re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=1952020-12-22T16:33:34.427315+00:00Unterstützt die Spendenkampagne "Lila Solidarität!"2020-12-22T14:23:03.436625+00:002020-12-22T16:33:34.427315+00:00Johanna Bröseredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/unterst%C3%BCtzt-die-spendenkampagne-lila-solidarit%C3%A4t/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>Unterstützt die Spendenkampagne "Lila Solidarität!"</h1>
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<img alt="1. FLORMAR RESISTENCE 1 (136th day).jpg" height="420" src="/media/images/1._FLORMAR_RESISTENCE_1_136th.74caa247.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">mor dayanışma</span>
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<div class="rich-text"><p><i>Mor Dayanışma</i> ist eine arbeitskämpferische Frauenselbstorganisation, die sich in Vierteln, an den Arbeitsplätzen und in den Häusern mit den Problemlagen von Frauen auseinandersetzt. Die feministische Struktur hat derzeit große finanzielle Schwierigkeiten und läuft damit auch Gefahr, ihre Stadtteiltreffs zu verlieren. Die sind aber ein sehr wichtiger Bezugspunkt für die Frauen*, auch und gerade in Covid-19-Zeiten. Daher ist unsere Solidarität dringend nötig!</p><p>Nach einem intensiven Austausch mit den Genossinnen in der Türkei haben wir uns an das <i>LabourNet Germany</i> gewandt und um Unterstützung für eine Spendenkampagne gebeten. Die großartigen Genoss:innen haben sich sofort solidarisch gezeigt und mit uns gemeinsam die „Spendenkampagne ‚Lila Solidarität“ auf den Weg gebracht. Wenn ihr also ein paar Euro für internationale Soli-Arbeit übrig habt, klickt auf die Kampagnen-Seite oder scrollt zum Ende dieses Artikels für die Kontodaten.</p><p></p><hr/><p><a href="https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/spendenkampagne-lila-solidaritaet-labournet-germany-und-das-revolt-magazine-rufen-zu-spenden-fuer-die-basisaktivistinnen-von-mor-dayanisma-in-der-tuerkei-auf/">[Spendenkampagne „Lila Solidarität“]</a><br/> <i>LabourNet Germany und das re:volt magazine rufen zu Spenden für die Basisaktivistinnen von Mor Dayanısma in der Türkei auf“ !</i></p><hr/><p></p><h2>Warum die Kampagne nötig ist</h2><p>Die Organisation <a href="https://mordayanisma.org">Mor Dayanışma</a> lebt von einmaligen oder regelmäßigen Spenden, eine staatliche Unterstützung existiert nicht und ist auch politisch nicht gewollt. In der Türkei trifft die Covid-19-Krise auf eine ganze Reihe weiterer sozialer Antagonismen <a href="https://revoltmag.org/articles/virus-als-katalysator/">und verstärkt diese</a>: Das betrifft die schwelende Wirtschaftskrise samt rasanter Inflation sowie die autoritären Konsolidierungsversuche Erdoğans ebenso wie die immer wieder aufflammenden Widerstände im Kontext von Chauvinismus und (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen*. Die Arbeitslosenquote von Frauen <a href="https://elyazmalari.com/2020/04/11/kayda-gecsin-covid-19-ile-kadinlarin-sirtina-yuklenen-ev-ve-bakim-emegi/">stieg</a> schon vor der Corona-Pandemie in fünf Jahren um 52 Prozent und erreichte 2019 16,6 Prozent (das bedeutet über 1 755 000 Frauen ohne Einkommen durch Lohnarbeit). Knapp drei Millionen Frauen arbeiteten derweil mehr als 45 Stunden pro Woche, 34,4 Prozent dieser Frauen waren informell beschäftigt.</p></div>
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<img alt="2. VIP RESISTENCE 2.jpg" height="720" src="/media/images/2._VIP_RESISTENCE_2.original.jpg" width="960">
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<p>Unterstützung des Protests von Textilarbeiterinnen, die vom Unternehmen VIP im Jahr 2019 entlassen wurden, weil sie Mitglied einer Gewerkschaft geworden sind.</p>
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<div class="rich-text"><p>Und nun, wie überall auf der Welt, haben die Frauen* in der Türkei auch im Zuge der Corona-Krise die meisten Einkommensverluste und die größte Zunahme von Care-Arbeit zu verbuchen. Für die Arbeiterinnen* in den Fabriken und auch im privaten Sektor, in Geschäften und kleinen Betrieben, gibt es viele Probleme in Bezug auf Mobbing und sexuelle Belästigung. Hinzu kommt der Mangel an notwendigen Hygienemaßnahmen an den Arbeitsplätzen; die fortgesetzte Arbeit in Menschenmengen, lange Arbeitszeiten, ungesicherte Arbeit, zunehmende Nachtschichten, Lohnkürzungen und Gefahr von Kündigungen setzen den Frauen zu. In einem <a href="https://mordayanisma.org/2020/09/20/3368/">aktuell veröffentlichten Survey</a> der Organisation wurde das Ausmaß der Hoffnungslosigkeit deutlich, die Frauen ohne ein aktuelles Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich in Bezug auf ein Auskommen und eine ausreichend bezahlte Lohnarbeit artikulieren: Nur 35 Prozent suchen überhaupt noch nach einer Arbeit. Aufschlussreich sind dabei die Notizen, welche die befragten Frauen im Survey-Abschnitt "Was Sie hinzufügen möchten" geschrieben haben: "Ich habe keinen Ort, an den ich gehen kann, ich habe keine Beschäftigungsmöglichkeiten", "Schutzräume sollten vermehrt werden", "Schutzräume und rechtliche Unterstützung sind für Frauen von entscheidender Bedeutung" und ähnliches. Die Sätze zeigen die Reaktionen der Frauen über das hoffnungslose Klima im Land und ihre Suche nach Lösungen angesichts multipler Problemlagen, die mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten verflochten sind.</p><p>Mor Dayanışma arbeitet immer wieder mit Frauenplattformen und Initiativen, wie <i>Barkod</i>-Kadın Dayanışma Ağı, der Arbeiter*innenorganisation <i>Ekmek ve Onur</i> oder Basisinitiativen wie <i>#İşçilerBirlikteGüçlü</i> (Arbeiter*innen sind gemeinsam stark) zusammen, um den Frauen* in ihren ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zur Seite zu stehen und gemeinsam dagegen zu kämpfen. Hierzu unterstützen die Frauen* beispielsweise Streiks der Arbeiterinnen* vor den Fabriktoren oder führen Informationsveranstaltungen zu Arbeitsthemen durch.</p><p>Die Treffpunkte von Mor Dayanışma sind inmitten der Viertel angesiedelt, in denen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Armut und schlechter gesundheitlicher Versorgung leben. Die Dynamiken der Krise betreffen damit die Frauen*, die sich bei Mor Dayanışma treffen, in besonderem Maße - und zwar in allen Bereichen des Lebens. Sie benötigen dringend diese Orte des Austauschs, der Organisierung und der kollektiven Herstellung von Handlungsfähigkeit, die sie sich selbst mit so viel Herzblut und Arbeit aufgebaut haben.</p></div>
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<img alt="4. #WeArentSafe Campaign Brochure.jpg" height="720" src="/media/images/4._WeArentSafe_Campaign_Brochure.original.jpg" width="960">
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<p>Mor Dayanışma-Mitglied Basar in einer Nachbarschaft beim Verteilen der "Wir sind nicht sicher"-Kampagnenbroschüre.</p>
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<div class="rich-text"><p>Mor Dayanışma wurde 2014 im Geist der Gezi-Proteste in der Türkei gegründet. Seither gibt es Stadtteil- und Regionalstrukturen der Organisation von Edirne bis Şırnak, von Istanbul bis Hatay. Im Laufe der Zeit entstanden in vielen Städten Zentren und Orte der Zusammenkunft, in denen sich Frauen* weiterbilden, politisch aktiv werden und sich gemeinsam gegen das patriarchale kapitalistische System zur Wehr setzen, welches eine ganz <a href="https://elyazmalari.com/2020/12/02/siddet-fasizm-ve-devlt-ucgeninde-kadinlar-cemile-baklaci/">besondere Herrschaft über</a> die Arbeit, Identität und Körper von Frauen* ausübt. Die Frauen* treffen sich für kostenlose Fortbildungen, etwa, was Arbeitsschutz und gesundheitliche Vorsorge angeht; sie können über die Basis-Organisation anwaltliche, gewerkschaftliche oder psychologische Unterstützung finden, oder gemeinsam Schmuck und Handwerkskunst herstellen, welches ihnen ein eigenes oder zusätzliches Auskommen ermöglicht. In Zeiten der Pandemie wurde die Unterstützung teilweise umorganisiert, um die Frauen in der Pandemie zu erreichen. Die Harekete Geç (Komm' in Bewegung) -Kampagne entstand zu einer Zeit, als die Verletzungen von Frauenrechten unglaublich zahlreich waren, und entwickelte sich dann zum Güvende Değiliz (Wir sind nicht sicher) - Prozess. Als Ergebnis dieser Kampagne wurde im September 2020 die oben aufgeführte Umfragestudie veröffentlicht, die mit 1497 Frauen aus 76 Provinzen durchgeführt wurde.</p><p>Aus basisgewerkschaftlicher Perspektive ist zentral, dass durch die Netzwerke der Frauen* untereinander die Möglichkeit von Arbeitskämpfen diskutiert und kollektiv nach Lösungen gesucht werden. Dadurch erfahren die Frauen das Gefühl der Selbstwirksamkeit und fangen an, sich auch in politischen und gewerkschaftlichen Kontexten zu organisieren. Das ist insbesondere deshalb so wichtig, weil viele der Frauen* bei Mor Dayanışma informell beschäftigt und somit von vielen institutionell verankerten Rechten ausgeschlossen sind. Mor Dayanışma ist dafür auch mit anderen Basisorganisationen verknüpft und versucht, in den Medien (etwa durch kontinuierliche Präsenz in den Sozialen Medien sowie zahlreichen Online-Angeboten der Mitglieder) und auf der Straße mit ihrer feministischen Arbeit aktiv zu sein.</p><p></p><hr/><p><b>Solidaritätsbotschaft von İrem Kayıkcı, Sprecherin von Mor Dayanışma in Istanbul:</b></p><p><i>Liebe Freundinnen und Freunde,</i></p><p><i>inmitten der pandemischen Entwicklung in der Türkei, in der Gewalt gegen Frauen*, Rechtsverletzungen und wirtschaftliche Ausbeutung von Frauen zunehmen, bin ich dankbar für eure Unterstützung. Wir versuchen, uns überall Gehör zu verschaffen, von den Stadtvierteln bis zu den Fabriken, und kämpfen für Frauen, die in vielen verschiedenen Arbeitsbereichen und Haushalten unterschiedlichen Formen der Ausbeutung ausgesetzt sind. Ihre Unterstützung wird uns helfen, uns weiter zu organisieren und den Kampf für die Befreiung der Frauen weiter zu stärken.</i></p><p><i>Mit meinen aufrichtigen Wünschen und meiner Solidarität,</i></p><p><i>İrem Kayıkçı</i></p><hr/><p></p><p><i>LabourNet Germany,</i> das<i> re:volt magazine</i> und viele andere Unterstützer*innen rufen zu Spenden für <b>Mor Dayanışma</b> auf:</p><p>Spendenkonto: Labournet e.V.:<br/>IBAN DE 76430609674033739600<br/>BIC: GENODEM1GLS<br/>Verwendungszweck “Lila Solidarität”<br/>(für eine e-mail an verein@labournet.de samt Adresse kann eine Spendenquittung ausgestellt werden)</p><p></p></div>
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<img alt="3. #MoveOn Campaign (Against Femicide and Abuse of Women Rights).jpg" height="540" src="/media/images/3._MoveOn_Campaign_Against_Femicide_and_Abuse_o.original.jpg" width="960">
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<p>Das Bild zeigt eine Fahrraddemonstration, um die Kampagne Harekete Geç (Komm' in Bewegung) sichtbar zu machen.</p>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
<p>Copyright © 2017 re:volt magazine Redaktion - Einige Rechte vorbehalten</p>
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Arbeiten in Zeiten des Coronavirus2020-03-13T19:36:19.140165+00:002020-03-13T19:56:46.035318+00:00Maurizio Coppolaredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/arbeiten-zeiten-des-coronavirus/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>Arbeiten in Zeiten des Coronavirus</h1>
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<img alt="Die Basisgewerkschaft USB" height="420" src="/media/images/italien-gewerkschaft_C6S8uwS.2e16d0ba.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
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<div class="rich-text"><p>Seit dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie hat die italienische Regierung in den letzten 20 Tagen fast <a href="https://www.ilsole24ore.com/art/coronavirus-provvedimenti-pioggia-media-al-giorno-ADjpVHC">täglich eine Verordnung</a> erlassen. Diese Dekrete führen „dringliche Maßnahmen zum Schutz gegen die Ansteckung auf das ganze nationale Gebiet“ ein. In der Verordnung vom 5. März wurde zuerst einmal die Region Lombardei und weitere 14 Provinzen Norditaliens zur „roten Zone“ deklariert, in denen die über 16 Millionen wohnhaften Menschen nur noch für die Arbeit und für den Einkauf ihr Haus verlassen durften. Am 9. März wurde der Ausnahmezustand in ganz Italien ausgerufen und die Sperrzone auf alle 21 Regionen ausgeweitet. Tatsächlich sind seither alle Schulen Italiens geschlossen, in vielen Städten schließen zahlreiche Läden schon um 18 Uhr. Doch zahlreich sind die gemeldeten Verstöße gegen die Maßnahmen: Die nötige Sicherheitsdistanz von einem Meter zwischen den Personen wurde nicht respektiert, einige Bars blieben bis nach 18 Uhr geöffnet und viele Jugendlichen versammelten sich in hoher Zahl auf den Straßen.</p><p>Angesichts dieser Tatsache trat am 11. März Premierminister Giuseppe Conte erneut vor die Medien und kündigte eine weitere Verschärfung der Maßnahmen an. In der Ansprache sagte er kurz und prägnant: „Alle ökonomischen Aktivitäten und Geschäfte bleiben vorübergehend und mindestens bis zum 25. März geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelläden und Apotheken. Somit garantieren wir weiterhin den Zugang zu den lebensnotwendigen Produkten.“ <a href="https://jacobinitalia.it/tutti-a-casa-tranne-gli-operai/"><i>Tutti a casa</i></a><i> –</i> alle zu Hause bleiben, heißt es also. Ist das der Weg, um der Verbreitung des Virus endlich einen Riegel vorzuschieben? Und können auch wirklich alle zu Hause bleiben?</p><h2><b>Alle zu Hause, außer die Arbeiter*innen</b></h2><p>Eine genauere Analyse des letzten <a href="http://www.governo.it/it/articolo/coronavirus-conte-firma-il-dpcm-11-marzo-2020/14299">Verordnungstextes</a> zeigt indes, dass nicht nur Lebensmittelläden und Apotheken offen bleiben, sondern praktisch der komplette Produktionsapparat des Landes weiter funktionieren soll. Ausgeschlossen bleiben nur der Detailverkauf, die Gastronomie (etwa Bars, Pubs, Restaurants, Eisstände, Konditoreien) und die personenbezogenen Dienstleistungen (darunter fallen Friseur*innen, Barbier, Kosmetiker*innen). Weitergearbeitet werden soll „mit Respekt der Hygienevorschriften“ (selbstverständlich!) in der Essenslieferung, in den Banken und Finanzinstituten, bei den Versicherungen und der Post sowie auch in der Landwirtschaft, der Viehzucht und der ganzen Produktionskette von Lebensmitteln (von der Verarbeitung von Agrarprodukten, bis zu den Waren- und Dienstleistungszulieferern des Sektors).</p><p>Was die produktiven Aktivitäten betrifft, empfiehlt die italienische Regierung die Anwendung von Hausarbeit, die Vorverlegung von Urlaub (was einem Zwang zum Urlaub und daher zur Arbeit in Urlaubszeit gleichkommt!), den Rückgriff auf die in den Tarifverträgen vorgesehenen sozialen Maßnahmen (schwammig genug!) und die Einführung von Maßnahmen zum Gesundheitsschutz (fixer Arbeitsplatz, Verteilung von Atemschutzmasken und Handschuhen, regelmäßige Reinigung und Desinfektion des Arbeitsortes und so weiter). Es bleibt aber bei Empfehlungen, es sind keine Anordnungen.</p><h2><b>Die produktive Kontinuität sichern</b></h2><p>Mit dieser dringlichen Verordnung versucht die italienische Regierung einen unmöglichen Balanceakt: Auf der einen Seite geht es darum, die Bewegungsfreiheit der Menschen massiv zu beschränken, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen; auf der anderen Seite hingegen darum, den Bedürfnissen der sich schon vor dem Ausbruch des Virus in eine Krise zusteuernden Unternehmen nachzukommen. Diese hatten sich in den letzten Tagen sehr oft zum Einfluss des Coronavirus auf den <a href="https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/7969896b-en.pdf?expires=1584052604&id=id&accname=guest&checksum=EF8A0B9A28FEA179B0ECEBD2438A652B">Gang der Wirtschaft</a> geäußert und stets die Weiterführung der Produktion gefordert, trotz <a href="http://www.protezionecivile.gov.it/media-comunicazione/comunicati-stampa/dettaglio/-/asset_publisher/default/content/coronavirus-sono-12-839-i-positivi">exponentiellem Anstieg</a> der vom Virus betroffenen Fälle. „Selbstregulierung und produktive Kontinuität ist die vom Unternehmensverband Confindustria empfohlene Weg“ ist in ihrer Zeitung <i>Il Sole 24 Ore</i> zu lesen. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit sei es „unerlässlich, die Betriebe offen zu halten und der produktiven Aktivität und dem freien Warenverkehr Kontinuität zu geben. Die Produktionsketten heute zu unterbrechen würde bedeuten, Marktanteile zu verlieren und exportorientierte Betriebe zu schließen.“ Dies wiederum sei, so die Kommentatorin der Zeitung, Nicoletta Picchio, „ein Signal fehlender produktiver Fähigkeit für das Ausland, die kurzfristig kaum aufzuholen ist. Der Produktionsunterbruch wäre ein schlimmer Fehler, das würde unser Tod bedeuten.“ Sie sieht die Geier schon über ihnen kreisen: „Unsere Konkurrenten greifen uns an, sie sind bereit, diese Momente der Schwäche auszunutzen.“ <b>[1]</b></p><h2><b>Arbeit statt Gesundheit?</b></h2><p>In Italien wird also weiter produziert. Wie sieht es nun aber derzeit in den „verborgenen Stätten der Produktion“ aus? Eine besondere Aufmerksamkeit gilt zunächst einmal den Gesundheitsarbeiter*innen. Seit dem Ausbruch des Virus werden in TV und Presse ihre „Held*innengeschichten“ tagtäglich erzählt: Arbeitstage von bis zu 18 Stunden, keine Ruhetage, konstant den Gefahren der Ansteckung ausgesetzt. Doch die Gesundheitsarbeiter*innen selbst lehnen diese Held*innengeschichten ab. Sie sagen, es gehe nicht darum, die individuelle Anstrengung der einzelnen Arbeiter*innen hervorzuheben, sondern auf die systemischen Mängel des italienischen Gesundheitssystems – <a href="https://www.gimbe.org/pagine/1229/it/report-72019-il-definanziamento-20102019-del-ssn">Unterfinanzierung und Umstrukturierung</a> – hinzuweisen, die dazu führten, dass in Zeiten des Ausnahmezustandes die Gesundheitsarbeiter*innen fast übermenschliche Anstrengungen an den Tag legen müssen. Sie berichten auch davon, dass es konstant an individuellen Schutzvorkehrungen [sogenannte „dpi“, <i>dispositivi di protezione individuale</i>] mangelt, dass die Intensivstationen total überbelegt sind und somit andere Krankenhausbereiche auf Kosten anderer Patient*innen zu Intensivstationen umgewandelt werden müssen, dass ständig Ärzt*innen und Pfleger*innen fehlen, so dass in einigen Fällen <a href="https://espresso.repubblica.it/attualita/2020/03/11/news/coronavirus-reclutati-gli-studenti-infermieri-siamo-senza-protezioni-tutele-assicurazione-1.345488?ref=HEF_RULLO">Medizinstudierende rekrutiert</a> werden, um diese Lücken zu füllen und so weiter.</p><p>Die Prekarisierung des Arbeitsalltages betrifft jedoch nicht nur Gesundheitsarbeiter*innen in den Krankenhäusern. Confindustria behauptet zwar, dass „Fabriken zurzeit die sichersten Orte sind, weil Präventivmaßnahmen getroffen wurden“, doch die Arbeiter*innen sehen das anders <b>[2]</b>: „<a href="https://www.la7.it/laria-che-tira/video/coronavirus-lo-sfogo-degli-operai-per-conte-il-virus-si-ferma-davanti-ai-cancelli-delle-fabbriche-si-12-03-2020-312852?fbclid=IwAR2h9ObV6diKkDvONAhF1_3b41XSLdK0S4_8zkE_cCqIV3_Z_R6MLzjbBM8">Der Coronavirus macht nicht vor den Fabriktoren halt</a>“, bringt es eine Arbeiterin auf den Punkt. In vielen Sektoren der Produktion ist die Arbeit trotz Lahmlegung des restlichen Landes intensiviert worden. In gewissen Betrieben der Logistikbranche stiegen die Auftragszahlen massiv, wie beispielsweise bei Amazon. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Menschen gezwungen sind, zu Hause zu bleiben und daher mehr Zeit für den Konsum haben. Amazon hält sich jedoch weder an die Betriebshygiene, noch hat der Konzern den Arbeiter*innen individuelle Schutzvorkehrungen garantiert. Erst nachdem <a href="http://www.ansa.it/piemonte/notizie/2020/03/11/coronavirus-positivo-dipendente-amazon-in-piemonte_55d8c86c-ed14-4e8f-a009-95c021eff37a.html">ein Fall von Coronavirus im Lager von Torrazza Piemonte</a> aufgedeckt wurde, wurde der Betrieb gereinigt und desinfiziert und einige Arbeiter*innen in Quarantäne gestellt.</p><p>Auch in vielen Call Center wird mehr gearbeitet als zuvor, vor allem in Betrieben, die Aufträge von öffentlichen Institutionen übernommen haben und während diesen Zeiten zusätzliche Hotline-Dienste anbieten. In einem Call Center in Napoli wurden einige Maßnahmen getroffen (die Zuweisung eines fixen Computers, Sicherheitsdistanz von einem Meter), andere hingegen nicht (fehlende Seife und Desinfektionsmittel in den WCs). Manche Maßnahmen grenzen ans Absurde, wie beispielsweise die Aufforderung, Kaffeeautomaten auszuschalten, um „unnötige Menschenansammlungen zu vermeiden.“ Die Betriebsleitung des Call Center lehnt weiterhin den Vorschlag der Hausarbeit ab; die Arbeiter*innen sind aufgrund der zusätzlichen Dienste hingegen gezwungen, Überstunden zu leisten.</p><p>Kaum eine Stimme haben diejenigen, die ohne Vertrag, irregulär und daher ohne Sozialversicherungsschutz arbeiten: Care-Arbeiter*innen müssen aus Angst vor einer Ansteckung zu Hause bleiben, vor allem diejenigen, die mit alten Menschen arbeiten; (Schein-)Selbständige sind nicht erwerbslosenversichert und riskieren nun einen längeren Lohnausfall, falls <i>smart working</i> nicht umsetzbar ist; junge Arbeiter*innen ohne Vertrag, die in Bars, Restaurants oder anderen „Zuliefererbetrieben“ des Tourismus (vor allem in den Städten) tätig sind, wurden aufgrund der Verordnung von einem Tag auf den anderen entlassen und sind nun ohne Job. Für diese Sektoren sehen die Verordnungen der Regierung bis heute keine Lösungen vor.</p><h2><b>Widerstand formiert sich</b></h2><p>Immer mehr Arbeiter*innen akzeptieren diese mangelnden gesundheitlichen und sozialen Sicherheitsvorkehrungen jedoch nicht und beginnen zu streiken. Zahlreich sind die Beispiele der landesweiten Arbeitsniederlegungen, vor allem in der <a href="https://contropiano.org/news/politica-news/2020/03/11/bartolini-fca-ikea-scioperi-spontanei-la-sicurezza-prima-del-profitto-0125077">Logistikbranche</a> und in den <a href="https://torino.repubblica.it/cronaca/2020/03/12/news/scioperi_spontanei_in_piemonte_contro_le_fabbriche_aperte_regole_di_sicurezza_non_rispettate_-251052173/">Regionen</a>, in denen der Virus schon weit verbreitet ist. In einigen Fällen geht es aber auch um weit mehr als um Gesundheitsschutz. Die <a href="https://twitter.com/Mau_Ri_83/status/1238085207338729472?s=20">Arbeiter*innen der Luxuskleiderfabrik Corneliani in Mantova</a> fordern nicht nur die Einhaltung jeglicher Schutzmaßnahmen in der Produktion, sondern auch die vorübergehende Schließung der Produktion von nicht lebensnotwendigen Gütern. Dem Interesse der Confindustria, die Produktion um jeden Preis – vor allem um den der Gesundheit der Arbeiter*innen – weiterzuführen, setzen die spontanen Proteste der Arbeiter*innen eine Grenze.</p><p>Von den großen Gewerkschaftsverbänden CGIL, CISL und UIL ist in diesen Tagen indes weit weniger zu hören als vom Unternehmensverband. Die drei Maschinen- und Metallindustriegewerkschaften Fiom, Fim und Uilm rennen den Protesten der Arbeiter*innen regelrecht hinterher und verlangen die <a href="https://www.fiom-cgil.it/net/index.php/comunicazione/stampa-e-relazioni-esterne/7328-le-fabbriche-si-fermino-fino-a-domenica-22-marzo-per-applicare-le-misure-sanitarie-di-contrasto-al-covid-19">Schließung der Fabriken</a> bis zum 22. März, „um alle Arbeitsplätze zu sanieren, zu sichern und neu zu organisieren.“ Die Basisgewerkschaften fordern hingegen mehr: Die USB ruft zu einem <a href="https://www.usb.it/leggi-notizia/coronavirus-usb-proclama-32-ore-di-sciopero-nei-settori-industriali-non-essenziali-fermare-le-fabbriche-garantire-la-salute-e-il-salario-1232.html">32-stündigen Streik</a> auf und fordert die „vorübergehende Unterbrechung aller industriellen Aktivitäten, mit Ausnahme derjenigen, die eng mit dem Kampf gegen die Pandemie verbunden sind.“ Der SI Cobas schließlich ruft zu <a href="http://sicobas.org/2020/03/11/italia-stato-di-agitazione-nazionale-su-tutte-le-categorie-coronavirus-situazione-insostenibile-in-migliaia-di-aziende/">sofortigen italienweiten Mobilisierungen und Arbeitsniederlegungen</a> in allen Kategorien aus und fordert die Einberufung eines Verhandlungstisches mit der Regierung und dem Arbeitsministeriums.</p><p>Die Krise des Coronavirus hat also den Interessenskonflikt zwischen Profitmaximierung seitens der Unternehmen und dem Gesundheitsschutz und der Jobgarantie seitens der Arbeiter*innen entblößt und verschärft. Der Gang der Arbeitsproteste bleibt offen, sicher ist nur eines: Die Arbeiter*innen haben es satt, die Krise sowohl mit ihrer Gesundheit als auch mit der Arbeitsplatzsicherheit und dem sozialen Schutz bezahlen zu müssen. Es ist anzunehmen, dass die Arbeitskonflikte den Coronavirus bei weitem überleben werden.</p><hr/><h2><b>Anmerkungen:</b></h2><p><b>[1]</b> Nicoletta Picchio, Imprese decisiva la continuità aziendale, ilsole24ore 12.03.2020, S.2.</p><p><b>[2]</b> Die aufgeführten Beispiele von Prekarisierung und Arbeitsniederlegung sind einerseits den <a href="https://www.ilsole24ore.com/art/da-fincantieri-ad-amazon-stabilimenti-parte-protesta-la-sicurezza-ADl3DrC">Berichterstattungen von Tageszeitungen</a> und Gewerkschaften entnommen, andererseits handelt es sich um Dokumentationen des <a href="https://poterealpopolo.org/il-coronavirus-non-contagi-i-diritti-dei-lavoratori-parte-la-nostra-assistenza-telefonica/"><i>Roten Telefons</i> von <i>Potere al Popolo</i></a>, einem mit dem Ausbruch des Coronavirus aufgeschalteten Service. Das Rote Telefon ist eine Hotline, auf die Arbeiter*innen anrufen können, um Verstöße und fehlende Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz zu melden. Arbeitsrechtler*innen und Aktivist*innen von Potere al Popolo informieren darüber, was ein Unternehmen gesetzlich tun muss und wie die Arbeiter*innen sich organisieren und handeln können. Bisher wurden hunderte von Fällen dokumentiert.</p><p><b>Titelbild</b>: Die Basisgewerkschaft USB protestiert vor dem Ministerium für ökonomische Entwicklung.</p></div>
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<p>Das rote Telefon von Potere al Popolo</p>
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Probleme im Prozess zum überregionalen antikapitalistischen Zusammenschluss2019-11-26T11:17:36.144824+00:002019-11-26T11:17:36.144824+00:00Emanuel Kapfingerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/probleme-im-prozess-zum-%C3%BCberregionalen-antikapitalistischen-zusammenschluss/
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<h1>Probleme im Prozess zum überregionalen antikapitalistischen Zusammenschluss</h1>
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<div class="rich-text"><p>Seit 2015 riefen verschiedene Teile der antikapitalistischen, antiautoritären Linken mit mehreren einflussreichen Texte dazu auf, die Zersplitterung und Szene-Isolation zu überwinden und einen überregionalen, gesellschaftlich sichtbaren und handlungsfähigen Zusammenschluss aufzubauen. <b>[1]</b> Diese Aufrufe sind auf reges Interesse gestoßen und es wurden mehrere Prozesse gestartet, die in ihnen enthaltenen Denkanstöße praktisch umzusetzen. Jedoch sind diese Prozesse mittlerweile teils gescheitert, teils nicht recht in Fahrt gekommen.</p><p>So fand auf dem Kongress <i>Selber machen</i> in Berlin im April 2017 ein sehr gut besuchtes Treffen von Gruppendelegierten zur Frage einer überregionalen Organisierung statt. Konkrete Schritte folgten jedoch nicht. In Frankfurt am Main begann 2017 der sogenannte <i>Koup-Prozess</i> mit dem Ziel, eine regionale Organisierung aufzubauen. Trotz enormer Begeisterung scheiterte der Prozess im Jahr 2018, weil sich ausgerechnet die Basisinitiativen aus Frankfurt nicht beteiligt hatten. Dann lud die Zeitschrift <i>Kosmoprolet</i> eine Reihe von Gruppen und Einzelpersonen mit dem Ziel der Milieubildung für September 2017 zu einer Tagung in Neu-Anspach ein. Hieraus haben sich viele bilaterale Kontakte sowie eine Folgetagung im April 2019 ergeben, eine Dynamik zum Aufbau eines arbeitenden Zusammenschlusses stellte sich jedoch nicht ein. Mitte 2018 begann der Prozess <i>Kongress der Kommunen</i>, von dem sich jedoch vor einigen Monaten bereits einzelne Gruppen wieder zurückgezogen haben, und der mittlerweile insgesamt wieder infrage steht. Konfliktpunkte waren, soweit ich Einblick habe, die starke Orientierung an der kurdischen Bewegung, eine zu starke Verbindlichkeit des Zusammenschlusses und Probleme mit der Dominanz einzelner Gruppen. In Berlin hat sich Anfang 2018 das <i>Widerstandskomitee</i> gebildet, in dem sich sozialrevolutionäre Gruppen mit internationalistischer Ausrichtung treffen. Jedoch wird es aufgrund seiner starken Orientierung an der kurdischen Bewegung von anderen Berliner Gruppen kritisiert, die sich unter anderem darum nicht beteiligen. Im Januar 2019 hat sich der Zusammenschluss <i>welche-gesellschaft.org</i> gegründet, der bewegungsnahen Institutionen (NGOs, Teile der Gewerkschaften) und Akteuren sozialer Bewegungen besteht. Dieser Zusammenschluss steht zwar sozialrevolutionären Überlegungen in seinen Worten fern, stellt sich aber ernsthaft die Frage, wie aus Alltagskämpfen großflächige Veränderungen erwachsen können und bringt Akteure aus verschiedensten Kämpfen an einen Tisch. Regionale Prozesse gibt es außerdem in Niedersachsen und Nürnberg. Überregional wurden kürzlich die <i>Assoziation autonomer Gruppen</i> und die <a href="https://revoltmag.org/articles/wir-wollen-da-sein-wo-es-brennt/">anarchokommunistische <i>plattform</i></a> gegründet.</p><p>Soweit ein kurzer Rück- und Rundumblick über aktuelle Prozesse und einige ihrer Probleme. Letztere dürfen die sehr wichtige Arbeit, die in diesen Prozessen steckt, nicht überdecken. Jede Genossin, die ihre Zeit und Energie in sie steckt, leistet großartiges und bringt uns um vieles voran. Warum aber gelingt es bisher nicht, den Zusammenschluss antiautoritärer, antikapitalistischer Gruppen aufzubauen, obwohl ein so starkes Interesse vorhanden ist? Was hält die Gruppen vom Zusammenschluss ab? Was blockiert die Dynamik der Prozesse? Und warum gibt es so viele spezialisierte Prozesse, statt einfach den einen Zusammenschluss aufzubauen?</p><p>Meiner Meinung nach haben wir mit mehreren Problemen zu kämpfen, die den Prozessen nicht als ihre eigenen Fehler vorzuwerfen sind, sondern die aus den althergebrachten Praxisformen der radikalen Linken herrühren. Um diese Praxisformen zu überwinden, müssen wir diese Probleme bearbeiten und aus dem Weg schaffen. Im Folgenden beschreibe ich daher, welche Probleme die Prozesse hin zum Zusammenschluss blockieren und möchte Vorschläge unterbreiten, wie wir sie möglicherweise lösen können.</p><p>Die gegenwärtige politische Situation – Krise, Rechtsruck, Klimawandel, um nur die zentralen Dinge zu nennen – lässt uns dafür nicht mehr viel Zeit. Wenn wir uns nicht bald zusammenraufen und in die politische Offensive kommen, wird unser Leben richtig schwierig werden. Die Perspektive dagegen kann nur ein überregional sichtbarer und handlungsfähiger antikapitalistischer Zusammenschluss sein. Dafür reicht es nicht, 200 Leute aus der eigenen Ingroup zusammenzuschließen, sondern wir müssen mittelfristig einige tausend ansprechen und zwar auch unabhängig von der Szene-Zugehörigkeit.</p><h2><b>Warum der überregionale Zusammenschluss?</b></h2><p>Die zu Anfang genannten Textbeiträge und Aufrufe argumentieren ungefähr wie folgt für den überregionalen Zusammenschluss von Basisinitiativen:</p><p>Obwohl die gesellschaftliche Situation immer krisenhafter wird, fehlt eine handlungsfähige und sichtbare Gegenmacht, die die Krisen von links aus beantworten und für Emanzipation kämpfen kann. Das gilt sowohl für das Soziale – siehe die Wohnungsnot und die Rentenkürzungen – als auch für die Aufrüstung des Staates, wie in den Polizeiaufgabengesetzen oder dem Flüchtlingsregime. Die extreme Rechte erstarkt, global wie vor unserer Haustür. Die Gefahr von großen Kriegen rückt wieder näher. Der Klimawandel ist nur mehr sehr schwierig einzudämmen und stellt das Leben der nächsten Generationen überhaupt infrage.</p><p>Hiergegen offensiv vorzugehen sollte also eher früher als später passieren. Aber die antikapitalistische Linke ist derzeit nicht in der Verfassung, diese Gegenmacht zu organisieren. Sie besteht aus zahllosen Kleingruppen und aus vielen monothematischen Organisierungen (zum Beispiel zur Mietenpolitik oder fokussiert auf Antirassismus), jeweils ohne verbindlichen Zusammenhang miteinander. Die antikapitalistische Linke grenzt sich großteils von der Bevölkerung ab, statt mit ihr gemeinsam zu kämpfen. Zur Zeit haben zwar reformorientierte linksradikale Strömungen, die auf Hegemonie und linke Regierungsmehrheiten abzielen, federführend die iL, einen gewissen Schwung, aber es gibt im heutigen Kapitalismus offensichtlich keine wirklichen Spielräume für staatliche Reformpolitik, noch für großflächige Reallohnerhöhungen, wie spätestens seit dem SYRIZA-Debakel in Griechenland im Jahr 2015 klar geworden sein sollte. Die einzige Alternative ist das entschlossene Kämpfen im Bestehenden mit explizit antikapitalistischer Zielsetzung.</p><p>Die Basis dieser Gegenmacht, so die Grundidee der genannten Texte, besteht in der Organisierung vieler Menschen in ihren unmittelbaren Lebensverhältnissen, damit sie in ihren Konflikten widerstandsfähig werden. Diese Organisierung im Alltag ist insofern die Basis von Gegenmacht, weil erst durch sie auch gesamtgesellschaftlicher Druck aufgebaut werden kann: „Die Basis einer gesellschaftlichen Kraft ist die Organisierung.“ (<a href="http://endofroad.blogsport.de/2016/05/24/11-thesen-um-organisierung-und-revolutionaere-praxis/">Bremer Kollektiv</a>) Hier ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung geraten. Zahlreiche Stadtteil-Initiativen und Frauenstreik-Basisgruppen wurden gegründet, und auch die Selbstorganisierung von Mietshäusern und in den Betrieben, etwa im Gesundheitssektor, ist in einer enormen Entwicklung begriffen.</p><p>Diese lokalen Organisierungen stellen aber erst dann eine Gegenmacht mit wirklich antikapitalistischem Potential dar, wenn sie sich zu einem überregionalen Zusammenschluss mit explizit antikapitalistischer Perspektive zusammentun. Die Texte führen diesen Gedanken in verschiedener Weise aus: Erst dann können sich die einzelnen lokalen Kämpfe auf die Emanzipation vom Kapitalismus beziehen, die nur kollektiv erreichbar ist. Erst dann wird eine Alternative zum Bestehenden öffentlich sichtbar, die als praktisches Argument gegen Ideologien von Alternativlosigkeit, Nationalismus und Rassismus fungieren, und die überhaupt den Kampfgeist der Menschen beflügeln kann. Erst dann ist ein kollektives Handeln auf politischer Ebene möglich. Erst dann kann zum Beispiel politisch gestreikt oder können bei Großevents die organisierten Basiskollektive mobilisiert werden. Und diese grundlegendere Gegenmacht wäre dann nicht allein abstrakt auf die Überwindung des Kapitalismus ausgerichtet, sondern würde dann gerade auch die einzelnen lokalen oder sektoralen Kämpfe beflügeln, also eben zum Beispiel den Mietenkampf oder den Arbeitskampf im Gesundheitssektor.</p><p>Um dies möglich zu machen, müssen wir aber konkret die organisatorische Aufgabe des überregionalen Zusammenschlusses bewältigen, die meines Ermessens im Augenblick vor zahlreichen Problemen steht.</p><h2><b>Unartikulierte linksradikale Ängste vor dem Zusammenschluss</b></h2><p>In den Diskussionen um den überregionalen Zusammenschluss wird immer wieder die Unsicherheit geäußert, ob dieser angestrebte Zusammenschluss wirklich das Richtige sei. Ich glaube, dass das an zwei linksradikalen Ängsten liegt. Zum einen die Angst, aus dem Schutz der Szene in eine öffentliche Sichtbarkeit zu treten, und zum anderen die Angst vor einer Bevormundung der Basis durch einen übergeordneten Apparat. Beide – vor allem aber die erste – werden oft nicht direkt ausgesprochen, so dass sie auch schlecht diskutierbar sind. Das ist ein Problem. Wir müssen diese Ängste und ihre Ursachen verstehen und diskutieren und perspektivisch innerhalb des noch zu entwickelnden Zusammenschlusses Strukturen schaffen, die diese Ängste auflösen helfen.</p><p>Die Angst vor dem Verlassen der linken Szene betrifft üblicherweise die etwas besser gestellten Genossinnen, die meist studiert haben und sich auf einer bürgerlichen Berufslaufbahn befinden, oder Genossinnen, die das vorhaben. Oft sind diese Jobs nur symbolisch und sozial, nicht aber finanziell „besser gestellt“. Ein überregionaler und sichtbarer Zusammenschluss bereitet natürlich den Kleingruppen und Szeneläden, in denen man unter sich und anonym bleibt, ein Ende. Sichtbarkeit bedeutet gerade, dass man sowohl im Alltag, zum Beispiel am Arbeitsplatz, als auch in öffentlichen Diskussionen so auftritt, dass man den Antikapitalismus ernst meint und dafür auch in konkreten Konflikten den Kapitalismus wirklich herausfordern will. Ein größerer, überregionaler Zusammenschluss bedeutet auch, dass man tatsächlich kollektiv viel angreifbarer wird. Solange man in der Anonymität der linksradikalen Kleingruppe bleiben kann, kann man – trotz allem „radikalen“ Engagement – insgesamt immer noch unter dem Radar bleiben. Solange man in dieser Anonymität bleibt, genießt man noch relativ viele Freiheiten, man riskiert keinen Ausschluss aus bestimmten sozialen Milieus und gefährdet die bürgerliche Berufslaufbahn nicht.</p><p>Der Zusammenschluss muss diesen sozialen und ökonomischen Ausschluss auffangen können. Er muss die Leute auffangen, wenn sie in persönliche Krisen geraten oder vereinsamen. Vorstellbar ist auch, entsprechend dem Ansatz der Solidarisch-Gruppen, dass wir uns gegenseitig weiterhelfen, wenn Leute aus ihren Jobs fliegen. Um die Ängste aufzulösen, müssen wir auf solche Unterstützung bauen können.</p><p>Zum Zweiten, die Angst vor der Apparatdominanz. Die scharfe Kritik an zentralistischen Organisationen (wie dem Konzept der Kommunistischen Partei) und Apparaten (wie den Gewerkschaften) gehört zu den grundlegenden Einsichten der antiautoritären Linken. Allerdings schlägt diese Kritik immer wieder in eine bloße Anti-Haltung um: Dann wird jede Form von zentralen Instanzen eines Organisierungsprozesses als Problem und letztlich als ebenso problematischer Apparat wie all die anderen gesehen.</p><p>Um gesellschaftlich handlungsfähig und sichtbar zu sein, benötigen wir aber zentrale Instanzen wie zum Beispiel Kasse, Website, Massenzeitung, Bildungsmaterial, Koordinierungsarbeit, Verwaltungsarbeit. Diese sollten aber nicht autonom arbeiten, sondern die Autonomie sollte jederzeit an der Basis liegen. Um das zu gewährleisten, ist eine klare Analyse der basis- und rätedemokratischen Struktur nötig. Diese Analyse muss Mechanismen wie die folgenden umfassen: Alle zentralen Positionen werden gewählt, und sie sind gegenüber den Wählenden rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Sie sind nach dem Rotationsprinzip besetzt, niemand kann die Positionen für längere Zeit innehaben. Die Basis muss in ihrer Handlung jederzeit vollständig frei sein – es gibt keine Organisationsdisziplin. Diese Mechanismen müssen allerdings nach dem jeweiligen Bedarf und auch nach pragmatischen Gesichtspunkten ausgestaltet werden. Diese Analyse der Struktur muss gemeinsam mit der scharfen Kritik am Zentralismus explizit gemacht werden. Das sollte die bloße Anti-Haltung entkräften.</p><h4><i>Keine Disziplin?</i></h4><p>Der Punkt mit der Abwesenheit von Organisationsdisziplin ist möglicherweise kontraintuitiv. Wie soll ein so großer politischer Zusammenschluss funktionieren, wenn alle einzelnen Gruppen vollständig autonom sein sollen? Widerspricht sich das nicht? Ist es nicht selbstverständlich, dass Organisationsdisziplin in so einem großen Zusammenschluss nötig ist? Die Autonomie der Basis heißt aber nicht, dass es kein gemeinsames Handeln gibt und jede Gruppe bloß unabhängig ist. Die einzelnen Gruppen schließen sich ja gerade zusammen, um zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu handeln. Praktisch heißt das, dass es intensive Kontakte zwischen den Gruppen gibt und dass sie sich auf Vollversammlungen regelmäßig treffen. Sie führen eine gemeinsame Diskussion, sprechen gemeinsame Aktionen ab und entwickeln sich gemeinsam weiter. „Keine Organisationsdisziplin“ heißt allerdings durchaus, dass weder die zentralen Instanzen noch die Vollversammlungen Weisungen an die einzelnen Gruppen richten können, die diese dann auch bei Kritik befolgen müssen. Konkret heißt das: Die Minderheit muss Mehrheitsbeschlüsse nicht umsetzen. Es kann natürlich Situationen geben, in der es nicht anders geht, als dass die Minderheit den Mehrheitsbeschluss akzeptiert, aber das ist nicht das Prinzip der Sache.</p><p>Das Problem mit der Organisationsdisziplin ist, dass die einzelnen Gruppen ständig Dinge machen müssen, die sie eigentlich für nicht sinnvoll oder sogar kontraproduktiv halten, dass sie aber trotz ihres „bloß subjektiven“ Widerspruchs um der „höheren Sache“ willen Gehorsam leisten. Als Folge entstehen dann Kämpfe, Gerangel, Rhetoriken, in denen jeder seinen Standpunkt durchsetzen will. Der Unterschied zu bürgerlich-kapitalistischen Organisationen (Parteien, Unternehmen, staatliche Behörden) ist da nicht so ganz groß. Wir brauchen die Organisationsdisziplin aber auch gar nicht, weil der Zusammenschluss keine geschlossene Truppe sein soll, die als ein kollektives Subjekt entschlossen handelt und die Staatsmacht übernimmt. Im Gegenteil, es geht überhaupt nicht um die Staatsmacht. Vielmehr soll der Zusammenschluss die Räteverfassung der nichtkapitalistischen Gesellschaft schon im Ansatz widerspiegeln, der Zusammenschluss soll im Endeffekt kein rein politischer sein, sondern in der Tendenz bereits die Trennung zwischen Politik und Leben aufheben. Die nichtkapitalistische Gesellschaft muss aus räteförmigen Strukturen wie unserem Zusammenschluss hervorgehen: Der Weg ist wie das Ziel. <b>[2]</b></p><p>Der Zusammenschluss wird aber heute auch, in Anbetracht der Lage der deutschen antikapitalistischen Linken, nur ohne die Einheit einer Organisationsdisziplin funktionieren. Denn es gibt zahlreiche innerlinke Kontroversen mit hochgradig zentrifugalen Tendenzen. Diese Kontroversen müssen <i>innerhalb</i> des Zusammenschlusses nebeneinander bestehen können, ohne dass sie per Mehrheitsentscheid auf einen Nenner gebracht werden. Zum Beispiel gehen einige Berliner Gruppen auf Abstand zum <i>Widerstandskomitee</i>, weil dieses sich sehr auf Ansätze aus der kurdischen Bewegung festgelegt hat. Ich werde auf diese innerlinken Kontroversen später noch genauer eingehen, in Bezug auf die Organisationsdisziplin ist hier aber zu sagen, dass wir das Nebeneinander von heterogenen Praxisformen und politischen Ansätzen nicht als Problem sehen sollten, sondern vielmehr als Stärke, weil alle diese heterogenen Richtungen ja einen bestimmten Grund haben, in dem sie eine Antwort darstellen. Man muss das nicht zwangsweise vereinheitlichen. Wir sollten da auch überhaupt mal gelassener werden, wenn andere etwas machen, was wir „gar nicht richtig“ finden. Wir sollten lernen zuzulassen, dass Menschen in unseren Zusammenhängen Dinge machen, die wir falsch finden, die ihnen aber wirklich wichtig sind.</p><h2><b>Die Distanzierung der Basisinitiativen</b></h2><p>Viele Basisinitiativen beteiligen sich nicht an den Prozessen für einen überregionalen Zusammenschluss, weil sie ihn für nicht zielführend für ihre lokale Praxis halten. Das ist natürlich ein großes Problem, denn der Zusammenschluss soll von der Idee her vor allem diese Basisinitiativen zusammenschließen.</p><p>Argumentiert wird zumeist so: Die Basisorganisierung sei schon Zeitaufwand genug. Die Arbeit in einem Zusammenschluss halte nur davon ab und sei für die Basisorganisierung selbst nicht notwendig. Zugleich sei gerade diese heute politisch nötig, nicht aber ein gesellschaftlich agierender Zusammenschluss der Basisinitiativen.</p><p>Um dem zu entgegnen, wird es praktisch gesehen nötig sein, dass die Basisinitiativen in dem Zusammenschluss einen echten Mehrwert für ihre Praxis entdecken können: Zum Beispiel dass sie dadurch Zeit einsparen können, ihre Praxis durch Erfahrungsaustausch erleichtert wird oder Unterstützung (z. B. im Streikfall) unkompliziert mobilisiert werden kann.</p><p>Umgekehrt droht den Basisinitiativen die Integration ins System, wenn sie ohne übergreifenden Zusammenschluss mit antikapitalistischer Zielsetzung und organisierter Solidarität weiter machen. Und das sogar auch dann, wenn sie erklärtermaßen Widerstand im Alltag leisten und nicht-kapitalistische Beziehungen entwickeln wollen. Solange die Basisinitiativen sich nicht in einem antikapitalistischen Zusammenschluss organisieren, haben sie keine praktische revolutionäre Perspektive. Die Integration läuft über zwei Mechanismen: der Korporatismus für autonomen Widerstand und die Marktzwänge für solidarische Inseln.</p><h4><i>Korporatismus</i></h4><p>Die klassische Situation ist die autonome Organisierung von Lohnabhängigen und ihr autonomer Arbeitskampf, den die Gewerkschaft wieder unter Kontrolle bekommt. Das Engagement von Militanten für die Autonomie der Lohnabhängigen schlägt dann um: Die Gewerkschaft geht gestärkt aus dem Konflikt heraus und die Integration der Lohnabhängigen ist stärker als vorher. Ähnliches geschieht, wenn mietenpolitische Kämpfe durch politische Parteien befriedet werden, indem diese individuelle Lösungen herbeiführen. Auch Sozialarbeit ist oft korporatistisch.</p><p>Die Gewerkschaft hat damit immer Erfolg, weil sie viele Leute wirklich von sich beeindrucken und davon überzeugen kann, dass sie die bessere Karte ist gegenüber der autonomen Organisierung. Sie kann mit ihrem Knowhow und ihrem leistungsfähigen Apparat, der für öffentliche Sichtbarkeit und Austausch mit anderen Belegschaften sorgt, beeindrucken. Und damit, dass sie alles „wieder in geordnete Bahnen“ lenkt. Außerdem ist es bequemer, wenn der Apparat für die Leute verhandelt, und die Lohnabhängigen schließlich Lohnerhöhungen erhalten, ohne dass sie selbst aktiv werden müssen. Mit diesen Mitteln kauft die Gewerkschaft die Leute und betrügt sie zugleich.</p><p>Um diesem Betrug der Gewerkschaften entgegen zu treten, braucht es den überregionalen antikapitalistischen Zusammenschluss:</p><ol><li>Dieser kann ebenfalls Knowhow, öffentliche Sichtbarkeit, bundesweiten Austausch, sowie die reale Streiksolidarität anderer bieten und so der Selbstinszenierung der Gewerkschaften die Stirn bieten.</li><li>Er hat kein Interesse an Sozialpartnerschaft und Befriedung, kann daher viel entschlossener kämpfen als die Gewerkschaften und so auch real bessere Resultate erzielen, die die Kämpfenden wirklich interessieren.</li><li>Der überregionale Zusammenschluss verkörpert durch diese allgemeine Streiksolidarität das Bewusstsein des Antikapitalismus. Nämlich, dass nicht nur die kleine Verbesserung, sondern die Abschaffung des Verhältnisses notwendig ist, und dass aber zweitens der konkrete eigene Kampf ein Baustein auf dem Weg zu dieser Abschaffung ist.</li></ol><h4><i>Solidarische Inseln</i></h4><p>Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass sehr radikale Projekte – Hausbesetzungen, Betriebsaneignungen, anarchistische Kommunen, egalitäre Kollektivbetriebe – im Laufe der Jahre kapitalistische Akteure geworden sind, die lediglich nach innen kollektiv und egalitär organisiert sind, aber nach außen hin kapitalistisch auf dem Markt agieren müssen. Sie sind solidarische Inseln, verfolgen aber über ihre Organisationsgrenzen hinaus keine antikapitalistische Praxis. Siehe etwa die vielen legalisierten Hausprojekte in Berlin oder die ehemals linke Tageszeitung<i> taz</i>.</p><p>Aktuell betrifft dieses Problem vor allem die vielen Solidarisch-Projekte, die in den letzten Jahren entstanden sind (wie die Solidarische Aktion Neukölln). In den Solidarisch-Projekten muss man nicht vereinzelt mit Jobcenter, Vermieterin, Chefin und so weiter kämpfen, sondern kann dies als Kollektiv tun. Dies ist allerdings ein Fortschritt und bessert die Lebenssituation ungemein. Aber es birgt eben auch die Gefahr, dass dies die Konflikte des Kapitalismus nur von einer Einzelperson auf ein Kollektiv von 15 Leuten ausweitet. Das ist dann zwar besser, weil kollektiv statt einzeln, aber dieses Kollektiv ist trotzdem nur ein kollektiver Egoist, der sich weiterhin im Kapitalismus behaupten muss.</p><p>Um dieses Umkippen zu egoistischen Kollektiven zu verhindern, braucht es die Einbindung der Solidarisch-Projekte in einen antikapitalistischen Zusammenschluss:</p><ol><li>Nur dann kann das jeweilige solidarische Projekt die eigene organisierte Alltagswiderständigkeit auch als Teil einer kollektiven Aktion ausüben (zum Beispiel als politischer Streik oder politischer Mietenstreik).</li><li>Nur dann organisiert sich das solidarische Projekt in seinem Alltag mit einem Bewusstsein, konkret Teil dieses antikapitalistischen Kampfes zu sein.</li></ol><h2><b>Hahnenkampf der Standpunkte</b></h2><p>Diskussionen in der antikapitalistischen Linken sind fast immer vom Standpunkt-Denken bestimmt. Es geht den Beteiligten um die Behauptung und Durchsetzung des eigenen Standpunkts gegen jeweils andere. Linke Identität heißt, sich in einem Standpunkt wie „kommunistisch“ oder „hegemoniepolitisch“ zu positionieren und sich in diesem behaupten können. Demgegenüber müsste die Diskussion eigentlich eine Auseinandersetzung über das Problem sein, um es gemeinsam zu verstehen und praktisch zu lösen. Gerade darum müssten antikapitalistische Linke imstande sein, auch scharfe Kontroversen auszuhalten. Das wäre ein praxisorientiertes Wahrheitsverständnis.</p><p>In den Prozessen um die „Neuausrichtung der radikalen Linken“ hat sich diesbezüglich viel getan, trotzdem dominiert weiterhin das Standpunkt-Denken die Auseinandersetzungen in den Prozessen. Das Standpunkt-Denken begrenzt jedoch die Reichweite der jeweiligen Prozessbeteiligten und blockiert die Prozesse intern. Um das aufzulösen, braucht es organisatorisch-strukturelle Konsequenzen.</p><p>Typische, sich nach diesem Prinzip gegenüber stehende Standpunkte sind:</p><p><i>Praxis versus Theorie</i>: „Die ganze Theorie hilft für die Praxis nichts weiter und ist nur intelligente Selbstbespaßung“, gegen: „Das Machen und Organisieren der Aktivistinnen ist nur blinder Aktionismus, der ohne vorheriges Nachdenken sinnlos ist.“</p><p><i>Anarchismus versus Kommunismus</i>: „Wir müssen hier und jetzt mit dem anderen Leben anfangen. Es ist falsch zu sagen, dass wir die Massen dazu bringen müssen: jede einzelne muss es selber machen“, gegen: „Ohne antikapitalistische Organisation, die den Kapitalismus flächendeckend bekämpft, bleiben alle Experimente im Kleinen fruchtlos und bloße Handwerklerei.“</p><p>Weitere häufig debattierte Gegensätze sind zum Beispiel: antikolonial versus antinational, revolutionär versus realsolidarisch, antirassistisch versus klassenkämpferisch, feministisch versus klassenkämpferisch und so weiter.</p><p>In solchen Diskussionen versuchen die Beteiligten, ihre Standpunkte mit diversen Mitteln durchzusetzen. Man versucht die anderen durch technische Tricks aus der Diskussion hinaus zu drängen. Zum Beispiel indem man sie in großen Plena reden lässt, ohne auf die jeweiligen Punkte einzugehen. Man versucht das Publikum durch rhetorische Mittel zu beeindrucken. Man geht auf Vorschläge, Dinge konkret und persönlich auszudiskutieren, nicht ein. Man versucht, die Anderen aus der Linken auszugrenzen, indem man ihnen Nationalismus, Paternalismus, Eurozentrismus und so weiter vorwirft. Wenn man das alles ernst nähme, dann säßen die größten Reaktionäre gerade in den Reihen der Linken selbst. Die Konsequenzen solcher eskalierender Diskussionen sind regelmäßig Spaltungen von Gruppen, Sektierertum, vermeintlich unüberbrückbare persönliche Differenzen, ritualhaftes Abgrenzen von bestimmten Standpunkten. Das <i>kollektiv! Bremen</i> hat all das kürzlich hier auf dem<i> re:volt magazine</i> <a href="https://revoltmag.org/articles/f%C3%BCr-den-erfolg-unserer-praxis/">sehr anschaulich</a> anhand eines Bündnisses beschrieben.</p><p>Das Problem ist hierbei nicht, dass die Beteiligten für konkrete Ziele eintreten und diese praktisch zu erreichen suchen, sondern dass es ihnen um den Standpunkt als Standpunkt geht, um seine Behauptung und Durchsetzung als Standpunkt gegen andere.</p><p>Wir brauchen eine andere Diskussionskultur, in der wir nicht streiten, um gegen die anderen die Diskussion zu gewinnen, sondern weil jede die anderen braucht, um das Problem zu verstehen. Die Wahrheit wäre dann kein Standpunkt mehr, sondern wäre erst durch die Kontroverse möglich, und hätte nicht den Sinn, den Standpunkt zu behaupten, sondern praktische Probleme zu lösen.</p><p>Ein Hauptgrund des Standpunkt-Denkens liegt denke ich in der Unsicherheit, die viele in ihrer antikapitalistischen Position haben. Heute sind Ideologien völlig gefestigt und eine kräftige Gegenmacht und damit Alternative zum Kapitalismus ist nicht sichtbar. Darum erscheint jeder Antikapitalismus als verrückt und gesellschaftlich „ungültig“. Wenn man jetzt einen eindeutigen und „gefestigten“ Standpunkt einnimmt, dann ist man gegen die Angriffe der Mehrheitsgesellschaft abgeschottet und hat keine Unsicherheit mehr. Das ist natürlich dann auch ein schematischer Standpunkt, dem es nicht um’s Probleme-Lösen, sondern um das Aushalten von Angriffen geht.</p><p>Um das Standpunkt-Denken aus der antikapitalistischen Diskussionskultur herauszubekommen, braucht es organisatorisch-strukturelle Bedingungen:</p><ol><li>Das Verbindende des Zusammenschlusses soll nicht ein gemeinsamer Standpunkt sein, etwa eine gemeinsame politische Doktrin, sondern die widerständige Praxis organisierter Basiskollektive. Und dies mit der Perspektive, dass Gegenmacht, wie auch später die Revolution, in ihrem Kern in der Entwicklung nichtkapitalistischer Beziehungen im Alltag besteht. Der Grund des Zusammenschlusses sollte also das Zusammenwirken für so eine konkrete Praxis der Basiskollektive sein. Trotzdem muss der Zusammenschluss, um arbeiten zu können, einen gewissen inhaltlichen Rahmen abstecken. Dies sollte in Form von politischen Kerninhalten stattfinden. Dazu sollten etwa gehören: Antistaatlichkeit, Internationalismus, Klassenkampf, Triple-Oppression-Ansatz.<b> [3]</b> Diese politischen Kerninhalte müssen offen sein, damit kontroverse Diskussionen innerhalb des Zusammenschlusses möglich sind. Kritik an rassistischen, sexistischen, paternalistischen Denkweisen innerhalb der Plattform muss jederzeit möglich sein, aber ohne damit unmittelbar persönliche Ausschlüsse zu fordern.</li><li>Es müssen moderierte Diskussionen organisiert werden, in denen die Kontroversen ausgetragen werden, und zwar explizit innerhalb des gemeinsamen Zusammenschlusses (oder in Perspektive darauf). Der Ort dafür sind Podiumsdiskussionen und Zeitungsdebatten. Die Moderation hat die Aufgabe, die Form der Diskussion zu beobachten, und sie wenn nötig explizit zu kritisieren.</li></ol><h2><b>Wärmestrom</b></h2><p>Es fehlt der „Wärmestrom“ (Ernst Bloch) in unserem Herangehen an den antikapitalistischen Zusammenschluss. Wir arbeiten nach der Devise „Dies und das ist politisch notwendig, um unsere Interessen zu verteidigen“. Unser Engagement dafür ist „ernsthaft“, muss anstrengende Arbeit sein. Wir sehen den Zusammenschluss lediglich als Instrument für antikapitalistische und antifaschistische Ziele.</p><p>Aber ein Zusammengehen von Menschen in so einen Zusammenschluss wird nicht gelingen, wenn der Begründungszusammenhang allein so rational und kalt ausfällt. Er wird sich nur zusammen bündeln können, wenn er auch eine emotionale Grundlage hat und die Menschen sich dafür begeistern können, in ihm mitzumachen. Er muss getragen werden von dem kollektiven Gefühl, dass er für ein anderes, schönes, befreites Leben steht. Und dass dieses Leben genau in diesem Zusammenschluss bereits ansatzweise gelebt wird. Dieser Wärmestrom entsteht überall da, wo unsere Beziehungen ihre kapitalistische Entfremdung abwerfen können und wir erleben, wie reich unser Leben wirklich ist. In der Nachbarschaftsinitiative, der Arbeiterinnenautonomie wie in der Platzbesetzung. Überall da, wo die Herrschaft der kapitalistischen Notwendigkeiten zeitweise außer Kraft gesetzt wird, wo das Leben gemeinsam gestaltet wird und jedes Individuum mit seinen Bedürfnissen dazu gehört.</p><p>Dort kann in ersten Anläufen eine Kultur entstehen, in der die Menschen nicht immer ängstlich auf den eigenen Besitz, auf den eigenen Spaß oder Selbstverwirklichungsgewinn, die eigene investierte Arbeitszeit schauen müssen. Wo sie sich nicht mehr auf Kosten anderer profilieren müssen, um selbst besser da zu stehen, oder sich von den „Uncoolen“ abwenden, um selbst nicht schief angesehen zu werden. Wo Kranke in ihrer Krankheit anerkannt sind und nicht mehr allein dafür verantwortlich sind. Es handelt sich dann nicht mehr um Beziehungen von atomisierten Menschen, die sich quasi vertragsmäßig aufeinander einlassen, sondern um solche, in denen das Interesse des einen am anderen konkret etwas mit dem andern zu tun hat. Es wäre ein Leben, in der man keine Angst mehr haben muss, am Ende auf sich allein gestellt zu sein. In dem man nicht verbissen kämpfen muss, um am Ende nicht hinten runter zu fallen. In dem der innere Druck, immer mehr leisten zu müssen als man kann, endlich aufhört, weil das einfach nicht mehr nötig ist. In dem man gemeinsam versucht, Gewalt aus der Welt zu schaffen.</p><p>Dies ist der Wärmestrom, die Energie, die unseren Zusammenschluss für ein nichtkapitalistisches Leben tragen wird.</p><h2><b>Gegenmacht aufbauen!</b></h2><p>Sofern meine Problemanalysen zutreffen, wird es keineswegs leicht werden, den überregionalen Zusammenschluss aufzubauen. Wir schleppen eine gewaltige Hypothek aus der Geschichte der radikalen Linken mit. Um sie abzubauen, wird viel Energie und Einsatz nötig sein, und wir werden ganz schön viel Bereitschaft erbringen müssen, unsere Positionen zu überdenken, auf andere zuzugehen und lieb gewonnene Reflexe aufzugeben. Es ist auch keineswegs gesagt, dass diese Anstrengungen wirklich gelingen und wir den überregionalen Zusammenschluss erreichen. Nötig jedoch ist er unbedingt, um eine Gegenmacht aufzubauen, die der sozialen Krise, der Aufrüstung der Staatsapparate, dem Erstarken der extremen Rechten und dem Klimawandel effektiv etwas entgegensetzen kann.</p><p></p><hr/><h2><b>Anmerkungen:</b></h2><p><b>[1]</b> So zum Beispiel: Antifa Kritik & Klassenkampf, <a href="http://akkffm.blogsport.de/images/DerkommendeAufprall_01.pdf"><i>Der kommende Aufprall</i></a>, 2015; Bremer Kollektiv, „<a href="http://lowerclassmag.com/2016/07/fuer-eine-grundlegende-neuausrichtung-linksradikaler-politik/">Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik</a>“, 2015; Peter Schaber, „<a href="https://lowerclassmag.com/2018/02/25/vom-reden-zum-tun/">Vom Reden zum Tun</a>“, 2018; Proletarische Autonomie Magdeburg und Finsterwalde, „<a href="http://www.autonomie-magazin.org/2018/05/09/diskussionsbeitrag-neue-sozialrevolutionaere-bewegung/">Neue sozialrevolutionäre Bewegung</a>“, 2018; LCM-Redaktion, „<a href="https://lowerclassmag.com/2018/04/23/kongress-der-kommunen/">Kongress der Kommunen</a>“, 2018; Vidar Lindström, „<a href="https://www.autonomie-magazin.org/2018/10/08/gedanken-zu-einem-kongress-der-kommunen/">Gedanken zu einem Kongress der Kommunen</a>“, 2018.</p><p><b>[2]</b> Eine etwas ausführlichere Erörterung dieser anarchosyndikalistisch-rätekommunistischen Revolutionstheorie findet sich in <a href="http://akkffm.blogsport.de/images/DerkommendeAufprall_01.pdf"><i>Der kommende Aufprall</i></a> der Antifa Kritik & Klassenkampf vom Jahre 2015 sowie in einigen Beiträgen von <a href="http://diskus.copyriot.com/2016-02/DISKUS_16-2_210x285_2c_final_SCREEN.pdf">diskus 2/2016</a>, die den <i>kommenden Aufprall</i> diskutieren.</p><p><b>[3]</b> <i>Triple Oppression</i> heißt, dass es drei (oder mehr) Unterdrückungsformen gibt, die nicht aufeinander reduzierbar sind, nämlich diejenigen, die durch Rassismus, Sexismus und Klassenherrschaft entstehen.</p></div>
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Der Wilde Westen Mailands2017-12-13T17:15:19.207062+00:002017-12-14T16:31:58.003718+00:00malaboca kollektivredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/der-wilde-westen-mailands/
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<div class="rich-text"><p>Das peruanische Trinkspiel <i>la ronda</i> ist simpel. Ein einziges Bierglas wandert schnell von Hand
zu Hand – wenn es leer ist, wird sofort nachgeschenkt. Wer zu sehr trödelt,
wird mit dem Hinweis angetrieben, dass es sich bei dem Inhalt nicht um Suppe
handelt. Da die Runde nicht gerade klein ist, könnte man glauben, es würde eine
Ewigkeit dauern, bis ein Effekt spürbar wird. Doch schnell wird klar, dass das
eine Fehleinschätzung ist. Die Stimmung im Hof des sozialen Zentrums Burrida,
von dessen Dach aus man beinahe ganz Genua überblicken kann, wird schnell
ausgelassen. Lateinamerikanische Popschnulzen bringen die Anwesenden in
Bewegung und wenn man es nicht besser wüsste, könnte das hier auch eine »ganz
gewöhnliche« Gartenparty sein. Doch fast alle hier leben eigentlich im knapp
zwei Stunden entfernten Mailand. Die meisten kommen aus Peru oder Ecuador und
sind vor einigen Jahren auf der Suche nach Arbeit in die norditalienische
Metropole ausgewandert. Und sie sind so arm, dass die vergangenen zwei Tage an
der ligurischen Küste für manche der erste Urlaub ihres Lebens gewesen ist.</p><p>
</p><p>Alle Feiernden an diesem Abend leben in <i>Quateri populari</i>, wie die Arbeiter*innenviertel auf Italienisch
genannt werden und von denen es in Mailand zahlreiche gibt. Zu Beginn der 1950er
Jahre entwickelten sich die ersten Migrationsbewegungen vom Süden Italiens in
die industriellen Zentren des Nordens. Später bekamen die <i>Quateri populari</i> auch mehr und mehr Zulauf durch globale
Migrationsbewegungen. Sie alle eint eine schlechte Anbindung ans öffentliche
Verkehrssystem, viele kleine Geschäfte und große Wohnblocks, von denen die
meisten in der Zeit des italienischen Faschismus gebaut und seitdem, wenn
überhaupt, nur äußerlich renoviert wurden. Die Mietpreise steigen hier
schneller, als man das Wort Gentrification buchstabieren könnte. Im Zentrum
Mailands kostet eine 1-Zimmer-Wohnung im Durchschnitt derzeit mehr als 1000
Euro Miete monatlich. In den Randgebieten immer noch 700 Euro – Tendenz steigend.
Bei einem Durchschnittslohn in der Stadt von rund 1500 Euro, der in den <i>Quateri populari</i> nicht gesondert
ermittelt wird, aber weit darunter liegen dürfte, kann sich das hier kaum noch
jemand leisten.</p><p>
</p><p>In den siebziger Jahren war der öffentliche Wohnungsbau
groß, mehr als 75.000 Sozialwohnungen existieren deshalb noch immer in der
Stadt. Verwaltet werden sie von der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft <i>Azienda Lombarda Edilizia Residenziale
Milano</i> – kurz ALER. 2013 wurde öffentlich, dass einige Angestellte ALERs im
großen Stil Gelder veruntreut und Bilanzen gefälscht hatten – einige
Verantwortliche wurden daraufhin zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt und
insgesamt offenbarte sich ein Finanzloch von mehr als einer Milliarde Euro.
Damit ist ALER faktisch insolvent und für viele Politiker*innen bot das die
optimale Gelegenheit, auf eine vollkommene Privatisierung des sozialen
Wohnungsbaus zu insistieren. Seit ebenfalls vier Jahren nimmt ALER, mit Verweis
auf die fehlenden Finanzmittel, deshalb keine Reparatur- und
Renovierungsarbeiten der existierenden Wohnungen mehr vor und benutzt den
desolaten Zustand vieler Wohnungen als Argument dafür, diese nicht mehr neu zu
vergeben, sobald die vorherigen Mieter*innen ausziehen. Pepe, selber aktiv in
Kämpfen um Wohnraum in Mailand, schüttelt den Kopf: »Durch diese Entwicklungen
entsteht ein absurdes Bild auf dem Wohnungsmarkt Mailands. Mehr als 20.000
Menschen stehen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung – manche von ihnen
seit mehr als zehn Jahren – während etwa 8.000 dieser Wohnungen leer stehen.
Das kann auf die Dauer nicht gut gehen«.</p><p>
</p><p>Weil diese neoliberale Misswirtschaft eine existentielle
Notlage produziert, besetzen viele Familien eine Sozialwohnung, schätzungsweise
4000 solcher Besetzungen gibt es aktuell. Im öffentlichen Diskurs der
Stadtobersten wird diese Wohnungskrise gerne als eine »Besetzungskrise«
bezeichnet, was zwar den Bock zum Gärtner macht, aber zu allerlei
populistischen Abenteuern einlädt. Eines davon beginnt im November 2014, als
Bürgermeister Giuliano Pisapia mit großer Geste und maximaler
Medieninszenierung verkündet, man würde sich dem »Besetzungsproblem« jetzt so
richtig annehmen und als allererstes binnen weniger Wochen 200 besetzte
Wohnungen räumen lassen. Eine der ersten Wohnungen, die geräumt werden sollte,
lag in Giambellino, einem der <i>Quateri
Populari</i> im Südwesten der Stadt.</p><p>
</p><p>Im Nachhinein bezeichnen die Mitglieder des
Nachbarschaftskomitees von Giambellino es als das größte Geschenk, das die
Stadt ihnen hätte machen können. Ihre Erzählungen dieser Tage beginnen alle
nahezu identisch, um der Szenerie die nötige Dramatik zu verleihen: »Es war
grau und nieselig. Niemand war auf der Straße und als wir an der Wohnung
ankamen, war die Polizei schon im Gebäude«. Doch dann lief alles anders als gedacht.
Innerhalb weniger Minuten waren hunderte Nachbar*innen auf der Straße, zogen
aufgebracht zur Wohnung und als Flaschen und Steine auf die Beamten der
Kommunalpolizei flogen, machten diese sich unverrichteter Dinge aus dem Staub.
Am nächsten Tag titelte die regionale Presse über Bildern kämpfender
Anwohner*innen »Der wilde Westen Mailands«.</p><p>
</p><p>Die gleichen Szenen, nicht selten von noch heftigeren
Auseinandersetzungen begleitet, spielten sich in den folgenden zwei Wochen bei
fast jeder Räumung ab, die im Auftrag ALERs durchgesetzt werden sollte. Um zu
verdeutlichen, wie aufgeheizt die Stimmung dieser Tage war, wird oft die
Geschichte des anarchistischen Zentrums <i>SAO
Rosa Nera</i> im Stadtteil Corvetto erzählt: Das besetzte Zentrum war
traditionell subkulturell isoliert, es gab weder von Seiten der Anwohner*innen
noch von Seiten der Besetzer*innen ein gesteigertes Interesse an einem
nachbarschaftlichen Verhältnis, was über den täglichen Kioskbesuch hinausging.
Doch als die kommunale Polizei gemeinsam mit den Carabinieri am 17. November
2014 anrückte, um das Gebäude zu räumen, löste das plötzlich einen
stundenlangen Aufstand des ganzen Viertels aus – jedoch nicht, weil die
Nachbar*innen spontan ihre Meinung über das <i>Rosa
Nera</i> geändert hatten, sondern weil sie angenommen hatten die Polizeiarmada
sei gekommen, um eine der besetzten Sozialwohnungen zu räumen. </p><p>
</p><p>Im ersten Moment war die Überraschung über die vielerorts
aufflammende Wut und Kampfbereitschaft groß. Doch schnell wurde den Beteiligten
klar, welch beschleunigenden Effekt diese Dynamik auf schon zuvor existierende
politische Experimente der Nachbarschaftsorganisierung hatte, die bis dahin
eher ein trauriges Dasein fristeten. In Giambellino hatten diese gut ein Jahr
zuvor mit der Besetzung der ersten <i>Base</i>
begonnen: Ein Gebäude im Wohngebiet, in dem sich eine Handvoll Besetzer*innen
aus dem Nachbarviertel traf und vergeblich versuchte in engeren Kontakt mit der
lokalen Bevölkerung zu kommen. </p><p>
</p><p>»Als wir in Giambellino angekommen sind, um mit den Leuten
im Viertel zu reden, wirkten wir für diese in einer gewissen Weise wie Aliens.
Wir sind hier angekommen und haben angefangen über Revolution und Kommunismus
zu reden – dabei haben diese Dinge für die Leute vor Ort einfach überhaupt
keine Bedeutung«, erinnert sich Luigi. Als die Polizei nach einigen Monaten das
Gebäude räumte, war das Interesse daran so groß, wie an dem Projekt zuvor: Gen
null. Daraufhin wurde ein zweites Gebäude besetzt – diesmal gegenüber des
lokalen Wochenmarktes gelegen und dadurch wesentlich sichtbarer und somit Teil
des öffentlichen Lebens. Ein paar Leute aus dem Viertel kamen auch, zwar mehr
als vorher, aber den großen Durchbruch brachte erst der November 2014. </p><p>
</p><p>Auch die zweite <i>Base</i>
wird schließlich von der Polizei im Vorfeld der 1.Mai-Proteste 2015 gegen die
in Mailand stattfindende Weltausstellung Expo geräumt. Doch diesmal regt sich
Widerstand bei den Leuten, die mittlerweile eine Beziehung zu dem Ort und
seinen ursprünglichen Benutzer*innen aufgebaut haben. Auch wenn die Reaktion
medial im Schlachtenlärm des 1. Mai untergeht, dauert es nicht lange bis die
Mitglieder des mittlerweile gegründeten »Nachbarschaftskomitees Giambellino«
eine dritte Base besetzen, die sie auch heute noch nutzen. Gegenwärtig sind
mehr als 60 Familien, die in besetzen Wohnungen leben, im Komitee organisiert
– zunächst aus der akuten Angst vor einer Räumung. Aber mit der Zeit wurde mehr
daraus, als nur eine Nothilfe-Struktur gegen ALER und die Polizei. Die Base ist
ein wichtiger Ort des sozialen Zusammenlebens geworden, ein Ort der kollektiven
Selbstorganisierung in Giambellino. Jede Woche gibt es eine medizinische
Sprechstunde, zweimal Hausaufgabenhilfe, einmal Fußballtraining des eigenen
Vereins <i>Ardita Giambellino</i>, ein
gemeinsames Essen und natürlich die wöchentliche Versammlung des Komitees. Die
Art, mit der man hier gemeinsam und selbstorganisiert Lösungen für die Misere
des alltäglichen Lebens findet, hat einen enormen Effekt auf die politische
Sozialisation derer, die daran teilhaben. Doch mitnichten ist dieser
Lernprozess allein auf die »unpolitischen« Anwohner*innen begrenzt – im
Gegenteil »Ich denke, vor allem wir haben uns verändert. Denn als wir in
Giambellino ankamen, gab es bereits diese anderen Formen des kollektiven
Lebens jenseits von unseren Ideen. Nur wir mussten sie eben erst selbst noch
kennenlernen«, erzählt Marco.<br/></p></div>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><h2>Leben und Kämpfen in einem Territorium bedeutet, dass du
bereits jetzt in einer neuen Welt lebst.</h2>
<p>AUS »TERRITORIES TO INHABIT, WORLDS TO CREATE«</p></div>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Hilfe bei der Kinderbetreuung, Stärke gegen Vermieter*innen
und Polizei oder ein gratis Gesundheitscheck sind ganz konkrete Nutzen, die
eine Mitgliedschaft im Komitee bedeuten und für viele hier überlebenswichtig
sind. Und durch den politischen Diskurs, der anfangs von den Initiator*innen
mitgebracht, aber längst ein kollektiv weiterentwickeltes Produkt geworden ist,
haben diese ein enorm widerständiges Potential bekommen, deren zentrale
Botschaft ist: Staat und Kapital haben kein Interesse daran, unsere Bedürfnisse
zu befriedigen – dann machen wir es eben selbst! Marco beschreibt diesen
Prozess wie folgt: »Die Leute bemerken nach und nach, was passiert. Am Anfang
werden sie vielleicht aktiv, weil sie ein persönliches Ziel verfolgen, nämlich
eine Wohnung haben zu wollen. Aber dort hört unsere Arbeit nicht auf – sonst
würden wir uns auf der selben Ebene der Wohltätigkeitsarbeit bewegen, wie die
Kirche oder andere Organisation sie machen. Aber das reicht höchstens aus, um
sein Gewissen rein zu waschen«. </p><p>
</p><p>Es wird deutlich, dass das Komitee weitaus mehr als eine
bloße Anbieterin selbstorganisierter Sozialleistungen mit revolutionärem Touch
ist. Es geht hier nicht bloß um die Befriedigung ökonomischer
Grundbedürfnisse. Es geht darum eine andere Art des Zusammenlebens zu
kultivieren, die nicht nur die materiellen Schäden kapitalistischer Verwertung
zu mildern versucht, sondern gerade auch ihren sozialen Zurichtungen etwas
entgegen zu setzen.</p><p>
</p><p>Hier im Garten in Genua wird genau das spürbar, was vorher
viele eher abstrakt ausgedrückt haben. Ein solches Wochenende hat keinen »direkten
politischen Effekt«, noch stellt es eine widerständige Geste des Protests dar.
Es ist die praktische Überwindung der Einsamkeit vieler hier, der Vereinzelung
und Isolation, in die sie die moderne Metropole zwängt. Hier entsteht ein
Kollektiv, eines das sich kennt, das teilt, das sich vertraut. Plötzlich
tauchen drei junge Geflüchtete aus dem Senegal auf, die von einem anderen
Squat in der Stadt hier her geschickt wurden. Nach einigen Minuten des
Fremdelns bekommen sie volle Teller in die Hand gedrückt, nach höchstens einer
halben Stunde sind sie bereits Teil von <i>la
ronda </i>– und am Ende des Abends tanzen alle immer noch ausgelassen zu Salsa
und Reggeaton.</p><p>
</p><p>Kristina, die vom ersten Tag an Mitglied des Komitees ist,
sitzt derweil am Rand und blickt nachdenklich durch die Tanzenden hindurch.
»Was ihr durch den Kopf gehe, wenn sie den Abend hier betrachte?« Sie schweigt.
So lange, dass wir schon denken, sie hätte unsere Frage gar nicht gehört. Doch
schließlich sagt sie zufrieden feststellend: »Wir leben einen alltäglichen
Kommunismus während wir versuchen ihn aufzubauen, weil es gar nicht anders
funktioniert, als ihn in der Praxis zu erlernen«</p><hr/></div>
</section>
<section class="content-section content-type-photo">
<div class="content-image">
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<img alt="Uniti Possiamo Tutti" height="438" src="/media/images/mala3.original.jpg" width="968">
</div>
</div>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><h2>Zur Broschüre »Uniti Possiamo Tutti. Selbstorganisierung und soziale Kämpfe
in Mailand«</h2>
<p>Das malaboca
kollektiv hat in den letzten Jahren immer wieder Genoss*innen und
Aktivist*innen vor Ort besucht und die Gespräche mit ihnen dokumentiert. Ohne zu sehr der daraus entstandenen Broschüre
vorgreifen zu wollen: Sie haben sich intensiv mit der politischen Praxis der
Aktivist*innen vor Ort beschäftigt und dabei für die Arbeit in den eigenen
Kontexten wichtige Lehren gezogen. In ihrer Einleitung zählen sie vier Punkte
auf:</p><p>
</p><p>»<b>Konkrete Probleme</b>
sind der Ausgangspunkt der politischen Arbeit, anstatt die Kritik an abstrakten
Strukturen und Mechanismen, die für die meisten Menschen schwer zu greifen und
zu vermitteln sind. Kritik an fehlenden Grünflächen, hohen Mietpreisen,
schlechter Gesundheitsversorgung, fehlenden Aufenthaltstiteln, übergriffigem
Verhalten in einer Kneipe, ausstehendem Lohn oder Prüfungsstress in der Schule
und Uni sprechen Menschen in ihren Erfahrungen direkter an als eine abstrakte
Übersetzung dieser Symptome in das, was sie de facto sind: Rassismus, Sexismus
und kapitalistische Verwertung.</p><p>
</p><p><b>Vertrauen schaffen
und eine real erfahrbare Kollektivität aufbauen,</b> anstatt den Fokus auf eine
anonyme Medienöffentlichkeit zu legen, die mit Hochglanzkampagnen adressiert
werden soll. Kritik ist nur dann vermittelbar, wenn einem auch jemand zuhört.
Und, dass uns jemand zuhört und im besten Fall auch noch glaubt, passiert nur,
wenn es ein Vertrauensverhältnis zwischen uns und den potentiellen Zuhörer*innen
gibt. Das lässt sich nur durch gemeinsame Erfahrungen aufbauen und funktioniert
am besten in einem territorial begrenzten Gebiet, wie einer Nachbarschaft,
einem Betrieb, einer Uni, einem Häuserblock.</p><p>
</p><p><b>Selbstorganisierte,
konkrete Lösungswege finden</b> und Erfolge verbuchen, anstatt alles auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Vertrauen in Solidarität und
Selbstorganisation entsteht vor allem dann, wenn sie funktioniert.
Erfolgserlebnisse, das heißt die tatsächliche Lösung realer Probleme, sind der
Schlüssel dazu, dass Menschen durch diese Erfahrungen gestärkt werden,
weitermachen und möglicherweise selber zu Multiplikator*innen dieser Idee
werden.</p><p>
</p><p>Auf<b> politisches
Lernen durch Erfahrung,</b> anstatt ausschließlich auf theoretische Bildung
vertrauen. In den eigenen konkreten Alltagserfahrungen ernst genommen zu
werden, auf Menschen zu treffen, deren Ziel nicht in erster Linie die
Instrumentalisierung für die eigenen Interessen ist, sondern tatsächliche
Solidarität – und bestenfalls auch noch die erfolgreiche Lösung konkreter
Missstände – ist oft enorm politisierender als ein Buch, Vortrag oder Film.«
</p><p>
</p><p>Download der Broschüre: <i>Uniti
Possiamo Tutti. Selbstorganisierung und soziale Kämpfe in Mailand</i> auf <a href="https://malaboca.noblogs.org/files/2017/12/Uniti-Possiamo-Tutti-English.pdf">Englisch</a>
| <a href="https://malaboca.noblogs.org/files/2017/12/Uniti-Possiamo-Tutti-Deutsch.pdf">Deutsch</a></p><p>
</p><p>malaboca kollektiv | <a href="http://malaboca.noblogs.org">malaboca.noblogs.org</a></p></div>
</section>
</article>
<footer class="__wrapped-content">
<div class="columns is-desktop">
<div class="column is-7-10">
<section class="content content-license padded">
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</p>
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