re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?author=432018-12-07T16:52:15.833171+00:00„Nehmt eine Sichel, nehmt einen Hammer und zerstört das rote Gesindel“ - Der „Unabhängigkeitsmarsch“ in Warschau2018-11-30T14:23:16.501140+00:002018-12-07T16:52:15.833171+00:00Tim Reicheredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/nehmt-eine-sichel-nehmt-einen-hammer-und-zerst%C3%B6rt-das-rote-gesindel-der-unabh%C3%A4ngigkeitsmarsch-in-warschau/
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<h1>„Nehmt eine Sichel, nehmt einen Hammer und zerstört das rote Gesindel“ - Der „Unabhängigkeitsmarsch“ in Warschau</h1>
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<div class="rich-text"><p>Der Morgen des 11. November in Warschau ist kalt und grau. Ein dichter Nebel hat sich seit einigen Tagen über die gesamte Stadt gelegt. Selbst der imposante Turm des Kulturpalasts ist kaum zu erkennen, als Polizeieinheiten auf dem Platz davor anfangen, hunderte Betonklötze aufzustellen. Überall in der Innenstadt werden Straßen gesperrt und selbst das polnische Militär mischt sich unter die Polizeieinheiten. In wenigen Stunden soll hier, im Herzen Warschaus, einer der größten nationalistischen Aufmärsche weltweit stattfinden, zu dem auch zehntausende Neonazis und sonstige Faschist*innen erwartet werden. Schätzungen gehen insgesamt von bis zu 100.000 Demonstrant*innen aus. Am Ende werden es doppelt so viele. Und Vertreter*innen der polnischen Regierung werden an ihrer Spitze stehen.</p><p></p><h3><b>Die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag in Polen</b></h3><p></p><p>Der 11. November ist ein wichtiger Tag im post-sozialistischen Polen. Es ist der polnische Unabhängigkeitstag (poln. „Narodowe Święto Niepodległości“), das heißt das Datum der Wiedererlangung der nationalen Unabhängigkeit (als zweite polnische Republik) nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Aufteilung des Territoriums zwischen Preußen, Österreich-Ungarn und Russland. Dieses Ereignis jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal und ist im ganzen Land unübersehbar. Noch in den kleinsten Dörfern wehen die polnischen Nationalfahnen in den Straßen und an den öffentlichen Gebäuden. Auch die Laternen in der Warschauer Innenstadt tragen Weiß und Rot. Die Farben finden sich ebenfalls als großflächige Projektionen an einigen öffentlichen Gebäuden der Stadt, von denen wiederum andere in riesige Transparente zur Erinnerung an das „historische“ Datum gehüllt sind. Im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten wurde bereits zwei Tage zuvor in Warschau eine überlebensgroße Statue von Lech Kaczynski enthüllt, dem Zwillingsbruder des momentanen Parteivorsitzenden der regierenden PiS-Partei (kurz für: „Prawo i Sprawiedliwość“ - dt. „Recht und Gerechtigkeit“) Jaroslaw Kaczynski. Lech Kaczynski kam 2010 als amtierender Staatspräsident bei einem Flugzeugabsturz nahe Smolensk ums Leben. Seitdem ranken sich zahlreiche antirussische Verschwörungstheorien um sein Ableben, die von der Regierungspartei aufgegriffen werden, um sie zu einem Teil des nationalen Mythos im gegenwärtigen Polen zu machen. Die individuelle Positionierung zu dem Flugzeugabsturz bestimmt in den Augen der PiS, wer als „wahrer Pole“ gelten kann und wer ein „Volksverräter“ ist. Dementsprechend ist die Statue in Warschau nur ein Beispiel für die Produktion einer nationalen Identifikationsfigur, der im gesamten Land rund 160 Denkmälern gewidmet sind. Vor dem Hintergrund der besonders starken nationalistischen Aufladung des diesjährigen Unabhängigkeitstages scheint sich der bevorstehende Marsch in Warschau gut in die offiziellen Feierlichkeiten einzupassen. Allerdings hat er mit ihnen relativ wenig zu tun - zumindest war das in den zurückliegenden Jahren der Fall.</p><p></p><h3><b>Der „Unabhängigkeitsmarsch“ in Warschau</b></h3><p></p><p>Nachdem der „Unabhängigkeitstag“ in Polen seit 1989 wieder als offizieller Feiertag begangen werden kann, gibt es überall im Land unterschiedliche Festlichkeiten. Deren Organisation und Durchführung wird größtenteils von den Kommunen übernommen und ist zumeist fest in staatlicher Hand. In Warschau konnte sich jedoch seit Mitte der 2000er eine Reihe paralleler Veranstaltungen aus einem ultra-rechten Spektrum etablieren, deren treibende Kräfte die MW (kurz für: „Młodzież Wszechpolska“ - dt. „Allpolnische Jugend“) und die neofaschistische ONR (kurz für: „Obóz Narodowo-Radykalny“ - dt. „Nationalradikales Lager“) waren. Zwischen 2006 und 2009 führten beide Gruppen noch voneinander getrennte Aktionen durch, die über extrem rechte Kreise hinaus nur eine geringe Aufmerksamkeit erhielten. Erst mit der Organisation eines gemeinsamen Marsches 2010 erfolgte eine Bündelung der Kräfte, die zur Gründung eines übergreifenden Organisationsvereins im Jahr 2011 führte. Seitdem wuchs der „Unabhängigkeitsmarsch“ („Marsz Niepodległości”) von Jahr zu Jahr, wobei 2016 mit knapp 100.000 Teilnehmenden den bisherigen Mobilisierungshöhepunkt bildete.</p><p>Dementsprechend erfreut sich der Marsch heutzutage einer breiten Akzeptanz in national-konservativen Teilen der polnischen Gesellschaft, sodass selbst unzählige Familien mit ihren Kindern teilnehmen. Darüber hinaus vereinen die Demonstrationen eine Mischung aus (neo)faschistischen Gruppen, (extrem) rechten Fußballgruppierungen (zahlreicher Vereine), sowie Abtreibungsgegner*innen oder rechten katholischen Gruppen. Insgesamt ist es den Organisierenden in Warschau in den vergangenen Jahren gelungen, nahezu die komplette Aufmerksamkeit am Unabhängigkeitstag auf ihren Marsch zu konzentrieren und damit den Tag symbolisch zu „hijacken“ bzw. zu übernehmen. Ganz nach dem Motto: von außen (ultra-)nationalistisch und damit (bedingt) anschlussfähig, aber im Innern faschistisch. Obwohl die faschistoide Ausrichtung des Marsches kein Geheimnis ist, gelang es der offiziellen Politik auf kommunaler, sowie nationaler Ebene in den zurückliegenden Jahren nicht, seine Bedeutung zurückzudrängen. Unter der national-konservativen PiS hat sich stattdessen eher eine gewisse Akzeptanzkultur etabliert. Im Angesicht dieser reaktionären Front konnte auch der stetig wachsende antifaschistische Gegenprotest nur wenig gegen die marschierenden Faschist*innen und die Ignoranz der Politik ausrichten.</p><p></p><h3><b>Das verflixte siebte Jahr</b></h3><p></p><p>Diese Allianz aus faschistischer Straßenpolitik und staatlicher Zurückhaltung bekam allerdings im vergangenen Jahr entscheidende Risse. 2017 erregte der „Unabhängigkeitsmarsch“ internationale Aufregung, als rassistische und antisemitische Tendenzen besonders offen ausgestellt wurden und faschistische Gruppen massenhaft in Erscheinung traten. Der Marsch wurde damit in der weltweiten Wahrnehmung neben der umstrittenen Justizreform, der wachsenden staatlichen Einflussnahme auf die Medien, der massiven Anti-Abtreibungspolitik oder der andauernden europafeindlichen Rhetorik zu einem weiteren Symptom des polnischen Rechtsrucks und einem Anwachsen autoritärer Tendenzen im Land. Dementsprechend konnte 2018 mit einer erhöhten (medialen und politischen) Aufmerksamkeit weit über Polen hinaus gerechnet werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die Beteiligung der polnischen Regierung in diesem Jahr als Schulterschluss mit der extremen Rechten zu bewerten ist, oder mehr einen Versuch darstellt, eine aus dem Ruder gelaufene „Tradition“ durch staatliche Beteiligung wieder „unter Kontrolle“ zu bringen, um das angekratzte nationale Außenbild zu korrigieren?</p><p></p><h3><b>Der „Rot-Weiße Unabhängigkeitsmarsch“</b></h3><p></p><p>Dass es überhaupt zu diesem Versuch kommen konnte, ist auf die politische Intervention der Warschauer Stadtpräsidentin (Bürgermeisterin) Hanna Gronkiewicz-Waltz zurückzuführen, die den „Unabhängigkeitsmarsch“ wenige Tage vor dem 11.11. verbot. In ihrer Begründung bezieht sie sich auf eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, da u.a. aufgrund der Ereignisse des Vorjahres eine massive Präsenz faschistischer Kräfte zu erwarten ist. Gleichzeitig befand sich die Warschauer Polizei in einer Art Krankheitsstreik, sodass eine umfassende Kontrolle des Massenereignisses schwerer zu bewerkstelligen schien. Darüber hinaus kann das Verbot der Bürgermeisterin, die der PO (kurz für „Platforma Obywatelska“ dt. „Bürgerplattform“) angehört, als politisches Zeichen einer vergleichsweise liberalen Politikerin gegenüber den Akteur*innen eines andauernden gesellschaftlichen Rechtsrucks in Polen verstanden werden. Zu befürchten hatte sie ohnehin nichts. Bei den Kommunalwahlen im Oktober 2018 war sie aufgrund einer Immobilienaffäre nicht erneut angetreten, so dass ihre Amtszeit und politische Karriere ohnehin bald enden wird. Mit dem Verbot begannen jedoch einige chaotische Tage. Auf der einen Seite zogen die Organisator*innen der Marsches gegen die Entscheidung vor Gericht und konnten sich so in der Öffentlichkeit als Verteidiger*innen der Versammlungsfreiheit und der polnischen Verfassung inszenieren. Auf der anderen Seite öffnete sich dadurch ein Fenster für die polnische Regierung, die innerhalb kürzester Zeit einen eigenen „Rot-Weißen Marsch“ zur gleichen Zeit auf der gleichen Strecke anmeldete. Ihr (inoffizielles) Ziel war es, wieder die Oberhand über die Feierlichkeiten des Tages in Warschau zu gewinnen und die faschistische Übernahme gewissermaßen selbst (wieder) zu übernehmen.</p><p>Eine deutliche Abkehr von faschistischen Kräften schien damit jedoch nicht einher zu gehen. Dies zeigte sich wenige Tage später, als der Marsch von den polnischen Gerichten wieder genehmigt wurde. Da es nun zwei Anmeldungen auf der gleichen Route gab, begannen beide Seiten sofort mit Verhandlungen. Nach einigen Konflikten erfolgte die Einigung auf eine gemeinsame Strategie. Bei dieser Lösung handelt es sich im Grunde genommen um eine Win-Win-Situation. Einerseits können MW und ONR auf die Integrität der polnischen Regierung verweisen und diese als „politisches Feigenblatt“ gebrauchen. Denn eine Veranstaltung, auf der Staatspräsident Duda spricht, kann ja wohl nicht faschistisch sein! Andererseits hatte der polnische Staat nun wieder einen Fuß in der Tür der Feierlichkeiten in „seiner“ Hauptstadt. Allerdings war das Ziel der PiS-Regierung weniger eine grundsätzliche Neuausrichtung des Marsches, da dessen Teilnehmende auch einen relevanten Teil der eigenen (potentiellen) Wähler*innen und Unterstützer*innenschaft ausmachen. Stattdessen schien es vor allem um eine Korrektur des Außenbildes zu gehen, sodass bspw. bestimmte als problematisch empfundene Inhalte (auf Schildern und in Slogans) nicht präsentiert werden sollten. Auch das Abbrennen von Pyrotechnik sollte unterbleiben. Diese „bitteren Pillen“ waren die Organisierenden des ursprünglichen „Unabhängigkeitsmarsches“ zu schlucken bereit, wohl wissend, dass während des Marsches eine umfassende Kontrolle dieser Absprachen nahezu unmöglich sein wird.</p><p></p><h3><b>Eine ganze Stadt in Weiß und Rot</b></h3><p></p><p>Doch zurück zum Morgen des 11. November 2018 auf den Platz vor dem Kulturpalast. Hier sollten sich die Teilnehmenden sammeln, um anschließend auf geradem Weg durch die Innenstadt zu ziehen, auf der Poniatowski-Brücke die Weichsel von West nach Ost zu überqueren und am Nationalstadion zu enden. Bereits mehrere Stunden vor dem offiziellen Beginn des Marsches um 14 Uhr sammelten sich tausende Menschen in der Warschauer Innenstadt und mit jeder Minute wurden es mehr. Gegen Mittag bewegten sich dichte Ströme mit weiß-roten Fahnen, Hüten, T-Shirts, Armbinden und sonstigen Accessoires durch die Stadt. Ganz Warschau war vom Unabhängigkeitstag und vom Marsch eingenommen. Aus diesem Grund war es nahezu unmöglich auch nur ansatzweise in die Nähe des Startpunktes zu gelangen. Eine Beschreibung der Militärparade mit Panzern am Kopf der Demonstration sowie den dahinter laufenden Repräsentant*innen des polnischen Staates muss deswegen leider entfallen. Grundsätzlich sollte es ursprünglich trotz der gemeinsamen Ausrichtung des Marsches eine gewisse Zweiteilung in der Durchführung geben. Während der „offizielle Teil“ mit den Regierungsvertreter*innen den Beginn markierte, sollte sich der eigentliche „Unabhängigkeitsmarsch“ in einem gewissen Abstand anschließen. Aufgrund der chaotischen Zugangssituation flossen jedoch unkontrolliert Demonstrierende von allen Seiten auf die Route.</p><p>Gleichzeitig lag überall der Geruch von Pyrotechnik in der Luft, die zumindest das Bild der hinteren beiden Drittel der Demonstration dauerhaft bestimmte und einzelne Abschnitte immer wieder in einen dichten weiß-roten Kunstnebel hüllte. Akustisch untermalt wurde das Ganze durch das andauernde Knallen von Böllern, dem massenhaften Singen der polnischen Nationalhymne, sowie dem Rufen des inoffiziellen Staatsmottos „Bóg, Honor, Ojczyzna“ („Gott, Ehre, Vaterland“). So ergab sich insgesamt eine durchaus martialische Atmosphäre der nationalistischen Übernahme des öffentlichen Raumes, in der auch offen faschistische Töne ihren Platz hatten. So besangen mehrere hundert Unterstützer (ausschließlich Männer) eines Fußballklubs den ukrainischen Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera auf der Melodie von „Guantamera“. Obwohl entsprechende Verweise unterbleiben sollten, war der Widerstand anderer Demonstrationsteilnehmender (zumindest in den hinteren Teilen) eher gering. Allerdings haben die faschistischen Kräfte ihre Vormachtstellung auf dem Marsch aggressiv aufrechterhalten. So wurde bspw. ein Teilnehmender, der sich (aus nationalistischer Motivation) tatsächlich über das offensive Auftreten der Autonomen Nationalisten aufregte, einfach in deren Block gezogen und zusammengeschlagen.</p><p></p><h3><b>Die Verteidigung Polens</b></h3><p></p><p>Die Verbindung nationalistischer Selbstbestätigung und faschistischer (Vernichtungs-)Ideologie wurde spätestens im letzten Jahr wieder als Kern der Proteste erkennbar. Der Kitt ist ein militanter Ethnozentrismus und die damit einhergehende Vorstellung, dass eine neue polnische Jugend aufsteht, um (an der Spitze einer umfassenden gesellschaftlichen Bewegung) Polen von seinen inneren und äußeren Feinden „zu befreien“. Die Überschneidung dieser Vorstellungen mit dem Leitbild der „Identitären Bewegung“ sind nicht zu übersehen. Dieses bestehende „Identitätsangebot“ könnte einer der Gründe sein, warum die „Identitären“ als eigenständige politische Gruppe bisher kaum in Polen Fuß fassen konnten.</p><p>Wer die politischen Feinde „des polnischen Volkes“ sind, wurde auf dem „Unabhängigkeitsmarsch“ mehr als deutlich. Einer der beliebtesten Slogans war „raz sierpem, raz młotem czerwoną hołotę“ (sinngemäße Übersetzung: „Nehmt eine Sichel, nehmt einen Hammer und zerstört das rote Gesindel“), der in jedem Teil der Demo aufgegriffen wurde. Dabei ist der massive Antikommunismus nicht nur gegen tatsächliche „linke“ Akteur*innen gerichtet, sondern im Grunde gegen alles, was nicht der ultra-nationalistischen bis faschistischen Weltsicht entspricht. In diesem Sinne waren Hetze gegen LGBTIQ-Personen (z.B. in Form von Stickern mit brennenden „Regenbogenfahnen“) ebenso selbstverständlicher Teil des Marsches, wie die oben erwähnten Abtreibungsgegner*innen.</p><p></p><h3><b>Der Marsch als Vorbild für die europäische Rechte</b></h3><p></p><p>Die Fähigkeit des „Unabhängigkeitsmarsches“ in Warschau eine Klammer zwischen (ultra-)nationalistischen, rechtspopulistischen, neurechten und faschistischen Kräften zu bilden und diese Koalition in einer massenhaften Demonstration auf die Straße zu tragen, weckt natürlich die Aufmerksamkeit anderer Akteur*innen der alten, Neuen und extremen Rechten weltweit. So war aus der BRD bspw. eine Gruppe von rund zehn Personen vom PEGIDA-Organisationskreis anwesend, deren eigene Aufmärsche vor diesem Hintergrund fast lächerlich wirken. Während die anwesenden „Deutschen“ (u.a. auch die rechte Organisation „Hand in Hand“ aus Brandenburg) sich jedoch (aus „historischen Gründen“) eher im Hintergrund hielten bzw. halten mussten und die „stillen Bewundernden“ gaben, waren Abordnungen aus anderen Nationen deutlich auf dem Marsch vertreten. Ungarische Faschisten (ohne die sich neu aufstellende Jobbik-Partei) marschierten sogar in einem eigenen Block. Kleinere Gruppen aus Spanien oder Italien (z.B. „Forza Nuova“) waren ebenfalls anwesend. Sie alle werden ihre eigenen Rückschlüsse aus den Ereignissen ziehen. Allerdings scheint sicher zu sein, dass rechte Großaufmärsche mit offen faschistischer Beteiligung in den nächsten Jahren weltweit eher noch zunehmen werden, um auf diese Weise „das Volk“ als tatsächliche Masse auf der Straße zu inszenieren. Die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden oder der sogenannte „Friedensmarsch“ in Budapest sind neben dem 11.11. in Warschau nur einige Beispiele dieses Trends.</p><p></p><h3><b>Staat und Nazis Hand in Hand?</b></h3><p></p><p>Doch wie ist nun die Beteiligung der polnischen Regierung in diesem Jahr zu bewerten und was ist in den kommenden Jahren zu erwarten? Für umfassende Analysen ist es sicherlich zu früh. Den deutlichen Mobilisierungsschub in diesem Jahr jedoch allein auf die Beteiligung der Regierung zu schieben, greift zu kurz. Es ist vielmehr die Kombination aus offizieller Legitimation und dem „besonderen“ Jubiläum, die erklären kann, wie sich 200.000 Personen einem Marsch anschließen konnten, der zumindest zum Teil von bekennenden Faschist*innen organisiert wurde. Tatsächlich schien sich ein Großteil der Demonstrierenden über die Hintergründe des Marsches im Klaren zu sein. Diese wurden entweder stillschweigend hingenommen oder sogar aktiv befürwortet. Eine Gegenposition - selbst aus einer nationalistischen Perspektive - wurde so gut wie überhaupt nicht eingenommen. Dieses Stillschweigen kann nicht allein auf die einschüchternde Präsenz bestimmter Neonazi-Gruppen geschoben werden, da die Teilnehmenden den Marsch zu jeder Zeit hätten verlassen können.</p><p>Insgesamt hat die Beteiligung der Regierung in einem gewissen Maß zu einer Mäßigung des „Unabhängigkeitsmarsches“ beigetragen. Dennoch waren Faschist*innen und Neonazis massiv präsent und haben das Bild in großen Teilen bestimmt. Es wurde lediglich auf besonders offensive Schilder oder Transparente verzichtet und auch aus Regierungssicht problematische Slogans waren seltener zu hören. Stattdessen wurden politische Bekenntnisse vermehrt „im Stillen“ auf T-Shirts, Mützen oder Jacken ausgestellt. Der „Unabhängigkeitsmarsch“ ist somit weit davon entfernt, von staatlicher Seite „pazifiziert“ zu werden. Vielmehr wurde lediglich das Außenbild ein wenig korrigiert, um den offiziellen Ansprüchen zu entsprechen. In diesem Sinne kann eher von einer gewissen Arbeitsteilung gesprochen werden. Während die Organisierenden von der gesteigerten öffentlichen Aufmerksamkeit (bei minimalen Zugeständnissen) profitieren können, „schenkt“ die Regierung ihren Wähler*innen, oder zumindest einem ultra-konservativen Teil, ein nationalistisches Massenevent in der Hauptstadt, das sich per Lippenbekenntnis von allzu offensichtlichem faschistischen Bestrebungen distanziert. Beide Seiten grenzen sich dabei nur so weit wie nötig voneinander ab. Ob diese Verbindung in den nächsten Jahren halten wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht braucht es nur kleine Kratzer an dem erwünschten Außenbild, damit die fragile Koalition zerbricht, weil sich die polnische Regierung eine weitere Beteiligung nicht mehr leisten kann. Vielleicht verschieben sich die gesellschaftlichen Diskussionen und Verhältnisse jedoch zukünftig in einer solchen Weise, dass selbst das irgendwann egal sein wird. In diesem Jahr hat der „Unabhängigkeitsmarsch“ jedoch das zusammengebracht, was (ideologisch) ohnehin zusammengehört, so dass trotz der veränderten Verpackung immer noch der alte Inhalt drinsteckt. Aus einer internationalistisch-orientierten Perspektive antifaschistischer Bewegung geben die beschriebenen Entwicklungen einen deutlichen Anlass zur Sorge. So wurde der diesjährige Gegenprotest, dem sich mehrere tausend Menschen anschlossen, kaum wahrgenommen – weder von der polnischen oder internationalen Öffentlichkeit noch von den Teilnehmenden des Marsches. Aufgrund der organisatorischen Unterstützung des polnischen Staates werden die ohnehin nur geringen Möglichkeiten für erfolgversprechende Interventionen in Zukunft weiter schwinden. Stattdessen sieht es so aus, als könnte sich noch stärker als in der Vergangenheit ein ultra-nationalistischer Marsch mit massiver faschistischer Beteiligung als Teil der nationalen Erinnerungskultur in Polen etablieren. Und davon profitiert nicht nur die regierende PiS-Partei, sondern alle rechten Kräfte und Gruppierungen, die sich auf dem Marsch als anerkannte politische Akteure in der Öffentlichkeit präsentieren können.</p></div>
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Racial Profiling abschaffen! Am besten organisiert!2018-06-14T16:24:55.293348+00:002018-06-14T18:01:29.517215+00:00Felix Broz und Tim Reicheredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/racial-profiling-abschaffen-am-besten-organisiert/
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<div class="rich-text"><p>Vor
ziemlich genau einem Jahr, im Juni 2017, gründet sich in Berlin die Kampagne
„Ban! Racial Profiling“. Sie ist laut Eigenaussage ein Zusammenschluss von
Bürger*innenrechtsorganisationen, Beratungsstellen und antirassistischen
Initiativen. Alle verfolgen das Ziel, die Praxis von verdachtsunabhängigen
Polizeikontrollen, welche oftmals aufgrund rassistischer Stereotype
durchgeführt werden, mit Betroffenen und Nicht-Betroffenen anzugreifen und auf
diese Weise zu einer Abschaffung beizutragen. Diese vage erscheinende Hoffnung
ist nicht ganz unbegründet. So hat der rot-rot-grüne Berliner Senat in seiner
Regierungserklärung 2016 festgehalten, die Rechtsgrundlage des „Racial Profiling“
überprüfen zu wollen. Nachdem sowohl die Polizei als auch der Berliner Senat
unter SPD und CDU jahrelang die Existenz solcher rassistischen Praxen
dementierte, sollen sie nun auf einmal abgeschafft werden. Passiert ist jedoch
bisher nichts. Deshalb ist die Kampagne auch ein Versuch, das Thema mit eigenen
Forderungen auf die politische Agenda zu setzen. Um die Notwendigkeit von
Veränderungen auch juristisch zu unterstreichen und mögliche Wege aufzuzeigen,
erfolgte die Erstellung eines Rechtsgutachtens. Gleichzeitig organisiert „Ban!
Racial Profiling“ eine kollektive Gegenbewegung, um der herrschenden „cop
culture“, also der herrschenden polizeilichen Praxis, aktiv etwas entgegen zu
setzen, ohne auf „die Politik“ warten zu müssen. Auch in Hamburg, Freiburg,
Frankfurt/Main oder Bremen existieren
Initiativen mit unterschiedlichen praktischen Ansätzen, zum Beispiel „Cop
Watch“.</p>
<p>Kern
der Arbeit ist neben der gegenseitigen Vernetzung eine breit aufgestellte
Informations- und Solidaritätskampagne. So waren die Themen und Materialien auf
zahlreichen Kundgebungen, Veranstaltungen, Kiez- und Hoffesten in der Stadt
präsent. Videobeiträgen oder Statements in den sozialen Medien machten die
Erfahrungen von Betroffenen sichtbar. Gleichzeitig konnten interessierte
Menschen im Rahmen einer Unterschriftenaktion auf Postkarten zumindest ein
symbolisches Zeichen setzen. Darüber hinaus gab es Plakataktionen in einigen
Berliner Kiezen, um an den betroffenen Orten über die fatale Polizeipraxis
aufzuklären. Auf diese Weise stieg auch die Aufmerksamkeit für bereits
bestehende Beratungsangebote für Betroffene. So verzahnten sich
unterschiedliche Ebenen der politischen Arbeit. Die Artikulierung
parlamentarischer Forderungen basierend auf juristischer Expertise ging Hand in
Hand mit einer Straßenkampagne, die Betroffene und Nicht-Betroffene informieren
und solidarisch vernetzen konnte. Obwohl ein Aktivist während der
Pressekonferenz darauf hinweist, dass die Arbeit noch breiter in die Kieze
hätte gestreut werden können, ist der bisherige Verlauf der Kampagne
beachtlich.</p>
<p>In diesem Sinne eröffnet „Ban! Racial Profiling“ eine
bedenkenswerte Perspektive zu den Möglichkeiten nachhaltiger politischen
Kampagnenarbeit. Denn wie oft ist die aktuellste Kampagne genauso schnell
wieder vergessen, wie sie aufkam, da schon das nächste „hot topic“ die
Aufmerksamkeit beansprucht. Zentral ist in diesem Zusammenhang sicherlich das
in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, welches im Juli veröffentlicht wird, mit
dem die Kampagne gewissermaßen den Weg für zukünftige kollektive Arbeit geebnet
hat. Statt nur Forderungen an die herrschende Stadtpolitik zu richten, zeigt
sie konkrete Schritte zu deren Umsetzung auf.</p>
<p>Der
dringlichste von ihnen ist sicherlich die Abschaffung von Paragraph 21 des
„Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“ des Landes Berlin (kurz: ASOG).
Der Paragraph ermöglicht der Polizei an bestimmten Orten, die als besonders
„kriminalitätsbelastet“ eingestuft werden, verdachtsunabhängige
Personenkontrollen durchzuführen. Warum eine entsprechende Einschätzung
erfolgt, muss die Berliner Polizei weder begründen noch muss sie die
entsprechenden Orte bekanntgeben. Diese Orte müssen nicht mal konkret, also
klar umgrenzt, benannt werden. Der Willkür ist somit Tür und Tor geöffnet.
Dementsprechend bekommen von Kontrollen Betroffene als Begründung der Maßnahmen
schon mal zu hören: „Dein ganzer Stadtteil ist ein Kriminalitätsschwerpunkt.“
Nach welchen Kriterien die sogenannten „kriminalitätsbelastete Orten“ (kbO) von
der Polizei ausgewählt werden, bleibt indes schleierhaft. Nachdem Polizei,
lokale Medien und Springer-Presse über Monate hinweg gezielt Ängste vor
Gewalttaten im öffentlichen Raum schüren und somit den von rechts dominierten
ordungs- und sicherheitspolitischen Diskurs von AfD & Co befeuern, mussten
sie Anfang Juni mitteilen, dass zwei Orte, der Leopoldplatz in Berlin-Wedding
sowie der „Kleine Tiergarten“ in Berlin-Moabit die medial als besonders
„kriminalitätsbelastet“ dargestellt wurden, aufgrund stark zurückgehender
Straftaten von der Liste der „kbO“ gestrichen wurden.Die Erklärung von
bestimmten Stadträumen zu „kriminalitätsbelasteten Orten“ hat dabei
weitreichende Auswirkungen auf die Nutzenden. Vor allem rassistische Kontrollen
werden auf diese Weise verstärkt. Einerseits werden bestimmte Delikte aufgrund
rassistischer Stereotype eher nicht-weißen Gruppen zugeschrieben (Drogenhandel)
und andererseits weist der §21 auch explizit Verstöße gegen das
Aufenthaltsrecht als kontrollrelevant aus. An die unmittelbaren Kontrollen kann
sich je nach Situation noch ein ganzer Rattenschwanz weiterer Maßnahmen, wie
Durchsuchungen, Festhalten oder der Abtransport auf die nächste „Dienstelle“,
folgen – das alles wohlgemerkt ohne beweisbaren Verdacht. Vor diesem
Hintergrund weist auch das Rechtsgutachten der Kampagne auf zahlreiche
juristische Ungereimtheiten in Zusammenhang in dieser Polizeipraxis hin.</p>
<p>So
stellt die Berliner Rechtsanwältin Maren Burkhardt als eine der Gutachter*innen
die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit von §21 in Frage. Die entsprechende
Kontrollen seien nicht nur „geringfügige Eingriffe“ in die persönliche
Freiheit, wie es in der gängigen Rechtssprechung oft betont wird. Stattdessen
beträfen sie aufgrund der hohen Streuweite viele Menschen und könnten wegen der
zentralen Lage vieler kbO nur schwer umgangen werden. Außerdem erfolgten
entsprechende massenhafte Einschränkungen auf der Grundlage eines
verwaltungsinternen und gleichzeitig in Berlin höchst intransparenten
Verfahrens, das auf dem Rechtsweg nur schwer angreifbar sei. Gleichzeitig
bestünde noch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, da die Verfolgung des
vordergründigen Ziels im Sinne einer „Abwehr und Verfolgung von Straftaten“
aufgrund fehlenden Datenmaterials nicht belegbar sei. Vor diesem Hintergrund
erscheint es wahrscheinlich, das mit der Polizeipraxis an kbOs weitere Ziele,
wie bspw. die stadtplanerische Aufwertung von „Problemkiezen“ sowie die
Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen, verfolgt werden. Ergänzend stellt
der zweite Gutachter Cengiz Barskanmaz (Rechtswissenschaftlicher am
Max-Planck-Institut) fest, dass §21 durchaus den grundrechtlichen Schutzbereich
des Diskriminierungsverbots aufgrund der zugeschriebenen „Rasse“ (Art.3 GG)
berührt. Weiterhin nähme der Paragraph bestehende Schwerpunkte der europäischen
Rechtsprechung in Bezug auf rassistische Diskriminierung nur unzureichend auf.
Insgesamt kommen beide zu dem Urteil, das es zahlreiche Anhaltspunkte einer
Unvereinbarkeit des §21 ASOG mit bestehenden Rechtsnormen gibt, weshalb er
abgeschafft werden müsse.</p>
<p>Da
Polizeirecht in der BRD „Ländersache“ ist, erscheint die Berliner Kampagne
„Ban! Racial Profiling“ auf den ersten Blick sehr spezifisch. Allerdings finden
sich entsprechende Regelungen in allen Landespolizeigesetzen, wenn auch in
teilweise leicht abgewandelter Form. In diesem Sinne zeigt sie einen Weg, auf
dem kollektiv Veränderungen bewirkt werden können. Das Rechtsgutachten bildet
dabei zwar den Abschluss der Kampagne, eröffnet jedoch zahlreiche
Möglichkeiten, die Arbeit fortzuführen. So können die Ergebnisse einerseits
genutzt werden, um von den politischen Entscheidungsträger*innen konkrete
Schritte abzufordern. Andererseits liefert das Gutachten wichtiges
Argumentationsmaterial für die Aktivist*innen in den Kiezen, um bspw.
Betroffenen die Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens noch bewusster zu
machen. Gleichzeitig trägt es dazu bei, den Druck in konkreten
Kontrollsituationen zu erhöhen, indem den eingesetzten Beamt*innen argumentativ
die Rechtsgrundlage für ihr Vorgehen streitig gemacht werden kann. Auf diese
Weise kann die Solidarität zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen gestärkt
werden. Ohnehin zeigen die zahlreichen Berichte auf der Facebook-Seite von
„Ban! Racial Profiling“, dass viele Menschen in Berlin nicht mehr wegsehen. Neben
den Schilderungen von unmittelbar Betroffenen finden sich einige Beobachtungen
von Passant*innen, die in argumentativ in die Kontrollsituation eingegriffen
haben oder die Betroffenen danach unterstützten.</p>
<p>Obwohl
das Mittel der polizeilichen Kontrollen ohne konkrete Gefahr inzwischen überall
in der BRD gängige Praxis ist, liegt seine Einführung noch nicht all zu lange
zurück. Es ist Produkt einer historischen Entwicklung und die kann als solches
kollektiv zurückgedrängt werden. Die Kampagne „Ban! Racial Profiling“ zeigt
einen möglichen Weg der Organisierung von Widerstand gegen die bestehenden
Auswüchse der herrschenden „cop culture“ auf. Die Erfahrungen, die dabei
gemacht wurden, könnten sich insbesondere im Angesicht umfassender
Verschärfungen der Polizeigesetze in vielen Bundesländern und eines notwendigen
Kampfes dagegen in Zukunft als ziemlich wertvoll erweisen. Gerade im Zuge der
aufkommenden Organisierungsdebatten in der radikalen Linken ist die
antirassistische Arbeit gegen die Praxis des „racial profiling“ ein wichtiger
Ankerpunkt, solidarische Praxen mit Betroffenen zu entwickeln und sie in
stadtteilpolitische Arbeit als festen Bestandteil einzubetten. Die
Hinterfragung des sicherheitspolitischen Drucks von Polizei & Co bietet
konkrete Möglichkeiten der kollektiven Organisierung in den Stadtteilen. Dies
bedeutet, dass sich dabei stadtpolitische Aktivist*innen und bisher noch nicht
in politischen Strukturen befindliche Betroffene vernetzen und gemeinsam
politisch wirkmächtig werden können.</p></div>
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