re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?tags=1082017-11-13T10:36:44.565629+00:00Wahldebakel und Widerstand2017-10-18T17:01:31.350581+00:002017-11-13T10:36:44.565629+00:00Hanna Lichtenberger und Johanna Bröseredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/wahldebakel-und-widerstand/
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<h1>Wahldebakel und Widerstand</h1>
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<img alt="Antifaschistische und antirassistische Demonstration in Wien, Oktober 2017" height="420" src="/media/images/aufbruch.2e16d0ba.fill-840x420-c100.jpg" width="840">
<span class="content-copyright">aufbruch</span>
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<div class="rich-text"><p><i>Das
Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl am vergangenen Sonntag bietet
keinen Anlass zur Freude: Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) mit ihrem
Rechtsaußen-Antreiber Sebastian Kurz und seiner auf ihn zugeschnittenen „Liste
Kurz“ konnte mit circa 31,5 Prozent klar die Wahlen für sich gewinnen. Auch die
rechtsradikale FPÖ hat mit 26,0 Prozent mehr als fünf Prozentpunkte seit den
letzten Wahlen aufgeholt. Die SPÖ hingegen hat mit ebenfalls rund 26,9 Prozent ein
denkbar schlechtes Ergebnis eingefahren, die Grünen flogen gleich ganz aus dem
Nationalrat. Dezidiert linke Parteien und Bündnisse, etwa die KPÖ+, schafften
es kaum, die für die Wahlkampfkosten-Rückerstattung wichtige Ein-Prozent-Marke
zu überschreiten. <br/></i></p><p><i>Hanna Lichtenberger ist Politikwissenschaftlerin in Wien und
analysiert schon seit Jahren die politischen Entwicklungen des Landes. Sie hat
ihre Eindrücke der Nationalratswahlen 2017 und die Perspektiven für linke
Strukturen in Österreich mit re:volt-Redakteurin Johanna Bröse diskutiert.
Herausgekommen ist ein recht desillusionierter Abriss davon, welches neue,
autoritäre und neoliberale Gesellschaftsmodell damit etabliert wird und welche
Möglichkeiten linke Kräfte in Österreich momentan haben. Und darüber, was
dringend notwendig wäre, damit sich daran wieder etwas ändert.</i></p><hr/><p><b>Johanna [re:volt]:</b> Wenige Tage nach der Wahl habe ich das Gefühl, dass viele
meiner Genoss_innen in Österreich in einer Art Kältestarre sind, zumindest, was
die Formulierung von einem klaren „Wie weiter?“ angeht. Dabei kam das Ergebnis
doch nicht ganz unerwartet, oder? Ich meine, die FPÖ, aber auch die ÖVP lehnen
sich jetzt letztlich auf ihre Politik der Ressentiments und der Polarisierung
zurück, welche sie in den vergangenen Monaten und Jahren unablässig ausgebaut
und ausgepolstert haben. </p><p>
</p><p><b>Hanna:</b> Stimmt, das Ergebnis kam nicht unerwartet. Der FPÖ-Obmann
Strache hat <a href="https://kurier.at/politik/inland/wahl/strache-60-prozent-haben-fpoe-programm-gewaehlt/292.283.570">bei der Wahlparty gesagt,</a> 60 Prozent der Wähler_innen hätten für ein FPÖ-Programm
gestimmt. Strache hat Kurz immer wieder vorgeworfen, bei ihm abgeschrieben zu
haben und tatsächlich ähneln sich die Programme enorm. Das zeigt, was viele
Beobachter_innen schon seit zwei Jahren sagen: Wir erleben in Österreich einen
massiven Rechtsrutsch. Und der Stimmenzuwachs für die FPÖ ist nur ein Ausdruck
davon. Die ganze politische Debatte in Österreich und die meisten Parteien sind
mitgerutscht. Forderungen, die früher aus der Mitte der Gesellschaft kamen,
Arbeitszeitverkürzung, die soziale Absicherung aller, der freie Hochschulzugang
und anderes, stehen jetzt am linken Rand. Viele meiner Freund_innen haben sich
darüber gewundert, dass die Wahlkabine meint, sie hätten die meiste
Überschneidung mit der KPÖ gehabt. Kein Wunder, wenn die mit einem guten
links-sozialdemokratischen Programm antritt, während alle anderen ungebremst nach
rechts geschwenkt sind – sprachlich wie inhaltlich.</p><p>
</p><p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Autoritarismus und Nationalismus werden hierfür seit Jahren
in der bürgerlichen Mitte und bis weit in die prekarisierten Klassen hinein
strategisch genährt und vorangetrieben. Nach oben buckeln und nach unten treten
wird als staatlich anerkannte Haltung gefördert, und gleichzeitig werden die
Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen real immer prekärer und unsicherer.
Es scheint ja damit recht egal, ob die FPÖ dann in der Regierungskoalition mit
den türkisen Konservativen oder gar den vermeintlichen Sozialdemokraten der SPÖ
zusammenarbeitet oder in die Opposition geht: Demokratieabbau und rassistische
Spaltung, restriktive Abschottungspolitik, Sanktionierungen nach innen,
verstärkte Aushöhlung der Arbeitsrechte und eine Ausweitung neoliberaler
Wirtschaftspolitik werden zukünftig auf der Agenda des Staatsprojekts ganz oben
stehen. Oder?</p><p>
</p><p><b>Hanna</b>: Nein, ganz egal ist es nicht – für die Sozialdemokratie
wäre es aus meiner Perspektive der Untergang. Aber die FPÖ hat im Wahlkampf
bereits darauf hingearbeitet, eine Koalition mit der ÖVP vorzubereiten. Die
internen strategischen Differenzen zwischen dem national-sozialen Flügel und
dem neoliberal-autoritären Flügel sind in wirtschaftspolitischen Fragen
entschieden worden: Mit dem lange aufgeschobenen Wirtschaftsprogramm zeigt die
FPÖ glasklar, dass sie die Partei der Banken, der Reichen und Konzerne ist. Die
Wirtschaftsprogramme von FPÖ und ÖVP ähneln sich auffällig stark und in den
TV-Duellen konnten Differenzen lediglich in der Frage ausgemacht werden, wer
mehr gegen den Islam ist und wer mehr Flüchtlinge abschieben will. Beide setzen
in der Kommunikation auf rassistisch besetzte soziale Themen: Die FPÖ
plakatierte die <a href="http://diepresse.com/home/innenpolitik/nationalratswahl/5272405/Strache_Wir-haben-eine-Fairnesskrise-in-Oesterreich">Fairnesskrise</a> und die ÖVP die <a href="https://kurier.at/politik/inland/kurz-praesentierte-sein-wahlprogramm/284.520.983">neue Gerechtigkeit</a>. Beide verknüpften etwa die Frage der Differenz zwischen
Löhnen und Mindestsicherung, aber auch die grundsätzliche Sicherung des
Sozialstaates mit der Migrationsfrage. </p><p>
</p><p><b>Johanna </b><b> [re:volt]:</b> Dieses Sündenbock-Syndrom zeigt nur einmal mehr die
fundamentale kapitalistische Krise, welche in Europa immer mehr durch rechte
Formierungen und Staatsprojekte bearbeitet wird. Es scheint mir allerdings,
dass die rassistische Beantwortung der sozialen Frage auf sehr dünnem Eis
gebaut ist: Arbeitsplätze abbauen, Mindestlöhne unterwandern, Mietpreise in die
Höhe treiben und alles dann den „Anderen“, den Flüchtlingen, den Muslim_innen
usw. in die Schuhe schieben, das funktioniert doch nicht auf Dauer. Das
Ausspielen von Geflüchteten gegen andere Prekarisierte und von Abstiegsängsten
bedrohte Menschen sowie Kürzungen bei beiden Lagern werden nicht ausreichen, um
die neoliberalen Verhältnisse im Sinne der Bourgeoisie, vor allem der
Wirtschaftseliten, zu stabilisieren.</p><p>
</p><p><b>Hanna:</b> Aber zunächst funktioniert es sehr gut. Die
Wirtschaftsprogramme zeigen ja ziemlich deutlich, worum es geht: Die
Abgabenquote soll auf 40 Prozent gesenkt werden, 12 bis 14 Milliarden Euro soll
das kosten, finanziert werden soll dies unter anderem mit Einsparungen im
Gesundheits- und Sozialsystem. Kürzen will die FPÖ etwa im Sozialbereich,
konkret 3,8 Milliarden. Um diese für Österreich gigantische Summe erreichen zu
können, muss das Schwarz-Blaue Projekt die großen Finanzposten des
Sozialbudgets angreifen – das Arbeitslosengeld, die Mindestsicherung und die
Pensionen. Das Einsparungspotential bei den Sozialversicherungen, von dem
Schwarz und Blau träumen, ist ebenfalls ohne Leistungskürzungen unmöglich. Sie
wollen zwei Drittel aller Verwaltungskosten streichen. Das ist völlig
unrealistisch, da schon jetzt nur zwei von 100 ausgegebenen Euro der
Krankenversicherung für Verwaltung ausgegeben werden. Der Rest kommt
Versicherten zugute. Mieter_innen werden nicht entlastet – von der
Mietpreisobergrenze oder der Abschaffung von Makler_innengebühren für
Mieter_innen kann keine Rede sein. Kurz will Eigentum fördern – aber wer kann
sich das schon leisten, wenn selbst die Miete zur Belastungsprobe wird.
Außerdem stehen uns wohl mit der Überarbeitung des Mietrechts weitere Angriffe
bevor. Es geht gerade so weiter. Auch die Mindest-Körperschaftssteuer soll
gestrichen werden – das erleichtert Unternehmen die Steuervermeidung, weil es
Kurzfrist-Gründungen und Schachtelkonstruktionen erleichtert. Außerdem will die
FPÖ die, als Folge der Finanzkrise verschärfte, Bankenregulierung (konkret <a href="https://www.oenb.at/Finanzmarktstabilitaet/bankenunion/rechtliche-grundlagen/basel-iii.html">Basel III</a>)
wieder lockern. Und natürlich: Eine Erbschafts- oder Schenkungssteuer wird es
unter Schwarz-Blau nicht geben. </p><p>
</p><p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Das sind heftige Angriffe auf diejenigen, die unter den
bisherigen Reformen auch schon marginalisiert wurden. Es ist offensichtlich: Wer
von Schwarz-Blau profitieren wird, ist die herrschende Klasse. Und zudem, das
würde ich so sehen, scheint das ja auch die favorisierte Alternative für die
Herrschenden zu sein – also ich lese da zumindest keinen Widerstand.</p><p>
</p><p><b>Hanna:</b> Das wird auch recht offen so kommuniziert, wenn man nur
etwas genauer hinschaut. Um alle diese Angriffe durchsetzen zu können, wird
Schwarz-Blau die stärkste Arbeitnehmer_innenvertretung angreifen – die
Arbeiterkammer. Praktisch alle Arbeitnehmer_innen sind Pflichtmitglieder in der
Arbeiterkammer und zahlen auch 0,5 Prozent ihres Bruttolohns als
Mitgliedsbeitrag. Die FPÖ forderte im Wahlkampf die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft
in Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer – ob dies mit der ÖVP gegen die
Wirtschaftskammer durchsetzbar ist, wird sich zeigen. Eine Mehrheit jedenfalls
wird es dafür geben, die Beiträge herabzusetzen und so die Arbeiterkammer
empfindlich zu schwächen. Klar ist, dass dies auf Kosten der politischen
Lobbyarbeit der Arbeiterkammer gehen soll.</p>
<h2>Das Ausmaß der Parteien-Misere</h2>
<p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Leser_innen gar
nicht so genau Bescheid wissen, wie die Parteienlandschaft in Österreich
aufgestellt ist. Ich könnte sagen: Es ist ein ziemlich trauriges Thema, weil
fortschrittliche sozialistische Kräfte innerhalb des Ganzen wirklich kaum
sichtbar sind. Die Strukturen, die es gibt, werden nicht als linke Alternative wahrgenommen. Es
heißt, das parlamentarische Spektrum linksseitig der „Mitte“ sei noch nie so
schwach vertreten wie heute. Kannst du die Gelegenheit nutzen, da mal ein
bisschen Licht darauf zu richten?</p><p>
</p><p><b>Hanna:</b> Ja, ich kann das ganze Feld, welches von der Mitte
ausgehend nach links reicht, ja einmal anhand der einzelnen Akteur_innen
darstellen. Aber erfreulich ist es wirklich nicht, da hast du recht. Christian
Kern hat vor eineinhalb Jahren die SPÖ, die wirtschaftspolitisch nicht ganz mit
der SPD zu vergleichen ist, übernommen. Im Januar 2017 gab es dann eine
Regierungskrise nach der Präsentation <a href="http://diepresse.com/home/innenpolitik/5152447/Das-SPOeProgramm-des-Kanzlers">des Plan A</a>.
Kern hatte zu der Zeit relativ gute Umfrageergebnisse, die sich erst gedreht
haben, als Sebastian Kurz’ <a href="https://www.falter.at/archiv/wp/projekt-ballhausplatz">Putsch in der ÖVP</a>
erfolgreich war. Ab dann ging es für die SPÖ in den Umfragen stark bergab – aus
unterschiedlichen Gründen. Kerns Ziel, den ersten Platz zu verteidigen und
Schwarz-Blau zu verhindern, scheiterte. Aber die SPÖ, der der Boulevard
phasenweise 20 Prozent in den Umfragen zugeschrieben hat, scheint zumindest ein
wenig erleichtert darüber, dass der Totalabsturz verhindert werden konnte. So
viele Fehler im Wahlkampf bei den Spitzenfunktionär_innen auch passiert sind
(die Anstellung des Beraters Tal Silberstein, der eine <a href="https://www.profil.at/oesterreich/wahrheit-kurz-spoe-8342070">Dirty Campaigning-Facebook-Seite</a> gegen Sebastian Kurz ohne das Wissen von Christian Kern
einrichten ließ, die mit antisemitischen und antimuslimischen Ressentiments
spielte – um nur ein Beispiel zu nennen), so war es aus SPÖ-Perspektive in den
letzten Wochen dennoch gut, mit einem viel kämpferischeren Spitzenkandidaten
auf soziale Themen zu setzen und vor Schwarz-Blau (ÖVP - FPÖ) zu warnen. Das
Wiener Ergebnis, mit einem Plus von über drei Prozent, stärkt dabei zunächst
den Wiener Kurs gegen Rot-Blau und die linken/liberalen Kräfte in der Sozialdemokratie.
Umgekehrt hatte im Burgenland, dessen Landeshauptmann Hans Niessl im Wahlkampf
immer wieder für ein mögliches Rot-Blau geworben hatte, die SPÖ herbe Verluste
eingefahren. Zwar wohl weniger, weil die Wähler_innen diese Position abstrafen
wollten (sonst hätte dies etwa die Grünen im Burgenland gestärkt), sondern weil
eines mal wieder klar wurde: Wer rechte Politik als Sozialdemokrat_in macht,
hilft mit, den Rechten die Stimmen zu besorgen. </p><p>
</p><p>Die SPÖ steht nun vor dem Dilemma,
dass es gilt, Schwarz-Blau zu verhindern, das aber nur gelänge, wenn sie mit
der FPÖ oder der ÖVP in eine Koalition geht. Beides sind unsägliche Optionen:
Eine Neuauflage einer „großen Koalition“ (Schwarz-Rot) wäre meines Erachtens
der absolute Untergang der Partei, der der FPÖ beim nächsten Mal 40 Prozent
plus bescheren würde. Eine Koalition mit der FPÖ wäre die komplette Aufgabe des
antifaschistischen Erbes und der Verrat an den Grundsätzen der Gleichheit,
Freiheit und Solidarität, welche die Sozialdemokratie in Österreich in der
Vergangenheit hochgehalten hat. </p><p>
</p><p>Die Glaubwürdigkeit, Politik für die
95 Prozent machen zu wollen, kann in beiden Koalitionsmöglichkeiten unter
diesen Bedingungen nur verlieren. Also muss die SPÖ eigentlich in Opposition
gehen. Das ebnet natürlich gleichzeitig Schwarz-Blau den Weg. Was kann sie sonst
tun? Wenig bis nichts, wenn sie nicht konsequent Lehren aus dem Desaster zieht
und den Karren mit einem gesamtparteilichen Linksruck (inklusive der Direktwahl
des Vorsitzes, der Öffnung der Sektionen, etc.) versucht, aus dem Dreck zu
ziehen.</p><p>
</p><p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Und die Grünen? Also ich wäre ja froh, wenn wir weniger
von dieser unsäglichen Partei in Deutschland hätten…</p><p>
</p><p><b>Hanna</b>: Naja, dass die Grünen aus dem Parlament geflogen sind, ist
in Österreich kein Grund zur Freude. Gerade im Menschenrechtsbereich, in Fragen
von Asyl und Migration waren die Grünen eine sichtbare Kraft im Parlament mit
einer anderen Erzählung. Aber auch die aktive antifaschistische Arbeit etwa von
Karl Öllinger, Harald Walser, Albert Steinhauser oder Berivan Aslan werden
fehlen. Größtes Problem der Grünen war sicher, dass die Strategie der SPÖ, wie
schon bei den Wien-Wahlen im Jahr 2015, erneut funktioniert hat: Um die FPÖ
(oder Schwarz-Blau) zu verhindern, müsse man die SPÖ wählen. Andere Probleme
bei den Grünen sind aber hausgemacht: Der Rausschmiss der Jungen Grünen war ein
Fehler. Eine Jugendorganisation für Kritik oder auch etwaigem Fehlverhalten
rauszuwerfen, ist einer sich selbst als alternativ-links verstehenden Partei
unwürdig. Dass Peter Pilz, der nun mit einer eigenen Liste im Nationalrat
sitzt, nicht auf den von ihm exklusiv gewünschten vierten Platz gewählt wird,
hat den Grünen – das zeigen auch Wähler_innenstromanalysen – letztendlich den
Einzug ins Parlament gekostet. Man kann also zusammenfassen, dass
die Zuspitzung auf die drei Spitzenkandidaten nicht nur für die Grünen, sondern
auch für die Linke im engeren Sinn fatale Folgen gehabt hat. Und da kommen wir
auch zu den genuin linken Gruppierungen: Obwohl der Wahlkampf von KPÖ Plus (dem
Wahlbündnis zwischen der KPÖ und den Jungen Grünen, nachdem diese aus der
Partei geschmissen worden waren) inhaltlich sehr gut und handwerklich
professionell war, haben der Verlust von Stimmen und die hohe Wahlbeteiligung
dazu geführt, dass das Ergebnis nicht nur unter den Erwartungen der
Aktivist_innen, sondern auch unter dem Ergebnis des letzten Antritts lag. Auch,
wenn es von Beginn an als ein erster Schritt in die Richtung einer sozialen
Alternative am Stimmzettel konzipiert war, ist die Enttäuschung vieler, die im
Wahlkampf aktiv waren, verständlich. Der Zeitpunkt dieses Projekt zu starten
war denkbar schwierig, die Planungsphase mit den überraschenden Neuwahlen kurz,
die Konkurrenz für Proteststimmen mit Peter Pilz, Gilt und anderen Minilisten
groß. </p>
<h2>Was tun?</h2><p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Für mich klingt das alles aber auch so, als seien die
bestehenden Strukturen im Parlament nicht diejenigen, die aktuell zu einer
grundlegenden Veränderung beitragen können. Du hast auch mal gesagt, dass die
Linken generell die „<a href="https://kritisch-lesen.de/interview/wir-sind-der-balkon-muppet-des-eigenen-untergangs">Balkon</a><a href="https://kritisch-lesen.de/interview/wir-sind-der-balkon-muppet-des-eigenen-untergangs">-Muppets ihres eigenen Untergangs</a>“ seien
– ich fand das Bild sehr gelungen. Diese Schwierigkeit, innerhalb der Linken
über eigene Grabenkämpfe hinaus zu kommen, sehe ich auch in Deutschland.
Außerparlamentarisch wird die Frage der Selbstorganisation weiter in den
Mittelpunkt gerückt; und auch unter dem Stichwort “Neue Klassenpolitik” gibt es
ja aktuell in vielen Strukturen große und auch kontroverse Diskussionen. Da
geht es viel um den Umgang mit veränderten Produktionsverhältnissen, um den
stärkeren Einbezug von Rassismus und Sexismus in den Debatten, um die Frage
nach Identitätspolitiken und gemeinsamen Plattformen, der Forderung nach Lohn
für Hausarbeit und Organisierungsarbeit usw. Wichtig scheint mir, dass es hier
auch immer wieder gute Ansätze gibt, wie eine verbindende Perspektive aussehen
kann, die auch die Errungenschaften der bisherigen Klassenkämpfe nicht
ausblendet; ich denke da etwa an die aktuellen Beiträge von Keeanga-Yamahtta
Taylor zu dieser Debatte. Sie zeigt unter anderem, dass für die Spaltung der
Arbeiter_innenklasse und ihre Übernahme von reaktionären Argumentationsmustern <a href="http://www.akweb.de/ak_s/ak627/06.htm">zwei
Hauptgründe</a> auszumachen sind: Wettbewerb um
vermeintlich nicht ausreichende Ressourcen (und damit initiierte
Verteilungskämpfe unter den Subalternen) und die ideologische Hegemonie der
herrschenden Klasse. Wie sind denn so die Diskussionen, die in der Linken in
Österreich geführt werden?</p><p>
</p><p><b>Hanna</b>: Da machst du einen spannenden Punkt. Ich bekomme einiges
nur noch am Rande mit. Aber dieses Wahlergebnis ist auf vielen Ebenen für die
Linke in Österreich eine Herausforderung. Zum einen wird man sich auf den
Linksruck der SPÖ in der Opposition vorbereiten müssen und dazu ein gutes
strategisches Verhältnis aufbauen müssen. Nicht mit einem Fingerzeig, sondern
auf eine kritische, aber grundsätzlich wertschätzende Art und Weise. Ich denke,
es wird zwei Antworten in der Linken geben: Die einen werden mehr über radikale
Klassenpolitik reden und die anderen werden sagen, es soll wieder verstärkt um
Antirassismus gehen. Angesichts der Angriffe, die es definitiv von rechts geben
wird, kann es wohl kein entweder/oder geben: Eine vernünftige Klassenpolitik
ist immer antirassistisch und antisexistisch. </p><p>
</p><p><b>Johanna</b><b> [re:volt]:</b> Es ist ein dicht verwobener Diskurs um Sicherheitspolitik,
Sozialstaatsabbau, Kulturalisierung von Armut und Kriminalität,
antifeministischer Mobilisierung gegen Frauen* und selbstbestimmte Sexualität,
der da weiter auf Österreich zurollt. Das Feindbild Islam dient dabei wie anderswo als zentraler Blitzableiter der Affekte, welche durch die Jahrzehnte neoliberaler
Zurichtung unter kapitalistischen Verhältnissen bei den Menschen entstehen
konnten. Es gibt ja viele Genoss_innen, die darüber schlaue Dinge
geschrieben haben, und die zeigen, dass die weltweit sichtbare Hegemoniekrise
und Konkurrenzideologie die Wahrscheinlichkeit auf rechte und reaktionäre
Deutungsangebote erhöht. Die Gefahr ist, dass zur Sicherung der bestehenden
Ausbeutungsverhältnisse das begonnene rechts-nationalistische Staatsprojekt
immer weiter verschärft wird. Denn Rassismus und Nationalismus sind leider
effektive Hilfsmittel, um den spröde gewordenen Neoliberalismus in seinen
Fundamenten zu unterstützen. Dass diese Entwicklung nicht weiter geht, dafür
müssen wir sorgen. Ich war deshalb auch sehr froh zu sehen, dass sich recht
schnell nach den ersten Hochrechnungen am Sonntagabend eine große Anzahl von
Menschen zu antirassistischen und antifaschistischen Demonstrationen im Land
zusammengeschlossen hat. Es zeigt, dass Widerstand von unten aufgebaut werden
muss, und dieser auch deutlich und kompromisslos auf die Straße getragen
gehört. Ich muss dir aber auf jeden Fall auf dem Punkt der Bündnisse kritisch
entgegentreten: In einem Beitrag zu den
Bundestagswahlen in Deutschland hat mein re:volt-Kollege Geronimo Marulanda<a href="https://revoltmag.org/articles/das-szenario-afd-ruhig-und-entschlossen-bleiben/"> jüngst </a>geschrieben,
man dürfe den Fehler nicht machen, die links-liberalen Strukturen der
bürgerlichen Mitte als Verbündete gegen rechts wahrzunehmen: „Wer als Alternative
wahrgenommen werden will, der muss sich vom neoliberalen Regime abgrenzen und
nicht als sein fünftes Rad wahrgenommen werden.“ Ich halte das für höchst
richtig und wichtig, weil ich denke, dass es nur mit einer klaren
antifaschistischen und antikapitalistischen, revolutionären Perspektive weiter
vorwärts geht. Ich glaube, inhaltlich stimmst du dem zwar zu, aber hast einen
anderen strategischen Bezug dazu; oder nicht?</p><p>
</p><p><b>Hanna: </b>Inhaltlich hast du Recht mit dem Argument, dass liberale
Politik die Ursachen des Rechtsrutsches nicht aufhalten kann. Gerade die
Austeritätspolitik war Steigbügelhalter des neuerlichen <a href="http://www.anschlaege.at/feminismus/2017/06/an-sprueche-der-europaeische-geist-ist-neoliberal/">Aufstiegs von Rechtspopulisten</a>. Es gibt aber nicht nur liberale Kräfte, mit denen man bei
den Grünen und der SPÖ zusammenarbeiten kann, sondern auch hier und da Linke,
denen ich glaube, dass sie an einer grundlegend anderen Gesellschaft arbeiten wollen.
Außerdem ist für mich relevant, wo zusammengearbeitet wird – denken wir an das
Lichtermeer, das für die antirassistische Zivilgesellschaft immer noch ein
Bezugspunkt ist, da waren von christlich-sozialen und liberalen Leuten bis zu
Linksradikalen viele dabei. Solche punktuellen Kooperationen braucht es. Für
die radikale Linke ist aber klar, dass solche symbolischen Aktionen nicht die
einzige Ebene sein kann, auf der gekämpft wird. Ich bin in den Protesten gegen
Schwarz-Blau politisiert worden, 2000 bin ich mit meinen Eltern auf die
Donnerstagsdemo gegangen, im Mai 2003 war ich bei der Demonstration gegen die
Pensionskürzungen dabei – nass bis auf die Unterhose. Ich glaub, wir können
viel lernen aus den Erfahrungen, aber auch den Fehlern, die damals gemacht
wurden. </p><p>
</p><p>Eine Gefahr, die ich sehe, ist ein
möglicher Trend zur blinden Bewegungsaffinität anstatt des kontinuierlichen
Organisationsaufbaus, der auf lokale Strukturen und Bildungsarbeit setzt. Das
wäre meines Erachtens nach ein Fehler, vor allem für jene Teile der Linken, die
sich auf eine parlamentarische Linke orientieren. PLUS hat angekündigt, nach
den Wahlen eine Mitmachplattform aufbauen zu wollen und das Moment der
Organisierung auf lokaler Ebene, in den Städten auch abseits von Wien,
voranzustellen. Projekte wie Aufbruch arbeiten ebenfalls daran – weshalb ich
für eine Bündelung der Kräfte plädieren würde. Die Linke in Österreich kann es
sich nicht leisten, ihren Kleingruppen-Fetisch weiter auszuleben und der
fortschreitenden eigenen Irrelevanz zuzuschauen. Worauf es ankommt, ist, alle
Kräfte zu sammeln, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, um gegen die
schwarz-blauen Angriffe gewappnet zu sein. Wenn es um die Abwehr der
schwarz-blauen Angriffe und den Umbau des Staates geht, wäre es deshalb aus
meiner Perspektive gut, auf die Zusammenarbeit in der Offensive gegen Rechts zu
orientieren. Das Bündnis gibt es jetzt schon einige Jahre, auf diese
Kontinuität zu setzen, ist meines Erachtens nach ein sehr wichtiger Vorteil.</p>
<p> </p></div>
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