re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?author=222018-02-24T22:15:35.710041+00:00Gemeinsam gegen die Fleischindustrie2018-02-24T22:01:54.730721+00:002018-02-24T22:15:35.710041+00:00Bündnis Marxismus und Tierbefreiungredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/gemeinsam-gegen-die-fleischindustrie/
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<h1>Gemeinsam gegen die Fleischindustrie</h1>
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<div class="rich-text"><p>Naturzerstörung,
Klimawandel, Tierversuche, Massentierhaltung, „Gammelfleisch“ – es gibt viele
gute Gründe, einen radikal anderen gesellschaftlichen Umgang mit Natur und
Tieren zu fordern. Wer als Linke oder Linker jedoch die Befreiung der Tiere als
Bestandteil einer sozialistischen Bewegung propagiert, erntet schräge Blicke –
und zwar von gleich zwei Seiten: Von vielen marxistischen und kommunistischen
Linken, weil sie mit Tierbefreiung nichts anfangen können, und von der
Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung, weil sie von Marxismus und
sozialistischer Politik nichts wissen will. Trotzdem haben ihre Kämpfe mehr
miteinander zu tun, als beide Seiten glauben. Schließlich haben sie den selben
Gegner: Das Kapital, das Arbeitskraft, die Natur und Tiere verheizt. MarxistInnen
und TierbefreierInnen müssen sich zusammentun, um ihn wirksam bekämpfen zu
können.</p>
<h2><b>Profit auf
Kosten der ArbeiterInnen, Natur und Tiere </b></h2><p>Milliarden
Tiere – das heißt leidensfähige Individuen – werden jährlich ausgebeutet und
umgebracht. Sie müssen unter Qualen Milch und Eier produzieren, in Zoos und
Zirkussen stumpfsinnige Shows vorführen, werden in Laboren gequält und
ermordet, oder landen auf dem Teller. Die Fleischindustrie lässt im Akkord
töten, verschwendet dafür natürliche Ressourcen wie Wasser und Soja und
verpestet die Umwelt und das Klima – Tendenz steigend. Nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes wurden im Jahr 2017 in Deutschland ganze 8,11 Mio. Tonnen Fleisch „produziert“ – darunter 57,9 Mio. getötete Schweine, 3,5 Mio. getötete Rinder,
rund 1,5 Mio. Tonnen Hühnerfleisch und etwa 20,600 Tonnen getötete Lämmer und
Schafe. Der deutsche Markt ist oligopolistisch organisiert: Kleine und
bäuerliche Betriebe müssen zusehends schließen, wenige Konzerne – u.a. <i>Tönnies</i>, <i>Vion</i>, <i>Westfleisch</i> –
teilen die Mordsprofite unter sich auf. Professionelle Lobby- und
Öffentlichkeitsarbeit sorgt für die propagandistische Legitimation des
Geschäfts und die Hegemonie der Fleischkultur. Sie soll die Profiteure u.a. als
nachhaltig wirtschaftende Unternehmen inszenieren. </p><p>Auch
die Arbeiterinnen und Arbeiter haben derweil nichts zu lachen: Sie arbeiten zu
Hungerlöhnen unter miesen Bedingungen und werden schikaniert. Der aktuelle
Tarifvertrag zwischen der Fleischwirtschaft und der Gewerkschaft Nahrung,
Genuss, Gaststätten (NGG) sieht Mindestlöhne von mageren neun Euro vor. Es gibt
mittlerweile genug Belege dafür, dass sogar dieser Hungerlohn systematisch von
den Konzernbossen unterlaufen wird. Leiharbeit, informelle
Beschäftigungsverhältnisse und Werkverträge, die die Löhne noch weiter nach
unten drücken, sind die Regel. Gewerkschaftliche Organisierung wird massiv
bekämpft, um die NiedriglöhnerInnen – meist ArbeitsmigrantInnen aus Osteuropa –
ungestört ausbeuten zu können. </p><p>Wie
keine andere versinnbildlicht die Fleischindustrie den rücksichtslosen
Verschleiß von Mensch, Natur und Tieren durch das Kapital. Für ihre Profite
nimmt die Bourgeoisie nicht nur das Ende des Planeten, wie wir ihn kennen, und
das Elend der arbeitenden Klasse in Kauf. Sie geht auch buchstäblich über
Leichen: Die Ursache der milliardenfachen industriellen Tötung von Tieren für
die Fleisch-, Leder-, Milch-, Eier-, Pelzproduktion usw. ist das Kapital, das
die Klasse der KapitalistInnen daraus schlägt – nicht bloß das falsche Denken „der“ Menschen über „die“ Tiere, wie Teile der Tierrechts- und
Tierbefreiungsbewegung meinen. Der Kampf gegen die Tierausbeutungsindustrie,
wie ihn Initiativen wie <i>Kampagnen gegen Tierfabriken</i>, <i>LPT Schließen</i>,
die<i> Offensive gegen die
Pelzindustrie</i> und andere betreiben, ist daher begrüßenswert und
fortschrittlich.
</p><h2><b>Klassenfrage
Tierausbeutung</b></h2><p>Die
marxistische Linke hat zwar begriffen, dass es das systematische Streben der
KapitalistInnen nach Profit ist, das Ausbeutung, Imperialismus, Naturzerstörung
und millionenfaches Leid verursacht. Ihr Antikapitalismus hat jedoch einen
blinden Fleck, wenn sie sich weiterhin weigert, die Frage nach der Befreiung
der Tiere als Feld linker und sozialistischer Politik zu begreifen und
ernsthaft zu diskutieren. Das Beispiel der Fleischindustrie zeigt, wie eng die
Ausbeutung der Tiere mit der sozialen Frage und der Zerstörung der Natur
verbunden ist. Dass die Linke sich ihrer bislang kaum angenommen hat, ist nicht
nur angesichts der objektiven Bedeutung dieser Branche sowie der durch sie
verursachten gravierenden Schädigung allein von Mensch und Natur verwunderlich.
Für MarxistInnen gibt es darüber hinaus zwingende Gründe, die Tiere in den
Kreis derer aufzunehmen, die es von Ausbeutung und Klassenherrschaft zu
befreien gilt.
</p><p>Für
das Kapital sind nicht nur LohnarbeiterInnen, sondern auch Tiere bloß
Instrumente der Verwertung: Die einen als Arbeitskraft und variables Kapital,
die anderen als Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, sprich konstantes Kapital.
Und für beide bedeutet das die schmerzvolle Abstraktion von ihren eigentlichen
Bedürfnissen: Sie werden ausgebeutet und leidvoll verschlissen, die Tiere sogar
systematisch umgebracht und zerstückelt. Die Interessen beider sind dem Kapital
letzten Endes gleichgültig. Sie stehen in objektiver Gegnerschaft zur
herrschenden Klasse und sitzen letztlich im selben Boot. Warum prangert man das
Leid der einen an, lässt die anderen aber unberücksichtigt? <br/></p><p>Dass
sich die Ausbeutung von Arbeiterklasse und Tieren qualitativ unterscheidet –
Tiere sind keine doppelt freien LohnarbeiterInnen, produzieren keinen Mehrwert
und gehören nicht zur Arbeiterklasse – tut dem keinen Abbruch. Nur zum
Vergleich: Marxistisch gesehen unterscheidet sich auch die Ausbeutung von SklavInnen
qualitativ von jener der Lohnarbeit. Taugt das zum Argument gegen ihre
Befreiung? Wohl kaum. Wir meinen: Wer als MarxistIn die Menschheit vom Elend
des Kapitalismus befreien will, <i>muss</i>
auch die Tiere befreien wollen. Die Arbeiterklasse leidet unter der Herrschaft
des Kapitals, und die Tiere tun es nicht minder – also muss der Klassenkampf
auch im Interesse beider organisiert werden.</p>
<h2><b>Alles nur Moralismus?</b></h2>
<p>Das
halten einige GenossInnen nun für bürgerlichen Moralismus und entgegnen, Leiden
und Moral könnten nicht die Grundlage kommunistischer Politik sein. Schließlich
sei das Leiden der Menschen ja ein ganz anderes als das der Tiere. Und außerdem
haben Marx, Engels, Lenin und andere ja nicht bloß die Leiden der
Arbeiterklasse beweint, sondern konkrete Analysen der gesellschaftlichen und
historisch-spezifischen Bedingungen und Ursachen dieses Leidens vorgenommen, um
dann organisiert für die Interessen der Arbeiterklasse kämpfen zu können. Nicht
sentimentale Appelle, sondern wissenschaftliche Analyse war und ist daher die
Grundlage revolutionärer Strategie und Politik. Und das stimmt zweifelsohne,
dennoch werden hier zwei Dinge übersehen: Erstens ist auch der Kampf für die
Befreiung der Arbeiterklasse sehr wohl moralisch angetrieben, und zweitens ist
Moral nicht mit Moralismus zu verwechseln.</p><p>
</p><p>Man
will den Kapitalismus ja nicht abschaffen, weil er den Widerspruch von
Gebrauchs- und Tauschwert hervorbringt, zur Monopolbildung treibt oder weil ihm
der tendenzielle Fall der Profitrate innewohnt. So <i>analysiert</i> man ihn, aber diese Analyse liefert keine <i>Begründung</i> für die Notwendigkeit seiner
Abschaffung. MarxistInnen wollen den Kapitalismus abschaffen, weil er Ausbeutung,
Verelendung, Konkurrenz, Hunger, Krieg und dergleichen bedeutet – kurz:
gesellschaftlich produziertes Leid. Ohne den Drang, dieses zu mildern und aus
der Welt zu schaffen, wären auch alle objektiven Widersprüche des Kapitalismus
letztlich egal und jeder Klassenkampf gegenstandslos. Insofern ist Leid eine
zentrale Kategorie des historischen Materialismus. Auch dem Marxschen
Imperativ, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,
ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, liegt ein
moralischer Impuls zugrunde.</p><p>MarxistInnen
belassen es jedoch nicht bei diesem Impuls und sind sich immer über die
gesellschaftlichen und historischen Grenzen der Moral im Klaren. Einen
moralischen Antrieb haben und ihn zum Ausgangspunkt für Analyse und
Organisation nehmen – das ist daher etwas ganz anderes als <i>Moralismus</i>, der die Verhältnisse moralisieren muss, weil er ihren
inneren Zusammenhang nicht begreift.</p><p>Insofern
verwundert die Ignoranz, mit der einige Genossinnen und Genossen sich einreden,
der Kampf für die Befreiung der Tiere sei per se moralistisch und reine „Privatsache“. Natürlich kann man das Leid der Tiere und das der Menschen nicht
gleichsetzen. Daraus aber zu schließen, dass man das eine abschaffen muss und
das andere ignorieren darf, ist bürgerlicher Idealismus: man unterschlägt
nämlich, dass der Mensch selber auch ein Tier ist (woran Marx und Engels als
historische Materialisten übrigens keinen Zweifel ließen) und sich auch in der
Leidensfähigkeit nur graduell vom Tier unterscheidet. Die Verachtung für das
Mitleid mit den Tieren ist also vor allem eins: doppelmoralisch,
antimaterialistisch und bürgerlich. Ihr liegt dieselbe Kälte zugrunde, mit der
die Bürgerlichen auf den Wunsch der Linken nach Freiheit, Solidarität und
Frieden herabsehen.<b><br/></b></p><h2>Tierausbeutung ist heute
fortschrittsfeindlich</h2>
<p>Darüber
hinaus ist der Fortbestand der Fleisch- und Tierindustrie heute objektiv
irrational und zivilisationsfeindlich. Die großindustrielle Ausbeutung der
Tiere ist nicht nur längst überflüssig, sondern mittlerweile ein Hindernis für
die Weiterentwicklung der menschlichen Gattung: Für die „Produktion“ von
Fleisch verbraucht sie wichtige Ressourcen wie Getreide und Wasser, die wir
anders viel besser einsetzen könnten. Sie holzt den Regenwald ab, um Flächen
für den Anbau von Tierfutter für weidendes Schlachtvieh zu schaffen.
Gleichzeitig gilt die Fleischindustrie u.a. als ein Hauptverursacher des
Klimawandels. Mit dem massenhaft produzierten Billigfleisch der
imperialistischen Zentren werden zudem periphere Ökonomien überschwemmt und
zerstört. Damit trägt die Fleischindustrie zur Vernichtung von
Existenzgrundlagen bei und zwingt Menschen zum Verlassen ihrer Länder.<br/></p><p>
</p><p>Ohne
Frage waren Fleischkonsum und die Domestikation von Tieren wichtig für die
Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Das ist allerdings kein Argument, sie
hier und heute noch fortzuführen. Der Entwicklungsstand der Produktivkräfte
macht es nötig und problemlos möglich, die Menschheit zu ernähren und zu
kleiden, ohne dabei auf die Ausbeutung und Tötung von Tieren zurückzugreifen.
Die ökologischen und sozialen Vorteile ihrer Abschaffung liegen auf der Hand.
Sowohl moralisch als auch ökonomisch ist es daher geboten, die industrielle
Tötung und den Verschleiß der Tiere zu beenden. </p>
<h2><b>Fleischindustrie
enteignen – Kapitalismus abschaffen!</b></h2><p>Die
Tierbefreiungsbewegung und die sozialistische Linke führen den gleichen Kampf:
Die einen für die Befreiung der lohnabhängigen Klasse, die anderen für die
Befreiung der Tiere – und beide gegen die Bourgeoisie, weil sie ArbeiterInnen
und Tiere zu bloßen Mitteln der Kapitalverwertung degradiert. Sie müssen sich
zusammentun und eine revolutionäre Politik für die Befreiung von Mensch, Tier
und Natur entwickeln. Dazu müssen die einen begreifen, dass die Tiere zwar
nicht Subjekt, wohl aber Objekt der Befreiung seien müssen; und die anderen
müssen ihre Vorbehalte und mitunter antikommunistischen Vorurteile gegenüber
marxistischer Gesellschaftskritik ablegen und ihre Politik auf ein radikales,
antikapitalistisches Fundament stellen.</p><p>
</p><p>Eine
erste gemeinsame Forderung könnte die Enteignung der Fleisch-KapitalistInnen
sowie die Vergesellschaftung und Konversion ihrer Industrie sein. Warum nicht
zusammen den Umbau der Tier-Industrie im Sinne einer ökologisch nachhaltigen,
vernünftigen Produktion unter planmäßiger Kontrolle der Gesellschaft fordern?
Angesichts der horrenden Ausbeutungsverhältnisse in den Tierindustrien, ihrer
Zerstörung von Umwelt und Klima und des täglichen Massenmords an Tieren wäre es
längst an der Zeit.</p><hr/>
<p>Das <a href="https://de-de.facebook.com/marxismusundtierbefreiung/">Bündnis Marxismus
und Tierbefreiung</a> ist ein Zusammenschluss von Aktiven der marxistischen
Linken und Tierbefreiungsbewegung, welcher seit 2014 besteht und sich um die
Vereinigung von linker und Tierbefreiungspolitik auf einer revolutionären,
historisch-materialistischen Grundlage bemüht. Das Bündnis beteiligt sich an
Veranstaltungen der Tierbefreiungsbewegung sowie der sozialistischen Linken und
publiziert außerdem eigene Flyer und Texte wie das ausführliche <a href="http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/?p=4007">Thesenpapier „Marxismus und
Tierbefreiung“</a>. Vom 30. März bis 1. April organisiert es in Hamburg eine
Osterakademie unter dem Motto <a href="https://osterakademie.jimdo.com/">„Die
Zukunft der Bewegung – Tierbefreiung zwischen Opposition und Affirmation“</a>.</p>
<p><br/></p></div>
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