re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=2372019-08-29T15:34:23.521942+00:00FARC-EP nimmt den bewaffneten Kampf wieder auf2019-08-29T15:19:10.151866+00:002019-08-29T15:34:23.521942+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/farc-ep-nimmt-den-bewaffneten-kampf-wieder-auf/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>FARC-EP nimmt den bewaffneten Kampf wieder auf</h1>
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<span class="content-copyright">Screenshot FARC-EP</span>
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<div class="rich-text"><p>In den Abendstunden des 28. August 2019 veröffentlichte ein anonymer Account auf dem Online-Videoportal <i>YouTube</i> <a href="https://www.youtube.com/watch?v=GQNMQxTV46o">eine Erklärung</a> des seit über einem Jahr untergetauchten ranghohen Führers der Linkspartei <i>Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común - FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volks),</i> Iván Márquez. In der Erklärung erklärt Márquez, seinerzeit Chefunterhändler für die marxistische Guerilla im nunmehr endgültig gescheiterten Friedensprozess, dass man den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen werde. An seiner Seite stehen in dem Video die ebenfalls seit längerer Zeit untergetauchten ranghohen Ex-Kommandeure der Guerilla <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">Jesús Santrich</a> und Hernán Darío Velásquez (alias: El Paisa). Laut Márquez wurde das Video in der Nähe des im Südosten Kolumbiens gelegenen Flusses Inírida aufgenommen. Bereits am Morgen desselben Tages wurde durch den Direktor der <i>Fundación Paz y Reconciliación (Stiftung für Frieden und Versöhnung)</i> Ariel Ávila das Gerücht verbreitet, die Gründung <a href="https://www.infobae.com/america/colombia/2019/08/28/alerta-en-colombia-disidentes-y-ex-lideres-de-las-farc-estan-negociando-la-conformacion-de-una-nueva-guerrilla/">einer neuen Guerilla stehe unmittelbar bevor</a>.</p><p></p><h3>Der Grund: Eine feindselige Regierung</h3><p>In der knapp halbstündigen Videobotschaft begründet Márquez ausführlich den Schritt, den er als „Neue Etappe des Kampfes“ und den Beginn eines „Zweiten Marquetalia“ [1], umschreibt. Anschließend an seine im vergangenen Jahr immer wieder veröffentlichten kritischen <a href="https://www.youtube.com/watch?v=WLbvtK69swU">Wortmeldungen</a>, benennt Márquez die Haltung des kolumbianischen Staates im Friedensprozess als „Verrat am Friedensprozess von Havanna“. Er stellt klar, dass das militärische Ziel nicht in erster Linie in „Polizist*innen und Soldat*innen“, noch in „Klassenbrüdern“ und „Klassenschwestern“ bestehen werde, sondern in der Oligarchie Kolumbiens selbst, die „mafiös“ und „gewalttätig“ sei und sich „auf Kosten einer allgemeinen Armut“ bereichere. Die Regierung habe unter anderem „einseitige Veränderungen“ an Friedensverträgen von Havanna vorgenommen, sei ihren in den Verträgen bestimmten „Verpflichtungen nicht nachgekommen“, habe fingierte Prozesse der strafrechtlichen Verfolgung ins Leben gerufen. Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs sei als „Antwort auf eine Offensive“ zu verstehen, die nun am Ende eines durch die Regierung „betrogenen Friedens“ stehe. Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs solle einhergehen mit der Verstärkung von sozialen Bewegungen gegen die „Ausbeutung durch multinationale Konzerne“, die „Zerstörung der Umwelt durch den Klimawandel“, „Korruption“ und „Straffreiheit“ der kolumbianischen Eliten. In der Erklärung wird explizit eine Zusammenarbeit mit der weiterhin bewaffnet kämpfenden marxistischen Guerilla <i>Ejército de Liberación Nacional - ELN (Nationale Befreiungsarmee)</i> und allen „Genoss*innen der <i>FARC-Dissidenz</i>“ befürwortet.</p><p>Dieser gravierende Schritt kommt für <a href="https://revoltmag.org/articles/kolumbien-vor-neuem-krieg/">Beobachter*innen der Auseinandersetzungen</a> um den Friedensprozess wenig überraschend. Die rechte, neoliberale Regierung um den kolumbianischen Präsidenten Iván Duque umging seit Amtsantritt 2018 de facto sämtliche Vereinbarungen der Friedensverträge von Havanna, machte einige Vereinbarungen gar rückgängig oder griff diese juristisch und politisch an. Zuletzt versuchte man, das Kernstück der Friedensverträge, die <a href="https://blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/praesident-duque-will-friedensgesetz-aendern/"><i>Sonderjustiz für den Frieden (JEP)</i></a><a href="https://blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/praesident-duque-will-friedensgesetz-aendern/">, auszuhebeln</a>, indem Verbrechen während der Zeit des bewaffneten Konflikts unter reguläre Strafverfolgung gestellt werden sollten. Diese Maßnahme hätte, aufgrund der weitgehenden Straffreiheit von ehemaligen rechtsradikalen Paramilitärs und Politiker*innen, de facto nur die ehemalige Guerilla getroffen. Angesicht dieser, die Friedensverträge Stück für Stück revidierenden Politik, verließen immer mehr Ex-Guerillerxs die Wiedereingliederungszonen für den Frieden. Sie setzten sich zur <i>FARC-Dissidenz</i> und anderen bewaffneten Gruppen ab, oder gingen in den Untergrund. Die nun vollzogene Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs macht außerdem deutlich, dass die vor kurzem vollzogene <a href="https://www.jungewelt.de/artikel/360107.kolumbien-zur%C3%BCck-zu-den-wurzeln.html?fbclid=IwAR295QIJf5x42g2MYZX_tIm9RCJRXJGrCFd03JpWomPbrk-Erqgoka88YG0">Wiederaufnahme der Aktivität</a> der <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano - PCCC (Klandestine Kolumbianisch Kommunistische Partei)</i> und ihrer Vorfeldstrukturen auf das Konto von Iván Márquez und Jesús Santrich gehen. [2]</p><p></p><h3>Die Linkspartei FARC: Vor der Spaltung</h3><p>In der legalen Partei <i>FARC</i>, die aus dem Friedensprozess im Jahre 2017 hervorging, verschärften sich aus den genannten Gründen schon seit Längerem die Spannungen zwischen dem rechten Parteiflügel um Ex-Kommandant Rodrigo Londoño (alias Timochenko) und dem linken Flügel um Iván Márquez. Londoño und seine Verbündeten bemühen sich um eine Sozialdemokratisierung der Partei, das heißt, um eine ausschließliche Orientierung auf parlamentarische Politik und Wahlen. Angesichts der zwischenzeitlich knapp 150 getöteten Ex-Guerillerxs und der Ermordung von weiteren 500 sozialen Aktivist*innen in zwei Jahren, fuhr die Führung der <i>FARC</i> bis zuletzt eine sehr passive, ultra-pazifistische und versöhnlerische Haltung gegenüber der Rechtsregierung um Iván Duque. Die Anpassungslinie ging teilweise so weit, dass es von Rodrigo Londoño angeregte parteiinterne Diskussionen dazu gab, ob abgetauchte Mitglieder der Partei, zum Beispiel Jesús Santrich, aus der Partei <a href="http://www.radiosantafe.com/2019/07/15/expulsion-de-santrich-del-partido-farc-se-definira-en-cuatro-meses/">ausgeschlossen werden sollen</a>. Die Strömung um Londoño steht parteiintern dementsprechend für eine ausgeprägte Bürokratisierung und Anpassung an das politische System, was insbesondere von der Parteibasis in den vergangenen Jahren immer wieder scharf kritisiert wurde.</p><p>Dass nun zwei an der Parteibasis äußerst beliebte Führungsfiguren, Márquez und Santrich, den bewaffneten Kampf unter dem ursprünglichen Namen <i>Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo</i> (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) wieder aufnehmen, dürfte die Partei endgültig spalten. Und das vor den bevorstehenden Regionalwahlen am 27. Oktober, an denen sich die Partei zum ersten Mal mit eigenen Kandidat*innen beteiligen will. Neben dem erwartbaren Mitgliederschwund und dem endgültigen Kollaps vieler Wiedereingliederungszonen, wird die verbliebene, legal operierende Partei <i>FARC</i> unter massiven Repressionsdruck geraten. Entsprechend scharf fällt auch das Statement von Rodrigo Londoño und seinen Verbündeten im Vorstand der Partei, etwa von Carlos Antonio Lozada oder Pastor Alape, aus. Londoño stellte <a href="https://caracol.com.co/programa/2019/08/29/6am_hoy_por_hoy/1567077515_016832.html?fbclid=IwAR2iwtWPmP9MhK0vGp8nlu6Yz7B53ZocYQdee2rwkEtcl8RqfC-F73YvTQk">bereits in einem Tweet klar</a>, dass „die übergroße Mehrheit an dem Vereinbarten“ festhalte. Gleichzeitig merkte Lozada an, dass es sich bei der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs um „einen großen Fehler“ handele und ihm das Handeln von Márquez und Santrich so vorkommte, als „(...) gäbe es ihrerseits eine abgebrochene Verbindung mit der Realität, die das Land durchlebt". Pastor Alape wiederum <a href="https://www.facebook.com/PastorAlape">bezeichnet</a> die Wiederbewaffnung als „Abenteuer, das den Gegnern des Friedens zum Vorteil gereicht, die sich heute freuen dürften“.</p><p></p><h3>Die Perspektive: Ein neuer Krieg</h3><p>Der rechte kolumbianische Präsident Iván Duque verfügt mit der gestrigen Erklärung nun über alles propagandistische Rüstzeug, den Friedensprozess seinerseits für gescheitert zu erklären, militärische Offensiven anzuordnen und die dadurch erzeugte politische Stimmung für weitere Schläge gegen das Friedensabkommen zu nutzen. „Hier gab es keinen Frieden, sondern Gnade für einige Verantwortliche für grauenhafte Straftaten zu hohen institutionellen Kosten“, äußerte sich auch schon sein politischer Ziehvater, der rechtsradikale Hardliner Álvaro Uribe Vélez, vergangene Nacht zur Erklärung. Eine politische Erklärung seitens des Präsidenten bleibt zur Stunde noch aus und wird in den kolumbianischen Morgenstunden erwartet. Aller Erwartung nach wird diese ähnlich ausfallen. Es bleibt abzuwarten, wie sich ein mögliches Bündnis zwischen der neuen <i>FARC-EP</i>, der <i>ELN</i> und der <i>FARC-Dissidenz</i> auf die politische Landschaft Kolumbiens auswirken wird. Angesichts der im vergangenen Jahr sich mehrenden politischen Anzeichen des „Zerreißens der Friedensverträge“ (Iván Duque im Wahlkampf 2018), ist jedoch mit einer Rückkehr in die dunkelste Ära der jüngsten kolumbianischen Geschichte zu rechnen.</p><p></p><p></p><hr/><h3><br/><b>Anmerkungen</b></h3><p><b>[1]</b> Bei dem Verweis auf <i>Marquetalia</i> handelt es sich um ein Anknüpfen an den historischen Gründungsmythos der <i>FARC-EP,</i> nach dem die marxistisch-leninistische Guerilla ihren Ursprung in der bäuerlichen Selbstverteidigung gegen eine militärischen Offensive der konservativen Zentralregierung im Bürgerkrieg der <i>la violencia (die Gewalt)</i> im heutigen Verwaltungsbezirk Huíla (Süd-Kolumbien) hat.</p><p></p><p><b>[2]</b> Die <i>PCCC</i> war die politische Struktur der Guerilla <i>FARC-EP</i> unter dem vom kolumbianischen Staat getöteten Ex-Kommandeur der Guerilla Alfonso Cano.</p><p></p><p><i>Die Spenden-Kampagne „Solidarität mit linker Kulturpolitik in Kolumbien!“ sammelt Geld für die Genoss*innen der Linken Kulturgruppe</i> <a href="https://www.facebook.com/RASH.BTA.SEC.OFICIAL/"><i>RASH Bogotá</i></a><i>, die unter den im Artikel genannten prekären Bedingungen linke Kulturarbeit in Kolumbien leistet und dem bolivarianischen Spektrum angehört.</i> <a href="https://www.betterplace.me/kolumbiensoli"><i>Zur Spendenseite geht es hier.</i></a></p></div>
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Kolumbien vor neuem Krieg2019-06-12T15:54:10.202132+00:002019-06-12T16:08:18.808518+00:00Jan Schwabredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/kolumbien-vor-neuem-krieg/
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<div class="rich-text"><p><i>Der Autor sammelt mit der Spenden-Kampagne „Solidarität mit linker Kulturpolitik in Kolumbien!“ Geld für die Genoss*innen der Linken Kulturgruppe </i><a href="https://www.facebook.com/RASH.BTA.SEC.OFICIAL/"><i>RASH Bogotá</i></a><i>, die unter den im Artikel genannten prekären Bedingungen linke Kulturarbeit in Kolumbien leistet und dem bolivarianischen Spektrum angehört.</i> <a href="https://www.betterplace.me/kolumbiensoli"><i>Zur Spendenseite geht es hier.</i></a></p><h3>Ein Friedensprozess am Ende</h3><p>Als der ehemalige kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos im Jahr 2016 die seit 2012 währenden Friedensverhandlungen mit der marxistischen Guerilla <i>Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo</i>, kurz FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) erfolgreich abschloss und diese sich schließlich 2017 demobilisierte, waren die Erwartungen groß. Die <a href="https://www.eltiempo.com/contenido/politica/proceso-de-paz/ARCHIVO/ARCHIVO-16682558-0.pdf">Friedensverträge von Havanna</a> verpflichteten die Regierung faktisch dazu, einen modernen, demokratischen Nationalstaat mit umfangreichen Sozialsystemen aufzubauen. Eine gigantische Herausforderung für eines der <a href="https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/radiografia_de_la_desigualdad.pdf">sozial ungleichsten Länder der Erde</a>. Wirtschaftlich wäre es auf ein keynesianisches Investitionsmodell, insbesondere in den ruralen Regionen, hinausgelaufen. Die <i>Jurisdicción Especial para la Paz</i>, kurz JEP (Sonderjustiz für den Frieden), die seit 2016 eingerichtet wurde, hätte eine sukzessive Aufarbeitung paramilitärischer, mit dem Staat verbundener Morde und Massaker bedeutet. Schließlich hätte die Substitution des Koka-Anbaus durch nachhaltige Agrarwirtschaft und die Neuverteilung von Land über den eigens dafür geschaffenen Fond dem andauernden Drogenkrieg das Fundament entzogen. Kurz: Eine Umsetzung der Verträge von Havanna hätte ein Fundament für einen dauerhaften Frieden darstellen können. Ihnen lag eine Definition von Frieden zu Grunde, die diesen nicht alleine als Zustand der Abwesenheit von physischer Gewalt begriff, sondern vor allem auch die Lösung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts in der politischen und ökonomischen Machtstruktur ins Visier nahm. Das alles hätte jedoch einen Bruch mit dem neokolonialen und militaristischen Bürgerkriegsmodell bedeutet, das aus einem exklusiven Staatsapparat besteht, in dem linke und linksliberale Stimmen marginalisiert und mit paramilitärischem Terror überzogen wurden und werden. Das ist offensichtlich nicht gewollt. Spätestens seit dem Amtsantritt Iván Duques als Präsident im August 2018 wird nichts unversucht gelassen, um Bestimmung für Bestimmung zu revidieren, damit der Friedensprozess und mit ihm die politische Linke des Landes beerdigt werden kann.</p><p></p><h3>Plebiszit und erste Revision</h3><p>Der erste Schlag gegen den Frieden geschah bereits, bevor das Abkommen offiziell unterzeichnet worden war. Mit einer Volksabstimmung sollte die Bevölkerung über die Annahme der Friedensverträge von Havanna entscheiden. Diese Abstimmung durchzuführen war ein explizites <a href="https://amerika21.de/2013/04/82298/volksabstimmung-farc">Anliegen der Regierungsseite</a> und mitnichten der Guerilla, die nur zu gut weiß, dass die Kräfteverhältnisse in den bevölkerungsreichen Zentren des Landes, den Cordilleras, nicht zu ihren Gunsten stehen. <a href="https://lowerclassmag.com/2016/10/07/ein-sieg-der-apathie-und-der-gewalt/">Eine Mischung</a> aus historischem Antikommunismus und rechter Medienmacht, erfolgreichen, hetzerischen Mobilisierungen der Rechten, ebenso wie eine nicht mehr vorhandene Präsenz beziehungsweise Einfluss der Guerilla in den großen Städten des Landes, sowie eine weit verbreitete politische Apathie (Wahlbeteiligung: 37,43%) im Land, führten schließlich zu einer knappen Ablehnung der Friedensverträge im Oktober 2016. In den darauf folgenden Wochen, in denen das Vertragswerk überarbeitet wurde, wurden bereits <a href="https://lowerclassmag.com/2016/11/21/ein-frieden-fuer-wen/">zentrale Revisionen</a> vorgenommen. Dabei wurde unter anderem die Unantastbarkeit des Privateigentums an Land festgeschrieben, was die vorgesehene Umverteilung der in Großgrundbesitzerhänden befindlichen Ländereien an Opfer des bewaffneten Konflikts und/oder Kleinbäuer*innen nachhaltig unterminierte.</p><p></p><h3>Die Verhaftung Jesús Santrichs</h3><p>Zweifellos einer der ausschlaggebendsten Vorfälle und gleichzeitig exemplarisch war die noch von Juan Manuel Santos veranlasste <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">Verhaftung</a> des FARC-Führers und Chefideologen der alten Guerilla Jesús Santrich am 9. April 2018 in dessen Haus in Bogota. Santrich wurde vom US-amerikanischen Dienst <i>Drug Enforcement Administration</i>, kurz DEA (Drogenvollzugsbehörde), vorgeworfen, mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell [1] nach der Zeichnung der Friedensverträge mit Kokain gehandelt zu haben. Da dieser Handel nach der Zeichnung der Verträge erfolgt sein soll, habe Santrich kein Recht auf eine Verhandlung des Falls vor der JEP, so seine Ankläger*innen. Die USA forderten daraufhin seine Auslieferung auf Basis der historischen Auslieferungsgesetzgebung der 1980er Jahre, die aber im Zuge der Implementierung der Körperschaft JEP ausgesetzt wurde – zumindest für solche Delikte während des bewaffneten Konflikts. Beweise gibt es, bis auf ein Telefonat und Bilder eines angeblichen Treffens, die beide von seinem ehemaligen Mitarbeiter Marlon Marín <a href="https://colombiareports.com/marlin-marin-the-dea-informant-who-put-farc-leader-back-behind-bars/">eingefädelt worden waren</a>, keine. Marín ist interessanterweise zwischenzeitlich als Kronzeuge der DEA in den USA wieder aufgetaucht. Die Rechtsregierung unter Duque hält faktisch also einen Kongressabgeordneten (!) der Republik ohne Beweise fest und arbeitete an einer Auslieferung auf Basis einer Gesetzgebung, die für Fälle wie Santrich in den Friedensverträgen explizit ausgesetzt worden war. Zwischenzeitlich attackierte Duque die JEP auch auf dem parlamentarischen Weg, mit dem Ziel, diese de facto auszuhebeln. Das hätte eine reguläre Strafverfolgung aller Guerilleros/as in den Entwaffnungszonen bedeutet. Dieses Szenario wurde nun vorläufig vom <a href="https://amerika21.de/2019/06/227039/santrich-freilassung-kolumbien">Obersten Gerichtshof verhindert</a>. Weiterhin wurde Santrich auf Weisung der JEP gegen den Willen der Staatsanwaltschaft vorläufig auf freien Fuß gesetzt.</p><p></p><h3>Die Rechtsradikalen gewinnen die Wahl</h3><p>Der <a href="https://revoltmag.org/articles/das-ende-von-frieden-und-soziale-gerechtigkeit/">Wahlsieg Iván Duques</a> gegen seinen linken Herausforderer Gustavo Petro im vergangenen Jahr machte allen klar, dass die politischen Weichen in Richtung Scheitern des Friedensprozesses gestellt werden. Duque gab sich in seinem Wahlkampf nicht einmal die Mühe, seine Absichten zu verbergen und verkündete vor Anhänger*innen dann schon mal, dass er die Friedensverträge mit den FARC „zerreißen“ werde. Nach seinem Wahlsieg ließ er zwar verlautbaren, dass er nur noch „Änderungen“ an den Verträgen plane, jedoch merkte der liberale Politiker und ehemalige Chefunterhändler der Regierung Santos, Humberto de la Calle zu Recht an, dass es sich bei diesen angepeilten Veränderungen um eine „Änderung des Wesensgehalts der Verträge“ handele. Bei diesen Wahlen wurde auch deutlich, wie gravierend die Guerillabewegung an Einfluss in den politischen Zentren des Landes eingebüßt und wie stark ihre politische Isolation geworden war. Die nunmehr im November 2017 als legale Partei <i>Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común -</i> FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volks) transformierte Ex-Guerilla konnte über ihre eigene Anhänger*innenschaft hinaus <a href="https://revoltmag.org/articles/eine-niederlage-f%C3%BCr-die-gesamte-kolumbianische-linke/">kaum Stimmen gewinnen</a>. Aufgrund der Bestimmungen in den Friedensverträgen entsendete die neue Linkspartei dennoch fünf Kandidat*innen in Senat wie Abgeordnetenhaus, von denen allerdings nicht alle ihr Mandat aufnahmen.</p><p></p><h3>Das Whitewashing des Staates...</h3><p>Auch auf dem Feld der Aufarbeitung der sozialen Ursachen des bewaffneten Konflikts kam es zum umfassenden Rollback. Nahezu symbolisch für die einseitige Geschichtserzählung vom bewaffneten Konflikt steht die <a href="https://amerika21.de/2019/03/223025/ultrarecher-neuer-leiter-des-cnmh-kolumb">kürzliche Ernennung</a> des Ultra-Rechten Darío Acevedo zum Leiter des <i>Centro Nacional de Memoria Histórica</i>, CNMH (Nationales Zentrum für Historisches Gedächtnis). Acevedo gehört zu jenen „Historikern“, die entgegen dem Forschungsstand zum bewaffneten Konflikt behaupten, dass diesem keine soziale Komponente zu Grunde liege, sondern es sich um einen „Kampf gegen den Terrorismus“ handele. In dieser Erzählung steht ein vermeintlich sauberer Staat einer mit Blut besudelten Guerilla gegenüber, die vollkommen abseits jeder politischen Intention die Bevölkerung mit Drogenhandel und Terror überzogen hätte – eine derzeit bis weit hinein in linke Intellektuellenkreise reichende Annahme.</p><p></p><h3>...und die Fortsetzung des Staatsterrorismus</h3><p>Das Ansteigen der politischen Morde seit Zeichnung der Friedensverträge im Jahr 2016 ist dabei ein besonders düsteres Kapitel des gescheiterten Friedensprozesses. Ein kürzlich unter anderem durch die linke soziale Bewegung <i>Marcha Patriótica</i> und der NGO <i>Instituto de estudios para el desarollo y la paz</i>, INDEPAZ (Institut für Entwicklungs- und Friedensstudien) <a href="http://www.indepaz.org.co/wp-content/uploads/2019/05/SEPARATA-DE-ACTUALIZACIO%CC%81N-mayo-Informe-Todas-las-voces-todos-los-rostros.-23-mayo-de-2019-ok.pdf">herausgegebener Bericht</a> spricht von zwischenzeitlich 702 ermordeten Aktivist*innen und 135 ermordeten Ex-Kämpfer*innen der Guerilla seit Zeichnung der Friedensverträge im Jahr 2016. Mit jährlich steigender Tendenz. Gleichzeitig ging die Regierung nach wie vor bei sämtlichen Gelegenheiten mit massiver Gewalt und unter Inkaufnahme schwerster Verletzungen mit Todesfolge mit der Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD gegen soziale Proteste, etwa im Chocó, oder auch in <a href="https://revoltmag.org/articles/ein-kampf-um-frieden-und-w%C3%BCrde/">der armen Pazifikstadt Buenaventura</a> vor. Die kolumbianische Regierung ist dabei nicht nur als unfähig, sondern vor allem als unwillig zu bezeichnen, was die Bekämpfung des Problems des Paramilitarismus anbelangt. Öffentlich leugnete bereits die vergleichsweise liberale Regierung von Juan Manuel Santos die historischen wie aktuellen und <a href="https://amerika21.de/analyse/152975/paramilitarismus-kolumbien">hinreichend belegten Verbindungen</a> zwischen kolumbianischem Staat und paramilitärischen Gruppen. Mit Iván Duque ist der politische Arm des Paramilitarismus wieder zu Amt und Würden gekommen. Die Haltung der derzeitigen Regierung zu dieser Frage hat kein Politiker besser auf den Punkt bringen können als Álvaro Uribe Velez, Ziehvater des jetzigen Präsidenten Iván Duque und Gründer der ersten paramilitärischen Gruppen, selbst. So schrieb dieser Ex-Präsident Kolumbiens kürzlich über seinen <a href="https://www.eltiempo.com/politica/congreso/sigue-polemica-por-trino-de-alvaro-uribe-sobre-masacre-348022">Twitter Account</a>, dass „wenn eine ruhige Autorität, stark und mit sozialen Kriterien Massaker bedeutet, dann weil auf der Gegenseite mehr Gewalt und Terror herrscht als Protest“. Dieses, die Morde an Aktivist*innen legitimierenden Statement ging anschließend unter dem Hashtag <i>#Masacreconcriteriosocial</i> (#MassakermitsozialemKriterium) viral. Dazu passt dann auch, dass Iván Duque nichts zum Schutz der Menschen tut, aber stattdessen eine Sicherheitspolitik forciert, in der es erneut möglich wird, legale <a href="https://amerika21.de/2019/02/222140/duque-foerdert-legalen-paramilitarismus">paramilitärische Gruppen zu gründen</a>. In den 90er Jahren hatte Álvaro Uribe Velez bereits mit den CONVIVIR eine legale Form des Paramilitarismus in Form von privaten Bürgermilizen geschaffen, die Hand in Hand mit dem Staat gegen die Guerilla und andere Linke vorgingen, um dann später umstandslos in die Kontra-Guerilla der AUC überzugehen.</p><p></p><h3>Der Ausbau des Militär-Regimes</h3><p>Bei nicht wenigen Aktivist*innen für den Friedensprozess war mit den Verträgen von Havanna die Hoffnung verbunden, dass ein dauerhafter Waffenstillstand mit der letzten verbliebenen relevanten Guerilla <i>Ejército de Liberación Nacional</i>, ELN (Nationales Befreiungsheer) folgen könnte und der aufgeblähte kolumbianische Militärapparat damit eingekürzt würde. Real ist auch hier das Gegenteil eingetreten. Hatte Juan Manuel Santos noch vergleichsweise erfolgreiche Friedensverhandlungen mit der ELN geführt, blockierte die Regierung Duque die Verhandlungen zunächst, um sodann die militärische Aggression gegen die letzte verbliebene linke Guerilla zu verstärken. Diese reagierte zu Anfang des Jahres 2019 mit einem Anschlag gegen eine Polizeiakademie in Bogota, was dann endgültig zum Vorwand genommen wurde, den fragilen Friedensprozess zu begraben. Mit diesem Manöver erhielt sich die Regierung Duque einen inneren Feind, um die Aufrechterhaltung der immensen Militärausgaben (drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes) und deren Erhöhung um drei Milliarden US-Dollar (2018) zu rechtfertigen. Bereits seit Santos gilt Kolumbien als <a href="https://amerika21.de/2018/05/202241/kolumbien-globaler-partner-nato">„globaler Partner“ der NATO</a> in Südamerika. Die USA nutzen darüber hinaus nach wie vor <a href="https://www.semana.com/nacion/seguridad/articulo/estados-unidos-utilizara-total-siete-bases-militares-colombia/105908-3">sieben Militärbasen</a> auf kolumbianischem Territorium, insbesondere als Drohung gegen die Linksregierung in Venezuela. Kürzlich wurden in der New York Times fragwürdige Weisungen im kolumbianischen Militär öffentlich gemacht. Die Weisungen sehen Belohnungen von Tötungen von Guerilleros vor und Strafe bei Nicht-Erfüllung des „Solls“. Damit betreibt die Regierung Duque eine ähnliche <a href="https://amerika21.de/2019/05/226575/militaer-foerderung-morde-kolumbien">falso positivo-Militärpolitik</a> wie seinerzeit Álvaro Uribe Velez und dessen damaliger Verteidigungsminister Juan Manuel Santos.</p><p></p><h3>Ein Gezielter Bruch der Verträge</h3><p>Zu den genannten Faktoren und Entwicklungen treten dann noch mangelhafte Umsetzung <a href="https://amerika21.de/2017/03/171162/kolumbien-farc-entwaffnungszon">der Bestimmungen</a> für die <i>Zonas Veredales Transitorias de Normalización</i>, ZVTN (Transitionszonen) nun <i>Espacio Territoriales de Capacitación y Reincorporación</i>, ETCR (Territoriale Orte der Fortbildung und Wiedereingliederung) hinzu. Weiter die <a href="https://amerika21.de/2017/02/171000/farc-gefangene-hungerstreik">fortgesetzte Inhaftierung</a> von politischen Gefangenen der FARC, keine Umsetzung der sozialen Bestimmungen der Friedensverträge, geschweige denn jener zur ruralen Entwicklung, sowie die wieder aufgenommene militärische Vernichtungspolitik von Koka-Plantagen mit krebserregendem Glyphosat statt Substitution und Landentwicklung. War die Regierung unter Juan Manuel Santos noch ambivalent und hielt eine Balance zwischen erfüllten und unerfüllten Bestimmungen, kann man von der Duque-Regierung sagen, dass sie in sämtlichen Bereichen das genaue Gegenteil zu den vereinbarten Verträgen umsetzt. Es wird mehr als deutlich, dass der kolumbianische Staat und seine politische Klasse spätestens seit Iván Duques Präsidentschaft darauf hinarbeiten, die Verträge unwirksam werden zu lassen. Der Friedensprozess wurde einseitig, nämlich durch die Regierungsseite, aufgekündigt, während die ehemalige Guerilla sämtliche Bestimmungen wortgenau umsetzte. Inwieweit eine solche negative Entwicklung <a href="https://revoltmag.org/articles/angriff-auf-den-friedensprozess-kolumbien/">bereits unter Santos</a> absehbar war, ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Fest steht jedoch, dass bereits in der Ära Santos Probleme in der Umsetzung der Bestimmungen auftraten, weil Teile des Staatsapparats sich weigerten, die Bestimmungen adäquat umzusetzen. Weiterhin fällt bereits in die Ära Santos die Verhaftung von Santrich und die Aufkündigung <a href="https://www.elcolombiano.com/opinion/editoriales/termina-el-fast-track-que-sigue-XE7776617">des so genannten Fast Track-Verfahrens</a>, d.h. einer beschleunigten, dekretartigen Beschlussfassung ohne weitere Diskussion in den politischen Kammern. Durch die Aufkündigung des Verfahrens musste Bestimmung für Bestimmung der Friedensverträge erneut durch die Kammern des kolumbianischen politischen Systems diskutiert beziehungsweise beschlossen werden. Es ist also zwar anzunehmen, dass ein liberalerer, nicht mit dem Paramilitarismus verbundener Präsident, weniger aggressiv gegen die Friedensverträge vorgegangen wäre. Allerdings muss zugleich festgehalten werden, dass keine einzige der mit der kolumbianischen Oligarchie verbundenen politischen Parteien – von den Rechten um <i>Centro Democrático</i>,<i> Cambio Radical</i>, <i>Partido Social de Unidad Nacional</i> und <i>Partido Conservador Colombiano</i> bis hin zu den Liberalen um die <i>Partido Liberal Colombiano</i> – ein <a href="https://lowerclassmag.com/2016/08/19/freiheit-frieden-und-soziale-gleichheit-sind-die-parolen-unserer-sache/">Interesse an der wortgenauen Umsetzung</a> der Friedensverträge hat. Diese lesen sich zwar aus einer westlichen Perspektive als moderate, sozialdemokratische Programmatik, bedrohen jedoch in einem System, in dem die politische Linke, inklusive Sozialdemokratie und Gewerkschaften, stets ausgeschlossen und verfolgt wurde, potentiell das traditionelle Herrschaftssystem.</p><p></p><h3>Die Folgen für die bolivarianische Bewegung in Kolumbien</h3><p>Für die bolivarianische Bewegung [2] und insbesondere die neue Linkspartei FARC ergeben sich vor dem Hintergrund dieses Szenarios gravierende Probleme. Zum einen kann festgehalten werden, dass die Stärke des politischen Gegners unterschätzt und die eigene Stärke überschätzt wurde. Die ehemalige Guerilla stellte zu Recht fest, dass eine klar sozialistische Partei im politischen Spektrum des Landes fehlte und gründete demnach eine solche Partei mit vergleichsweise moderatem Programm und eben keine Kommunistische Partei [3]. Als Erfolg kann festgehalten werden, dass diese Partei in den Städten teilweise in der Lage war, insbesondere junge Menschen politisch zu organisieren. Ein Erfolg ist wohl auch, dass es mit Gustavo Petro ein erstmals links stehender Präsidentschaftskandidat in die Stichwahl schaffte mit immerhin 41,77 Prozent der abgegebenen Stimmen. Jedoch haftete der Partei das Stigma des vermeintlichen Hauptschuldigen am bewaffneten Konflikt derart stark an, dass sie nicht nur von ihren politischen Gegnern, sondern auch innerhalb der Linken selbst politisch isoliert wurde. Das Wahlergebnis, aber auch das <a href="https://www.semana.com/nacion/articulo/entrevista-rodrigo-londono-timochenko-como-candidato-de-la-farc/554946">inhaltliche Umkippen</a> des Präsidentschaftskandidaten der FARC Rodrigo Londoño in puncto Venezuela und dann der folgende Abbruch seiner Kandidatur sind Ausdruck dieser politischen Isolation. [4] Die von ihr angestrebte Rolle eines Sammelpunkts einer breiter aufgestellten Linken und der Bewegung für den Frieden wurde ihr von der Wahlbewegung Gustavo Petros, <i>Colombia Humana</i> (Menschliches Kolumbien) abgelaufen.</p><p></p><p>Dieser ausbleibende politische Erfolg wurde begleitet von der Zunahme politischer Morde an der Anhänger*innenschaft der Partei ebenso wie an ihr nahestehenden Aktivist*innen, den zunehmenden Vertragsbrüchen und der symbolischen Verhaftung von Santrich. Gleichzeitig verließen immer mehr demobilisierte Guerillerxs die Entwaffnungszonen in die Anonymität oder zurück in den bewaffneten Kampf. Von 13.049 ursprünglich registrierten Kämpfer*innen sind heute nur noch 3.500 in den ETCR. Die Führung der FARC geriet so nicht nur unter Druck des politischen Gegners, da dieser zunehmend auf die abnehmende Zahl von in den Zonen präsenter Kämpfer*innen verweisen konnte, sondern stand einer unzufriedener werdenden Basis gegenüber, die partiell nicht mehr bereit war, den Friedensprozess unter diesen Bedingungen mitzutragen. So bildeten sich innerhalb der Partei mehrere Flügel aus, die nun zunehmend schärfer miteinander in Konflikt geraten. Zur Zeit lassen sich drei Positionen im bolivarianischen Spektrum feststellen:</p><p></p><p><b>(1)</b> Da wäre der Versuch der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs, an dem insbesondere Gentil Duarte arbeitet. Der ehemalige hochrangige Kommandeur des <i>Bloque Oriental</i> (Östliche Front der FARC-EP) der Guerilla arbeitet seit seinem Untertauchen 2016 an einer Wiedervereinigung der <a href="https://amerika21.de/blog/2019/01/220059/kolumbien-dissidentischen-gruppen-farc">versprengten Restverbände der FARC</a>, die auch die <i>Disidencia</i> genannt werden. Diese versprengten Verbände haben sich unter Führung lokaler Ex-Kommandeure warlordisiert. Partiell kämpfen sie auch weiter unter politischem Banner. Bis dato gibt es noch keinen Einblick in die politische Programmatik der Gruppen. Ein Hinweis jedoch gibt die Aktion von dissidenten Mitgliedern der FARC in der Nationaluniversität in Bogotá im August 2018. Dort hatte eine vermummte und <a href="https://www.youtube.com/watch?v=qYvzUWIrJu0">bewaffnete Miliz eine Kundgebung im traditionellen Stil</a> der Milicias Urbanas (Stadtguerilla der FARC-EP) aus den Zeiten des bewaffneten Konflikts abgehalten. In der Rede wurde der Friedensprozess als gescheitert und die Führung der legalen Partei als „Verräter“ bezeichnet. Parallel dazu zirkulierte ein <a href="http://www.rebelion.org/docs/245447.pdf">16-seitiges Pamphlet</a>, in dem die Reaktivierung der <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano</i>, PCCC (Klandestine Kolumbianische Kommunistische Partei), dem politischen Arm der aufgelösten Guerilla, und die Rückkehr zum Marxismus-Leninismus als Leitlinie gefordert wird.</p><p></p><p><b>(2)</b> Der linke Parteiflügel um Iván Márquez und Jesús Santrich. Diese beziehen in der parteiinternen Auseinandersetzung eine Position der Selbstkritik und der scharfen Kritik am aus ihrer Sicht <a href="https://amerika21.de/2018/10/214602/kolumbien-farc-frieden-abkommen-brief">gescheiterten Friedensprozess</a>. Márquez, der gemeinsam mit anderen Kritiker*innen des Friedensabkommens im Juni 2018 wegen der Verhaftung von Santrich abgetaucht ist, veröffentlichte in regelmäßigen Abständen Schreiben der Selbstkritik an die Parteibasis. Dies trifft auf ein wachsendes Unwohlsein in der Führung der Partei, gilt Márquez als deutlich beliebter und als alter Rivale des Parteichefs Londoño. <a href="https://kolumbieninfo.noblogs.org/post/2019/05/21/an-die-guerilleros-in-den-etcr-und-an-alle-kolumbianer-ivan-marquez/">Sein letztes Schreiben</a> anlässlich des skandalösen Hin und Her um die Entlassung von Santrich bedauerte erneut die vorzeitige Entwaffnung, sprach sich aber zugleich für einen Kampf um den Frieden aus. Welchen Plan Márquez über eine kritische Begleitung des Friedensprozesses hinaus verfolgt, bleibt bislang unklar. Er steht derzeit für eine Position des „Weder-Noch“: Weder ein „Weiter so!“, noch Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfs. Márquez wurde in seiner Haltung durch Jesús Santrich noch vor dessen Entlassung <a href="https://www.pulzo.com/nacion/jesus-santrich-denfendio-ivan-marquez-por-declaraciones-timochenko-PP702886">wie zu erwarten bestärkt</a>, während der Parteivorsitzende Rodrigo Londoño als Vertreter des rechten Parteiflügels sich abwesend zeigte.</p><p></p><p><b>(3)</b> Der rechte Flügel der Partei um den Parteivorsitzenden Rodrigo Londoño will unter allen Umständen am Friedensprozess festhalten und verteidigt den gescheiterten Prozess innerhalb und außerhalb der Partei bedingungslos gegen seine Kritiker*innen. Gleichzeitig wird man den Eindruck nicht los, dass dieser Flügel eine Art Anbiederungspolitik verfolgt. So entschuldigte sich Londoño kürzlich <a href="https://www.kienyke.com/politica/farc-disculpa-rodrigo-londono-espana-camiseta-eta-recibimiento-jesus-santrich">offiziell beim spanischen Staat</a>, da auf dem Video der Entlassung Santrichs ein Unterstützer der Partei mit dem Logo der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ETA aufgetreten war. Die rechte Presselandschaft hatte dieses Symbol anschließend zum Anlass genommen, der Linkspartei die Friedfertigkeit abzusprechen - was angesichts von 135 Toten Parteimitgliedern einer glatten Opfer-Täter-Umkehr gleichkommt. Das Schreiben Márquez’ schließlich provozierte Parteiführer Rodrigo Londoño kürzlich so sehr, dass er im Alleingang und an sämtlichen Parteigremien vorbei dessen Position zu einer <a href="https://twitter.com/TimoFARC">Position für den Krieg</a> (Twitter, 22. Mai 2019) und damit unvereinbar mit der Partei erklärte. Die Folge war ein Aufschrei an der Basis, sowie öffentliche Richtigstellungen und Verurteilungen aus der Führungsriege der Partei. Benedicto González, einer der Kongressabgeordneten der FARC und hochrangiges Mitglied, erklärte die Stellungnahme öffentlich de facto für illegitim und <a href="https://kolumbieninfo.noblogs.org/post/2019/05/26/kritik-an-farc-chef-timochenko/">nicht repräsentativ</a>. Londoño ruderte anschließend zurück und beschwor die Einheit in der Partei.</p><p></p><p>Während Londoño angeschlagen aus der öffentlichen Auseinandersetzung hervorgeht, rumort es innerhalb der Basis der Partei weiter. Zahlreiche Anhänger*innen des linken Flügels haben die Partei bereits verlassen. Besonders opportunistische Anhänger*innen des rechten Flügels sind zur grün-liberalen <i>Partido Verde</i> (Grüne Partei) übergelaufen. Mit weiteren Angriffen der kolumbianischen Regierung um Iván Duque auf das wenige Erreichte im Friedensprozess, insbesondere die JEP, und die legale Partei, ist zu rechnen. Die Situation wird daher für die FARC eher noch prekärer werden. Sollten sich noch mehr Mitglieder der legalen Partei vom Ziel des Friedens abwenden, steht Kolumbien vor einem erneuten bewaffneten Konflikt mit altbekannten Akteur*innen. Wird dahingegen weiter an einem faktisch gescheiterten Friedensprozess festgehalten droht ein Massaker im Ausmaß <a href="https://www.youtube.com/watch?v=AMQng34vHJc">der Auslöschung</a> der FARC-Vorgängerpartei <i>Unión Patriótica (UP)</i> bzw. die Integration als liberale Systempartei. Die politische Verantwortung für dieses jeweilig desaströse Ergebnis des Friedensprozesses hat jedenfalls, wie Jesús Santrich es kürzlich in seiner Botschaft anlässlich seiner Entlassung richtig mitteilte, allein der kolumbianische Staat zu tragen.</p><p></p><h3>Anmerkungen:</h3><p><b>[1]</b> Die DEA stand erwiesenermaßen immer wieder im Bündnis mit Narco-Kartellen. Zuletzt wurde bekannt, dass sie sich mit dem Sinaloa-Kartell gegen die Zetas in Mexiko verbündet hatte. Also genau mit dem Kartell, das nun laut DEA mit Santrich Geschäfte gemacht haben soll. Die Recherche wurde von der mexikanischen Tageszeitung <a href="http://archivo.eluniversal.com.mx/nacion-mexico/2014/impreso/la-guerra-secreta-de-la-dea-en-mexico-212050.html">El Universal öffentlich gemacht</a>.</p><p></p><p><b>[2]</b> Die FARC nennen ihre ideologische Leitlinie Marxismus-Bolivarianismus, das heißt eine Symbiose von Marxismus-Leninismus und der panamerikanischen Ideen des antikolonialen Befreiungskämpfers Simón Bolívar. Auf den Bolivarianismus beziehen sich in Kolumbien viele Organisationen und Strömungen, unter anderem die soziale Bewegung <i>Marcha Patriótica</i>, die politische Partei <i>Unión Patriótica</i>, die <i>Partido Comunista Colombiano (PCC)</i>, die Jugendorganisation <i>Juventud Rebelde</i>, die Guerilla FARC-EP und nun die legale Linkspartei FARC.</p><p></p><p><b>[3]</b> Der politische Arm der FARC-EP war bis zur Gründung der Linkspartei die <i>Partido Comunista Clandestino Colombiano (PCCC)</i>.</p><p></p><p><b>[4]</b> Londoño hatte in dem Interview das Wording der radikalen Rechten in Kolumbien (Castro-Chavismus) zur Beschreibung von Venezuela übernommen und sich davon distanziert. Das hatte noch nicht einmal der gemäßigte Sozialdemokrat Gustavo Petro so geäußert.</p></div>
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Den Krieg gegen die Bevölkerung stoppen2018-02-12T17:36:06.308893+00:002018-02-12T18:02:19.019950+00:00Christopher Altgeldredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/den-krieg-gegen-die-bev%C3%B6lkerung-stoppen/
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<h1>Den Krieg gegen die Bevölkerung stoppen</h1>
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<img alt="Corinto - Angriff auf indigene Bevölkerung 2015" height="420" src="/media/images/Corinto_1_z8v2sBq.a42826d9.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">cric</span>
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<div class="rich-text"><p>Auch über ein Jahr nach Zeichnung des Friedensvertrags
zwischen der marxistischen Guerilla FARC-EP (Revolutionäre Streitkräfte
Kolumbiens - Volksarmee) und der kolumbianischen Regierung um den konservativen
Präsidenten Juan Manuel Santos, gehen in Kolumbien die Morde an sozialen und
politischen Aktivist*innen weiter – Guillermo Cacciatore <a href="https://revoltmag.org/articles/das-morden-kolumbien-geht-weiter/">berichtete</a>.</p>
<p>Allein in der letzten Januarwoche dieses Jahres wurden nun
erneut 13 Aktivist*innen ermordet. Eine Region im südamerikanischen Land, in
der Terror und soziale Säuberungen an der Tagesordnung sind, ist der Norden des
Departamentos Cauca, südlich der Millionenstadt Cali. Besonders betroffen sind
hier die indigenen Gemeinschaften, die sich im Dachverband CRIC (Indigener
Regionalrat von Cauca) zusammengeschlossen haben. Beim nachfolgenden Text
handelt es sich um Auszüge eines kürzlich veröffentlichten Aufrufs der CRIC zur Abwehr
ihrer bedrohten Gebiete. Er gibt Einblick in die drängende Situation der
indigenen Gemeinden und die nachhaltigen Schwierigkeiten im kolumbianischen
Friedensprozess.</p>
<h2>Die
Kontrolle über das
Territorium zurückerlangen,
um den Krieg gegen die Bevölkerung
zu stoppen</h2>
<p>Sorge, Unruhe, Angst. Kolumbien wurde in der vergangenen Woche durch
eine Zunahme von Drohungen, Angriffen, Morden, Attentaten und dem Verschwinden-lassen
[1] von Menschen erschüttert. Die Situation kommt einem Krieg gegen die
Bevölkerung gleich. 13 soziale Aktivist*innen wurden in der letzten
Januarwoche ermordet, darunter drei Indigene, sechs Bäuer*innen, die auf die Rückgabe
ihres Landes klagten [2], zwei afrokolumbianische Aktivist*innen, ein Lehrer
aus dem ländlichen Raum und ein politisch aktiver Minenarbeiter. Drei dieser Morde
wurden von der kolumbianischen Armee verübt, welche zwei der Ermordeten fälschlicherweise
als Mitglieder der Guerilla ELN ausgaben [3]. Die restlichen Morde werden
vorwiegend paramilitärischen Gruppen zugeschrieben: kriminellen Banden,
die mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen, als auch Gruppen, die gezielt
Vertriebenen-Aktivist*innen ermorden, die für die Rückgabe
ihres Landes kämpfen.</p>
<p>Ganz ähnlich ist auch die Situation in den indigenen
Territorien im Norden des Cauca. Dort geht die von uns bereits in der
Vergangenheit angeklagte Gewalt durch bis an die Zähne
bewaffnete Gruppen weiter. In Corinto, wo die Gemeinde noch nicht aufgehört
hat, um ihre Toten zu trauern, verkünden die paramilitärischen Kriegsherren mit einschüchternden
Flugblättern: <img alt="Drohung der Paramilitärs" class="richtext-image left" height="666" src="/media/images/cric-drohung_paramilitar.width-500.jpg" width="500">„Die Stunde der sozialen Säuberung
ist gekommen…Wir haben euch im Blick. Das Urteil und der Tod
werden zur Stunde unserer ersten Jagd kommen. Weitere verfaulte Existenzen müssen
identifiziert werden, aber das wird nicht lange dauern. Wir fangen sehr bald
an. Wir bitten die Gesellschaft um Vergebung falls Unschuldige fallen, aber sie
ist hiermit gewarnt.“</p>
<p> In der Zwischenzeit wurde in den Reservaten „Guadualito
de Santander de Quilichao“ und „Las Delicias en Buenos Aires“ die
höchste Alarmbereitschaft ausgerufen, weil dort in den letzten Monaten verdächtige
Personen gesichtet wurden. In ihrem Communiqué schreibt der Rat der Indigenen:,,Die
traditionellen Autoritäten und die Gemeinschaft konnten nachweisen, dass
es sich bei den Bewaffneten um sogenannte Dissident*innn handelt, die von der
sechsten Front der FARC übriggeblieben sind. [4] Sie versuchen indigenes
Territorium zu übernehmen, um kriminelle Aktivitäten zu
entfalten‘‘. Die indigenen Autoritäten haben ihre Ablehnung aller legalen und
illegalen bewaffneten Gruppen auf ihrem Territorium bekräftigt
und erklärten zur Sicherstellung der territorialen Kontrolle sowie „zum Schutz
der Muttererde“ die höchste Alarmbereitschaft und eine permanente
Versammlung der Bevölkerung.</p>
<p>Die gegenwärtige Situation ist erschreckend. Dieser Schrecken
wird zunehmen, wenn es den indigenen Räten nicht gelingt, die territoriale Kontrolle
wiederzuerlangen, um gemeinsam das Leben und die Forderungen der Bevölkerung
zu verteidigen. Der Rat schreibt: „Wenn es uns nicht gelingt, unsere
Territorien zu kontrollieren, werden die Kriegsherren –
Dissidenten, Legale, Illegale, Drogenparamilitärs, oder wie auch immer
sie sich nennen – am Ende unser Leben kontrollieren. Auch wenn
einige Reservate bereits im Alarmzustand sind und dadurch bereits weiteres Leid
verhindert werden konnte, so reicht dies doch nicht aus. Der Frieden mit dem
Kapital und der vermeintliche Frieden der Herrschenden tötet
weiterhin die Menschen, die unten stehen.</p>
<p>Wir lehnen jede Vertreibung und jeden Mord ab – Sie zielen darauf ab,
die Bewegungen und Prozesse für ein würdiges Leben in Kolumbien zu zerstören.
Angesichts des Terrors der sich uns nähert, rufen wir dazu auf, sich gemeinsam zu
erheben, um uns als Bevölkerung in Widerstand, Autonomie und Leben neu zu
erfinden. Das ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Diesen Weg nicht zu
gehen würde bedeuten, weiter zuzusehen, wie sie uns auslöschen.
Keine weiteren Morde mehr! Völker, macht euch auf den Weg!“</p>
<hr/>
<p>Dieser Beitrag ist eine redigierte <a href="http://www.cric-colombia.org/portal/cauca-urge-control-territorial-frenar-la-guerra-los-pueblos/">Übersetzung
des Communiqués</a>, welches am 1. Februar 2018 vom "Rat der Indigenen im
Cauca" (CRIC) veröffentlicht wurde. Übersetzung und Kontext von Christopher Altgeld.</p><p></p><hr/>
<p><b>Anmerkungen:</b></p>
<p> [1] Das
,,Verschwinden-lassen‘‘ bezeichnet eine von den Geheimdiensten der
faschistischen Militär-Juntas in Südamerika entwickelte Strategie zum
systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung. Dabei werden Betroffene
verschleppt und zumeist an unbekanntem Ort ermordet. Den Familien bleibt oft
Jahrzehnte die Ungewissheit über das Schicksal ihres Verwandten. </p>
<p> [2] Auf Basis der <i>Friedensverträge von Havanna</i> ist die Rückgabe
illegal geraubten Landes vertraglich festgehalten worden. Kolumbien leidet
unter mehreren Millionen Inlandsvertriebenen, die zumeist aufgrund des Terrors paramilitärischer
Milizen, die von Großgrundbesitzern oder multinationalen Konzernen angeheuert
werden, in die Städte fliehen. Aufgrund dieses Terrors ist der Landbesitz in
Kolumbien heute in wenigen Händen konzentriert.</p>
<p> [3] Die sogenannte falsos-positivos-Strategie kam erstmals unter der
Präsidentschaft des rechten ex-Präsidenten Alvaro Uribe Velez und seines
damaligen Verteidigungsministers Juan Manuel Santos ans Tageslicht. Dabei töten
Armeeangehörige Zivilist*innen und geben diese als Angehörige der Guerilla aus,
um Erfolge zu simulieren oder Belohnungen zu erhalten.</p>
<p> [4] Die FARC sind heute offiziell politische Partei. Nicht alle
schlossen sich jedoch der neuen Partei und deren reformorientierte Strategie
an. Einige setzen den bewaffneten Kampf politisch fort und schlossen sich der
ELN an, andere sind zum organisierten Drogenhandel und dem Paramilitarismus
übergelaufen.</p>
<p> Das Titelbild stammt aus dem Jahr 2015 in Corinto. Dort fanden Kämpfen
zwischen paramilitärischen Einheiten und der indigenen Bevölkerung statt. <br/></p></div>
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<img alt="Info-Graphik über die Morde in Cauca" height="322" src="/media/images/cric-grafik.original.jpg" width="644">
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<p>Info-Graphik über die Morde von Rebeldía Contrainformativa</p>
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</figure>
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Das Morden in Kolumbien geht weiter2018-01-07T11:34:57.620663+00:002018-01-11T14:31:31.379514+00:00Guillermo Cacciaroteredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/das-morden-kolumbien-geht-weiter/
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<h1>Das Morden in Kolumbien geht weiter</h1>
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</div>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Die
Friedensverträge von Havanna zwischen der kolumbianischen Regierung
und der ehemaligen marxistischen Guerilla<i>
</i><i>Fuerzas
Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo
</i>(FARC-EP,
deutsch:<i>
</i><i>Revolutionäre
Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee</i>)
wurden am 24. November 2016 in einem zweiten Anlauf gezeichnet.
Seither kommt es zu systematischen Exekutionen von RückkehrerInnen
zu ihren Ländereien, LandarbeiterInnen, die die Substitution von
illegalen Pflanzen [1] unterstützen, kommunalen
Führungspersönlichkeiten und RepräsentantInnen ethnischer Gruppen
oder politischer Organisationen. Diese tragen sich insbesondere in
Gebieten zu, die seit Jahren von den bewaffneten Konfliktparteien
umkämpft waren – etwa im Süden Kolumbiens in der Provinz Nariño.
In der dortigen Stadt Tumaco richteten staatliche militärische
Einheiten am 5. Oktober 2017 ein Massaker an, bei dem neun
LandarbeiterInnen getötet und über 50 weitere zum Teil schwer
verletzt wurden. Entgegen den Verträgen von Havanna setzt die
Regierung nach wie vor auf gewaltsame Räumung von Kokaplantagen
statt ihrer friedlichen Substitution.</p><p>
</p><p>
</p><p>Auch wenn die Anzahl der
Todesfälle je nach Quelle variiert, so lässt sich dennoch mit
Besorgnis feststellen, dass es ein Jahr nach Umsetzungsbeginn der
Verträge zu mindestens 50 Morden kam. Hinzu kommen die nach
UNO-Angaben
127 im Jahr 2016 ermordeten AktivistInnen. Die aktuelle Situation
weckt Erinnerungen an die Vernichtungskampagne, die einsetzte,
nachdem 1984 bereits schon einmal ein Friedensvertrag zwischen der
FARC-EP und der Regierung des damaligen Präsidenten Belisario
Betancur geschlossen worden war. Damals fielen ungefähr 3600
Mitglieder der <i>Union Patriotica</i>
(UP, dt.: Patriotische Union)<i>, </i>einem einstmals legalen
politischen Arm der FARC-EP in den 80er Jahren, den paramilitärischen
Mörderbanden<i> </i>zum Opfer.</p><p>
</p><p>
</p><p>Die derzeitige Regierung
hingegen stellt in Abrede, dass die Morde systematischer Natur sind,
ebenso wie sie überhaupt die Existenz paramilitärischer Gruppen
leugnet. Diese seien seit dem Jahr 2005 unter der Amtszeit des
ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe Velez demobilisiert worden. Seit
diesem Zeitpunkt werden die verbliebenen paramilitärischen Einheiten
offiziell BACRIM
(<i>Bandas Criminales</i>,
also „kriminelle Banden“)<i> </i>genannt. Gleichwohl
behielten diese sowohl die Kontrolle über die Bevölkerung und die
besetzten Gebiete als auch ihre Finanzierung durch illegale
ökonomische Strukturen bei. Letztere bestehen im Wesentlichen aus
dem Eintreiben von Erpressungsgeldern, der Kontrolle über illegalen
Koka-Anbau und Routen, die den kolumbianischen Drogenbaronen zur
Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig wird durch Terror eine
politische Kontrolle etabliert, die sich zum Beispiel darin
ausdrückt, dass die Menschen zur Wahl von erwünschten Kandidaten
gezwungen werden.</p><p>
</p><p>
</p><p>„Es gibt keinen
Paramilitarismus in Kolumbien. Zu sagen, dass es in Kolumbien
Paramilitarismus gibt, würde eine politische Anerkennung
delinquenter organisierter Banden bedeuten“, <a href="http://m.elcolombiano.com/en-colombia-no-hay-paramilitarismo-dice-ministro-de-defensa-luis-carlos-villegas-IX5734390">erklärte
Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas</a> im Januar
2017. Behauptungen wie diese sind es, die die Ermordung von
AktivistInnen zu Einzelfällen verklären. Die Ermordungen sollen der
gewöhnlichen Kriminalität zugerechnet werden und nicht der
Post-Konflikt-Phase. Die Existenz paramilitärischer Gruppen zu
verneinen, ist eine Fassade, mit der die Regierung von Juan Manuel
Santos ein Bild der Ruhe zu vermitteln und ihr Image gegenüber der
nationalen und internationalen Industrie aufzubessern sucht.</p><p>
</p><p>
</p><p>In Wirklichkeit aber
existieren Gruppen in Kolumbien, die den Paramilitarismus für sich
beanspruchen, wie zum Beispiel die<i> Autodefensas Gaitanistas </i>(AGC,
dt.: Gaitanistische Selbestverteidigungskräfte), die<i>
Aguilas Negras </i>(dt.: <i>Schwarze
Adler</i>), die<i> Los
Rastrojos </i>(dt.: <i>Die
Stoppel</i>) usw. Sie
verbreiten Pamphlete mit eindeutigen Drohungen gegenüber linken
AktivistInnen und verhängen Ausgangssperren mit der Ansage, jede/n
zu töten, der/die diese nicht beachtet. Obwohl in den Verträgen von
Havanna vereinbart wurde, diese Gruppen zu bekämpfen, scheinen die
,,Kräfte“ des Staates dazu offensichtlich nicht gewillt zu sein.
Es wird vielmehr deutlich, dass die Regierung damit fortfährt, die
Umsetzung der Friedensverträge zu sabotieren – beginnend bei der
miserablen Infrastruktur der ZVTN
(<i>Transitionszonen</i>)
[2], ebenso wie in der mangelhaften Umsetzung des Amnestiegesetzes,
das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und das über 3000
Inhaftierten der FARC-EP
zugute kommen müsste. Unterdessen haben die ehemaligen FARC-EP
KämpferInnen die Abmachungen eingehalten: Sie gaben ihre Waffen an
die UNO ab und stellten der
kolumbianischen Regierung ihre finanziellen Mittel im August diesen
Jahres zur Verfügung. Diese Mittel wurden seitens der
kolumbianischen Regierung genutzt, um allein die Opfer des
bewaffneten Konflikts zu entschädigen, die aufgrund von Aktivitäten
der FARC-EP während des bewaffneten Konflikts zu Schaden kamen.</p><p>
</p><p>
</p><p>Wir sehen uns im
Friedensprozess der politischen Opposition des<i> Centro Democratico</i>
(dt.: Demokratisches Zentrum) [3] gegenüber, die von
Ex-Präsident Alvaro Uribe Velez geführt wird. Die CD hat zum Ziel,
den Frieden in Kolumbien zu sabotieren – sie manipuliert dafür
gezielt die öffentliche Meinung und belügt die Bevölkerung, um
diese gegen die Friedensverträge, über die im Plebiszit vom 2.
Oktober vergangenen Jahres abgestimmt wurde, aufzubringen. So sehen
wir uns in Kolumbien einer neuen Stufe der Gewalt gegenüber, die
sich insbesondere in den Kämpfen um die Kontrolle der ehemals von
den FARC-EP kontrollierten
Gebieten ausdrückt.</p><p>
</p><p>
</p><p>Im Jahr 2018 stehen in
Kolumbien die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Es wird dringend
erforderlich sein, dass dann eine Regierung zustande kommt, die die
Verträge respektiert und adäquat umsetzt. Das ist die Voraussetzung
dafür, wenn wir unsere Geschichte nicht wiederholen und mit dem
Blutvergießen von Jugendlichen, ArbeiterInnen und BäuerInnen in
unserem Land fortfahren wollen.</p><hr/><p>
</p><p><b>Guillermo Cacciatore
ist Aktivist bei RASH Bogotá.</b></p><p>
</p><p>
</p><p><b>Aus dem Spanischen ins
Deutsche übersetzt von Jan Schwab.</b></p><p>
</p><hr/><p><b>Anmerkungen:</b></p><p>
</p><p>
</p><p><b>[1] </b>In
den Friedensverträgen wurde die Neubepflanzung von illegalen
Kokaplantagen festgehalten. Damit soll verhindert werden, dass arme
LandarbeiterInnen, die bislang mit dem Anbau von Koka Geld verdient
haben, ihre Existenzgrundlage verlieren.
</p><p>
</p><p>
</p><p><b>[2] </b>Die ZVTN sind
die in den Verträgen von Havvana vereinbarten Sammlungs-,
Entwaffnungs- und Inkorporationslager, in denen die FARC-EP
Guerilleros/as zur Zeit leben.</p><p>
</p><p>
</p><p><b>[3] </b>Das<i> Centro
Democratico</i> ist eine einflussreiche rechtsradikale Partei, die
eng mit dem heimischen Kapital, dem Großgrundbesitz, sowie dem
Paramilitarismus verbunden ist. Ihr Führer und Ex-Präsident Alvaro
Uribe Velez ist tonangebende Figur in Mobilisierungen gegen den
Friedensprozess.</p></div>
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