re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=1482023-02-02T09:29:52.823662+00:00Ein staatlich geförderter Feminizid: Das Beispiel Mariana2021-02-09T09:41:35.777053+00:002023-02-02T09:29:52.823662+00:00Juliana Ramirezredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/ein-staatlich-gef%C3%B6rderter-feminizid-das-beispiel-mariana/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>Ein staatlich geförderter Feminizid: Das Beispiel Mariana</h1>
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<span class="content-copyright">Camila Villegas / Twitter</span>
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<div class="rich-text"><p><i>Der nachfolgende Artikel erscheint in Kooperation mit dem</i> <a href="https://twitter.com/femstreik65"><i>Frauen*Streik-Komitee Wedding</i></a><i>.</i></p><p></p><p>In Mexiko sterben Frauen*, die von Männern ermordet werden einen zweiten Tod durch die juristischen Institutionen. Heute trägt die politische Empörung über diese Zustände den Namen einer weiteren Frau: Mariana Sánchez Dávalos. In ihrem Fall spiegelt sich deutlich die Ungerechtigkeit, unterlassene Hilfeleistung und Grausamkeit, die der Staat und seine Institutionen an den Körpern von Betroffenen sexueller Gewalt und Feminiziden verüben.</p><p>Laut Artikel 325 des Strafgesetzbuches muss jede Frau*, die unter folgenden Umständen zu Tode gekommen ist, als Fall eines Feminizid verhandelt werden: (1) Das Opfer weist Anzeichen von sexueller Gewalt auf; (2) Es gibt eine Vorgeschichte unabhängig von der Art der Gewalt seitens des Täters; (3) Es existierte eine emotionale oder vertrauensvolle Beziehung zwischen Opfer und Täter; (4) Es gibt Hinweise darauf, dass der Täter das Opfer zuvor bedrohte, Übergriffe oder Vergewaltigung beging; (5) Das Opfer wurde seiner Freiheit beraubt; (6) Der Körper des Opfers wurde öffentlich zur Schau gestellt. Im Falle einer Verurteilung erwarten den Täter zwischen 40 und 70 Jahre Haft. Jede*r mit dem Fall befasste Angestellte des öffentlichen Dienstes muss mit bis zu 8 Jahren rechnen, sollte er unzulässigerweise Material zum Fall veröffentlichen oder Ermittlungen behindern.</p><p></p><h3><b>Ein exemplarischer Fall staatlichen Vertuschens</b></h3><p>Die 24-jährige Mariana Sánchez Dávalos studierte Medizin an der <i>Universidad Autónoma de Chiapas (UNACH - deutsch: Freie Universität Chiapas’).</i> Sie absolvierte zum Zeitpunkt ihres Todes das Anerkennungsjahr im öffentlichen Krankenhaus der Gemeinde <i>Nueva Palestina (deutsch: Neues Palästina)</i> im Landkreis Ocosingo, Chiapas. Mariana wurde am 28. Januar erhängt in ihrem Studierendenzimmer aufgefunden. Die Todesursache war laut chiapanesischer Staatsanwaltschaft: Erstickung durch Erhängen, da der Körper keine weiteren Anzeichen von Gewaltausübung aufwies, obwohl die Mutter Marianas das Gegenteil zu Protokoll gab.</p><p>So nahm die chiapanesische Staatsanwaltschaft ohne weitere Untersuchung trotz der Tatsache, dass der Fall mehrere Voraussetzungen zur Untersuchung als Feminizid erfüllt, einen Suizid an. Und dass obwohl Mariana bereits sechs Monate vor ihrem Tod sexuellen Missbrauch durch einen Kollegen am Krankenhauses erfuhr. Sie hatte zwei Monate zuvor Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihn gestellt und meldete den Fall auch an ihrer Universität, um Hilfe zu erhalten. Darüber hinaus bat sie um Schutz durch das Gesundheitsamt mit einer Versetzung in eine andere Gemeinde.</p><p>Vergebens. Von allen drei genannten Institutionen zog nicht auch nur eine auf Basis einer geschlechtsorientierten Perspektive Konsequenzen. Das Gesundheitsamt gab dem Antrag auf Versetzung nicht statt, sondern genehmigte Mariana einen Monat „Urlaub”, allerdings ohne Fortzahlung des Praktikant*innengehalts. Nachträglich wurde sie erneut verpflichtet in der gleichen Gemeinde das Anerkennungsjahr zu absolvieren. Die Staatsanwaltschaft äscherte nach der Obduktion den Körper von Mariana ein, und zwar ohne Erlaubnis der Familie. Das verstieß nicht nur gegen die Menschenrechte des Opfers und der Familie, sondern verunmöglichte eine nachträgliche Untersuchung als Feminizid. Angesichts der vorliegenden Hinweise seitens der Mutter, der Recherchen feministischer Kollektive und Aussagen ihrer Studierendenkolleg*innen kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier nicht um einen Suizid, sondern um einen staatlich begünstigten Frauen*mord handelt.</p><p></p><h3><b>Ein Staat gegen sein eigenes Gesetz</b></h3><p>Der Staat, das heißt in diesem Fall die chiapanesische Staatsanwaltschaft, die Freie Universität und das Gesundheitsamt sind mitverantwortlich für diesen Frauen*mord, weil sie wegschauten, als sich eine vergewaltigte Studentin an sie wandte. Nicht nur handelten sie gegen das Gesetz, sie verpflichteten sie auch an den Arbeitsplatz ihres Vergewaltigers zurückzukehren. Der Vergewaltiger, der bereits durch Aussagen der Mutter Marianas identifiziert werden konnte, nahm ihr das Leben. Aber der Staat und seine Institutionen verurteilten sie zum Tode durch unterlassene Hilfeleistung.</p><p>Bedingt durch den seit vergangener Woche anschwellenden öffentlichen Druck in der nationalen und internationalen Presse, und im Besonderen in Chiapas, entschied sich die Staatsanwaltschaft bereits, es in Betracht zu ziehen, den Fall nun doch als Feminizid zu untersuchen. Nur ohne untersuchbare Leiche, werden sie den Fall schnell unter den Teppich kehren können, wie sie es bereits in anderen Fällen getan haben. Die Geschichte wiederholt sich, die Ungerechtigkeit in Chiapas bleibt und trägt zahlreiche Namen von ermordeten Frauen* und Kindern, die allesamt Opfern von Feminiziden sind. Namen wie Lissette Paulina Gómez Zenteno, Jade Guadalupe Yuing Gómez, Miryana Iveth Saldaña Castillo stehen, ebenso wie Mariana für Feminizide, die trotz der Tatsache, dass sie den gesetzlichen Voraussetzungen entsprachen, nie als Feminizide untersucht wurden. Auch hier schloss die chiapanesische Staatsanwaltschaft den Fall mit der Einstufung als „Suizid” und kehrte ihn damit unter den Teppich.</p><p></p><h3><b>Nur der Widerstand garantiert die Gerechtigkeit</b></h3><p>Die staatliche Straflosigkeit geht weiter. Nur wenn die Angehörigen sich organisierten und kämpften, konnten in der Vergangenheit Fälle als Feminizide untersucht und verhandelt, Täter verfolgt und bestraft werden. Doch selbst dann, wenn der Täter tatsächlich bestraft wird, findet sich im Zuge der Haft oftmals ein Richter, der ihn vorzeitig entlässt – angeblich aus „Mangel an Beweisen”. In Chiapas, wie auch im Rest des Landes, herrschen Ungerechtigkeit und Straflosigkeit in den Institutionen, die den Schutz von Betroffenen von sexueller Gewalt garantieren sollten. Es existiert in Mexiko kein Rechtsstaat für Frauen*.</p><p>Die Student*innen verschiedener Fakultäten der Freien Universität Chiapas’ führen zur Zeit eine Bestreikung des Online-Unterrichts durch. Zugleich mobilisieren sie unter dem Motto <i>„Justicia y Destitución de los Directivos!“ (deutsch: „Gerechtigkeit und Rücktritt der Verantwortlichen!“</i>) auf die Straßen zu Kundgebungen und Demonstrationszügen. Ihre Forderung: Dass Mariana Gerechtigkeit widerfährt. Für die Mutter Marianas fängt nun die Hölle staatlicher Repression erst richtig an, die staatliche Organe regelmäßig gegen Familienangehörige ausüben, die sich organisieren und Gerechtigkeit verlangen. Vor einigen Tagen meldete sich die Universitätsleitung mit einer Pressekonferenz zu Wort und verkündete ihre Bereitschaft, zur Aufklärung des Falles beizutragen. Das Gleiche ist nun vom verantwortlichen Gesundheitsamt zu vernehmen. Aber es sind diese Institutionen, die sich heute als geläutert präsentieren und ihren Ruf wahren wollen, die den Tod von Mariana mit zu verantworten haben. Unterlassene Hilfeleistung tötet – als staatlich geförderter Feminizid.</p></div>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
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Von den sozialen Netzwerken auf die Straße2020-12-30T09:45:24.172426+00:002023-02-02T09:29:29.093247+00:00Juliana Ramirezredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/von-den-sozialen-netzwerken-auf-die-stra%C3%9Fe/
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<h1>Von den sozialen Netzwerken auf die Straße</h1>
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<div class="rich-text"><p><i>Beim Artikel handelt es sich um einen Beitrag zum diesjährigen</i> <a href="https://streaming.media.ccc.de/rc3/one"><i>RC3-Kongress</i></a><i>, ausgerichtet vom Chaos Computer Club (CCC). Veröffentlicht wird es in Kooperation mit dem</i> <a href="https://www.vizak.org/"><i>linksradikalen Cyper-Kollektiv Vizak</i></a><i>.</i></p><p></p><p>Die Massenbewegung der Frauen in Mexiko ist eine Bewegung, die sich aus Arbeiterinnen, Studentinnen, jungen und älteren Frauen, Betroffenen von geschlechtsbezogener Gewalt oder Angehörigen gewaltsam verschleppter oder ermordeter Frauen zusammensetzt. Sie hat trotz der Vielzahl verschiedener Motivationen ein gemeinsames Anliegen. Es handelt sich um eine Bewegung von unten, die sich aufgrund von Marginalisierung und der schieren Überlebensnotwendigkeit herausgebildet hat. Sie entsteht in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem eine der Haupttodesursachen von Frauen die Tatsache ist, dass sie Frauen sind. Sie entsteht in einem Land, in dem sich geschlechtsbezogene Gewalt darin ausdrückt, dass täglich zehn bis zwölf Frauen von zehn bis zwölf Männern ermordet werden. In der Mehrheit der Fälle werden die Frauen von Männern ermordet, zu denen sie zuvor eine persönliche Beziehung pflegten. Die Opfer werden misshandelt und verstümmelt oder verpackt in schwarzen Mülltüten an Straßenrändern aufgefunden – wenn sie überhaupt aufgefunden werden.</p><p>Auch wenn diese brutale Form der Gewalt keinen Unterschied zwischen gesellschaftlichen Klassen macht, fällt doch auf, dass die Mehrheit der Ermordeten aus der ArbeiterInnenklasse kommt. Das ist kein Zufall. Diese Klasse ist besonders von einer geringen sozialen Absicherung betroffen sowie von unzureichendem Zugang zu Bildung, zu sexueller und/oder geschlechtlicher Selbstbestimmung, zu sozialer Mobilität, kulturellem Kapital und ökonomischen Möglichkeiten. Diese ökonomische und politische Marginalisierung spielt bei der Normalisierung und Unsichtbarmachung systematischer Gewalt gegen Frauen eine zentrale Rolle.</p><p>Die heutige feministische Bewegung in Mexiko, die sich gegen die systematische Ermordung von Frauen wendet, ist eine heterogene Bewegung, die nicht von einzelnen politischen Akteuren (Parteien oder Organisationen) gelenkt wird. Vielmehr handelt es sich um eine spontane, massenhafte Bewegung ohne politische Führerinnen, deren Wut sich an den zahlreichen und immer neuen Mordfällen entzündet. Nachrichten von Mordfällen verbreiten sich inzwischen viral in den sozialen Netzwerken, vor allem aber über Facebook und Twitter.</p><p></p><h3><b>Die Politisierung ist die Straße</b></h3><p>Einerseits kann eine starke Aktivität der Bewegung an den weiterführenden Schulen und Universitäten festgestellt werden. Die Schülerinnen und Studentinnen organisieren sich dort vor allem gegen die institutionalisierte Straffreiheit gegenüber Sexualstraftätern im unmittelbaren sozialen Umfeld, wie zum Beispiel Klassenkameraden, Lehrern und Professoren. Die feministische Schülerinnen- und Studentinnenbewegung spielte eine wichtige Rolle bei größeren Demonstrationen, indem sie Betroffene mit einem Schutz-Netzwerk, aber auch im politischen Kampf unterstützte. Es muss sich vergegenwärtigt werden, dass es ein großer Beitrag ist, unter den erschwerten Bedingungen im Schul- und Universitätsbetrieb gegen sexuelle Gewalt anzukämpfen. Denn die Täter unter den Lehrkräften werden allzu oft unter dem Vorwand der „Wahrung des Rufs“ der Bildungsanstalt geschützt.</p><p>Andererseits erleben wir einen Aufschwung bei Gründungen feministischer Kollektive und zwar nicht nur in den Städten, sondern auch in ländlichen Regionen. In diesen kleinen, selbstorganisierten Gruppen aktivistischer Frauen werden vor allem Bildungsprogramme organisiert, in denen Expertinnen zum Beispiel online via Stream über feministische Themen informieren. Sie erfüllen damit die Pflicht zur Information über Staatsbürgerinnenrechte, die der mexikanische Staat nicht zu erfüllen in der Lage ist. Es sind unter anderem diese Orte und Formate der Information, durch die Interessierte Zugang zu feministischer Theorie erhalten.</p><p>Trotzdem erfolgt die Politisierung in erster Linie auf der Straße und am Küchentisch, lange bevor Frauen Zugang zu feministischer Theorie erhalten. Es ist mexikanische Realität, dass nur ein kleiner Prozentsatz der weiblichen Bevölkerung Mexikos überhaupt Zugang zu höherer Schulbildung hat – sei es aufgrund ökonomischer Faktoren oder aufgrund patriarchaler Rollenbilder. Eine Mehrheit der Frauen wird damit der Möglichkeit beraubt, sich in den Bildungsinstitutionen theoretisch zu bilden, zu politisieren oder zu organisieren. Die meisten Frauen politisieren sich darum aus persönlicher Betroffenheit heraus und durch die aktive Teilnahme an Demonstrationen auf den Straßen. Diese Frauen eignen sich theoretische Konzepte, wie das des Patriarchats, der systematischen Gewalt an Frauen, sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, des Klassenkampfes und der Verbindung von Feminismus mit dem Kampf gegen den Kapitalismus sowohl autodidaktisch als auch in der Praxis an, wenn sie sich in Bewegung setzen.</p><p></p><h3><b>Das Mordmotiv, eine Feministin zu sein</b></h3><p>Es zeigen sich offensichtliche Unterschiede zwischen der deutschen und der mexikanischen feministischen Bewegung, die ihre Ursachen in den verschiedenen nationalen und politischen Kontexten haben. So sind die Universitäten der wichtigste Ausgangspunkt der Organisierung des deutschen Feminismus. Er mobilisiert sich, anders als der Feminismus in Mexiko, erst nachrangig auf den Straßen. Im deutschen gesellschaftlichen Kontext ist es möglich, eine feministische politische Position in der Öffentlichkeit zu beziehen, was in Mexiko nicht der Fall ist. Der Begriff „Feminismus“ ist in der mexikanischen Gesellschaft derart stigmatisiert, dass er oft mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wird. Diese unmögliche Gleichsetzung steht hinter dem in Mexiko häufig zu hörenden, abwertenden Ausdruck „Feminazi“. Es ist leicht vorstellbar, dass es für Feministinnen in Mexiko sehr schwer ist, sich überhaupt öffentlich artikulieren zu können, ohne unmittelbar danach von Todesdrohungen, politischer Verfolgung und Ermordung bedroht zu sein.</p><p>Beispielhaft dafür ist der Fall von Leticia Sánchez Méndez, einer indigenen Frau des Volkes der Tzeltal. Méndez demonstrierte vergangenen September mit einem Transparent in ihrem Heimatort Chilón im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas gegen den Frauenmord an einer Minderjährigen. Die Folge war, dass sie Opfer von Cyber-Mobbing wurde: Sie wurde öffentlich gedemütigt und mit dem Tode bedroht; und zwar von lokalen mexikanischen Regierungsinstitutionen, die ihr vorwarfen, der Regierung „Schande zu bereiten“ und der „Rolle als Frau“ zuwiderzuhandeln. Es war das erste Mal, dass sich eine Frau des Volkes der Tzeltal im Landkreis Chilón öffentlich gegen Frauenmorde aussprach. Sie hat damit einen sehr mutigen und wichtigen Schritt gemacht.</p><p></p><h3><b>Erfolge werden erkämpft</b></h3><p>Die jüngere Protestwelle weitete sich nicht nur in Mexiko-Stadt, sondern auch auf hunderten weitere Städten landesweit aus und verbreitete eine Welle der Hoffnung. Angesichts der anhaltenden Straflosigkeit gegenüber Frauenmördern war neben Demonstrationen auch die Besetzung von Regierungsgebäuden eine an verschiedenen Orten wiederkehrende Konstante. Auch wenn die Bewegung derzeit leider noch weit entfernt davon ist, weitreichende juristische Maßnahmen zum Schutz des Lebens von Frauen und Kindern zu erkämpfen, konnten durch den Druck auf den Straßen und den sozialen Netzwerken Initiativen zu Gesetzesentwürfen erkämpft werden.</p><p>Ein Beispiel ist der Gesetzesentwurf „Ley Ingrid“. Dieser soll das Verbreiten von Frauenmord-Fotos durch Beamte der staatlichen Polizeikräfte verbieten, um die Würde der Opfer und der Angehörigen von Frauenmorden zu schützen. Ein anderes Beispiel ist das „Ley Olimpia“, das bereits landesweit verabschiedet wurde. Es zielt auf die Bestrafung von Verbreitung oder Vertrieb sexueller Inhalte ohne Erlaubnis durch die beteiligten Personen. Ein weiterer Fortschritt ist die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Bedenkt man, dass Oaxaca der zweitärmste Bundesstaat Mexikos ist, wo die dritthäufigste Todesursache von Frauen die heimliche Abtreibung ist, wird die Bedeutung dieses Gesetzes deutlich.</p><p>Die feministische Bewegung gibt den mexikanischen Frauen die Möglichkeit, für ein Leben ohne Gewalt zu kämpfen. Darum ist es kein Zufall, dass sich immer mehr Frauen der Bewegung anschließen, die selbst von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, die beinahe Opfer eines Mordfalls wurden oder eine Freundin/Angehörige einer Verschwundenen und/oder Ermordeten sind. Der Feminismus auf den Straßen ist eine energische, notwendige und mutige Antwort auf all diese Geschichten.</p></div>
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Campushexen kann man nicht festnehmen2018-09-27T17:55:36.988116+00:002018-09-27T17:55:36.988116+00:00Meral Çınarredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/campushexen-kann-man-nicht-festnehmen/
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<h1>Campushexen kann man nicht festnehmen</h1>
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<img alt="Hatice Göz" height="420" src="/media/images/hatice_goz_fur_artikel.2e16d0ba.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
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</div>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p><br/></p><p><i>Hatice
Göz wurde am Morgen des 11. September seitens der Antiterrorpolizei in ihrem
Haus in Ankara festgenommen. Am 20. September wurde sie dem Haftrichter vorgeführt.
Es folgte die Untersuchungshaft. Im folgenden veröffenltichen wir einen Solidaritätsaufruf von Meral
Çınar, einer Aktivistin der Campushexen im Exil.</i></p>
<p>Hatice
ist eine junge Feministin und hat ihren Abschluss in Psychologie gemacht.
Während und nach ihrem Studium hat sie für Frauenrechte gekämpft und sich gegen
Femizide, Belästigungen, Gewalt an Frauen und Kindesmissbrauch engagiert. Seit
2013 organisieren sich junge Frauen als Campushexen, um Widerstand gegen
Diskriminierung und Gewalt an Frauen zu leisten. Sie veranstalten Frauencamps,
Podiumsdiskussionen, Konferenzen und Demonstrationen mit dem Zweck der
Bewusstseinsbildung, und um die Solidarität zwischen Frauen zu stärken. Alle
ihre Aktivitäten sind öffentlich, stehen in keinem Widerspruch zur Verfassung
und werden im Rahmen von demokratischen Rechten und Freiheiten organisiert. Sie
unterhalten weder Verbindungen zu illegalen Organisationen, noch stehen sie
sonst irgendeiner Organisation nahe. Ihre Aktivitäten werden autonom
organisiert und ausgeführt. Hatice ist eine unserer Schwestern, die seit Jahren
als Campushexe für die Befreiung der Frauen kämpft. </p></div>
</section>
<section class="content-section content-type-photo">
<figure class="content-image">
<div class="content-image-wrapper">
<img alt="Hatice Göz mit anderen feministischen Aktivistinnen" height="1199" src="/media/images/hatice_goz_als_teil_der_kampus_cadilari.original.jpg" width="893">
</div>
<figcaption>
<p>Hatice Göz gemeinsam mit anderen Aktivstinnen der feministischen kampüs cadıları</p>
</figcaption>
</figure>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Das
Bündnis von Staat und Patriarchat betreibt eine Politik, die Frauen in
konservative Rollen hineinzwängt und unterdrückt und permanent die patriarchale
Struktur der Gesellschaft mobilisiert, um Gewalt gegen Frauen zu legitimieren.
Dieses Bündnis hat eine Türkei erschaffen, in der uns die Gewalt überall, auf
der Straße, im öffentlichen Verkehr, auf dem Campus oder zu Hause, auf Schritt
und Tritt folgt und ein Klima der Angst erzeugt. Während es eine Straftat
darstellt, sich zu organisieren, um nicht in einem Land leben zu müssen, in dem
Kindesmissbrauch und Feminizid auf der Tagesordnung stehen, werden täglich
Vergewaltiger und Frauenmörder mit verminderten Strafmaßen honoriert. Die vor
diesem Hintergrund steigende Konjunktur des Frauenkampfes hat das Regime allem
Anschein nach außerordentlich gestört. Mit dem Angriff auf Hatice und die
Campushexen zielen sie auf den Freiheitskampf der Frauen, gegen den Feminismus
und in letzter Konsequenz auf alle Frauen ab. Sie versuchen unsere Bewegung zu
delegitimieren, indem sie die Namen aller ihnen bekannten illegalen
Organisationen zur Hand nehmen und uns in Verbindung zu diesen setzen. Das
machen sie, weil sie nicht sagen können, dass es eine Straftat ist, Mitglied
bei den Campushexen zu sein, Camps oder Podiumsdiskussionen zu organisieren,
bei denen es um den Frauenkampf geht, oder gegen Kindesmissbrauch und Femizid
zu kämpfen. Denn dies sind demokratische und legale Rechte. <br/></p><p>Doch ihre
Anstrengungen sind zum Scheitern verurteilt. Ihre Kraft wird nicht ausreichen,
um die Campushexen oder sonst irgendeinen Teil des Frauenkampfes auf diese
Weise zu delegitimieren, die Ursachen ihrer Existenz zu verdrehen oder ihrem
Kampf Einhalt zu gebieten. Bis zu dem Tage, an dem keine einzige Frau mehr
ausgeschlossen ist, werden wir an unserem Freiheitskampf festhalten. Wir fordern
deshalb, dass unsere als Geisel gehaltene Schwester Hatice umgehend
freigelassen wird. Aus diesem Grund laden wir unsere Schwestern überall auf der
Welt dazu ein, Solidarität mit den Campushexen, dem Frauenkampf in der Türkei
und mit Hatice Göz zu bekunden. <br/>
</p><p>Als
Schwestern von Hatice werden wir in Europa eine Solidaritätskampagne mit Hatice
und dem Frauenkampf in der Türkei organisieren. Diese Kampagne wird unter
anderem Solidaritätsvideos und -bilder, Briefe ins Gefängnis, Soliparties für
die Finanzierung der Anwälte und des Gefängnisaufenthaltes und anderes
beinhalten. Jede*r, der*die mitmachen und sich solidarisieren will, ein Video
oder ein Bild senden möchte, kann uns über <a href="mailto:Freehatice.2018@gmail.com">Freehatice.2018@gmail.com</a> erreichen.</p><p></p><hr/>
<p> Aus dem
Türkischen übersetzt von der Redaktion des<i> re:volt magazine</i>.</p></div>
</section>
<section class="content-section content-type-photo">
<figure class="content-image">
<div class="content-image-wrapper">
<img alt="Campushexen in Aktion" height="800" src="/media/images/kampus_cadilari2.original.jpg" width="1200">
<span class="content-copyright">kampüs cadıları</span>
</div>
<figcaption>
<p>Campushexen in Aktion</p>
</figcaption>
</figure>
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</article>
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„Wenn die Frauen frei wären, würde die Welt aus den Angeln fallen“*2017-11-09T18:14:22.509222+00:002017-11-09T18:14:22.509222+00:00Meral Çınarredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/wenn-die-frauen-frei-w%C3%A4ren-w%C3%BCrde-die-welt-aus-den-angeln-fallen/
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<h1>„Wenn die Frauen frei wären, würde die Welt aus den Angeln fallen“*</h1>
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</div>
</div>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>
</p>Im letzten Jahr konnte man beobachten, dass
die vielfältigen Proteste von Frauen [1] weltweit in Lautstärke und Dynamik
zunahmen. Überall auf der Welt gingen Frauen auf die Straße, um für das Recht
auf Selbstbestimmung ihres Lebens in allen gesellschaftlichen Bereichen zu
kämpfen. Ein Jahr später halten diese Kämpfe immer noch an: Von „Ni Una Meños“
über „Mi Primer Acoso“ bis hin zum „czarny poniedziałek“ und den
Frauenstrukturen in Rojava. Die unmittelbaren Gründe hierfür sind klar: Es ist
einerseits der in Krise geratene Kapitalismus, der mittels neoliberaler
Politiken und der Kraft patriarchaler Verhältnisse in einen Totalangriff auf
die Körper und die Arbeit der Frauen übergeht. Andererseits ist es die
Eigendynamik des Patriarchats, die sich ausweitet und repressiv auf die Körper
und die Arbeit der Frauen wirkt. Für Frauen bedeutet das konkret: Unerträgliche
Arbeitsbeziehungen (Prekarität, Niedriglohn, flexible Arbeitszeiten, usw.) und
die Verdichtung von unbezahlter und unsichtbarer Arbeit, also die
Intensivierung der Reproduktionsprozesse der Arbeit – und dies in einer Welt, in der sie als Frauen
tagtäglich ermordet, vergewaltigt und physisch angegriffen werden. Ihnen wird
die Luft zum Atmen genommen. Wir müssen handeln, um diese unerträglichen
Verhältnisse, die sich auf den gesamten öffentlichen und privaten Raum
ausgedehnt haben, zu zerschlagen. Dafür ist es notwendig, eine Weltkarte der
sich weltweit ausbreitenden Frauenkämpfe zu zeichnen. Es ist wichtig, die
Ursachen dieser Kämpfe und ihre Konsequenzen zu diskutieren, weil allein eine
Zunahme und Ausweitung der Frauenwiderstände nicht auch automatisch einen
Erfolg verspricht. Die Welt, wie sie heute ist, ist für Frauen nicht mehr
erträglich. Die richtige Ausrichtung der Kämpfe hingegen bedeutet nichts mehr
und nichts weniger, als die Welt aus den Angeln zu heben und die Tür zur
Befreiung der Frauen aufzustoßen.
<h2>Eine Weltkarte erstarkender Frauenkämpfe</h2>
<p>Internationale Aufmerksamkeit erhielten 2016
die Proteste in Argentinien. Unter dem Slogan „Ni Una Meños“ („Nicht eine
weniger“) organisierten tausende Frauen tagelange Proteste gegen die stetige
Zunahme von Vergewaltigungen und Femiziden, also Morde an Frauen, weil sie
Frauen sind. In diesem Land, in dem statistisch betrachtet alle 18 Stunden eine
Frau ermordet wird [2], beschränkten sich die Forderungen der kämpfenden Frauen
jedoch nicht nur auf das Thema des Femizids. Die kämpfende Frauenbewegung in
Argentinien wendet sich gegen alle Verhältnisse, die den Lebensstandard der Frauen
erniedrigen, und führt ihren Kampf fort mit Forderungen wie gleichen Lohn für
gleiche Arbeit, sichere Arbeit, Aufteilung der Care-Arbeit und dergleichen.</p>
<p>Diese Kämpfe breiteten sich sofort in ganz
Lateinamerika aus: Frauen in Mexiko organisierten sich um den Hashtag „Mi
Primer Acoso“ („Mein erster Übergriff“), tauschten sich über soziale Medien
über ihre ersten Belästigungserfahrungen aus und trugen ihren Kampf gegen
Vergewaltigungen auf die Straße. <a href="https://elpais.com/internacional/2016/04/24/mexico/1461457343_029902.html">Jährlich</a>
gehen 15.000 Strafanzeigen aufgrund von Vergewaltigung bei der mexikanischen
Staatsanwaltschaft ein, täglich werden fünf Frauen ermordet. Hinzu kommt, dass
die Arbeitsbedingungen miserabel sind. Diese Verhältnisse sind es, gegen die
sich die Frauen bis heute mit Massenprotesten wehren. Zeitgleich fanden in
Chile, der Dominikanischen Republik und Honduras bis heute anhaltende Proteste
gegen die Illegalisierung der Abtreibung statt. In diesen Ländern sterben jährlich
hunderte Frauen, weil sie aufgrund des hohen Strafmaßes zu extrem gefährlichen
Formen der Abtreibung gezwungen werden. Zwar wurde aufgrund des massenhaften
Widerstandes der Frauen <a href="http://catlakzemin.com/silide-kurtaj-kazanimi/">das
Abtreibungsgesetz</a> <a href="http://www.reuters.com/article/us-chile-abortion/chile-court-ruling-ends-abortion-ban-new-law-allows-in-limited-cases-idUSKCN1B1234">in
Chile</a> - wenn auch bei weitem noch nicht zureichend - reformiert, in den
beiden anderen Ländern sieht die Situation hingegen immer noch sehr schlecht
aus. Was alle diese Frauenkämpfe in Lateinamerika eint, ist, dass sie vom Kampf
um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ausgehen, um diesen mit
Forderungen bezüglich der Arbeitswelt zu ergänzen, woraufhin sich die Kämpfe
ausweiteten.</p>
<p>Selbstverständlich beschränken sich die
Frauenkämpfe nicht allein auf den lateinamerikanischen Kontinent:</p>
<p>In Polen riefen Frauen im Jahr 2016 den
„czarny poniedziałek“ (Schwarzer Montag) für ihr Recht auf Abtreibung ins
Leben. Anfangs kleideten sich jeden Montag massenhaft Frauen in schwarzen
Kleidern, später beteiligten sich über sechs Millionen Frauen in 60 Städten an
einem eintägigen Streik, an dem sie jede Arbeit zu Hause, wie auch auf der
Arbeitsstelle verweigerten. Ähnliches passierte in Irland und Südkorea, wo man
sich an den polnischen Protesten orientierte. Die Kämpfe in Polen und Irland
haben der Weltgemeinschaft und ihren Staaten gezeigt, was ein Frauenstreik so
alles anrichten kann. Genau aus diesem Grund sind sie enorm wichtig. Sie haben
gezeigt, dass Frauen den alltäglichen Lauf der Dinge fast vollständig zum
Stillstand bringen können.</p><hr/></div>
</section>
<section class="content-section content-type-photo">
<figure class="content-image">
<div class="content-image-wrapper">
<img alt="Proteste von Frauen in Polen | 2016" height="2784" src="/media/images/polonya_2.original.jpg" width="3735">
<span class="content-copyright">Sol | Twitter</span>
</div>
<figcaption>
<p>Demonstration gegen die Abtreibungsgesetzgebung in Polen, 2016</p>
</figcaption>
</figure>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>In Island gingen Tausende Frauen mit der
Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf die Straßen, da Männer in
Island noch immer bis zu 18 Prozent mehr Lohn bekommen. Ihr Kampf erschuf einen
Präzedenzfall: Sie erzwangen ein Gesetz, das alle Arbeitgeber*innen des
privaten und öffentlichen Sektors dazu verpflichtet, das Prinzip des „gleichen
Lohns für gleiche Arbeit“, unabhängig von “Geschlecht, ethnischer
Zugehörigkeit, sexueller Präferenzen oder Nationalität” einzuhalten und darüber
Nachweise zu erbringen. </p>
<p>Inspiriert von diesem Kampf gingen auch in
Frankreich die Frauen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit auf die Straßen. Im
krisengebeutelten Italien mobilisierten die Frauen Proteste gegen die
Austeritätspolitiken, welche unter anderem eine Reduzierung der
Gesundheitsversorgung und Kostenerhöhung für Abtreibungen vorsahen.</p>
<p>Im Mittleren Osten sticht der Widerstand
iranischer Frauen sowie der Kampf der syrischen Frauen gegen den sogenannten
„Islamischen Staat“ (IS) hervor. Frauen, die in Syrien Gewalt durch den IS
erfuhren, bewaffneten sich und organisierten sich in Frauenbataillonen, um für
sich und ihre Schwestern, die vergewaltigt, als Sklavinnen verkauft oder
getötet wurden, zu kämpfen. Im Iran haben Frauen zum ersten Mal nach Jahren
eine Social Media-Kampagne gegen das Kopftuchgebot lanciert. Unter dem Hashtag
„آزادی یواشکی زنان
در ایران“ („Meine
heimliche Freiheit“) teilten Frauen Fotos von sich, die sie ohne Kopftuch
zeigten. Hunderten von Drohmails und staatlichen Strafverfahren zum Trotz
setzen sie ihren Kampf entschieden fort.</p>
<p>Ich beende diese Kartographie des
Frauenkampfes vorläufig mit der Frauenbewegung in der Türkei, die, ungeachtet
der steigenden Repression, entschlossen und mutig kämpft. Nicht nur konnten die
Frauen das von der AKP geplante Abtreibungsverbot mittels Massenprotesten
stoppen; sie führen insgesamt den Kampf gegen den Despotismus an. Trotz aller
Bomben, Polizeigewalt und Verhaftungswellen befanden sich die Frauen stets an
vorderster Front der Barrikaden und Demos und erteilten der gesamten Linken
eine Lektion.</p>
<p>Allein diese Skizze zeigt uns, dass mit dem
Jahr 2016 der „Befreiungskampfes der Frau“ erneut aufgeflammt ist.: Nach Jahren
vernetzen sich die Frauenkämpfe wieder weltweit und kommunizierten über Grenzen
hinweg. Wir haben alle ähnliche Forderungen. Wir lernen miteinander
Aktionsformen und tauschen Kampferfahrungen aus. Frauenkämpfe auf einem Teil
der Erde werden unterstützt von Solidaritätsdemonstrationen in anderen Teilen
der Welt. Es formiert sich langsam eine neue internationalistische,
feministische Bewegung.</p>
<h2>Der patriarchale Kapitalismus intensiviert
seine Angriffe</h2>
<p>Was also sind die Ausgangslagen und Gründe der
Frauen, die seit 2016 auf den Straßen kämpfen? Wie verteilen sie sich auf der
Weltkarte der Frauenkämpfe und was sind wo die einigenden Momente? Und: Wie
lassen sich die Frauenorganisationen entlang dieser einigenden Momente
zusammenbringen zu einem neuen und gemeinsamen internationalistischen Kampf?
Ich möchte hierzu wenigstens einige grundlegende Überlegungen skizzieren.</p>
<p>Die Hegemoniekrise des Imperialismus, die sich
vertiefende Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft, die ökologische Krise
und die vielen aus diesen Krisen hervorgehenden untergeordneteren Dynamiken
versetzen der derzeitigen Welt gewaltige Schläge. Der Kapitalismus brachte seit
ehedem solche gewaltigen Krisen hervor, die ihn erschütterten; und die
„schöpferische Zerstörung“, mit der sich der Kapitalismus aus solchen Krisen
stets herauswand, kommt mittlerweile an die Grenze dessen, was sich zerstören
lässt. Dem Neoliberalismus in den 1970ern kam beispielsweise eine solch
rettende Funktion zu. Zur Lösung der derzeitigen Krise taugt er aber
offensichtlich nicht. Die Krisen weiten sich aus und vertiefen sich. Zur
Rettung aus der Not greift der Kapitalismus deshalb wieder verstärkt auf eine
andere Herrschaftsform zurück; auf eine Herrschaftsform, die unendlich alt ist
und sich schon in den Kommunalgesellschaften der Urzeit finden lässt. Es ist
eine Herrschaftsform, die nicht klassenförmig ist oder über die klassenförmige
Unterdrückung hinaus reicht: Das Patriarchat, die Herrschaft über den
weiblichen Körper und die weibliche Arbeit(skraft).</p>
<p>Das Patriarchat wird durch die Herabsetzung
des gesellschaftlichen Status der Frau und damit ihrer Herabsetzung in den
Produktionsverhältnissen zu einer Kraft, die den Kapitalismus stärkt. Für den
Kapitalismus heißt das dann unter anderem: billige, prekäre und flexible
Arbeitskräfte, unbezahlte Reproduktionsarbeit sowie Kommodifizierung [3] und
Ausbeutung des Frauenkörpers. Dieses System, das aufgrund seines
Doppelcharakters als „patriarchaler Kapitalismus“ bezeichnet werden kann,
bedrängt den Körper der Frau und kommodifiziert ihn, während ihre Arbeitskraft
doppelt ausgebeutet wird – zu Hause und auf der Arbeit. Das heißt nicht, dass
Kapitalismus und Patriarchat identisch sind. Das Patriarchat ist eine
eigenständige Herrschaftsform, das zum Teil auch mit dem Kapitalismus in
Konflikt gerät. Es sind jedoch gerade die Forderungen der Frauenkämpfe des
Jahres 2016, die Kapitalismus und Patriarchat als „patriarchalen Kapitalismus“
adressieren.</p>
<h2>Kampf an allen Fronten!</h2>
<p>Folgerecht müssen wir festhalten, dass die
derzeitig zunehmenden patriarchalen Angriffe auf Frauen beabsichtigen, sie noch
weiter zu erniedrigen, während sie gleichzeitig den kriselnden Kapitalismus
stärken. Das ist auch der Grund für die zunehmenden patriarchalen und
sexistischen Politiken der meisten Staaten der Erde. Worin diese Politiken
bestehen, können wir den hier analysierten Widerständen und ihren Forderungen
entnehmen:</p>
<ul><li>Da sind die <i>Widerstände gegen drohende Abtreibungsverbote</i>, die dominiert werden
von der Forderung „mein Körper, meine Entscheidung“. Es ist geradezu der
Klassiker des Patriarchats, zwecks Herrschaft über den Frauenkörper über die
Gebärfähigkeit desselben zu bestimmen. Die Stabilisierung des Patriarchats ist
ein Grund für die Androhung des Abtreibungsverbotes – hier stabilisieren sich
unter anderem auch ultrakonservative religiöse Weltbilder. Dass das Verbot vor
allem in den überalterten Gesellschaften Europas diskutiert wird, hat jedoch
auch einen anderen Grund. Im Kapitalismus, in dem tendenziell immer mehr
Arbeitskräfte benötigt werden, sollen Abtreibungen verboten oder zumindest
erschwert werden, um die Gebärfähigkeit der Frauen für seinen Zweck
funktionalisieren zu können. Unabhängig davon, ob damit die Gebärfähigkeit der
Frau tatsächlich „gesteigert“ werden kann, geht es hier allgemeiner um die
Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper. Das Abtreibungsverbot ist deshalb
nicht nur ein Problem für Frauen, die weniger oder gar keine Kinder haben wollen,
sondern eine Absage an jede Frau, die über ihren eigenen Körper selber
entscheiden will.</li></ul>
<ul><li>Die <i>Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit</i> wird vor allem in
Europa zentral gesetzt. Denn sogar in den Ländern, in denen die Frauenrechte im
Zuge Jahrhunderte langer Kämpfe einige Erfolge zeitigten und in denen viele
Frauen sogar der Meinung sind, dass sie den Männern gleichgestellt sind,
bekommen sie nicht denselben Lohn für dieselbe Arbeit. Die Zweitklassigkeit der
Frau ist auch dort nicht überwunden. Patriarchale Verhältnisse lösen sich mit
der Weiterentwicklung des Kapitalismus nicht einfach auf, sondern nehmen
subtilere Formen an. Der Gleichheitsbegriff der bürgerlichen Revolutionen
entlarvt sich als Gleichheit unter Männern und bleibt somit ein abstrakter. </li></ul>
<ul><li>Unsicherheit, schlechte
Entlohnung, Flexibilität und Prekarisierung bilden in den Ländern, die
historisch betrachtet später kapitalistische Verhältnisse entwickelten, die
„normalen“ <i>Arbeitsbedingungen für Frauen</i>
auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn diese eigentlich klassisch neoliberalen
Arbeitsbeziehungen das Proletariat als solches betreffen, ist die Tatsache,
dass diese Arbeitsbedingungen vor allem als „natürlich“ für Frauen gelten, ein
integraler Bestandteil des organischen Verhältnisses, welches das Patriarchat
mit dem Kapitalismus eingeht.</li></ul>
<ul><li>In den Gebieten hingegen, in denen
Widerstände gegen Femizide, sexuelle Belästigungen sowie Vergewaltigungen die
Agenda der Frauenkämpfe bestimmen, geht es den Frauen um den <i>Überlebenskampf</i>. Wo täglich Dutzende
Frauen umgebracht werden, wird zuerst um das
Ende der tödlichen Gewalt an Frauen gekämpft. Die Forderung der
Aktivistinnen nach „Leben“ ist hier wörtlich gemeint, ihr Kampf nimmt die Form
der Selbstverteidigung an. </li></ul>
<p>Diese Kämpfe, die sich je nach konkreter Dringlichkeit
und in der konkreten Situation unterschiedlich herauskristallisieren, bringen
Frauen mit unterschiedlichen Forderungen in allen Teilen der Welt zusammen. Da
die Gründe für die Unterdrückung ursächlich im patriarchalen Kapitalismus zu
finden sind, entstehen auch einigende Tendenzen in den Kämpfen dagegen. Unsere
Differenzen, was Erfahrungen und Strategien des Widerstands angeht, sind
Quellen der Vielfalt. Sie bereichern unsere Bewegung, unseren Kampf. Aus diesem
Grund kann eine Protestform, die in Argentinien entsteht, eine Vorbildfunktion
für Frauen in Deutschland haben. Oder der bewaffnete Frauenwiderstand in Rojava
kann für Frauen in der Türkei, die täglich mit der Angst auf die Straße gehen,
ermordet zu werden, eine Motivationsquelle werden und zur Ausbildung von
Selbstverteidigungstaktiken führen. Es zeigt uns, dass es
möglich und notwendig ist, auf globaler Ebene einen gemeinsamen,
internationalistischen Kampf in den Fokus zu rücken.</p>
<hr/>
<p>[1] Der Essay konzentriert sich auf
Frauenkämpfe im engeren Sinne und bezieht sich damit nicht auf originäre
L(G)BTQ-Kämpfe. Dies bedeutet keineswegs eine Abwertung derselben, vielfach
finden weltweit auch gemeinsame Kämpfe statt.</p>
<p>[2] Eliana Ibarra, „Arjantin’de yükselen kadın
direnişleri“ [Zunahme der Frauenkämpfe in Argentinien], in: FEMINERVA, Nr. 1
(Juni 2017), S. 10-11.</p>
<p>[3] Kommodifizierung ist ein Begriff, der den Prozess des
Zur-Ware-Machens beschreibt.</p>
<p>*„Wenn die Frauen frei wären, würde die Welt aus den Angeln fallen“. Populärer feministischer Demoslogan in der
Türkei. Original: „Dünya yerinden oynar, dünya yerinden oynar – kadınlar özgür
olsa, kadınlar özgür olsa!“</p>
<p>Aus dem Türkischen übersetzt von Evrim Muştu
und Alp Kayserilioğlu.</p>
<hr/><h2><a href="https://revoltmag.org/articles/protest-widerstand-revolution/">Patriarchat und Widerstand</a></h2>Die sehr unterschiedlichen Beiträgen unserer Reihe eint ein
feministischer Blick auf das Leben in patriarchalen und sexistischen
Verhältnissen und in Klassenverhältnissen; ein feministischer Blick
ebenso auf die Funktionsweise des Kapitalismus, der die Unterdrückung
der Frau seit Anbeginn als konstituierendes Element benötigt und
ausnutzt. Wir wollen eigene Erfahrungen einbringen, als Frauen* in
patriarchalen Strukturen, wollen Kämpfe und Widerstände weltweit
aufzeigen und für die Bewegung im deutschsprachigen Raum zugänglich
machen. Wir machen die Geschichte der Frauen*bewegungen lebendig und
fragen gleichzeitig nach einer Zukunft des Widerstands.
<hr/><br/></div>
</section>
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<p>Teil der Reihe "Patriarchat und Widerstand"</p>
</figcaption>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
<p>Copyright © 2017 re:volt magazine Redaktion - Einige Rechte vorbehalten</p>
<p>
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Protest, Widerstand, Revolution2017-11-04T11:41:06.271068+00:002017-11-04T13:11:32.828615+00:00Joan Adalarredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/protest-widerstand-revolution/
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<h1>Protest, Widerstand, Revolution</h1>
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</div>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Drei Blitzlichter.</p>
<p>Erstens. „Wird Hollywood jetzt keusch?“ jammert die <a href="http://www.bild.de/unterhaltung/leute/harvey-weinstein/wird-hollywood-jetzt-keusch-53566202.bild.html">BILD</a>
letzte Woche, als durch den Hashtag #metoo („ich auch“) immer mehr Frauen* ihre
Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Übergriffen online sichtbar machen.
Ausgangspunkt dafür waren Missbrauchsvorfälle in der
Filmindustrie. Das Blatt bagatellisiert die Übergriffe als „Sex-Attacken“ und
schreibt: „Heute kann ein Kompliment über das schöne Kleid einer Frau leider
schon missverstanden werden – als sexuelle Belästigung! Der neue Sex-Code:
Hände weg von Mitarbeiterinnen und Schauspielerinnen“. Die Mechanismen, sexualisierte
Gewalt zu verharmlosen und die patriarchalen Machtverhältnisse zu normalisieren
und aktiv zu schützen, in zwei Sätzen zusammengefasst. Mit #metoo wird aktuell
(und mal wieder!) die Allgegenwärtigkeit dessen ins Licht gerückt. Jede Person
mit Internetanschluss kann potenziell teilnehmen, jede kann gehört werden. Auch
die Stimmen, die den wichtigen Schwenk vom Erzählen einer individuellen Erfahrung
dorthin vollziehen, die Systematik hinter dem Einzelfall wahrzunehmen. Das
heißt, die patriarchalen Strukturen, die Täter* hervorbringen und schützen,
offenzulegen und verantwortlich zu machen. Denn die Unterdrückung von Frauen*
ist ein zentraler Motor des Kapitalismus. Die aktuelle Aktion kann nicht <i>nur</i> als privilegierte
Hollywoodgeschichte, Identitätspolitik oder Netzfeminismus ohne Rückgriff auf
historische Entwicklungen abgetan werden [1]: Die „Me too“-Bewegung ist keine
neue, und keine <i>weiße </i>Erfindung<i>.</i> Women of Color prägten <a href="http://www.ebony.com/news-views/black-woman-me-too-movement-tarana-burke-alyssa-milano#.WeXbX6FYxF4.twitter">schon vor Jahren</a> den Begriff. Es
ist eine radikale Bewegung, so beschreibt es die Aktivistin <a href="https://twitter.com/TaranaBurke/status/919704801214128139?ref_src=twsrc%5Etfw&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.buzzfeed.com%2Faishagani%2Fpeople-are-pointing-out-a-black-woman-started-the-me-too">Tarana
Burke</a>, die insbesondere junge Frauen (of Color) wissen lässt, dass sie
nicht alleine sind. Sexualisierte Gewalt, so Burke, kennt
keine Ethnizität, kein Geschlecht, keine Klasse („no race, no gender, no
class“). Aber die Reaktion auf sexualisierte Gewalt ist hochgradig von „race,
class, gender“ abhängig: Welche Gewalt wahrgenommen wird, welche Übergriffe als
„natürlich“ und „normal“ dargestellt werden, wessen Stimme gehört wird und so
weiter. Die aktualisierte #metoo-Bewegung ist im Übrigen kein reines
Onlinephänomen mehr, was Demonstrationen (etwa mit 1000 Aktivist_innen in
Berlin) unter demselben Namen und neu entstehende feministische Bündnisse
zeigen. Auch der Rahmen der Kulturindustrie ist in den Diskussionen längst überschritten, es geht
auch immer mehr um Übergriffe von Männern in anderen machtvollen Positionen, <a href="http://derstandard.at/2000067017397/BelaestigungsvorwuerfeBritischer-Verteidigungsminister-tritt-zurueck?ref=rec">in der Politik</a>
und in staatlichen Strukturen. </p>
<p>Zweitens. Zeitgleich in Polen. Zehntausende Frauen* (und
einige männliche Unterstützer) gehen gegen die geplanten Verschärfungen des
Abtreibungsrechts durch die Regierung, die von der rechtspopulistischen,
ultrakonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS – Prawo i
Sorawiedliwosc) gestellt wird, auf die Straße. Vorausgegangen sind jahrelange
Kämpfe um umstrittene Justizreformen, nach der Frauen, die eine Abtreibung
vornehmen, mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können.
Frauen*organisationen in Polen machen indes nicht beim Thema Abschiebung halt.
Sie üben scharfe Kritik an den rechts-nationalistischen Entwicklungen der
Regierung, an der frauen- und massenfeindlichen Politik und an der zunehmenden
Einflussnahme der katholischen Kirche auf alle Lebensbereiche. Nicht zuletzt
solidarisieren sie sich mit Arbeitskämpfen vor Ort und europaweit, sie sind
lautstarke Verbündete – in
Gewerkschaftskämpfen und Streiks, aber auch in basisorganisierten Strukturen.
Kurz gesagt: Sie sind der Regierung schon lange ein Dorn im Auge. <a href="https://www.jungewelt.de/artikel/319920.vorsorglich-einschüchtern.html">Die
Behörden reagierten daher umgehend</a> und schickten acht
Frauen*organisationen, die für die diesjährigen Proteste mobilisiert hatten,
die Staatsanwaltschaft an den Kragen: Die Polizei drang in die jeweiligen Räume
ein und konfiszierte Unterlagen und Computer. </p>
<p>Drittens. Ein weiteres Hashtag: #keinemehr. Es thematisiert
Femizide, Frauenmorde: Frauen*, die getötet werden, <i>weil</i> sie Frauen* sind. Der
Hashtag und die dahinterstehende große feministische Bewegung entstanden in
Lateinamerika: „Ni una meños“ (Nicht eine Frau weniger) heißt es dort. In
Argentinien, Mexiko oder Peru kämpfen die Genossinnen seit Jahren in
zahlreichen Städten (auch militant) gegen unterdrückerische und sexistische
Strukturen an: gegen frauenfeindliche Gesetzgebungen, fehlende Schutzstrukturen
für Betroffene von Gewalt, Machismo als Staatsräson und gegen das von Männern
dominierte Justizsystem. Viele der Basisgruppen verknüpfen ihre Forderungen
nach dem Ende der Gewalt gegenüber Frauen* mit antikapitalistischen und
sozialistischen Grundsätzen. Ihre Kämpfe gegen Frauenmorde sind ein Vorbild für
verbündete Frauen* in anderen Teilen der Welt. In Polen, in Italien, in der
Türkei - und eben in Deutschland werden die Kämpfe thematisiert, derzeit laufen die letzten Planungen für ein <a href="https://keinemehr.wordpress.com/">Vernetzungstreffen
von Aktivistinnen</a>* am 11.11. in Berlin.</p><h2>Patriarchat und Widerstand - Auftakt einer neuen Reihe<br/></h2>
<p>Ein Triptychon – drei Schaubilder – zu Themen, die aktuell
debattiert werden, die Frauen*, aber eben beileibe nicht nur sie, sondern die
gesamte Gesellschaft betreffen. Wir wollen an dieser Stelle mit einer ganzen
Reihe an sehr unterschiedlichen Beiträgen einsetzen, die eines eint: Ein
feministischer Blick auf das Leben in patriarchalen und sexistischen Verhältnissen
und in Klassenverhältnissen; ein feministischer Blick ebenso auf die
Funktionsweise des Kapitalismus, der die Unterdrückung der Frau seit Anbeginn
als konstituierendes Element benötigt und ausnutzt. Wir wollen eigene
Erfahrungen einbringen, als Frauen* in patriarchalen Strukturen, wollen Kämpfe
und Widerstände weltweit aufzeigen und für die Bewegung im deutschsprachigen
Raum zugänglich machen. Wir möchten die Geschichte der Frauenbewegungen
lebendig machen und gleichzeitig nach einer Zukunft des Widerstands fragen:
Welche gesellschaftliche Relevanz hat ein materialistischer Feminismus heute?
Wie lassen sich Klassenkämpfe und Feminismus weiter zusammen denken? Wie steht
es um das Thema der Klassenunterschiede in feministischen Bewegungszusammenhängen?
Wie werden Erfahrungen von Kolonialismus und Rassismus aufgegriffen und
bearbeitet? Welche Rollenvorstellungen und patriarchale Strukturen müssen wir
in unseren eigenen linksradikalen Strukturen bekämpfen? Wie kann dem
Wiedererstarken von antifeministischen Ideologien durch
rechte Projekte begegnet werden? Und auch: Wie können wir Kämpfe gegen
Prekarisierung, Ausdehnung der Arbeit, Armut, gekürzte Sozialleistungen und
Wohnungsnot, also „Kämpfe von unten“ besser als bisher mit feministischen
Perspektiven verknüpfen? In diesen zeigt sich nämlich die Zuspitzung in der
allgemeinen Hegemoniekrise des Kapitalismus, nämlich die Zuspitzung des
Widerspruchs zwischen Kapitalakkumulation und sozialer Reproduktion: Einerseits
sind arbeitende und emanzipierte Frauen* super zwecks Ausbeutung ihrer
Arbeitskraft, andererseits werden sie erneut auf ihre patriarchal kodierten
Rollen der unbezahlten und unsichtbaren Reproduktionsarbeit heruntergedrückt.
Viele der neoliberalen, individualisierten Verhältnisse sind, das wird damit
deutlich, eben auch mit patriarchalen und sexistischen Verhältnissen organisch
verknüpft und müssen deshalb gemeinsam bekämpft werden. Als re:volt Redaktion
erhoffen wir uns im Laufe der Reihe eine fruchtbare und solidarische Debatte
und auch einen Erkenntnisgewinn für unsere eigenen Auseinandersetzungen. Wir
möchten Frauen*(kollektive) auffordern, eigene Beiträge einzubringen. Schreibt
uns! </p>
<p>[1] Eine durchaus
konstruktive Kritik an der aktuellen #metoo-Bewegung liefert etwa Charlott
Schönwetter bei der <a href="https://maedchenmannschaft.net/metoo-wichtige-aktion-zur-sichtbarmachung-oder-aktivismus-sackgasse/">Mädchenmannschaft</a>.</p></div>
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