re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=11022020-06-18T17:05:22.101314+00:00Bereiten wir uns auf eine widerständige Zeit vor!2020-05-11T11:36:31.492152+00:002020-06-18T17:05:22.101314+00:00Ökologisch Radikal Links (Frankfurt am Main)redaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/bereiten-wir-uns-auf-eine-widerst%C3%A4ndige-zeit-vor/
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<link href="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.css" rel="stylesheet"><meta name="apple-mobile-web-app-title" content="re:volt mag"><meta name="apple-mobile-web-app-capable" content="no"><meta name="apple-mobile-web-app-status-bar-style" content="black"><meta name="theme-color" content="#99020b"><link rel="apple-touch-icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><link rel="manifest" href="/static/revoltmag/manifest.307d5e0f476ef238b243c472abadb46c.json"><link rel="icon" sizes="180x180" href="/static/revoltmag/icon_180x180.f95a8c6b74bb715d326c7790779a0330.png"><script defer="defer" src="/static/revoltmag/app.bc8423e0087c1cde5a69.js"></script>
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<h1>Bereiten wir uns auf eine widerständige Zeit vor!</h1>
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<span class="content-copyright">Joe Brusky | Flickr</span>
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<div class="rich-text"><p><i>Der folgende Debattenbeitrag von</i> <a href="https://oekoradikallinks.noblogs.org/"><i>Ökologisch Radikal Links</i></a><i> ist eine Antwort auf den im April veröffentlichten Beitrag von</i> <a href="https://revoltmag.org/articles/die-selektive-solidarit%C3%A4t-durchbrechen/"><i>Kritik & Praxis Frankfurt</i></a><i>. Wir rufen weiterhin alle antikapitalistischen Zusammenhänge und Organisationen dazu auf, sich an dieser Debatte zu beteiligen, Beiträge einzureichen und gerne auch Widerspruch und Kritik zu leisten. Selbstverständlich sind auch antifaschistische Beiträge gewünscht, wie auf die derzeit größeren Mobilisierungen rechter und verschwörungsmythischer Akteur*innen Widerstand von links geleistet werden kann.</i></p><p></p><hr/><p></p><p>Mit dem Ausbruch des Virus SARS-CoV-2 in Deutschland und weltweit, und dem damit verbundenen Lockdown, wurde die Form unserer politischen Arbeit vor weitreichende Probleme gestellt. Nicht nur mussten wir von persönlichen Treffen auf Videokonferenzen umsteigen, auch musste unser gesamtes geplantes Konzept umgearbeitet werden. Was ursprünglich als eine Plattform zur Mobilisierung für den Global Climate Strike am 24. April 2020 geplant war, hat sich nun der Bildungsarbeit verschrieben. Wir machen eine Social-Media-Kampagne zur Geschichte und Gegenwart ökosozialer Kämpfe und der letzte Vortrag unserer Online-Veranstaltungsreihe hat bereits stattgefunden. Außerdem wurden mehrere Aktionen im physischen und virtuellen Raum durchgeführt.</p><p>So geht es nicht nur uns. Viele Gruppen und Organisationen versuchen neue Wege der Kommunikation und Organisation zu finden. Die aktuellen Ereignisse zeigen jedoch, wie starr und unvorbereitet die Strukturen großer Teile der radikalen Linken sind, wie schwer sie sich tun, in dieser plötzlichen Krisensituationen agieren zu können, in der wir wegen „social distancing“ weitgehend aus dem privaten Raum heraus agieren müssen und auf das Internet zurückgeworfen sind.</p><p>Die Genoss*innen von Kritik & Praxis Frankfurt kommen <a href="https://revoltmag.org/articles/die-selektive-solidarit%C3%A4t-durchbrechen/">in ihrem Debattenbeitrag</a> zu dem –trivialen, aber natürlich richtigen Ergebnis, dass es für eine politische Praxis auch in Zeiten von Corona nicht reicht „Transparente aus dem Fenster zu hängen oder Online-Demonstrationen zu veranstalten“. Der Beitrag schließt mit der Forderung, mehr über die Art und Weise einer politischen Praxis in Zeiten der Pandemie nachzudenken. Das ist richtig, geht allerdings nicht weit genug. Uns muss klar sein, dass eine politische Praxis nicht nur in unseren Köpfen, sondern allein durch aktives Agieren und Ausprobieren entsteht, und dann auch ausgehandelt werden kann. Das zeigt uns die Corona-Krise deutlich auf. Die radikale Linke muss also schnell aus ihrer Ohnmacht erwachen. Über die Art und Weise politischer Praxis <i>nachzudenken</i> ist erst die halbe Miete: wir müssen das Wissen, die Erfahrungen und die Handlungsbasis für neue Formen von politischer Praxis für die Zeit des Lockdowns und danach schaffen, und zwar eigentlich schon vorgestern und nicht erst übermorgen. Das gilt für eine Praxis im Ausnahmezustand, wie auch für die Zeit danach.</p><h2><b>Aus Fehlern lernen</b></h2><p>Als radikale Linke sind wir in unseren Aktions- und Organisierungsformen oft wenig spontan. Das war auch schon vor Corona so, tritt nun aber viel stärker zutage. Bei unvorhersehbaren, sich überschlagenden Ereignissen können weite Teile der Bewegung oft nur schwerfällig, oder gar nicht agieren und reagieren. Immer wieder treten Situationen ein, in denen wir mit unserer einstudierten Praxis an die Grenzen unserer üblichen Strukturen von wöchentlichem Plenum und choreographierten Demonstrationen geraten. Selbst im Falle positiver Ereignisse - zum Beispiel spontan entstehender Bewegungen wie Fridays for Future oder den Protesten der Gelbwesten in Frankreich - versteigt sich ein großer Teil der Linken regelmäßig in Diskussionen über ein Für und Wider, ohne daraus eine Praxis zu entwickeln. Letztere ist aber dringend nötig. In der konkreten Auseinandersetzung muss ein aktiver Umgang mit neuen, spontanen Bewegungen gefunden werden - und zwar, indem versucht wird, gemeinsame Kämpfe aufzubauen, zu unterstützen und sie mitzugestalten. Nur so können wir neue Erkenntnisse und Erfahrungen über soziale Phänomene und eine politische Praxis gewinnen, die sich aus rein intellektueller Distanz nicht verstehen lassen.</p><p>Auf negative soziale Ereignisse können wir als radikale Linke in weiten Teilen noch schlechter reagieren. Diese scheinen, wenn sie über uns hereinbrechen, zu einer Art Lähmung zu führen. Es wirkt fast unmöglich, in solchen Situationen selbstbewusst aus der Defensive wieder herauszutreten und zu agieren. Bis heute sind wir als radikale Linke zum Beispiel nicht aus der Schockstarre erwacht, die durch den Rechtsruck in der Gesellschaft und den Rechtspopulismus des Grünen-Politikers Boris Palmer, bis hin zur AfD, ausgelöst wurde. Die Sehnsucht eines Großteils der Menschen nach autoritären Krisenlösungen offenbart sich etwa im Erstarken der CDU/CSU, oder dem grassierenden Denunziantentum in der Gesellschaft. Immer wieder etwa gab es in jüngster Zeit Meldungen, Nachbar*innen hätte die Polizei zugerufen, da sich im Nebengarten/-haus mehr Menschen aufhalten würden, als nach Infektionsschutzverordnung erlaubt. Wir haben es nicht geschafft, eine wirkmächtige Strategie und Bewegung gegen das Erstarken rechter Diskurse und deren Geltungsmacht aufzubauen. Sowohl die konkreten Interventionen von „Nationalismus ist keine Alternative“, als auch die breit angelegten gesellschaftlichen Bündnisse von „Unteilbar“ müssen als wichtige und richtige Versuche gewertet werden. Jedoch sind auch sie nicht über eine symbolische Wirkung hinausgegangen. Warum nicht?</p><p>Diese Erkenntnisse müssen vor allem jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie für unsere linksradikale Politik eine wichtige Rolle spielen. Wir müssen aus diesen Fehlern lernen. In der aktuellen Situation ist es notwendig, staatliche Einschränkungen des Lebens und der politischen Handlungsfähigkeit mit ihren autoritären Phantasien zu hinterfragen. Darunter fällt etwa das faktische Versammlungsverbot. Insbesondere mit Blick auf die Ökonomie zeigt sich die Willkür der Durchsetzung des Infektionsschutzes: so werden hier Arbeitsschutzrechte nur mangelhaft durchgesetzt, um die Profite des Kapitals weiterhin zu ermöglichen. Ziel muss es jedoch auch sein, die Infektionskette kurz, die Infektionsrate niedrig und die Infektionskurve flach zu halten – damit die durch die neoliberalen Einsparungen im Gesundheitssystem eingeschränkten Kapazitäten nicht überfordert werden. Nur so kann auch die Sterberate so gering wie möglich gehalten werden. Ein schwieriges Dilemma für die radikale Linke - dennoch müssen wir jetzt proaktiv werden!<br/> Die Gesamtheit der Folgen der Corona-Krise ist nicht absehbar. Wir müssen uns aber in jedem Fall auf eine sich zuspitzende Krise des Kapitalismus vorbereiten. Hinzu kommen eine Fortsetzung und Verschärfung der autoritären Formierung, die sich schon jetzt durch das Vorgehen der Polizei offenbart. So werden bei Aktionen und Demonstrationen vermehrt die Identitäten der Aktivist*innen aufgenommen und ihnen Platzverweise erteilt, auch wenn Abstand gehalten wird und Masken getragen werden. Das autoritäre Verhalten gipfelt in der Aussage, Demonstrant*innen müssten nur ihre Schilder ablegen, dann dürften sie am selben Ort stehen bleiben. Es nützt also nichts, mit der Vorbereitung auf diese Zustände anzufangen, wenn es bereits zu spät ist.</p><p>Einen Masterplan, wie wir jetzt aktiv werden und uns auf das Kommende vorbereiten können, kann es dabei nicht geben. Wir müssen Lücken und neue Wege finden, in denen wir handlungsfähig sind, und diese nutzen! Dafür ist es nötig, dass wir uns Wissen aneignen und in dieser praktischen Auseinandersetzung längerfristige Strategien finden. So öffnen Online-Formate etwa neue Möglichkeiten internationaler Solidarität. Diese neuen Erfahrungen können auch für die Zeit nach der Pandemie wichtig sein.</p><h2><b>Fragend schreiten wir voran</b></h2><p>Unser Anspruch als Organisierung war von Anfang an, zur Vorbereitung auf eine widerständige Zeit anzuregen. Das bedeutet für uns, dass wir versuchen, uns und andere weiterzubilden und uns gegenseitig für die Aneignung widerständiger Aktionsformen zu inspirieren. Bildung, die nicht von unserer Praxis losgelöst ist, sollte momentan, da wir aktionistisch eingeschränkt sind, eine zentrale Rolle einnehmen. Die von uns kurz <a href="https://oekoradikallinks.noblogs.org/oeko-soziale-kaempfe/">aufbereiteten Texte zu ökosozialen Kämpfen</a> oder auch Videos von Aktionen mit Forderungen können hier beispielhaft genannt werden. Wir werden in der kommenden Zeit dem Themenfeld der Enteignung mehr und mehr Aufmerksamkeit schenken. Es müssen konkrete Forderungen aufgestellt werden, die für eine Gesellschaft abseits der kapitalistischen Verwertung erkämpft werden müssen. Die Möglichkeiten der virtuellen Vernetzung und Bildung, zum Beispiel eine übergreifende und höhere Reichweite, wollen wir dabei nicht ungenutzt lassen. Dabei schaffen Nachbarschaftsinitiativen, die über Chats laufen, eine Plattform, um lokal mehr Menschen als üblich zu erreichen. Online-Veranstaltungen eröffnen Möglichkeiten zur internationalen Vernetzung und Solidarität.</p><p>Die im Zuge der Corona-Krise entstandenen Nachbarschaftsinitiativen, in der auch der Großteil von uns, wie auch der restlichen radikalen Linken, in vielen Großstädten aktiv ist, sind Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme und die damit zusammenhängende Notwendigkeit solidarischen Zusammenwirkens, auf die die radikale Linke und andere Akteur*innen seit Jahren versuchen aufmerksam zu machen, scheint in der breiteren Gesellschaft zu steigen. Gleichzeitig sind und ersetzen die entstehenden Nachbarschaftsnetzwerke keine neue Bewegung. Vielmehr müssen wir diese Entwicklungen als Chance begreifen, um unsere Themen auch in der breiteren Gesellschaft zu platzieren und die entstandenen Netzwerke über den Lockdown hinaus als Strukturen beizubehalten. Unsere Politik muss über solidarische Nachbarschaftshilfe hinausgehen. So markieren die Proteste und Aktionen bezüglich der EU-Außengrenzen einen Versuch, das gerade zumindest teilweise entstehende solidarische Bewusstsein aufzugreifen und auszuweiten. Unsere Solidarität macht weder vor nachbarschaftlichen Grenzen Halt, noch vor nationalstaatlich gesetzten Grenzen.<br/> Konkrete Beispiele einer bereits bestehenden Praxis, die sich partiell Handlungs-möglichkeiten zurückerkämpft, lassen sich an verschiedenen Stellen alleine schon in unserem direkten Umfeld finden: die Menschenkette der Seebrücke Frankfurt am 5. April, widerständigere Aktionen wie von Riseup4Solidarity, im Zuge derer ganz Frankfurt mit Bannern, Graffitis und Tags verschönert wurde und vieles mehr. Bundesweit zeigen etwa die Aktionen von #besetzen mit Livestream aus Berlin am 28. März oder die zahlreichen Aktionen in vielen Städten anlässlich des 1. Mai, wohin die Reise gehen kann. Verschiedene Initiativen versuchen auch mit Online-Demos den Charakter physischer Kundgebungen auf den digitalen Raum zu übertragen. Daran müssen wir anknüpfen und uns Wissen zu ungehorsamen Aktionsformen im digitalen Raum aneignen, beziehungsweise diese praktisch erproben.</p><p>Wieder einmal trifft es in dieser Krise die ohnehin Prekarisierten der Gesellschaft am stärksten: Kranken- und Altenpfleger*innen, prekär Beschäftigte, Wohnungslose, Alleinerziehende, Migrant*innen, Frauen und Queers. Dass diese auch in digitalen Räumen unterrepräsentiert sind, erschwert unsere Handlungsmöglichkeiten noch zusätzlich. Es ist notwendig, dass wir auch im öffentlichen Raum, beispielsweise durch Aktionen, Banner oder Plakate, Aufmerksamkeit schaffen. Hier müssen Kämpfe geführt, weitergeführt und verstärkt werden. Dabei dürfen allerdings die brennenden Probleme unserer Zeit - die Krise von Ökologie und Kapital - nicht hintenanstehen. Denn sie sind die Grundlage vieler anderer Krisen. Es geht darum, Versuche zu starten - wie es schon einige vorgemacht haben - unsere Handlungsmacht auf die Probe zu stellen. Diese Aufgabe geht über die Zeit der Pandemie hinaus. Wir sollten auch jetzt schon die Situation nach Corona mitdenken, ohne uns aber, bedingt durch die schnellen Veränderungen, in ständigen Prognosen zu verlieren. Aber so oder so: Lasst uns für die jetzige und die kommende Zeit Netzwerke schaffen, uns organisieren und Aktionserfahrungen sammeln!</p><p>In den kommenden Tagen und Wochen gibt es einige Anlässe, die dazu einladen, kollektiv neue Wege auszuprobieren, sich auszutauschen und neue Erfahrungen zu gewinnen, um uns im Agieren für eine rebellische Politik weiterzuentwickeln. Wir müssen jetzt anfangen, die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse zum Wanken zu bringen. Fangen wir jetzt damit an: Mutig, auf neuen Wegen, mit kreativen Aktionen, ob verdeckt oder offen! Die Nächte sind lang! Lasst sie uns nutzen.</p><hr/><h2>Anmerkung</h2><p><i>Ökologisch Radikal Links. Unter diesem Namen wurde in Frankfurt für den 24. April 2020 eine antikapitalistische Mobilisierung für den Global Climate Strike geplant. Aufgrund der veränderten Situation konnte diese nicht wie geplant stattgefunden. Seitdem hat sich Ökologisch Radikal Links der Bildungsarbeit verschrieben und veranstaltet unter anderem einem eine Online-Veranstaltungsreihe und eine Social-Media-Kampagne zu Geschichte und Gegenwart ökosozialer Kämpfe. Zudem wurden Banneraktionen durchgeführt.</i><br/></p></div>
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Corona-Clicktivismus schafft keine Klimagerechtigkeit2020-04-24T16:41:58.276611+00:002020-04-29T15:57:24.289759+00:00Jakobus Mühlstein und Merel Smitredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/corona-clicktivismus-schafft-keine-klimagerechtigkeit/
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<div class="rich-text"><p><i>Die Autor*innen stellen mögliche Strategien und Handlungsmöglichkeiten für die Klimabewegung an, da die geplante Massenaktion „Shell Must Fall” des Bündnisses</i> <a href="https://code-rood.org/en/shell-must-fall/"><i>Code Rood</i></a><i> in Den Haag nicht wie geplant im Mai stattfinden kann. Viele Aktivist*innen hatten den Termin bereits im Kalender freigehalten und sich über den Themenkomplex der fossilen Industrie informiert. Das lässt sich nun nutzen.</i></p><p></p><p>Inmitten der Corona-Pandemie erleben wir eine Welle des aufkommenden Online-„Aktivismus”. Für viele Menschen ist damit die Hoffnung verbunden, sich dabei politisch sinnvoll betätigen zu können. Dies führt bei einigen zu einem Rückzug ins Internet, da das Netz in vielen Ländern einen der letzten verbleibenden öffentlichen Räume darstellt. Die virtuellen Initiativen zeigen: Auch in diesen schwierigen Zeiten sind viele Menschen willens, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dennoch sind die Online-Kampagnen unzulänglich. Vielen Aktivist*innen sind sich der Problematik bewusst, dass es sich, allein historisch betrachtet, als viel erfolgreicher erweist, Unterdrückung auf anderen Wegen zu bekämpfen, als es alle Online-Likes, Shares und Views zusammen vermögen. Mit Blick vor allem auf den Bereich der niederländischen Klimabewegung, auf die Appelle an Vernunft und Gewissen, oder die offensive Verteidigung: Wie sehen Umgang und Strategien von Aktivist*innen derzeit aus?</p><h2>Fossile Brennstoffe verursachen die Klimakrise, nicht ein Mangel an Likes</h2><p>In den Umweltgruppen sind viele Aktivist*innen verunsichert, was während der Corona-Ausgangssperren zu tun sei. Dies führt bei einigen zu einem Rückzug ins Internet, da dieses in vielen Ländern einer der letzten verbleibenden öffentlichen Räume darstellt. Infolgedessen beobachten wir auch in diesem Bereich eine starke Zunahme von Online-Aktivitäten der Aktivist*innen. Diese fallen recht unterschiedlich in Form und Inhalt aus. Die niederländische Sektion von <i>FridaysForFuture</i> beschloss beispielsweise, ihren Streik am 3. April online durchzuführen. Die Aktivist*innen riefen <a href="https://fridaysforfuture.nl/digital-strike/">dazu auf</a>, Selfies mit Protestschildern in den sozialen Medien zu veröffentlichen, um damit das Bewusstsein für die Klimakrise zu erhöhen. Die Sektion von <i>Extinction Rebellion</i> und die niederländische progressive NGO <i>De Goede Zaak</i> („Die Gute Sache”, Anm. Red.) starteten eine Petition namens „Geen Poen Zonder Plan“ („Kein Geld ohne Plan”). <a href="https://actie.degoedezaak.org/petitions/geen-poen-zonder-plan">Sie fordern von der Regierung</a> unter anderem, Unternehmen nur dann finanziell zu unterstützen, wenn sie konkrete Pläne vorweisen, ihre Auswirkungen auf das globale Klima zu senken – etwa, indem sie ihre Investitionen in fossile Brennstoffe beenden, ihre Belegschaften schützen und in eine Green Economy investieren.</p><p>Die Initiativen zeigen: Auch in diesen schwierigen Zeiten sind viele Menschen willens, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dennoch sind diese Online-Kampagnen unzulänglich. Das die Aktionen dennoch unzulänglich sind, liegt an der zugrunde liegenden Strategie. Zumeist basieren sie nämlich auf der liberalen Idee des überlegenen Arguments <b>[1]</b>, nach dem die Welt durch das überzeugendere Argument zu verändern sei. Es handelt sich um einen sehr dominanten politischen Ansatz – zumindest unter Aktivist*innen mit Universitätsabschlüssen, die nicht direkt von unerträglicher Ungerechtigkeit betroffen sind. Liberale erkennen zwar an, dass es in unserer Gesellschaft Zustände gibt, welche geändert werden müssen. Ihrer Ansicht nach brennen auch Politiker*innen, Konzerne und die Machthaber*innen nur darauf, Informationen über diese Ungerechtigkeiten zu erhalten. Wenn diese Informationen nur ihr Gehör fänden, so die Überzeugung, würden die Herrschenden eifrig zuhören und früher oder später alles in ihrer Macht Stehende zur Verbesserung der Lage tun.</p><p>Es ist keine Überraschung, dass dieser Ansatz nicht funktioniert. Obwohl der Treibhausgaseffekt in der akademischen Welt und darüber hinaus seit 1896 <b>[2]</b> bekannt und sehr gut nachgewiesen ist, führte dies nicht dazu, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen. Auch hat es beispielsweise den Öl-Multi Shell nicht daran gehindert, ganze Länder zu kolonisieren, um mit dem globalen Export fossiler Brennstoffe Milliarden zu verdienen. Shell wird nicht aufhören, nur weil wir sagen, dass der Multi auf einem Irrweg ist. Er wird dann damit aufhören, wenn er von uns gestoppt wird. Hierbei bleiben aber die meisten Onlinekampagnen zahnlose Tiger.</p><p>Im Gegensatz zu dieser liberalen Auffassung von Politik besteht eine lange Tradition verschiedener radikaler Ansätze. In diesen wird vorausgesetzt, dass die Reichen und Mächtigen ihre Privilegien nicht freiwillig aufgeben werden. In jenen Ansätzen wird die gesellschaftliche Verfassung im ständigen Wandel gesehen. Die gesellschaftliche Entwicklung entfaltet sich aus Konflikten zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteur*innen (marxistisch: antagonistische Klassenverhältnisse). Aus den Konflikten gehen auch (unterdrückerische) soziale Strukturen hervor; zum Beispiel das Patriarchat, White Supremacy, Ableism und so weiter. Radikale streben an, diese unterdrückerischen Strukturen abzubauen, statt sie zu reformieren. Wir werden nicht auf eine bessere Behandlung warten.</p><h2><b>Es ist ein Marathon, kein Sprint</b></h2><p>Wir müssen demokratische Gegenmacht aufbauen, um Ungerechtigkeiten gemeinsam zu stoppen. Gegenmacht aber entsteht dann, wenn Menschen, die sich dem Kampf für ihre Befreiung verschrieben haben, zusammenkommen und untereinander verlässliche Bindungen und Beziehungen aufbauen <b>[3]</b>. Am Arbeitsplatz praktische Solidarität zu üben, oder ein Frauen*haus am Laufen zu halten, erfordert ganz andere Fähigkeiten als eine Onlinekampagne. Das Engagement hat damit einen länger anhaltenden Einfluss, als die Arbeit daran, einen Flashmob viral werden zu lassen.</p><p>Gegenmacht aufzubauen dauert mitunter länger als ein Bachelor-Abschluss. Es handelt sich um keinen zeitlichen Sprint, sondern um einen Marathonlauf. Um nur einige internationale Beispiele zu nennen: Die südmexikanischen Zapatistas bereiteten sich zehn Jahre lang versteckt im lakadonischen Urwald vor, ehe sie am Neujahrestag 1994 den offenen Aufstand begannen <b>[4]</b>. Der Revolution in der nordsyrischen Region Rojava ging jahrzehntelange Aufbauarbeit in Dörfern voraus <b>[5]</b>. Ganz gleich also, wie drängend der Kampf gegen Klimaungerechtigkeiten auch ist; die systematische Unterdrückung durch Patriarchat, Kolonialismus, Kapitalismus und Rassismus dauert schon seit vielen Jahrhunderten an. Es hat Ewigkeiten gedauert, diese Unterdrückungssysteme zu entwickeln. Für ihre Abschaffung benötigen wir einen wahrscheinlich ebenso langen Atem <b>[6]</b>.</p><p>Gegenmacht aufzubauen heißt, langfristige <a href="https://revoltmag.org/articles/eine-kurze-geschichte-der-klimagerechtigkeit/">tragfähige Strukturen des Widerstands</a> zu schaffen. Während wir diesen „radikalen” Artikel über radikale Politik schreiben, bekämpft die <i>Gulabi Gang</i> seit über einem Jahrzehnt Missbrauch und häusliche Gewalt in Indien. Hierzu bilden Frauen Selbstverteidigungskommandos. Sie trainieren Stockkampf und gründen Nachbarschaftsgerichte, um so zugunsten der Opfer direkt gegen häusliche Gewalt vorzugehen <b>[7]</b>. Ein lokaleres, im Allgemeinen weithin unbekanntes Beispiel für Gegenmacht ist die <i>Rode Hulp</i> der 1930er Jahre in Groningen. Die Organisation half Tausenden von Kommunist*innen und Antifaschist*innen, der Verfolgung in Nazi-Deutschland zu entkommen. In Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Untergrund in Deutschland wurde internationale Solidarität so zu einer lebensrettenden Praxis <b>[8]</b>. Diese Beispiele beweisen, dass selbst unter den widrigsten Bedingungen gewöhnliche Menschen Unterdrückung wirksam bekämpfen können. Was bedeuten die Beispiele aus der weltweiten Geschichte für unsere aktuelle Situation – oder anders: Was ist zu tun?</p><h2><b>Radikal anders</b></h2><p>Radikale Graswurzelpolitik kann nicht durch Online-Kampagnen oder Petitionen ersetzt werden. Selbstverständlich brauchen wir schriftliche und theoretische Arbeit, und diese Arbeit kann auch online entstehen oder verbreitet werden. Um uns zu organisieren, brauchen wir Infoabende, Leserunden, Texte und Debatten, online oder offline. Auch müssen Informationen über unsere Vorhaben über unsere direkten Netzwerke hinaus verbreitet werden. Für verschiedene Anlässe und Zielgruppen eignen sich dabei verschiedene Mittel und Wege – Flyer, Graffiti, Kunst, Bücher, Blogs und so weiter. Unzählige Dinge können wir auch jetzt tun, ohne eine große Menschenmenge auf einmal versammeln zu müssen. Seien wir kreativ!</p><p>In anderen politischen Kämpfen wird hier bereits mit viel Kraft vorgelegt: Im norditalienischen Mailand <a href="https://revoltmag.org/articles/ausz%C3%BCge-einer-chronik-aus-mailand-in-zeiten-von-corona/">initiierten Militante</a> die <i>Brigade Volontarie per l'emergenza</i>, die armen Menschen angesichts des sozialen Zusammenbruchs, der mit der Corona-Krise und einer gleichgültigen Regierung einherging, Unterstützung anbietet. Unterdessen streiken Erwerbstätige in ganz Italien für Gesundheitsschutz und soziale Sicherheit, und es kommt zu einer Welle von Gefängnisrevolten. Radikale in Venedig und vielen anderen Städten organisieren <a href="https://revoltmag.org/articles/ein-brief-aus-italien/">Netzwerke gegenseitiger Hilfe</a>, die sich vor allem auf prekäre Arbeitnehmer*innen im Logistiksektor, in Callcentern und der Landwirtschaft konzentrieren. In Frankfurt am Main und an vielen anderen Orten wurden <a href="https://revoltmag.org/articles/solidarit%C3%A4t-hei%C3%9Ft-solidarit%C3%A4t-f%C3%BCr-alle/">Kundgebung</a>en, mit der Forderung, die Festung Europa zu öffnen, organisiert: #LeaveNoOneBehind im Mittelmeer. Die Demonstrant*innen standen dabei im öffentlichen Raum im Abstand von jeweils 2,50 Metern. Geflüchtete Frauen*, die in einem überfüllten Lager auf der griechischen Insel Lesbos festsitzen, begannen damit, <a href="https://wirkommen.akweb.de/2020/03/wie-die-bewohnerinnen-des-fluechtlingslagers-moria-gegen-das-corona-risiko-kaempfen/">Gesichtsmasken zu nähen</a>. Gleichermaßen für Geflüchtete, wie auch für die griechischen Inselbewohner*innen.</p><p>Unsere Erkenntnis: Diese Aktivitäten basieren auf bereits bestehenden Beziehungen und Strukturen und erreichen deshalb weit mehr als reine Internetagitation. Solange das gegenwärtige Onlinefieber zudem auf liberalen Ideen gründet, werden wir damit keine Klimagerechtigkeit erreichen. Als Radikale wollen wir Gegenmacht aufbauen, die in den Communities verankert ist, um Unterdrückung zu beenden. Onlinetools können bei radikalen Bildungs-, Organisations- und Mobilisierungsstrategien helfen, aber sie sind kein Selbstzweck.</p><h2><b>Was ist radikale Klimapolitik?</b></h2><p>Im Herbst 2018 hatte die deutsche Polizei enorme Schwierigkeiten bei der Räumung des Hambacher Forsts. Nachdem Hebebühnen, glücklicherweise ohne Personenschaden, abgebrannt waren, trauten sich Leihfirmen in Deutschland nicht mehr, der Polizei Hebebühnen für die Räumung der Baumhäuser zu vermieten. Schließlich konnte die deutsche Polizei dann doch noch, in den Niederlanden bei der Firma Boels, Hebebühnen mieten – offensichtlich außerhalb der Reichweite von deutschen Umweltautonomen. Beispielhaft ließe sich der Radius dieser Form von autonomer Gegenmacht über Landesgrenzen hinweg deutlich durch den Aufbau von internationalen und vertrauensvollen Beziehungen der Klimabewegung im Stil der historischen <i>Roden Hulp</i> erweitern. Außerdem wird hier deutlich, dass selbst fossile Großkonzerne wie RWE oder Shell sehr verwundbar sind. Ohne kooperationswillige Geschäftspartner*innen können die Multis offensichtlich noch nicht einmal eine Hebebühne zum Fensterputzen ausleihen. Auch in Corona-Zeiten lassen sich derartige Zusammenhänge recherchieren und mögliche Aktionen vorbereiten.</p><p>Zahllose weitere Beispiele bietet die Geschichte und Gegenwart der Anti-Atombewegung. So gaben Wendlandveteran*innen 2017 auf einem Klimacamp Gleisblockade-Workshops. Aus persönlichen Beziehungen erwuchsen so Strukturen von Gegenmacht. Diese Beziehungen müssen auch in Corona-Zeiten gepflegt und ausgeweitet werden. Warum nicht in Corona-Zeiten als Erntehelfer*in auf den Feldern um die Kohlekraftwerke herum anheuern und so die Gegend besser kennenlernen?</p><p>Mittelfristig versprechen gemeinsame Kämpfe von Klimaaktivist*innen und den wohlwollenden Teilen der Belegschaften von Shell (und Konsorten) Erfolge. Hierzu braucht es konkrete, ausgearbeitete Entwürfe für eine radikale Abwicklung fossiler Industrien und die zeitgleiche Entwicklung attraktiverer, interessanterer und sinnvollerer Arbeitsplätze, welche auf eine sozial und ökologisch wünschenswerte Zukunft hinwirken. Die Ausarbeitung solcher Projekte und die nötige Recherchearbeit sind auch in Coronazeiten sehr gut möglich – jetzt vielleicht hier und da sogar mehr denn je. Letzten Endes liegt die Macht in jedem Unternehmen bei den Arbeitenden: Sollten mal die Kohlebaggerfahrer*innen streiken, ist <i>Ende Gelände!</i> auch ohne Massenaktion möglich. Doch die Lohnabhängigen im Bergbau werden sich erst auf die Klimabewegung einlassen, wenn diese ihnen eine bessere Zukunftsstrategie bieten kann (als die fossilen Konzerne). Lokführer*innen, die Kohlezüge fahren, können genauso gut andere Güter- oder Personenzüge fahren. Mechaniker*innen oder Techniker*innen aus den fossilen Industrien könnten stattdessen Straßenbahnen, Fahrräder oder landwirtschaftliche Geräte instandhalten. Ingenieur*innen könnten anstatt neuer Projekte, den Rückbau fossiler Infrastruktur und deren Entsorgung und Recycling planen und überwachen. Wie die Coronakrise zeigt, hat auch der Staat genug Geld für alle möglichen Transformationsprozesse, solange der politische Druck vorhanden ist. Warum nicht eigentlich für die Abwicklung von Shell und Co.?</p><h2><b>Handlungs-Perspektiven in Zeiten von Corona</b></h2><p>Wir müssen uns zusammen auf die Seite der Unterdrückten stellen und eine umfassende Analyse der politischen Situation leisten. Diese wird uns schließlich helfen, erfolgreiche Strategien zu entwickeln, um den Status Quo anzugehen – und zwar während, wie auch nach Corona – oder vor dem nächsten Ausnahmezustand. Die Ausbeutung von Communities und natürlichen Ressourcen zwecks Profit durch den globalen Neoliberalismus geht weiter. Shell und Konsorten etwa werden weiterhin in der Erde herumbohren, ganz gleich, ob wir bestens informiert allein zu Haus sitzen oder nicht.</p><p>Da Versammlungen und Massenaktionen in den bisherigen Formaten gerade nicht durchsetzbar sind, scheint die Stunde der Kleingruppenaktionen geschlagen zu haben: Aus Freundeskreisen können in den eigenen vier Wänden Bezugsgruppen geformt, je nach Wollen und Können vielseitige Aktionen vorbereitet und durchgeführt werden. Auch in Corona-Zeiten sind Spaziergänge möglich. Die perfekte Gelegenheit, um fossile Infrastruktur auszukundschaften. Davon gibt es nämlich sehr viel in Stadt und Land. Nicht nur die Aktionär*innenversammlung macht Shell als Konzern aus, sondern auch jede Menge andere Gebäude, Anlagen, Verladestationen und so weiter. Scouting, Recherche und Vorbereitung lassen sich gut direkt heute noch angehen. Die Umsetzung von Kleingruppenaktionen gelingt derzeit vielleicht noch besser als sonst – und auch künftige größere Aktionen können schon jetzt vorbereitet werden.</p><p>Bislang ungeschlagene Champions in der praktischen Abwicklung fossiler Industrie sind die seit 2016 aktiven <i>Niger Delta Avengers</i> (NDA). Die Avengers sind eine klandestine, gut (aus-)gebildete Guerillaeinheit, welche organisiert und systematisch vorgeht: Mittels leichter Waffen und Schnellboote zerstören sie die Erdölinfrastruktur von Shell und Chevron in Nigeria. Ihr Ziel ist es, den Export von Erdöl aus Nigeria gänzlich zu stoppen und Kompensationen für die jahrzehntelangen Zerstörungen durch die Erdölförderung zu erzwingen. Aufgrund ihrer Angriffe sank der Erdölexport Nigerias so tief wie seit 20 Jahren nicht mehr – zeitweise um über 40 Prozent <b>[9]</b>. Es ist auch in unseren Breitengraden unmöglich, sämtliche fossile Infrastruktur lückenlos vor Angriffen der Klimabewegung zu schützen. Wer lange genug sucht, wird Schwachpunkte finden: Online oder offline.</p><p>Weltweit sind tagtäglich Menschen auf unterschiedliche Weise im Kampf gegen die Zerstörung von Natur- und Lebensgrundlagen, sowie die Klimakrise aktiv. Was wird erst möglich werden, wenn sich all diese Kämpfe besser miteinander verknüpfen, um gegen das fossile Kapital und dessen Verbrennen fossiler Ressourcen vorzugehen? Von der Dakota-Access-Pipeline in Nordamerika zu den Anti-Steinkohle-Kämpfen von Indigenen in Kolumbien oder Australien, bis hin zur Erdölförderung in Nigeria, den Raffinerien in den Niederlanden, oder deutschen Tagebauen und Kraftwerken? Den Plan für die neue Klima-Internationale können wir schon mal zu Hause aushecken; und ebenso die Vernetzung mit Mitstreiter*innen und Genoss*innen weltweit.</p><p>Wir bereiten uns vor. Wir organisieren uns<b> [10]</b>. Wir werden versuchen, scheitern, reflektieren, weiter versuchen...und kämpfen, bis wir gewinnen!</p><p></p><hr/><p><i>Merel ist seit Jahren in der niederländischen Klimabewegung aktiv. Jakobus arbeitet in der ökologischen Landwirtschaft und nimmt an Aktionen der Klimabewegung teil. Eine Version ihres Artikels erschien unter</i> <a href="https://code-rood.org/en/2020/04/13/corona-clicktivism-does-not-bring-climate-justice/"><i>„Corona Clicktivism Does Not Bring Climate Justice”</i></a><i> auf der Seite des Bündnisses Code Rood.</i></p><hr/><h2><b>Anmerkungen</b></h2><p><b>[1]</b> Im gesamten Text beziehen wir uns auf das Gegensatzpaar <i>liberal / radical,</i> welches im Englischen weiterverbreitet ist als im Deutschen. Die Begriffe reformistisch / revolutionär, oder linksliberal / linksradikal sind mögliche Annäherungen. Das Gegensatzpaar Liberal / Radikal wird ausführlich von Lierre Keith im Buch „Deep Green Resistance“ dargestellt: S.61-112 (2011) von Aric McBay, Lierre Keith und Derrick Jensen. Seven Stories Press. New York. Das Buch ist auch online <a href="https://deepgreenresistance.net/en/resistance/civilization/civilization-irredeemable/%20inklusive%20%C3%9Cbersichtstabelle%20zum%20Liberal/RadikalSplit">vollständig einsehbar</a>. Eine kürzere Zusammenfassung auf Deutsch findet sich auf S.150ff. in „Nachhaltig aktiv sein und bleiben“ (2019) von Timo Luthmann. Unrast Verlag. Münster.</p><p><b>[2]</b> Der schwedische Wissenschaftler Svente Arrhenius publizierte als Erster 1896 einen <a href="https://www.rsc.org/images/Arrhenius1896_tcm18-173546.pdf">wissenschaftlichen Artikel</a>, in dem er den Einfluss von industriell ausgestoßenem CO2 auf die Erdatmosphäre berechnete: „On the Influence of Carbonic Acid in the Air upon the Temperature of the Ground“. In: Philosophical Magazine and Journal of Science Series 5, Volume 41, April 1896, pages 237-276. Die deutschen und englischen <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Svante_Arrhenius">Wikipedia-Artikel</a> geben einen Überblick über sein Leben.</p><p><b>[3]</b> Die „11 Thesen“ vom <i>Kollektiv! Bremen</i> bieten einen <a href="https://de.indymedia.org/node/9708">inspirierenden Vorschlag</a> für eine revolutionäre Organisierung in der Gegenwart. Mit dem Fokus auf Bewegungen für Klimagerechtigkeit bietet das auch das Broschürenprojekt <a href="https://organizingcoolstheplanet.wordpress.com/about-organizing-cools-the-planet/">Organizing Cools the Planet</a> aus Nordamerika und die deutsche Adaption <a href="http://www.wurzelnimtreibsand.de/">Wurzeln im Treibsand</a> von ausgeco2hlt.</p><p><b>[4]</b> Die Website der EZLN in <a href="http://enlacezapatista.ezln.org.mx/">mexikanischem Spanisch</a> und ihr mehrsprachiger <a href="https://radiozapatista.org/?page_id=3365&lang=en">Radiosender</a>.</p><p><b>[5]</b> Zur Geschichte der kurdischen Freiheitsbewegung in Rojava ein Artikel des kurdischen <a href="https://www.yxkonline.org/2019/07/21/7-jahre-rojava-revolution/">Studierendenverbandes YXK</a>.</p><p><b>[6]</b> Bereits 2009 veröffentlichte die <i>Bundeskoordination Internationalismus</i> (Buko) hierzu den Artikel „<a href="https://www.buko.info/fileadmin/user_upload/doc/projekte/klima_assoe_09.pdf">Vergesst Kopenhagen, die Katastrophe ist längst da</a>“. Darin wird ein vorschneller „Katastrophismus” kritisch hinterfragt.</p><p><b>[7]</b> Zur <a href="https://gulabigang.in/history.php">Website</a> und <a href="https://gulabigang.in/videos.php">Videos</a> der <i>Gulabi Gang</i>.</p><p><b>[8]</b> <i>Rode Hulp</i> – De opvang van Duitse Vluchtelingen in Groningerland 1933-1940 von IPSO-geschiednisgroep Groningen (Redaktion: Ruud Weijdeveld). 1986. Groningen. Seit letztem Jahr ist auch eine deutsche Übersetzung erhältlich: IPSO-Geschichtsgruppe Groningen. Rode Hulp (Rote Hilfe) Die Aufnahme deutscher Flüchtlinge im Groningerland 1933-1940. 2018. Hans-Gerd Wendt.</p><p><b>[9]</b> Mehr Infos dazu auf <a href="http://www.nigerdeltaavengers.org/">deren Homepage</a>, sowie beim britischen <a href="https://guardian.ng/opinion/the-threat-by-niger-delta-avengers/"><i>Guardian</i></a><i>,</i> oder der <a href="https://www.bbc.com/news/world-africa-36414036"><i>BBC</i></a><i>.</i></p><p><b>[10]</b> Für konkrete erste Schritte zur Gründung einer Klimagruppe empfehlen die Autor*innen die entsprechende <a href="https://interventionistische-linke.org/solidarity-will-win">Broschüre der <i>interventionistischen Linken</i> (iL)</a>. Und zur weiteren Organisierung unter dem Ausnahmezustand einer Pandemie <a href="https://www.stroomversnellers.org/campagne-voeren-in-een-pandemie/">diesen Artikel</a> (<i>Stromversnellers</i>, Campagne voeren in een Pandemie).</p></div>
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