re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=3342018-02-14T14:56:21.431762+00:00Die Bombe von Düsseldorf: Aufklärung nach 18 Jahren?2018-02-09T11:16:00.585894+00:002018-02-14T14:56:21.431762+00:00Anja Kleinredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/die-bombe-von-duesseldorf-aufklaerung-nach-18-jahren/
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<h1>Die Bombe von Düsseldorf: Aufklärung nach 18 Jahren?</h1>
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<img alt="Der Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn" height="420" src="/media/images/wehrhahn.bd06f057.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">Frank Christiansen</span>
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<div class="rich-text"><p>
</p><p>Düsseldorf Wehrhahn – eigentlich nur eine S-Bahnstation in
Düsseldorf – gelangte am 27. Juli 2000 schlagartig zu
zweifelhafter Bekanntheit. Ein damals unbekannter Täter zündete
eine in einer Plastiktüte versteckte Rohrbombe an der S-Bahnstation
zu einem Zeitpunkt, als diese regelmäßig von osteuropäischen
SprachschülerInnen frequentiert wurde. Zehn Menschen wurden durch
herum fliegende Bombenteile zum Teil lebensgefährlich verletzt. Eine
Frau war zum Zeitpunkt der Explosion im fünften Monat schwanger und
verlor ihr ungeborenes Kind durch einen Metallsplitter, der sich in
ihren Unterleib bohrte. Einige der SprachschülerInnen waren
jüdischen Glaubens. Bis 2017 wurde der Fall für nicht aufklärbar
erklärt. Plötzlich konnte jedoch ein Tatverdächtiger präsentiert
werden, der beim Absitzen einer davon unabhängigen Gefängnisstrafe
2014 gegenüber einem Mithäftling mit der Tat geprahlt haben soll.
Die Ermittlungen gegen den bereits vor 17 Jahren Tatverdächtigen
Ralf S. wurden wieder aufgenommen. Am 25. Januar diesen Jahres begann
schließlich der sogenannte Wehrhahn-Prozess. Es scheint, als käme
doch endlich alles ans Licht. Dennoch bleiben viele Fragen ungelöst.
</p><p>
</p><h3><b>Damals und heute:
Ralf S. und fremdenfeindliche Motive</b></h3><p>
</p><p>
Die direkt installierte Ermittlungskommission (EK) „Ackerstraße“
ermittelte in alle Richtungen: von „Russenmafia“ über
Eifersuchtstat bis hin zu fremdenfeindlichem oder islamistischem
Hintergrund. Schnell geriet der Besitzer eines Militaria-Ladens Ralf
S. als Tatverdächtiger in den Mittelpunkt. Der Laden befand sich nur
wenige Meter vom Tatort entfernt. Als Nazi mit intensiven Beziehungen
zur örtlichen rechtsradikalen Szene und einem Hang zu Waffen, der
mit seinem Hund soldatenmäßig durchs Viertel patrouillierte, war er
hinlänglich bekannt. Im Jahr 2000 wurde der Verdacht trotz aller
Hinweise auf ihn fallen gelassen. Auch weitere vorläufige
Festnahmen, Überwachungen und Hausdurchsuchungen im rechten Milieu
schienen keinen Erfolg zu bringen. Der Fall wurde 2009 geschlossen.
Bis, acht Jahre später, Ralf S. erneut als tatverdächtig
festgenommen wird. Seine Prahlerei soll ihn verraten haben. Der
mittlerweile Angeklagte streitet die Tat ab. Sein damaliges Alibi,
welches er von zwei Frauen bekam, wurde inzwischen widerrufen.</p><p>
</p><p>
</p><h3><b>Der „Aufstand
der Anständigen“</b></h3><p>
</p><p>
Auch die Politik – damals in Persona des Innenministers Schily –
sprach schnell von einem Verdacht auf Fremdenfeindlichkeit. Nach
einem Anschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf am 2. Oktober 2000
wandte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem
Aufruf zum „Aufstand der Anständigen“ an die deutsche
Bevölkerung. Ein solches Bild von Deutschland, in dem antisemitische
Anschläge zunehmen, wolle man wohl nicht in der Welt haben. Die
BürgerInnen sollten zeigen, dass Deutschland nicht mehr faschistisch
sei. Aber: Keine Erwähnung von institutionellem Rassismus. Kein
„Aufstand der Anständigen“, als weniger als zehn Jahre zuvor
MigrantInnen und ihre Wohnungen in Rostock, Mölln und weiteren Orten
angezündet wurden. An dieser Stelle auch zur Erinnerung: Im gleichen
Zeitraum wie der Wehrhahn-Anschlag, oder der Anschlag auf die
Düsseldorfer Synagoge und dem „Aufstand der Anständigen“
verübte der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zehn
Morde und mehrere Bombenanschläge auf vor allem türkische
MigrantInnen. Der erste Mord geschah im September 2000, vier Jahre
später wurde die Kölner Keupstraße von einem Nagelbombenanschlag
erschüttert. Ermittelt wurde in diesen Fällen nicht im
faschistischen Milieu, obwohl die Betroffenen und ihre
UnterstützerInnen immer wieder genau dies verlangten. Die Opfer der
Anschläge wurden zu TäterInnen umgekehrt. Kein „Aufstand der
Anständigen“ für diese Menschen.
</p><p>
</p><p>
</p><h3><b>Wehrhahn-Anschlag,
NSU, Verfassungsschutz und viele offene Fragen</b></h3><p>
</p><p>
Apropos NSU – nach dessen Selbstenttarnung durch Beate Zschäpe im
Jahr 2011 gerieten auch wieder der Wehrhahn-Anschlag, sowie weitere
unaufgeklärte Anschläge und Morde in den Fokus der Öffentlichkeit.
Der Verdacht auf einen Zusammenhang von Düsseldorf Wehrhahn und der
NSU-Anschlagsserie sollte am 7. Februar 2017 im
NSU-Untersuchungsausschuss NRW geprüft werden. Da kurz zuvor der
Tatverdächtige festgenommen wurde, und unmittelbar von Polizei und
Staatsanwaltschaft die These vom rechten Einzeltäter aufgestellt
wurde, geschah diese Aufarbeitung jedoch faktisch nicht. Die
Hauptbegründung, weshalb eine Verbindung zum NSU nicht bestehen
könne, sei laut ErmittlerInnen das Fehlen des Wehrhahn-Anschlages im
„Pink Panther“-Film des NSU, ungeachtet der Tatsache, dass auch
weitere dem NSU mittlerweile zugerechnete Anschläge dort nicht
auftauchen. Bereits vor 18 Jahren bestehende Zusammenhänge zwischen
dem VS NRW bzw. rechten V-Leuten wie dem ehemaligen Spitzel André M.
(Deckname „Apollo“), dem damals wie heute Tatverdächtigen Ralf
S., sowie der rechten Szene in Düsseldorf / NRW wurden im
Untersuchungsausschuss nicht aufgeklärt bzw. weitergehend
thematisiert. Auch dass bereits seit 2004 in Ermittlerkreisen
Erkenntnisse über André M. und den Wehrhahn-Anschlag bestanden,
wurden nicht weiter behandelt. Der Deckel sollte offensichtlich zu
gemacht werden.</p><p>
</p><p>
</p><p>
</p><p>
An die Öffentlichkeit gezerrt wird dies jetzt erneut im
Wehrhahn-Prozess. Spätestens seit dem ersten Prozesstag geriet die
Einzeltäter-These ins Wanken: Ralf S. macht Aussagen und spricht
u.a. davon, bereits Ende der 90er Jahre Gespräche mit „dem
Verfassungsschutz“ (was er selber nicht näher definierte), sowie
regelmäßige und gute Kontakte zu André M., der zeitweise für ihn
gearbeitet hat, gehabt zu haben. Noch brisanter wird die Sache durch
<a href="https://www.welt.de/print/welt_kompakt/debatte/article172829882/Im-Sumpf-der-Terrorabwehr.html">Hintergrundrecherchen</a>
vom Journalisten Dirk Laabs, der Unangenehmes zutage fördert:
bereits 2004 bekamen die Ermittler vom LKA NRW konkrete Hinweise über
den ehemaligen VS-Spitzel „Apollo“, der sich über den
Wehrhahn-Anschlag konkret geäußert haben soll. Damals sagte er, der
Anschlag sei begangen von ostdeutschen Nazis unter Deckung durch die
Düsseldorfer Szene. Ein V-Mann, der bereits vor dem Tatzeitpunkt
Kontakte zu den Tätern hatte und vielleicht bereits vor der Tat
davon wusste? Verbindungen zwischen VS NRW und rechten Terroristen?
Bereits 2004 bekannte Kontakte zwischen VS NRW und dem NSU? Der
V-Mann-Führer von „Apollo“ gibt diesem ungefragt ein Alibi für
den Tattag (er wisse, dass er Flugblätter verteilt habe), obwohl die
Zusammenarbeit zwischen VS und „Apollo“ angeblich über einen
Monat vorher, im Juni 2000, beendet worden war? Der gleiche
V-Mann-Führer war im Übrigen für den Kölner V-Mann „Ronald“
verantwortlich, dessen <a href="http://www.spiegel.de/panorama/justiz/v-mann-aus-nrw-im-nsu-komplex-herr-h-und-die-bombe-a-1038739.html">Beteiligung
an dem NSU-Anschlag</a> in der Kölner Probsteigasse nie ausgeräumt
wurde. Er sieht dem Phantombild des Attentäters verdammt ähnlich.
</p><p>
</p><p>
</p><h3><b>Brauner Sumpf
bleibt brauner Sumpf</b></h3><p>
</p><p>
Angesetzt sind für den Wehrhahn-Prozess gegen den vermeintlichen
Einzeltäter Ralf S. 37 Verhandlungstage. Am 17. Juli 2018 soll es
ein Ergebnis geben. Bereits die Ereignisse des ersten
Verhandlungstages zeigen, dass es ein unbedingt zu beobachtender
Prozess werden wird, kommen immerhin weitere Verstrickungen zwischen
Verfassungsschutzbehörden und faschistischen Terroristen vielleicht
an die Öffentlichkeit. Der Angeklagte scheint einfach nicht so zu
wollen, wie die entsprechenden Behörden. <a href="https://www.nsu-watch.info/2018/01/tag-1-im-wehrhahn-prozess-25-01-2018/">Der
Blog NSU-watch veröffentlicht regelmäßig Prozessbeobachtungen. </a>Es
gilt, alle Möglichkeiten zu nutzen, das braune Netz zwischen
deutschen Geheimdiensten, polizeilichen Behörden und
neofaschistischen Gruppen zu thematisieren und den Sumpf damit
wenigstens ein wenig trocken zu legen.</p></div>
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