re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=2532018-01-20T23:18:46.004788+00:00Gabriels Türkeiliebe und linksliberale Selbstvernebelungen2018-01-11T09:00:00+00:002018-01-20T23:18:46.004788+00:00Kader Yıldırımredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/gabriels-t%C3%BCrkeiliebe-und-linksliberale-selbstvernebelungen/
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<h1>Gabriels Türkeiliebe und linksliberale Selbstvernebelungen</h1>
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<img alt="Panzer/Aktion Kirchentag 25.05.17" height="420" src="/media/images/34517200380_6d6003100a_k.d0797f7b.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">Jakob Huber</span>
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<div class="rich-text"><p>„Unglaublich, dieser Sigmar Gabriel!
Da geht der einfach hin, schenkt dem türkischen Außenminister
Çavuşoğlu einen Unterwerfungs-Tee ein, faselt irgendwas von
Wiederaufnahme von Dialog und schlägt den Deal „Yücel gegen
Panzer“ vor! Welch erbärmliche Erniedrigung, vor diesem
diktatorialen Regime in der Türkei so niederzuknien! Und noch im
selben Zug Panzer zu versprechen, von denen doch klar ist, dass die
zum Plattmachen der Kurden genutzt werden! Selbst als SPD!
Inakzeptabel, eine solche Herabwürdigung unserer demokratischen
Werte!“</p><p>
</p><p>
</p><p>Empörung – die ist allerorts Tenor,
wenn über das Wiederannäherungstreffen zwischen Gabriel und
Çavuşoğlu gesprochen wird, das vor einigen Tagen in Goslar
stattfand. Grundsätzlich muss man über die politischen Beziehungen
zur Türkei ja auch dringend sprechen. Das Problem aber ist, dass
diese Empörungswelle mit all ihren Voraussetzungen und Konsequenzen
– und damit auch in ihren Apologien deutscher Politik – ebenfalls in
Teilen der Linken Fuß gefasst hat. Sie ist eine Aktualisierung der
Schwäche einer Linken, die es nicht schafft, ihre eigene Identität
zu wahren und deshalb zum Spielball der Auseinandersetzung
großbürgerlicher Interessen wird.</p><p>
</p><p>
</p><h2><b>Deutsche Interessen, deutsches
Geld...</b></h2><p>
</p><p>
</p><p>Es ist ein gewisser National- oder wohl
eher Machtstolz, der in dieser Empörung mitschwingt, und der sich
geradezu nach einer Intervention des deutschen Staates sehnt: „Wir
sind eine so mächtige Nation, ein so mächtiger Staat – wie können
wir bloß vor einer so mickrigen Nation wie der Türkei einknicken!
Deutscher Staat, hoffentlich haust du dem mal auf die Finger“. Dann
aber vor allem der Moralismus, der einfach nicht kapiert, worum es
geht.</p><p>
</p><p>
</p><p>Der Gabriel ist das Gegenteil von doof,
der ist ganz schön geschickt. Der versucht ganz einfach noch
weitestgehend ohne große militärische Macht Weltpolitik zu machen.
Und dabei setzt er natürlich auch Druckmittel ein. Sein
Parteikollege Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion, hat es direkt im Anschluss an das Treffen in
Goslar <a href="http://www.deutschlandfunk.de/kuschelkurs-mit-der-tuerkei-wir-haben-da-schon-die.694.de.html?dram:article_id=407692">auf
den Punkt</a> gebracht: „Und es ist ja übrigens auch sehr, sehr
viel eingesetzt worden an Druckmitteln – jetzt nicht nur die Frage
der Unterbindung von Rüstungsexporten, [… ] es geht auch um die
Frage der Hermes-Bürgschaften, die zum Teil gestoppt worden sind,
die Kreditvergabe der Europäischen Investitionsbank[.]“ Und dann
zum Kern der Sache: „[I]ch glaube, wir müssen auch über unsere
eigenen Interessen sprechen. Die Türkei hat deutlich gemacht, sie
orientiert sich auch in Richtung Russland und China, daran können
wir auch kein Interesse haben[.]“</p><p>
</p><p>
</p><p>Siehe da: Es gibt <a href="http://www.hurriyetdailynews.com/german-companies-show-confidence-in-turkeys-future-------.aspx?pageID=238&nID=109829&NewsCatID=345">über
6000 deutsche Unternehmen</a> mit Niederlassung in der Türkei. Dies
sei, so die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), „ein
großer Beweis unseres tiefen Interesses an einem guten Verhältnis
unserer Länder“. Deutschland ist der größte Exportmarkt der
Türkei und die deutschen Auslandsdirektinvestitionen in der Türkei
sind die zweitgrößten nach denen der Niederlande, weshalb die sich,
im Übrigen, noch weniger über das lumpenhafte Auftreten der
türkischen Regierung beschweren als die Bundesdeutschen. <a href="https://www.reuters.com/article/us-turkey-energy-windpower/germanys-siemens-wins-tender-for-turkish-wind-power-project-idUSKBN1AJ1FJ">Siemens</a>
hat erst vor Kurzem mal wieder eine Investition über eine Milliarde
Euro in einem lukrativen Windkraftgeschäft in der Türkei
abgestaubt. Aber es geht, wie es Annen auf den Punkt bringt, auch um
glasklare geopolitische Interessen. Ein Potpourri an Zitaten von
deutschen Eliten und Eliteinstitutionen der unterschiedlichsten
politischen Couleur zur Sachlage verdeutlicht das:</p><p>
</p><p>
</p><p>Fangen wir an mit dem außenpolitischen
Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Der meinte
2016 in einer <a href="http://www.kas.de/wf/doc/kas_438-2190-1-30.pdf?161214152314">Publikation</a>
der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS): „Die
Bedeutung der Türkei zur Diversifizierung unserer Energieversorgung
und als Transitland für Energielieferungen aus dem Iran, dem Irak
oder dem Kaspischen Raum wird zunehmen. […] Das Land ist zentraler
außenpolitischer Akteur und Stabilitätsanker in der
konfliktreichen Region zwischen dem Schwarzen Meer, dem Persischen
Golf und dem Mittelmeer.“ Die Türkei als solider Partner also.</p><p>
</p><p>
</p><p>Das Problem sei allerdings, so <a href="https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A06_srt.pdf">Günther
Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP</a>) Anfang
2017, dass sich die Türkei aus hegemonialen und geostrategischen
Eigeninteressen Richtung Russland und China wendet: „Aus
strategischer Perspektive bleibt offen, was die Türkei ohne den
Rückhalt der Nato russischer Machtprojektion im Schwarzen Meer, im
Kaukasus und im Nahen Osten entgegensetzen will. Ein Bruch mit dem
Westen ist deshalb weder ökonomisch noch strategisch sinnvoll. Doch
kann sich der Westen nicht darauf verlassen, dass eine solche Sicht
der türkischen Interessen in Ankara geteilt wird. Um die Türkei
im Westen zu halten, sollte die EU Ankara deshalb entgegenkommen.“</p><p>
</p><p>
</p><p>Noch offener und konsequenter legt nur
der <a href="http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/tuerkei/europas-notwendigkeit-mit-der-tuerkei-zu-verhandeln-14517389.html">Türkei-Korrespondent
der FAZ, Michael Martens</a>, dar, was das dann aus
„demokratietheoretischer Perspektive“ bedeutet: „Selbst
wenn an Europas südöstlichen Grenzen ein Staat entstehen sollte, in
dem dauerhaft und systematisch Oppositionelle gefoltert und
Menschenrechte missachtet werden, wäre es notwendig, am Dialog mit
dem Nato-Partner festzuhalten.“</p><p></p><p>
</p><p>
</p><p>Die Liste an Zitaten <a href="http://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/videoschmusekursmiterdoganwirsolltenaufhoerendietuerkeizukritisieren102.html">lässt</a>
<a href="https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2017/maerz-april/abschied-von-europa">sich</a>
<a href="http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/deniz-yuecel-tuerkei-freilassung-ruprecht-polenz-interview/komplettansicht">unendlich</a>
<a href="https://www.baks.bund.de/sites/baks010/files/arbeitspapier_sicherheitspolitik_2017_06.pdf">fortsetzen</a>.
Die Sachlage ist klar: Wirtschaftliche und geostrategische Interessen
bestimmen deutsche Außenpolitik betreffs der Türkei, nicht
irgendwelche abstrakten menschlichen Werte. Schon seit Jahrzehnten
morden deutsches Geld und deutsche Waffen mit in Kurdistan, schon
immer verschlossen deutsche Regierungen die Augen vor den
Menschenrechtsverletzungen der unterschiedlichen diktatorialen Regime
in der Türkei. Die derzeitigen Panzerdiskussionen sind schlicht
Fortsetzungen derselben Politik, keine Unterwürfigkeitsgeste von
Sigmar Gabriel. Das ist im Übrigen nichts Neues, schaut man sich die
Verwicklung von deutschem Staat und deutschem Kapital in den
Diktaturen in <a href="http://www.dw.com/de/vw-hat-militärdiktatur-in-brasilien-unterstützt/a-41807343">Brasilien</a>,
<a href="https://amerika21.de/analyse/172409/kaesemann-mord-brd-regierung">Argentinien</a>,
Griechenland und so weiter und so fort an. Von der Kontinuität von
Strukturen und Personal des faschistischen Deutschlands in der achso
demokratischen Bundesrepublik ganz zu schweigen. Das nennt sich
deutscher Imperialismus. Siehe die Forderungen des Bundes deutscher
Industrie (BdI) <a href="https://bdi.eu/media/presse/publikationen/marketing/Fokus_Sicherheit_Rohstoffe_Oktober_2015_web.pdf">nach
mehr Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen in der
Sicherheits- und Außenpolitik</a> im Jahre 2015; das <a href="http://www.imi-online.de/2016/08/01/bittere-pille-fuer-den-frieden/">neue
Weißbuch der Bundeswehr</a> aus dem Jahre 2016; Frank-Walter
Steinmeiers unmissverständlicher Artikel „<a href="https://www.foreignaffairs.com/articles/europe/2016-06-13/germany-s-new-global-role">Germany’s
New Global Role</a>“ in der Juli-August 2016 Ausgabe der<i> Foreign
Affairs</i> und unzählige andere <a href="http://tp-presseagentur.de/rede-von-aussenminister-gabriel-beim-forum-aussenpolitik-der-koerber-stiftung/">Äußerungen</a>
und <a href="https://www.swp-berlin.org/publikation/internationale-ordnung-im-umbruch/">Strategiepapiere</a>
von deutschen Eliten zum Stand der Dinge: Der deutsche Imperialismus
kommt mit aller Wucht zurück und stellt wieder Globalansprüche.
Verpackt wird das, wie immer, in einer humanitären Hülle, damit man
sich gegen den bösen Trump, den bösen Putin und die ganzen anderen
bösen Bösen abgrenzen kann.</p><p>
</p><p>
</p><p>Der deutsche Imperialismus ist als
solcher zu entlarven, damit man ihn bekämpfen kann. Wenn man ihn mit
irgendwelchen Phrasen über demokratische Werte und Menschenrechte
vernebelt, sich über irgendeinen Minister und sein Gebaren aufregt,
diesen sogar zur richtigen „demokratischen“ Handlung gegenüber
einer „menschenrechtsfeindlichen“ Regierung auffordert –
nämlich endlich mal auf den Putz zu hauen, weil wir doch im
Gegensatz zu „denen da“ eine „sozialstaatliche Demokratie“
seien – dann tut man genau zwei Dinge: Man erweist dem
demokratischen und antifaschistischen Kampf in der Türkei einen
Bärendienst und beteiligt sich zudem an der (Selbst-)Vernebelung der
Machtverhältnisse.</p><p>
</p><p>
</p><p>Am Ende jubeln solche Linken sogar,
wenn der deutsche Staat wirklich mal wieder autoritärer auftritt
oder endlich eine konservativ-liberale Alternative zu Erdoğan, sei
es nun Abdullah Gül oder Meral Akşener oder Kemal Kılıçdaroğlu,
in der Türkei an die Macht kommt. Dann werden erneut die Player
ausgetauscht, aber die spezifischen Konstellationen kapitalistischer
Verhältnisse, die jenen reaktionären Schund erst hervorgebracht
haben, bleiben erhalten. Genau so war es auch mit dem Machtantritt
der AKP im Jahr 2002, der nicht von wenigen Linken bejubelt wurde.
Same shit, different day. Eine solche Haltung ist zu reaktivem
Verhalten verdammt, das niemals Agenden bestimmt, sondern von Agenden
bestimmt wird. Ähnlich sieht es in der Türkeisolidarität breiter
Teile des Bürgertums, aber eben auch der liberalen und in Teilen der
radikaleren Linken, aus.</p><p>
</p><p>
</p><h2><b>Kein Frieden ohne (Gegen-)Macht</b></h2><p>
</p><p>
</p><p>Da wird dann stur zum Beispiel das
auswendiggelernte HDP-Programm runtergebetet: Kein eigener kurdischer
Nationalstaat mehr, nur mehr Demokratie und demokratische Autonomie,
Freiheit und Rechte für alle Minderheiten und Menschen in der Türkei
und so weiter und so fort. Stimmt ja alles, es ist aber nur ein
Drittel der Wahrheit. Das zweite Drittel macht deutlich: Die Türkei
gründet sich eben auf dem Genozid der armenischen Bevölkerung, auf
der Kolonisierung von Teilen Kurdistans, der Marginalisierung der
Alevitinnen und Aleviten, auf Antikommunismus und Revolution „von
oben“. Diese Fundamente der Republik bestimmen bis heute Staat und
Gesellschaft. Und nicht zuletzt, das dritte Drittel Realität: Die
HDP war deshalb nur möglich auf Grundlage eines jahrzehntelangen
Guerillakrieges, den die PKK zunehmend erfolgreich gegen den
türkischen Staat geführt hat. Sie hat ihn somit unter anderem mit
Waffengewalt dazu<i> gezwungen</i>, eine gewisse Öffnung der
politischen Sphäre zu vollziehen und einen Friedensprozess, der von
Anfang an ein Kräftemessen war, zu starten. Kurz: Ohne PKK keine
HDP. Wer die PKK dafür kritisiert, dass sie es gewesen sein soll,
die den Krieg in der Türkei 2015 erneut entflammt und quasi den
Faschismus herbei provoziert hat, der hat es schlichtweg nicht
geschnallt. Als ob der türkische Staat ein etwas schlecht gelaunter
Hund sei, den man ja nicht provozieren sollte, weil er sonst
Bürgerkrieg entfesselt, um den man aber sonst ganz still
herumschleichen kann, um sein Ziel zu erreichen. Der türkische Staat diesmal
unter Führung von Erdoğan war schon seit 2013 schnellenden
Schrittes unterwegs zum Autoritarismus und zur Faschisierung. Das war
das Einzige, was den Staat noch zusammenhielt. Als 2015 klar wurde,
dass es knallen wird, hat die PKK souverän mit der Ausrufung von
Autonomiegebieten gehandelt, bevor sie überrollt werden konnte. Wer
sich genauer anschauen möchte, wie die Verhältnisse sich
entwickeln, wenn sich ein Staat faschisiert, <i>ohne</i> von einer
relevanten politisch-militärischen Gegenmacht in Schach gehalten zu
werden: Ein Blick nach Ägypten genügt. Richtig ist eben das
direkte Gegenteil der linksliberal-pazifistischen Illusionen: Ohne
PKK ist in der Türkei<i> derzeit</i> überhaupt keine oppositionelle
Politik möglich.</p><p>
</p><p>
</p><p>Das ist alles kein Aufruf dazu, sich
jetzt auf den militärischen Kampf zu beschränken oder gar der PKK
beizutreten. Es geht darum, zu verstehen, dass partielle
demokratische Öffnungen überall, aber vor allem in Ländern wie der
Türkei, Produkte erfolgreichen revolutionären Kampfes gegen Kapital
und Staat darstellen. Der Kampf in allen anderen Sphären als der im
engeren Sinne politisch-militärischen sind mit anderen Mitteln, aber
derselben Militanz zu führen. Natürlich geht es darum, Spaltungen
abzubauen, Bündnisse zu schmieden und trotz des weit verbreiteten
Nationalismus und Chauvinismus in der Türkei fähig zu sein, mit dem
Großteil der Leute in Kontakt zu kommen und mit ihnen Politik zu
machen. Das wird aber zwangsläufig provozieren, denn jede Politik,
die eine Demokratisierung oder gar sozialistische Revolution der
Türkei beabsichtigt, ist eine Provokation, weil sich der türkische
Staat und mit ihm das türkische Kapital aufgrund ihres historischen
Charakters gegen selbstbestimmte populare Mobilisierungen stemmen.
Und deswegen wird man Konflikten nicht entgehen können. Vor allem
sollten wir nicht vergessen, dass es hier um Kampf von Macht und
Gegenmacht geht und es darin nichts einfach so, nur aufgrund von
irgendwelchen Werten oder Friedensprozessen gibt. Das Gegenteil ist
der Fall: Erst wer der bestehenden Macht eine in den militärischen,
politischen, sozialen und kulturellen Sphären verankerte Gegenmacht
entgegenstellen kann, der kann<i> erzwingen</i>, dass es plötzlich
um „Menschenrechte“ und „Friedensprozesse“, ja gar um soziale
Rechte geht. Es gibt keinen anderen erfolgreichen Weg hierzu.</p><p>
</p><p>
</p><h2><b>Von Waffen über Suppenküchen:
linken Internationalismus wiederaufbauen</b></h2><p>
</p><p>
</p><p><a></a>Der Umgang von
Teilen der Linken mit der deutsch-türkischen Interessenkoalition
offenbart damit eines: Ihre aktuelle Schwäche und
Identitätslosigkeit. Natürlich will ich in keinster Weise die
enorme Bedeutung der ganzen kleinteiligen Solidaritätsarbeit, der
Prozessbeobachtungen, der öffentlichen Skandalisierungen der
AKP-Willkür und dergleichen Dinge in Abrede stellen. Sie sind
sehr wichtig. Wir sollten nur ganz klar wissen, dass das nicht ausreicht –
und uns der schmerzhaften Bearbeitung dessen zuwenden, dass wir
derzeit vielleicht zu viel mehr nicht in der Lage sind. Aber diesen
Zustand in ideologischer und politisch-taktischer Hinsicht zu
verabsolutieren wäre politischer Selbstmord. Denn indem die Linke
ihre eigenen machttheoretischen, kapitalismuskritischen und
taktisch-strategischen Traditionen, Erfahrungen und
Weiterentwicklungen aufgibt und stattdessen linksliberale Denkmuster
und Handlungsweisen übernimmt, kann sie sich nur zum Spielball
bürgerlicher, imperialistischer Interessen machen. Der revolutionäre
Internationalismus der 1970er und 1980er hat, bei all seinen
projektionsbehafteten und kruden Fehlern, vorgemacht, wie
internationalistische Solidaritätsarbeit geht: Einmal in Form von
gezieltem Ressourcenfluss, unter anderem von Waffen, an die
anti-imperialistischen und anti-kapitalistischen Kämpfe, vom Zentrum
zur Peripherie. Zum anderen in Form von aktiver Mitarbeit am Aufbau
von revolutionärer Gegenmacht vor Ort und Kampf gegen den eigenen
Imperialismus hier. Es ist dringend an der Zeit, dass wir uns als
revolutionäre Linke von den linksliberalen Illusionen, die die
Bourgeoisie sät, verabschieden, klar die Feinde benennen und unsere
Taktiken und Strategien neu ausrichten, damit wir nicht das linke
Feigenblatt der jeweiligen Bourgeoisien werden oder verbleiben. Und
zwar nicht nur in betreffs der Türkei-Solidarität.</p></div>
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