgniserregend ist dabei auch, dass die
explizite Linke, z.B. auch der sozialdemokratische Polo Democrático Alternativo,
kaum zulegen konnte, und das, obwohl der ihnen nahestehende ehemalige
Bürgermeister Bogotas Gustavo Petro derzeit als aussichtsreicher
Präsidentschaftskandidat gehandelt wird.
</p><p>Das
schlechte Abschneiden der neuen Linkspartei FARC ist also kein
isoliertes Phänomen. Vielmehr liegt die Erklärung in der faktischen
Delegitimation der gesamten kolumbianischen Linken, der
Delegitimation des Friedensprozesses und dem grassierenden
Antikommunismus in der kolumbianischen Gesellschaft, sowie der tiefen
Verankerung der rechten Hetze, die sich sowohl im Plebiszit zum
Frieden 2016, wie nun in den Wahlen ausdrückt. So musste die neu
gegründete Partei, die sich seit Abschluss des Friedensvertrags 2016
akribisch dokumentiert an sämtliche Vereinbarungen hielt, ihren
Wahlkampf suspendieren, da ihr Präsidentschaftskandidat, der
ehemalige oberste Kommandant der Guerilla Rodrigo Londoño
auf der Wahlkampftournee mehrfach <a href="https://www.youtube.com/watch?v=dYUX5Eck5vE">von
aufgebrachten rechten Mobs attackiert worden war</a>. AktivistInnen
der Partei berichten, dass es nicht möglich sei,
zur Wahlwerbung T-Shirts der Partei in der Öffentlichkeit zu tragen
oder Werbematerial zu verteilen,
ohne verbalen oder physischen Angriffen ausgesetzt zu sein. Dazu
kommen die Ermordung von KandidatInnen und MitgliederInnen
der neuen Partei durch rechtsradikale
Paramilitärs, sowie Bombenanschläge auf
Parteibüros – die
Zahlen der Morde an Linken <a href="http://www.eltiempo.com/colombia/otras-ciudades/el-mapa-de-los-lideres-sociales-asesinados-en-colombia-184408">schnellen
seit 2016 rasant in die Höhe</a>.
Inzwischen hat das unabhängige
Nachrichtenportal
las2orellas aufgedeckt, dass hinter den Mobilisierungen und
gewalttätigen Übergriffen
gegen die Wahlveranstaltungen der FARC auch rechte Hardliner des Centro Democrático stehen. [5]
Die Eröffnungsveranstaltung des
Präsidentschaftswahlkampfs der FARC
im Armenviertel Ciudad Bolívar, im Süden Bogotás, konnte zwar ohne
Zwischenfälle, doch nur unter massivem Polizeischutz durchgeführt
werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser repressiven Atmosphäre ist die
neue Partei nur gering handlungsfähig. Nach wie vor trauen sich
viele potentielle SympathisantInnen nicht, öffentlich Farbe zu
bekennen – aus Angst vor den Konsequenzen.
</p><p>Dass
das so ist, ist das zweifelhafte Verdienst
der radikalen Rechten um das Centro Democrático. Dessen Personal
schürte mit gezielter Desinformation zu den Friedensverträgen von
Havanna bereits während des
Friedensprozesses weiter Ressentiments
gegen die Guerilla. So werden bis heute
bewusst Passagen des über 300 Seiten
umfassenden Friedensvertrags aus dem Kontext gerissen und bösartig
zugespitzt. Ein gefundenes Fressen stellte für sie die äußerst
komplexe und schwierige Situation in Venezuela dar. Die dortige
Situation wird d‘accord mit dem deutschen Mainstreamjournalismus
eindimensional
als Willkürherrschaft einer totalitären, das Volk unterdrückenden
Diktatur verklärt. [6]
Die ansonsten
eben von den gleichen rechten PolitikerInnen in
Kolumbien im
Stich gelassenen und
komplett deklassierten venezolanischen
Flüchtlinge dürfen in diesem Fall als positives
Beispiel und Beweisstück herhalten. So
kann konstatiert werden, dass im öffentlichen Bewusstsein der
kolumbianischen Bevölkerung nach wie vor die
Menschenrechtsverbrechen der ehemaligen Guerilla weitaus präsenter
sind, als die des kolumbianischen Staates bzw.
der radikalen Rechten. Dass dieser Fakt
nicht nur der FARC schadet, sondern der gesamten Linken, zeigen die
seit Jahren
schmalen Wahlergebnisse des Polo Democrático Alternativo.
</p><p>Es
handelt sich hier um den spezifischen Antikommunismus Kolumbiens, der
sich über tendenziöse einseitige Darstellungen seitens der radikalen
Rechten der Guerilla als ,,Narco-Kartell‘‘
oder ,,Terrorsyndikat‘‘ [7],
bis hin zur populäreren liberalen Version
vom angeblichen ,,Verlust der Ideale der
Guerilla‘‘ artikuliert. Die
Zahlen, die vorliegenden Fakten und die Realität weisen diese
hegemoniale Erzählung zumindest als stark einseitig aus. Nach
Angaben des von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen
gegründeten <a href="http://www.centrodememoriahistorica.gov.co/micrositios/informeGeneral/estadisticas.html">,,Centro
de Memoria, Paz y Reconciliación‘‘</a> gehen beispielhaft über
62 % der selektiven Morde auf das Konto der nach wie vor mit
Straffreiheit gesegneten Paramilitärs und Narco-Kartelle, die
nachweislich Verbindungen zu Armee und den Uribisten hatten,
zuzüglich weiterer 10%, die der Armee zugerechnet werden. Ein
weiteres Beispiel sind die Zahlen der Massaker, d.h. der gezielten
Tötungen von zivilen Gruppen. Hier spricht das Zentrum von 60%
Massakern durch regierungstreue
paramilitärische Gruppen und weitere 8% durch die Armee, wohingegen
auf die Guerilla lediglich 17% entfallen. Diese Aufzählung soll
nicht unter den Tisch fallen lassen, dass die Guerilla sich
zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, die gut
dokumentiert sind und für die sie laut Friedensvertrag in den kommenden Jahren strafrechtlich belangt werden. Ein Großteil dieser
Fehlentwicklungen fällt in die Zeit der 1990er
und 2000er Jahre,
in denen die Regierung mit paramilitärischen Milizen gegen die FARC
und ihre UnterstützerInnenbasis vorging.
</p><p>Der
Unterschied ist hier nur: Die neue Partei lässt keine Gelegenheit
aus, sich für ihre begangenen Fehler öffentlich zu verantworten,
sich mit den Opfern der Taten ihrer Einheiten zu stellen und um
Verzeihung zu bitten – so wie in den Friedensverträgen vorgesehen.
Dahingegen können wir bislang auf der Regierungsseite konstatieren,
dass eine Vielzahl der Abmachungen, z.B. im Bezug zu den ZVTN, im
Bezug zur Begnadigung politischer Gefangener, im Bezug zu
Sicherheitsgarantien, im Bezug zur
friedlichen Koka-Substitution usw. nicht
eingehalten werden
[8].
Auch die eher friedensorientierte Regierung um Juan Manuel Santos
streitet z.B. öffentlich den politischen Charakter paramilitärischer
Morde vehement ab und <a href="http://m.elcolombiano.com/en-colombia-no-hay-paramilitarismo-dice-ministro-de-defensa-luis-carlos-villegas-IX5734390">verklärt
sie zu einem rein kriminalpolitischen Problem krimineller Banden
(BACRIM)</a>, gleichzeitig
werden keinerlei Bemühungen zu deren Bekämpfung unternommen.
Dass das so ist, überrascht nicht. Würde der kolumbianische Staat
z.B. offen seine zentrale Rolle bei der systematischen
Massenvertreibung und den Massakern an der Landbevölkerung in den
1990er und 2000er
Jahren zugunsten von Großgrundbesitzern mit Hilfe von
paramilitärischen Gruppen offenlegen, hätte er schnell ein
Legitimationsproblem vor der eigenen
Bevölkerung. <a href="http://www.semana.com/opinion/articulo/leon-valencia-victimas-de-los-gobiernos-de-pastrana-y-uribe/493104">Die
Verbrechen des Staates</a> und seines paramilitärischen Netzwerkes
umfassen, verglichen mit denen der Guerilla, ein Vielfaches an
Ungeheuerlichkeiten, nicht nur numerisch, sondern auch qualitativ an
dokumentierten Gräueltaten. [9]
Dieser Aspekt des bewaffneten Konflikts ist
nach wie vor nicht Teil des öffentlichen Gedächtnisses der
kolumbianischen Gesellschaft. Seine Abwesenheit bestärkt die
Isolation der Linken und den Antikommunismus.
</p><p>Im
Zusammenhang mit
dem Wahlausgang ist zuletzt die schwierige
Realität der neuen Partei auf dem Land, ihrer
einstigen Hochburg als bewaffneter Organisation [10],
zu nennen. D‘accord mit den
Vereinbarungen im Friedensvertrag hat
ein Großteil der FARC-MitgliederInnen
sich in den
vergangenen zwei
Jahren in sogenannten
ZVTN-Konzentrationszonen gesammelt und die
Waffen abgegeben. Aufgrund der Bestimmungen der Friedensverträge ist
der Ausgang von konzentrierten Guerilleros/as stark reglementiert.
Die Möglichkeit der politischen Betätigung z.B. im Zuge des
Wahlkampfs, die Interaktion mit der dörflichen Bevölkerung, ist
somit wesentlich eingeschränkt für die Mehrzahl der MitgliederInnen
der Partei. Gleichzeitig wurden die von den FARC aufgegebenen
Territorien anschließend entweder von der kleineren noch aktiven
<a href="http://weltkirche.katholisch.de/Aktuelles/20170207_FARC_Kolumbien_Paramilit%C3%A4r">Guerilla
ELN, den FARC-Dissidenten, Narco-Kartellen und Paramilitärs
übernommen</a>. Diese, der neuen Partei nicht wohlwollend
gegenüberstehenden Gruppen, dürften nicht in wenigen Fällen
Einfluss auf die Wahlentscheidung der dörflichen Bevölkerung gehabt
oder Beteiligung an Wahlen gleich komplett verhindert haben. Die
faktische Abwesenheit der Staatsgewalt in weiten Teilen Kolumbiens
macht Wahlen regelmäßig, nicht nur aufgrund der Ballung der
Bevölkerung in den Zentren, zu einer Angelegenheit der Städte –
also jenem Raum, aus dem die Guerilla jahrzehntelang, teils unter
brutaler Gewaltanwendung gegen ihre legalen Strukturen, systematisch
heraus gedrängt wurde.
</p><p>Es
ist müßig zu betonen, dass die kolumbianischen Elite
in all ihren Facetten kein Interesse an der Agenda der neuen
Linkspartei hat und <a href="http://www.monitoreodemedios.co/grupos-mediaticos/">daher
ihr konzentriertes Medienimperium</a> gegen diese Agenda in Anschlag
bringt. Die in den Friedensverträgen vereinbarte Präsenz der
Guerilla in den Medien und mit paritätischen fünf
Sitzen in Senat und Abgeordnetenhaus für zwei
Wahlperioden öffnet zwar eine Bühne in dieser feindlichen
Medienlandschaft, ausschlaggebend wird jedoch sein, ob sich die ehemalige
Guerilla bei den ärmsten Teilen der kolumbianischen
Gesellschaft verankern kann oder nicht. Entscheidend für den Erfolg
oder Misserfolg dieses Unterfangens wird es sein, der
antikommunistischen Hetze der radikalen Rechten entgegenzutreten und
die Verbrechen des kolumbianischen Staates in den Mittelpunkt der
Debatte zu stellen.
Eine positive Veränderung der Sicherheitssituation für die
MitgliederInnen
der Partei wäre dahingegen nur beim Erfolg des linken
Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro bei den im Mai
stattfindenden Präsidentschaftswahlen zu erwarten. Dieser liefert
sich jedoch zur Zeit in den Wahlumfragen ein Kopf an Kopf-Rennen mit
dem rechtsradikalen Friedensgegner Iván Duque vom Centro Democrático.
Auch hier reicht Petros Biografie als ehemaliger Kämpfer der M-19
Guerilla offensichtlich zur Mobilisierung größerer Teile der
kolumbianischen Gesellschaft gegen das vermeintlich mit ihm drohende
,,Szenario Venezuela‘‘ vollkommen aus. </p><hr/><b>Anmerkungen:</b>
<p><br/>
</p>
<p><b>[1]
</b>Die
ebenfalls
starke
Partido
Conservador
unterstützte nach einer internen Debatte in der Vergangenheit den
Friedensprozess, zeigt
sich jedoch regelmäßig schwankend. Derzeit debattiert, die Partei,
ob sie den liberalen Kandidaten Germán Vargas Lleras oder den
Uribisten Iván Duque Márquez vom Centro
Democratico unterstützen
soll.
Die Partido
Liberal
gilt als zuverlässige Unterstützerin des Friedensprozesses,
wohingegen der Spitzenkandidat der Cambio
Radical
Germán Vargas Lleras erklärte,
er werde das Friedensabkommen respektieren.</p>
<p><b>[2]</b>
Die Journalistin Claudia Morales machte <a href="https://www.elespectador.com/opinion/una-defensa-del-silencio-columna-734086">in einer Kolumne</a> in der kolumbianischen Tageszeitung El
Espectador<i> </i>ihre
Vergewaltigung durch einen nicht namentlich genannten Präsidenten
öffentlich. Der Zeitraum lässt nur die Präsidentschaft Alvaro
Uribes zu.
</p><p>
<b>[3]</b>
Bereits in den 1990er
Jahren verteidigte Alvaro Uribe paramilitärische Gruppen, wie den
Convivir. Während
seiner Amtszeit als Präsident 2002-2010 koordinierte er mit
paramilitärischen Gruppen faktisch die Aufstandsbekämpfung gegen
die FARC. In einer <a href="https://drive.google.com/file/d/0B4lHh510lrExVmZxZ3QwRFk5MUE/view">Liste der US-Drogenbehörde DEA</a>
taucht Uribe 1991 als wichtiger Gefolgsmann Pablo Escobars und
Verbindungsmann zu den Narcos
auf. Ein FBI-Bericht 2010
enthüllte
im Rahmen der Clinton Affäre weitere Verbindungen seiner Familie zu
paramilitärischen Gruppen und Unterstützernetzwerken.
</p><p><b>[4]</b>
Cambio Radical ist die Partei mit den
meisten Verurteilungen in puncto Unterstützung des Paramilitarismus
mit 19 verurteilten Ex-Abgeordneten. In der
Dunkelziffer führt jedoch sicherlich das Centro Democratico. Es existiert eine
<a href="https://lapipa.co/prontuario-cambio-radical/">Liste der ParapolitikerInnen</a>.
</p><p><b>[</b><b>5</b><b>]</b>
<a href="https://www.las2orillas.co/resistencia-nofarc-el-grupo-de-whatsapp-detras-de-las-agresiones-timochenko/">Der Artikel</a> deckt eine Whatsapp-Gruppe RESISTENCIA NOFARC CALI zur
Mobilisierung gegen die Wahlkampf-Events der FARC auf, darunter
ultrarechte Politiker.
</p><p><b>[</b><b>6</b><b>]</b>
Der Verweis wird inzwischen<a href="https://www.elespectador.com/noticias/politica/venezuela-y-el-castrochavismo-encienden-la-campana-presidencial-articulo-738729">von sämtlichen nicht-linken Kandidaten</a>
gegen die Linke gewandt.
</p><p><b>[</b><b>7</b><b>]</b>
Es gibt abseits von fragwürdigen Publikationen der US-amerikanischen
Geheimdienste und der radikalen Rechten in Kolumbien keinerlei
Beweise dafür, dass die FARC jemals kartellartig agiert haben –
erst recht nicht ausschließlich.
Vielmehr ist lediglich bestätigt, was auch die FARC stets selbst
behauptet hat: Es wurde eine Steuer auf den Transport und die
Produktion erhoben, was natürlich nicht
ausschließt, dass einzelne Kommandeure der Fronten nebenher Geld mit
dem Verkauf gemacht haben, was aber zu beweisen wäre.
In Kolumbien ist die Behauptung grundsätzlich mit dem
rechtsradikalen Diskurs verbunden, um den
Aufstand gegen soziale Ungleichheit zu delegitimieren.
Die Behauptung eines ,,Kartells‘‘
blamiert sich allein schon am außerordentlich politischen
Friedensprozess mit einem der
progressivsten Friedensverträge, die je nach einem bewaffneten
Konflikt abgeschlossen wurden.
</p><p><b>[</b><b>8</b><b>]
</b>Die hochgradig fragwürdige, weil
lebensgefährliche Vernichtung von Koka-Plantagen wurde auch nach
Vertragsschluss
fortgesetzt, Demonstrationen von den Aufstandsbekämpfungseinheiten
der ESMAD mit Todesfolgen attackiert, vermehrt soziale AktivistInnen
wurden ermordet usw. Die FARC weist <a href="https://www.farc-ep.co/">in regelmäßigen Abständen</a> auf
Vertragsbrüche hin.
</p><p><b>[</b><b>9</b><b>]</b> In einer <a href="https://www.youtube.com/watch?v=vs-ukDng2w8">Dokumentation</a> kommen exemplarisch Opfer zu Wort, die den
Zusammenhang zwischen Militär- und Paramilitäroperationen
skizzieren, beispielhaft: <a href="http://rutasdelconflicto.com/interna.php?masacre=88">Das Massaker von Mapiripan</a>. Die Methode des Paramilitarismus
war dabei das systematische Massakrieren ganzer Dörfer und
anschließender Terror gegenüber den Überlebenden im Dorf und in
umliegenden Ortschaften.
</p><p><b>[</b><b>10</b><b>]</b>
Seit dem Massaker an der aus dem ersten Friedensprozess in den 1980er
Jahren hervorgegangenen Union Patriotica (UP) mit bis zu 8000
Todesopfern durch Todesschwadrone, war die FARC faktisch nur noch in
Form von Untergrundzellen (Milicias Urbanas) in den Städten aktiv
mit entsprechend geringer Präsenz in der Öffentlichkeit.
</p><p><br/>
</p></div>
</section>
</article>
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