re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?author=1342022-01-27T23:20:54.798275+00:00Ein Gespenst geht um in Graz. Das Gespenst des Kommunismus?2022-01-27T21:35:08.442040+00:002022-01-27T23:20:54.798275+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/ein-gespenst-geht-um-graz-das-gespenst-des-kommunismus/
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<h1>Ein Gespenst geht um in Graz. Das Gespenst des Kommunismus?</h1>
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<span class="content-copyright">Bernd Thaller</span>
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<div class="rich-text"><p></p><p>Groß war die Aufregung im September 2021, als in Graz der Kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) das gelang, wovon viele westliche Kommunistische Parteien insbesondere seit dem Zerfall der Sowjetunion weit entfernt sind: Bei den Gemeinderatswahlen holte die Partei unter dem Vorsitz von Stadträtin Elke Kahr mit knapp 29 Prozent das beste Wahlergebnis und führt seitdem die Regierungskoalition. „Graz wird kommunistisch“ titelte daher die <a href="https://www.sueddeutsche.de/politik/oesterreich-graz-kommunisten-kommunalwahl-1.5423226"><i>Süddeutsche Zeitung</i></a>. Aber stimmt das?</p><p>Sichert sich eine Kommunistische Partei innerhalb der parlamentarischen Institutionen den Wahlsieg, so liegt aus Perspektive einer revolutionären Linken die Frage nach dem „Wie“ des Aufstiegs der Partei nahe. Hat sich die Partei im Laufe der Zeit einer sozialdemokratischen Linie angepasst, um damit eine gemäßigte Wähler*innenklientel an sich zu binden oder hat sie mit einer klaren klassenpolitischen Praxis überzeugt?</p><p>Der Wahlsieg kommt jedenfalls nicht von ungefähr. In der mit 300.000 Einwohner*innen zweitgrößten Stadt Österreichs, die in den letzten Amtszeiten konservativ regiert wurde, ist die KPÖ seit Jahren eine wichtige politische Größe, die sich den sozialen Anliegen der Grazer*innen widmet. Die <a href="https://taz.de/!5803808/"><i>taz</i></a> bezeichnet das als „bodenständige Sozialpolitik“, während das <a href="https://jacobin.de/artikel/kommunistisch-einfach-so-kpo-graz-kommunistische-partei-osterreichs-elke-kahr-ernest-kaltenegger-siegfried-nagl/"><i>Jacobin</i>-Magazin</a> darin ein „unerschütterliche[s] Bekenntnis zur Klassenpolitik“ sieht, worin sich eine deutliche Diskrepanz in der Beurteilung der politischen Praxis der KPÖ auftut. Was aber sind überhaupt Charakteristika von sozialistischen bzw. kommunistischen Parteien? Dieser Artikel analysiert diese Frage hinsichtlich der KPÖ Graz. Er arbeitet – unter anderem mit Rückgriff auf das Luxemburg’sche Konzept der revolutionären Realpolitik – heraus, ob die Arbeit der KPÖ eine Blaupause für andere Parteiprogramme sein kann.</p><p>Grundlage dafür bilden die wichtigsten politischen Aktionen der KPÖ der letzten Jahre. Eine umfassende Analyse der politischen Gesamtpraxis kann dieser Artikel nicht leisten – sie würde schlicht den Rahmen sprengen. Gleichwohl kann der Artikel aber zur Debatte um die sozialistische Ausrichtung linker Parteien anregen.</p><h2><b>Von der Kleinstpartei zur Repräsentantin der Vielen</b></h2><p>Die KPÖ wurde 1918 gegründet und war von 1945 bis 1959 im Österreichischen Nationalrat vertreten. Nach dieser Zeit spielte sie auf Bundesebene nur noch eine randständige Rolle und galt „als Zufluchtsort für weltanschaulich überzeugte Intellektuelle und Aktivistinnen“, wie es im erwähnten <i>Jacobin</i>-Artikel heißt. Schon damals bildete die Grazer KPÖ eine Ausnahme. Sie war seit 1945 ständig im Gemeinderat vertreten, wobei sie 1983, in einer Zeit der sich intensivierenden Spannungen zwischen dem kapitalistischen Westen und der Sowjetunion und des vehement propagierten Antikommunismus, ihr schlechtestes Wahlergebnis einfuhr und lediglich ein Mandat im Stadtparlament verteidigte. In den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten konnte sie jedoch wieder kontinuierlich Stimmenzugewinne verbuchen.</p><p>Während die KPÖ vor 1990 insgesamt eine klassisch marxistisch-leninistische Linie vertrat, versuchte sich die Partei auf Bundesebene nach dem Ende der Sowjetunion an einer Modernisierungsstrategie. Im Zuge dessen wollte sie nicht länger als ML-Partei gelten und ließ die bisher ablehnende Haltung zur EU hinter sich, deren Bestrebungen des europaweiten neoliberalen Umbaus von Wirtschaft und Gesellschaft sie zuvor noch kritisierte. Der Plan, durch diese Anbiederung an liberal-bürgerliche Prinzipien gemäßigtere Wähler*innen für sich zu gewinnen, ging nicht auf.</p><p>In der Steiermark, zu der auch die Stadt Graz gehört, wollte man nicht mit der Bundespartei über die Planke springen und stattdessen an kommunistischen Prinzipien festhalten. Und das mit Erfolg: Seit 2005 ist die steirische KPÖ permanent im Landesparlament vertreten und in Graz führt sie nun die Stadtregierung. Dort hatte sich die Partei mit Beginn der 1990er Jahre verstärkt dem drängenden Wohnungsthema gewidmet. Die Situation auf dem Grazer Wohnungsmarkt war damals fatal: Menschen mit kleinen Einkommen hatten aufgrund hoher Mietpreise kaum eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Fanden sie doch eine, mussten sie oft 50-60 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen – und das selbst in Genossenschaftswohnungen. Wohnungseigentümer*innen versuchten Bestandsmieter*innen mit allerlei dubiosen Methoden aus den Wohnungen zu drängen, um sie teurer neuvermieten zu können.</p><p>Hier setzte die KPÖ an. Sie richtete eine Mieter*innenberatung und einen Rechtshilfefonds ein, den die Gemeinderatsmitglieder aus Teilen ihrer Gehälter speisten, um den Betroffenen Rückhalt zu bieten und sie dazu anzuhalten, sich gegen Immobilieneigentümer*innen und Spekulant*innen zu wehren. 1998 gewann die KPÖ mit dieser Politik zum ersten Mal einen Sitz im Stadtsenat - eine ungewohnte Rolle für eine Partei, von der der ehemalige Vorsitzende Ernest Kaltenegger <a href="https://www.youtube.com/watch?v=NIbfj3LIIxc&t=23s">sagt</a>, sie verstünde sich als „Opposition zu einem System, das Menschen letztendlich wirklich nicht gut behandelt“. Naheliegenderweise erhielt die Partei das Wohnungsressort und konnte ihre soziale Wohnungspolitik fortsetzen.</p><p>Als der vorherige Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) der KPÖ das Wohnungsressort entzog und es Mario Eustacchio von der neofaschistischen FPÖ übertrug, nützte das der KPÖ mehr als es ihr schadete. Eustacchio setzte in üblicher neoliberaler Manier auf das Anlocken privater Immobilieninvestor*innen statt auf sozial verträgliche Wohnungspolitik. Hierfür wurde das extrem rechte Regierungsbündnis bei den Wahlen 2021 schließlich von den Wähler*innen abgestraft.</p><h2><b>Die Symbiose von Reform und Revolution</b></h2><p>Rosa Luxemburg hat über mehrere ihrer Werke hinweg das Konzept der Revolutionären Realpolitik entwickelt. Die Streitschrift „Sozialreform oder Revolution“ von 1899, in der sie gegen den Reformismus ihres Parteigenossen Eduard Bernstein argumentiert, ist dabei sicher das Zentralste. Im Kern will Luxemburg mit diesem Konzept die parlamentarische Arbeit mit der revolutionären Tat der Massen verbinden und formuliert damit die Bedingungen, an denen sich die politische Praxis sozialistischer und kommunistischer Parteien messen lassen kann. Sie zeichnet damit die notwendigen Richtlinien sozialistischer Politik vor und eben durch diesen praktischen Bezug lässt sich die Revolutionäre Realpolitik sowohl als Schablone als auch als Analyseinstrument politischer Tätigkeit anwenden. Es bildet den theoretischen Rahmen für die Beurteilung der politischen Tätigkeit, denn die „Frage von der Sozialreform und der Revolution, vom Endziel und der Bewegung ist von anderer Seite die Frage vom kleinbürgerlichen oder proletarischen Charakter der Arbeiterbewegung“ (Luxemburg 2019: 10). Freilich ist das Konzept aber auch über einhundert Jahre alt und muss auf unsere heutige politische Situation übertragen und durch unsere Erfahrungen angereichert werden.</p><p></p><h3><i>Charakteristikum 1: „Für die Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die soziale Umwälzung aber der Zweck ist“ (ebd.: 9)</i>.</h3><p>Luxemburg sprach sich dafür aus, dass sozialistische Parteien das Parlament als Bühne und als Plattform des kleinschrittigen Fortschritts innerhalb des Kampfes um eine neue Ordnung nutzen. Reformbestrebungen seien „der alltägliche praktische Kampf […], um die Besserung der Lage des arbeitenden Volkes noch auf dem Boden des Bestehenden“ (ebd.) zu erreichen. Sie unterstrich damit den grundlegend humanistischen Charakter ihrer Ideen: anstatt das Elend der Massen zu instrumentalisieren, galt es, auch noch so kleine Kämpfe um die Verbesserung der Lebensbedingungen zu führen und Reformen durchzusetzen, die den Arbeiter*innen unmittelbar zugutekamen. Reformen können demnach einen durchaus revolutionären Charakter haben, indem sie revolutionäre Entwicklungen vorbereiten.</p><p>Dabei wollte Luxemburg das Konzept der Revolutionären Realpolitik klar abgegrenzt wissen vom Reformismus Eduard Bernsteins, der sich für eine Verbesserung der Lage der Arbeiter*innen allein innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems aussprach, um damit die „Sozialreform aus einem Mittel des Klassenkampfs zu seinem Zweck zu machen“ (ebd.). Die Mittel-Zweck-Beziehung ist für Rosa Luxemburgs Überlegungen zentral.</p><p>Als erstes Charakteristikum revolutionärer Politik müssen Reformen eine klare strategische Ausrichtung haben und das Potenzial mitbringen, zum Sozialismus zu führen: „Nur das Endziel ist es, welches den Geist und den Inhalt unseres sozialistischen Kampfes ausmacht, ihn zum Klassenkampf macht. Und zwar müssen wir unter Endziel nicht verstehen, wie Heine gesagt hat, diese oder jene Vorstellung vom Zukunftsstaat, sondern das, was einer Zukunftsgesellschaft vorangehen muß, nämlich die Eroberung der politischen Macht“ (Luxemburg 1898). Eine sozialistische Reform muss sich also daran messen lassen, ob sie neben dem Nah- auch das Fernziel beinhaltet.</p><p></p><h3><i>Charakteristikum 2: „Der bezeichnete Gang der Dinge ist es, dessen Gegenstück der Aufschwung des politischen und sozialistischen Klassenkampfes sein muss“</i> (Luxemburg 2019: 28)<i>.</i></h3><p>Das zweite Charakteristikum revolutionärer Parteipolitik im Parlamentarismus ist, dass Reformen über die bestehende Ordnung hinausweisen müssen. Auf Eduard Bernsteins Frage, ob in einem Fabrikgesetz zur Begrenzung der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter*innen „viel oder wenig Sozialismus“ stecke, antwortet Rosa Luxemburg, dass „in dem allerbesten Fabrikgesetz genau so viel Sozialismus steckt wie in den Magistratsbestimmungen über die Straßenreinigung und das Anzünden der Gaslaternen, was ja auch ‚gesellschaftliche Kontrolle‘ ist“ (ebd.: 32). Reformen müssen ein sozialistisches Moment enthalten, weil sie ansonsten nur innerhalb der kapitalistischen Ordnung verbleiben und damit letztlich Kapitalinteressen dienen, indem sie ihre inneren Widersprüche verschleiern und weniger erfahrbar machen.</p><p>Mit einem „sozialistischen Moment“ ist in erster Linie die Kollektivierung der Produktion gemeint. Ausgehend von der materialistischen Gesellschaftsanalyse basiert die soziale Ordnung stets auf der Organisation des Produktionsprozesses und der klassenspezifischen Verteilung der Produktionsmittel. Eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse lässt sich somit nur erreichen, wenn die materiellen Verhältnisse an der Wurzel gepackt und umgewälzt werden. Nach Rosa Luxemburg ebne den Weg zum Sozialismus zweierlei: „die wachsende Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft, die ihren Untergang zum unvermeidlichen Ergebnis macht, zweitens […] die fortschreitende Vergesellschaftung des Produktionsprozesses“ (ebd.: 12). Somit haben politische Aktionen und Reformen stets dann einen revolutionären Charakter, wenn sie letztlich auf eine Neuorganisierung der Produktion abzielen und die institutionellen Rahmenbedingungen des sozialistischen Kampfes zu verändern bestrebt sind.</p><p></p><h3><i>Charakteristikum 3: „Die sozialistische Umwälzung setzt einen langen und hartnäckigen Kampf voraus, wobei das Proletariat allem Anscheine nach mehr als einmal zurückgeworfen wird […].“</i></h3><p>Eine sozialistische Revolution aus der Kalten kann es nicht geben. Neben der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel muss „die wachsende Organisation und Klassenerkenntnis des Proletariats, das den aktiven Faktor der bevorstehenden Umwälzung bildet“ (ebd.) hinzukommen. Durch Bildung und Organisierung sollen die Menschen für die Revolution bereit gemacht werden, wobei mit Bildung in erster Linie ein Lernen im Zuge sozialer Kämpfe gemeint ist – ein Lernen mit dem und durch den Kampf. Dazu können die gewählten Repräsentant*innen der Arbeiterschaft durchaus einen Beitrag leisten: „Sie müssen fortwährend auf der Suche sein, die Widersprüche in der Wirklichkeit für Eingriffe zu nutzen, die das Volk, die Massen handlungsfähiger machen. Ziel sollte sein, eine Politik von oben zu machen, die eine von unten befördert. Dafür sollten sie das Parlament als Bühne nutzen“ (Haug 2009: 21).</p><p>Das dritte Charakteristikum sozialistischer Politik ist somit die Vorbereitung der lohnabhängigen Klasse auf die bevorstehende soziale Umwälzung durch eine Ausweitung ihrer Handlungsfähigkeit auf Basis von parlamentarischer Tätigkeit, Organisierung und Bildung. Das läuft auf eine Strategie des kontinuierlichen Kampfes hinaus. Luxemburg war überzeugt, dass die Revolution nur möglich ist, „indem das Proletariat erst im Laufe jener Krisen, die seine Machtergreifung begleiten wird […], erst im Feuer langer und hartnäckiger Kämpfe, den erforderlichen Grad der politischen Reife erreichen kann, der es zur endgültigen großen Umwälzung befähigen wird“ (Luxemburg 2019: 74).</p><p>Die so herausgearbeiteten Aspekte <i>strategische Ausrichtung zum Fernziel Sozialismus</i>, ein <i>über die bestehende Ordnung hinausweisendes Moment</i> und die <i>Vorbereitung der lohnabhängigen Klasse</i> bilden die Prinzipien sozialistischer Parteiarbeit. „Eine soziale Umwälzung und eine gesetzliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente“ (ebd.: 67). In der folgenden Analyse wird geklärt, wie nah die KPÖ Graz diesen Prinzipien steht, ob sie also ihrem Wesen nach sozialistisch ist, und wie ihre Praxis somit aus einer revolutionären Perspektive zu beurteilen ist.</p><h2><b>Das Fernziel stets im Blick?</b></h2><p>Die KPÖ Graz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit einigen besonders hervorzuhebenden politischen Aktionen, Interventionen und Strategieelementen von sich reden gemacht und die Sympathien der Bevölkerung gewonnen, die den Gegenstand dieser Analyse bilden werden. Seit ihrer Neuorientierung Anfang der 90er-Jahre hat sich die KPÖ konsequent der Bekämpfung der Wohnungsnot verschrieben. Und so ist es kaum verwunderlich, dass ihre wichtigsten politischen Impulse sich um diese Problematik drehen.<br/></p><h3><i>Gehaltsspenden und Offenlegung der Konten</i></h3><p>Die Mandatar:innen der KPÖ spenden zwei Drittel ihres Gehalts für einen Sozialfonds und behalten für sich selbst lediglich ein gutes Facharbeiter*innengehalt. Das war in der Vergangenheit einerseits strategisch sinnvoll, als die Partei in der Stadt noch am Aufstreben war, um finanzielle Ressourcen für eigene politische Initiativen und Akzente zur Verfügung zu haben. Andererseits kann darin der Versuch gesehen werden, den Lohnabhängigen trotz Mandatsgewinnen nicht als herrschende (Politiker*innen-) Klasse gegenüberzutreten, sondern mit ihnen gemein zu bleiben und zu signalisieren, dass man immer noch Teil einer gemeinsamen Klasse ist. Dieses Vorgehen widerspricht der gängigen Parteipraxis in parlamentarischen Demokratien und kann durchaus als Ansatz verstanden werden, über das bestehende System hinauszuweisen. Ähnlich lässt sich der „Tag der offenen Konten“ der KPÖ Graz einordnen, bei dem die Partei per Rechnungsoffenlegung Transparenz bezüglich der Verwendung von Parteigeldern schafft.</p><p>Mit den Gehaltsspenden finanzierte die KPÖ einen Rechtshilfefonds für Mieter*innen. Als sich im Zuge der Wohnungskrise immer mehr Immobilieneigentümer*innen unverfrorener Methoden bedienten, um Bewohner*innen aus den Häusern zu drängen und teuer neuvermieten zu können, richtete die KPÖ eine Mietrechtsberatung ein und sicherte den Ratsuchenden finanzielle Unterstützung aus dem Fonds für den Rechtsstreit mit den Vermieter*innen zu. „Wir sind ein Hilfsinstrument für den Kampf der Bevölkerung um ihr Recht“ postulierte der ehemalige Parteivorsitzende Ernest Kaltenegger in dem Youtube-Format <i>Auf Augenhöhe</i>. Diese Haltung entspricht damit dem, was das Konzept der Revolutionären Realpolitik als Aufgabe sozialistischer Parlamentsabgeordneter erachtet, nämlich eine Politik von unten zu unterstützen. Durch den finanziellen Rückhalt für Mieter*innen, die sich mit den Kapitalist*innen anlegten, wurde die Handlungsfähigkeit der Ersteren erweitert und es fand eine Machtverschiebung hin zu den Lohnabhängigen statt. Indem die Partei klar machte, dass es einen klaren Klassengegensatz zwischen Immobilieneigentümer*innen und Mieter*innen gibt, schärften sie außerdem das Klassenbewusstsein in der Bevölkerung, was für die Vorbereitung einer sozialistischen Umwälzung zentral ist.</p><p>Zugleich muss konstatiert werden, dass diese politische Maßnahme die dem Problem zugrundliegenden Eigentumsverhältnisse völlig unberührt lässt und die Kritik an den Klassenverhältnissen eher implizit ist. Eine strategische Ausrichtung zum Fernziel Sozialismus lässt sich hier schwerlich erkennen</p><p></p><h3><i>Volksbefragung zum Verkauf von Gemeindewohnungen</i></h3><p>Im Jahr 2004 plante die Grazer Rathausmehrheit aus ÖVP, SPÖ und FPÖ den Verkauf von Gemeindewohnungen, wogegen die KPÖ eine „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ organisierte. Bei dem Referendum stimmten über 13.000 Grazer*innen ab und eine überwältigende Mehrheit sprach sich gegen den Verkauf aus. Dadurch konnte genug Druck auf die amtierende Stadtregierung erzeugt werden und die Wohnungen verblieben in Gemeineigentum – eine äußerst weitsichtige Aktion, bedenkt man, mit welchen Schwierigkeiten sich Städte wie Berlin, die große Teile des städtischen Wohneigentums in der Vergangenheit verkauften, derzeit bezüglich der Wohnungsfrage konfrontiert sehen.<br/> Doch nicht nur aus rein pragmatischen Gründen ist der Verbleib der Wohnungen in kommunalem Eigentum zu begrüßen. Die KPÖ verhinderte dadurch auch, dass Wohnraum und Wohnen der kapitalistischen Verwertung preisgegeben werden und stellte damit den Vorrang des Privateigentums in Frage. Das Fernziel Sozialismus ist darin erkennbar, ebenso wie ein über die bestehende, auf dem Privateigentum gegründete, Ordnung hinausweisendes Moment.</p><p>Eingewandt werden kann hingegen, dass durch die Abwendung des Verkaufs lediglich der ohnehin vorhandene Zustand konserviert wurde. Erreicht wurde damit lediglich eine Abschwächung der sich zuspitzenden kapitalistischen Widersprüche, womit die KPÖ hier im von Luxemburg scharf kritisierten Reformismus verbleibt.</p><p>Was aber ebenfalls nicht unerwähnt bleiben darf ist, dass sich die lohnabhängige Klasse ihrer eigenen Wirkmächtigkeit bewusst werden konnte. Die Volksbefragung kann als Teil ihres Kampfes um würdige Lebensbedingungen und als Organisations- und Mobilisierungsmaßnahme betrachtet werden. Ernest Kaltenegger betont daher, dass dies „ein wichtiger Politikgrundsatz“ gewesen sei. Im Gespräch bei <i>Auf Augenhöhe</i> fährt er fort: „Wenn man Politik machen will, darf sich das nicht alles nur in den Parlamenten abspielen. Also man muss rausgehen mit dem Anliegen. Wenn sich das nur in einer Partei, einem Gemeinderat oder einem Landtag abspielt, dann hat das nur sehr eingeschränkte Wirkung“.</p><p></p><h3><i>Belastungsobergrenze für Mieten</i></h3><p>Eines der wohl bedeutendsten Mittel im Kampf um eine soziale Lösung der Wohnungsfrage ist die sogenannte Belastungsobergrenze für Mieter*innen. Diese setzte die KPÖ ebenfalls gegen den Widerstand der Stadtregierung mithilfe einer „Initiative nach dem Volksrechtegesetz“ durch. 20.000 Unterschriften konnten gesammelt werden, woraufhin der Beschluss zur Obergrenze doch noch im Rat gefasst wurde. Die Belastungsobergrenze sah vor, dass die Mietkosten in Kommunalwohnungen ein Drittel des Haushaltseinkommen nicht überschreiten durften. Lag die Miete über dieser Grenze, wurde der Betrag, um den sie überschritten wurde, von der Stadt übernommen.</p><p>Die Maßnahme erweiterte die Handlungsfähigkeit der Lohnabhängigen insofern, als sie freiere Lebensentwürfe durch soziale Sicherung ermöglicht. Die Betroffenen sind somit zum Beispiel nicht mehr gezwungen, jeden Job anzunehmen, nur um die horrende Miete zu bezahlen. Dadurch wird die Abhängigkeit der besitzlosen von der besitzenden Klasse relativiert und darin hat der Beschluss ein über die kapitalistische Ordnung hinausweisendes Moment.</p><p>Wiederum stellt die Maßnahme aber nicht das Privateigentum infrage. Statt Mieten wirksam und in der Breite zu kappen und das Recht auf Wohnen zu stärken, werden überzählige Beträge vom Staat gezahlt und das auch nur für Kommunalwohnungen, wodurch nichts am ausbeuterischen Profit der privaten Immobilieneigentümer*innen geändert wird. Insofern ändert sich nichts an der Marktmacht der Eigentümer*innen und ihrer Freiheit zum Mietwucher.</p><p></p><h3><i>Bildungsverein der KPÖ</i></h3><p>Der Bildungsverein der KPÖ Steiermark wurde 2005 gegründet und organisiert seitdem Seminare für Partei-Funktionär*innen und Aktivist*innen sowie politische und kulturelle Veranstaltungen für eine breitere Öffentlichkeit. Inzwischen verwaltet er auch den Kulturbetrieb des Grazer Volkshauses. Der Verein ermöglicht damit politische Bildungsarbeit in der Arbeiter*innenschaft und unter Lohnabhängigen, bietet Raum für die Organisierung und die Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit. Auch für Rosa Luxemburg war Bildungsarbeit ein bedeutender Teil der politischen Basisarbeit, lehrte sie doch über Jahre hinweg an einer Parteischule der SPD Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie.</p><p>Dennoch ist eine solche Form der Wissensweitergabe und -herausbildung nicht ganz die von Luxemburg im Konzept der Revolutionären Realpolitik intendierte. Ihr ging es vielmehr um ein Lernen im und durch den Kampf, ein Lernen aus Rückschlägen, nach denen man sich immer wieder neu sammelt, um mit größerer Stärke erneut gegen das krankende kapitalistische System anzugehen. Sie wollte nie auf einer abstrakten Theorieebene verbleiben, sondern das Wissen gezielt im praktischen Kampf um den Sozialismus einsetzen. Ein solcher Ansatz lässt sich zwar in der Organisation von Seminaren für politisch Aktive durchaus ausmachen. Entscheidend ist am Ende aber, ob die Lohnabhängigen ein solches Wissen auch außerhalb der Lehrräume einsetzen, um für den Sozialismus zu streiten. Und obwohl der Wahlerfolg der KPÖ durchaus auch der Bildungsarbeit geschuldet sein kann, bleibt er dennoch auf der parlamentarischen Ebene und übersetzt sich nicht in eine außerparlamentarische sozialistische Bewegung.</p><h2><b>Zwischen den Stühlen</b></h2><p>Wie die Analyse zeigen konnte, lässt sich bei der KPÖ in all ihren wichtigen politischen Aktionen und Initiativen die sozialistische Linie ebenso erkennen wie der Versuch, den Kapitalismus auszuhöhlen und das Primat des Privateigentums in Frage zu stellen. Dadurch kann schließlich eine menschenwürdigere Organisation der Wirtschaft vorbereitet werden. Was aber folgt nun aus dieser Erkenntnis? In erster Linie wirft sie die Frage auf, ob andere sozialistische und kommunistische Parteien von der KPÖ lernen können. Eine Antwort darauf zu finden hat zum Beispiel durch das desaströse Wahlergebnis von der Partei Die Linke bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland gewisse Relevanz. Es lässt sich schnell einsehen, dass eine unmittelbare Übertragung der politischen Praxis der KPÖ Graz als einer Lokal-Partei mit engem regionalem Bezug und Wirkungsradius auf bundesweite Zusammenschlüsse nur bedingt möglich ist. Dennoch erlauben die Ergebnisse der politischen Analyse die Schlussfolgerung auf einige politische Implikationen für andere Parteien.</p><p>Die KPÖ hat die existenziellen Ängste der Lohnabhängigen und Eigentumslosen in einer Zeit der sich verschärfenden Klassengegensätze ernst genommen und konkrete Schritte zu ihrer sozialen Absicherung unternommen. Dabei hat sie direkt die Hilf- und Machtlosigkeit, die die Menschen gegenüber der – über das Privateigentum verfügenden und dadurch mit Machtmitteln ausgestatteten – herrschenden Klasse empfinden, angesprochen und die auf sie einwirkenden Zwänge vermindert. Bei der immer weiter wachsenden sozialen Ungleichheit und der zunehmendem Abstiegsangst immer größerer Teile der Bevölkerung, ist das eine politische Agenda, die Wähler*innen anspricht. Die KPÖ war stets bestrebt, den unteren Klassen mehr Handlungsfähigkeit zu ermöglichen – was nicht nur eine Grundlage sozialistischer Politik ist, sondern ganz praktisch das Leben vieler Menschen verbessert, ihnen Eigenständigkeit verleiht und ihnen das Gefühl zurückgibt, nicht nur ein Rädchen im System, sondern ein*e selbstbestimmte*r Akteur*in zu sein. Dazu haben vor allem die Volksbefragungen beigetragen, die die KPÖ organisiert hat.</p><p>Die Partei unterstrich dabei stets die Ursache für das Elend der Menschen – Kapitalismus und Ausbeutung – und kam so zu einer authentischen, zugewandten und an praktischen Fragen orientierten Sozialpolitik, die das Gewand des autoritären Schreckgespensts, das die bürgerlichen Kräfte der kommunistischen Bewegung übergeworfen hatten, erfolgreich abstreifen konnte und sich all den Unkenrufen, Kommunismus sei utopische Fantasterei zum Trotz, als politische Kraft etablieren konnte. „Die KPÖ hier, hat sich sehr bewusst dafür entschieden am „K“ im Parteinamen festzuhalten und eine Politik zu entwickeln, die sich an den alltäglichen Sorgen der Menschen orientiert“ <a href="https://www.heise.de/tp/features/Das-ist-ein-Marathon-und-kein-Sprint-Der-Weg-zum-kommunistischen-Wahlsieg-in-Graz-6222822.html">konstatiert</a> auch Max Zirngast, neugewähltes Grazer KPÖ-Gemeinderatsmitglied und <i>re:volt magazine</i>-Autor. Daran können sich westliche linke Parteien durchaus ein Beispiel nehmen.</p><p>Indem die Mandatar*innen der KPÖ Graz einen Großteil ihres Gehalts spenden, generieren sie nicht nur einen Geldpool zur Umsetzung ihrer politischen Ziele, sondern zeigen auch, dass es nicht nur politisches Palavern ist, ein Mittel der Bevölkerung im Kampf um ihr Recht zu sein. Sie bleiben mit der lohnabhängigen Klasse gemein, anstatt sich in die herrschende Klasse zu erheben, wie es das parlamentarische System bei Mandatsübernahmen eigentlich impliziert. Die KPÖ könnte hier mit einem ganz konkreten Praxiselement Vorbild für anderen linke Parteien sein.</p><p>Andererseits sind über die bestehende Ordnung hinausweisende Elemente in der Parteiarbeit nicht immer leicht auszumachen. Dabei ist natürlich zu beachten, dass die KPÖ Graz eine Regionalpartei ist und ihr Spielraum, in das institutionelle Gefüge einzugreifen, damit eng begrenzt ist. Dennoch ist es durchaus irritierend, dass die KPÖ im Nachklang ihres Wahlerfolgs auch ganz bewusst eine Flanke hin zu einer Zusammenarbeit mit der ÖVP öffnete. Auf ihrer Homepage <a href="https://www.kpoe-steiermark.at/30-antworten-auf-30-fragen.phtml">schrieb</a> die Partei dazu unter anderem: „Die Zusammenarbeit zwischen ÖVP und KPÖ in den Jahren 2015–17 hat ja bewiesen, dass wir in vielen Punkten, in denen es um die ganz konkrete Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Graz geht, zusammenfinden können“ und „Wir wollen keine Partei ausgrenzen, nichts und niemanden auseinanderdividieren“. Mit dieser Konsensorientierung ohne Abgrenzung zu reaktionären Kräften steht die Partei der „Realpolitik“ jedenfalls um Einiges näher als dem „Revolutionären“ in Luxemburgs Konzept, auch wenn (oder gerade weil) schließlich eine rot-grün-rote Koalition geschlossen wurde. Auch der Rest des Artikels, in dem die KPÖ Antworten auf 30 Fragen des ÖVP-Stadtrats Hohensinner gibt, liest sich wie ein solide sozialdemokratisches Programm ohne sozialistische Ambitionen.</p><p>Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die KPÖ macht Klassenpolitik, insofern sie in ihrer politischen Praxis zuverlässig auf Seiten der Lohnabhängigen steht und bewegt sich dabei in einem Spannungsverhältnis zwischen reformerischer Konsensorientierung und lebensnaher revolutionärer Praxis. Ihre Politik entspricht nicht einwandfrei dem theoretischen Konzept der Revolutionären Realpolitik. Allerdings weist sie viele Charakteristika sozialistischer Politik auf, was zu dem Schluss führt, dass sie Luxemburgs theoretisches Konzept in eine den regionalen Gegebenheiten angepasste politische Praxis überführt. Damit stellt sich die KPÖ Graz einer der bedrohlichsten politischen Entwicklungen unserer Zeit entgegen. Im Angesicht der fortschreitenden Neoliberalisierung und des Erstarkens neuer faschistischer Kräfte ist ein Festhalten am Fernziel Sozialismus heute wichtiger denn je in der Nachkriegsgeschichte. Schon Rosa Luxemburg wusste, „daß die sozialistische Arbeiterbewegung eben heute die einzige Stütze der Demokratie ist und sein kann, und daß nicht die Schicksale der sozialistischen Bewegung an die bürgerliche Demokratie, sondern umgekehrt die Schicksale der demokratischen Entwicklung an die sozialistische Bewegung gebunden sind“ (Luxemburg 2019: 65).</p><p>---</p><h3><b>Genutzte Literatur</b></h3><p><b>Haug, Frigga</b> (2009): Revolutionäre Realpolitik – die Vier-in-einem-Perspektive. In: Brie, Michael/Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): Radikale Realpolitik: Plädoyer für eine andere Politik, Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin: Dietz, S. 11–25.</p><p><b>Luxemburg, Rosa</b> (1898): Reden auf dem Stuttgarter Parteitag (Oktober 1898). Online verfügbar unter: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1898/10/stuttgart1898.html (Abgerufen am 29.10.2021).</p><p><b>Luxemburg, Rosa</b> (2019): Sozialreform oder Revolution? Grafrath: Boer Verlag.</p></div>
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Wohnungsfrage reloaded - 150 Jahre Wohnen als Ware2021-09-08T17:01:23.420806+00:002021-09-09T09:53:18.901209+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/wohnungsfrage-reloaded-150-jahre-wohnen-als-ware/
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<h1>Wohnungsfrage reloaded - 150 Jahre Wohnen als Ware</h1>
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<span class="content-copyright">Rasande Tyskar</span>
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<div class="rich-text"><p></p><p><i>Im Jahr 1872/73 schrieb Friedrich Engels einen</i> <a href="http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm"><i>Aufsatz</i></a><i> über die Wohnungsnot in den Industriestädten des 19. Jahrhunderts, ihre Ursachen und die jämmerlichen Versuche der Sozial-Bourgeoisie einer sogenannten Lösung der Wohnungsfrage. Fast 150 Jahre später, im Jahr 2021, gründet sich in Berlin-Friedrichshain eine kleine Anwohner*inneninitiative, die den Luxus-Bauprojekten von Großinvestor*innen im Kiez den Kampf ansagt.</i><br/> <i>Der folgende Artikel begibt sich über Engels‘ Aufsatz zu den Ursprüngen der Wohnungsfrage, die heute erneut zu einem der drängendsten sozialen Anliegen und dem bestimmenden Wahlkampfthema der Bundestagswahl 2021 geworden ist und zeigt ihre historische Kontinuität auf. Die Aufbereitung von Engels‘ Text und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für gegenwärtige Mietenkämpfe rahmen dabei ein Interview mit der Mieter*inneninitiative „Wem gehört der Laskerkiez?“, die die Wohnungsfrage ganz aktuell und praktisch stellt.</i></p><p></p><h2><b>Die Wohnungsfrage im 19. Jahrhundert</b></h2><p></p><p>„Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise; eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt eine Wohnung zu finden.“[1] Dieses Phänomen kommt uns heute mehr als bekannt vor. Die Wohnungsnot ist in aller Munde und selbst marktradikale und konservative Politiker*innen können die Augen nicht mehr davor verschließen, dass erschwinglicher Wohnraum zunehmend Mangelware wird. Sie füllen daher ihre Wahlkampfprogramme für die kommende Bundestagswahl mit mehr oder (vor allem) weniger sinnvollen Vorschlägen, wie das Problem anzugehen sei. Diese drehen sich vornehmlich um Investitionsanreize für privaten Wohnungsbau und die Förderung von Wohneigentum und befeuern damit die Mechanismen weiter, die überhaupt erst zur massiven Verschärfung der Wohnungsfrage geführt haben, wie im Folgenden deutlich wird. Die Beschäftigung mit Friedrich Engels‘ Text ist dabei lohnenswert, weil er so frappierende Parallelen zur Gegenwart aufzeigt und seine Analyse kaum an Aktualität eingebüßt hat.<br/> Engels verortet die Wohnungsfrage innerhalb der sozialen Frage, die durch die sich zuspitzenden sozialen Widersprüche im Kapitalismus aufgeworfen wird. Und auch gegenwärtig strahlt in der Debatte um die zunehmende soziale Ungleichheit innerhalb westlicher Gesellschaften ein Spotlight auf die Frage nach erschwinglichem Wohnraum und macht damals wie heute „nur soviel von sich reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat.“ Trifft nun der Umstand, dass Kapitalist*innen kein Interesse an sozial verträglichem Wohnungsbau haben, da sich mit Luxusbauten oder Geschäftsgebäuden mehr Profit machen lässt, auf einen weitestgehend unregulierten Wohnungsmarkt, so ist das Ergebnis stets das Gleiche: Rasch steigende Mietpreise, die zur Verdrängung der ansässigen Bevölkerung an den Stadtrand und/oder zur Zusammendrängung der Wenigverdiener*innen in zu kleine Wohnungen führt. Im 19. Jahrhundert zog das zahlreiche üble Konsequenzen nach sich, wie zum Beispiel die rasante Ausbreitung von Seuchen innerhalb dieser Viertel. Ein Übergreifen auf gut situierte Stadtteile blieb oft nicht aus und erst dann entdeckte auch die Bourgeoisie ihre Menschenliebe und setzte an, den schlimmsten Missständen Abhilfe zu verschaffen. Ihre Entsprechung finden diese Vorgänge in der Gegenwart in den völlig überbelegten Wohncontainern für Gastarbeiter*innen, die in den bürgerlichen Nachrichten und der Politik erst problematisiert wurden, als sie durch Massenansteckungen mit dem Corona-Virus zur Gefahr für alle wurden.<br/> Im Zusammenhang mit den miserablen Wohnverhältnissen der Arbeiterklasse waren schon Engels die bürgerlichen Bestrebungen, die Innenstädte schöner und wohnlicher zu machen, für die sich die Bourgeois selbst feierten, bekannt, welche allerdings lediglich zu einer Verlagerung sozialer Brennpunkte an einen anderen Ort führten. Engels nannte es „Praxis des Breschelegens“, wir kennen das heute als Gentrifizierung.<br/> Nichtsdestotrotz, so konstatiert Engels, werden die Missstände, die mit der Wohnungsfrage einhergehen, im Kapitalismus mit ökonomischer Notwendigkeit immer wieder neu erzeugt. Mietwucher und die Spekulation mit Wohnraum entspringt nicht bzw. nicht notwendigerweise der mangelnden Moralität der Grundeigentümer*innen, wie Formulierungen wie „Miethaie“ leicht suggerieren. Vielmehr sind sie Resultat der Konkurrenzsituation auf dem kapitalistischen Wohnungsmarkt, die Eigentümer*innen dazu drängt, aus ihren Wohnungen möglichst hohen Profit zu schlagen, um auf dem Markt gut mithalten zu können. Insofern gilt: Wo Wohnen Ware ist, herrscht Wohnungsnot.</p><h2><b>Wohneigentum kann nicht die Antwort sein</b></h2><p>Engels zieht das Fazit, dass sich die Wohnungsfrage innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise nicht lösen lässt – vor allem nicht durch die von Politiker*innen verschiedener Spektren gern vorgebrachte Idee, man müsse Arbeiter*innen nur in die Lage versetzen, Wohneigentum erwerben zu können. Diese Schlussfolgerung ist auf Basis einer materialistischen Gesellschaftsanschauung, also der Betrachtung und Analyse von Gesellschaften anhand der in ihnen herrschenden Produktions- und Klassenverhältnisse, absolut treffsicher: Im Kapitalismus richtet sich die Höhe des Arbeitslohns im Durchschnitt nach den Kosten für die Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft. Entfallen durch Wohneigentum die Kosten für Unterkunft der Arbeiter*innen, werden mittel- bis langfristig die Löhne sinken, weil dadurch die Reproduktionskosten der Arbeitskraft geschmälert werden. Eine Verbesserung in den Lebens- und Vermögensverhältnissen ist bei einer flächendeckenden Etablierung von Wohneigentum daher nicht zu erwarten. Und weiter: Wohneigentum kettet die Arbeiter*innen an die heimische Scholle und zementiert damit ihre Abhängigkeit von Arbeitgeber*innen bzw. Kapitalist*innen. Das ist durchaus Teil des bourgeoisen Kalküls. Je größer die Abhängigkeit der Arbeitenden von den Kapitalist*innen, desto mehr Gehorsam ist von ihnen zu erwarten. Letztlich zielt diese Strategie also darauf ab, Klassenkämpfe zu unterminieren. Die Förderung von Wohneigentum findet sich übrigens in unterschiedlicher Ausformung in den Wahlprogrammen <i>aller</i> großen Parteien, außer bei die Linke.</p><p></p><p>Die Relevanz von Engels‘ Aufsatz trotz seines beachtlichen Alters von 150 Jahren ist also augenscheinlich. Die Hervorbringung der Wohnungsnot vollzieht sich – wenn auch neoliberal modifiziert – immer noch nach den gleichen kapitalistischen Mechanismen. Ebenso aktuell ist somit der Widerstand gegen die Profitmacherei mit Wohnraum und Bauflächen und gegen soziale Verdrängung. In Berlin-Friedrichshain gründete sich in diesem Jahr eine Anwohner*innen-Initiative, die ihren Kiezkampf im folgenden Interview vorstellt.</p><p></p><hr/><p></p><hr/><p></p><h2><b>„…und zwei Wochen später lag das Wahlprogramm der FDP im Briefkasten.“</b></h2><h3><b>Interview mit Amanda und Timo von "Wem gehört der Lasker Kiez"</b></h3><p></p><p><b>re:volt: Eure Mieten-Ini „Wem gehört der Lasker Kiez“ hat sich Anfang diesen Jahres gegründet. Was war der Anlass und warum braucht es eine weitere Anwohner:innen-Initiative in Berlin?</b></p><p><b>Timo:</b> Unsere Initiative ist im Lasker-Kiez im Süden Friedrichshains aktiv. Ich lebe jetzt seit fünf Jahren hier und bisher war es immer so, dass dieser Südzipfel von Friedrichshain noch nicht so krass von der Gentrifizierung betroffen war wie zum Beispiel die Gegend weiter nördlich um den Boxhagener Platz herum. Ende letzten Jahres fing es an, dass hier einige der alten Autohäuser abgerissen wurden und irgendwelche steinreichen Unternehmen ankündigten, hier Luxusbüros aus dem Boden zu stampfen. Es ging los mit der Pandion AG, dem viertgrößten sogenannten Immobilienentwickler in Deutschland, der hier den „Ostkreuz Campus“ errichten will. Wir mussten feststellen, dass im Kiez mehrere solcher Luxusbürogebäude in Planung waren, zum Beispiel auch neben der alternativen Bar „Zukunft am Ostkreuz“. Als wir gemerkt haben, dass das Viertel hier von irgendwelchem Luxusbüroscheiß umringt werden soll, kam der Stein ins Rollen. Gleichzeitig gibt es hier eine ziemlich coole Nachbarschaft – wir haben das Hausprojekt Bödi um die Ecke, dann eine Bar, in der Veranstaltungen zu linken und sozialen Themen stattfinden, den selbstverwalteten Bürger:innengarten Laskerwiese, einen Jugendclub, diverse coole Spätis – und das soll auch so bleiben! Es fehlte eigentlich nur an der Organisierung. Wir waren halt nicht connected und konnten so die Informationen nicht streuen. Unser Ziel war also, die Leute aus der Nachbarschaft an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam gegen diese Bauprojekte vorzugehen. Denn gefragt haben diese Unternehmen natürlich nicht und auch von der Politik hat man erstmal nichts dazu gehört.</p><p></p><p><b>re:volt: Von welchen Bauvorhaben sprecht ihr da konkret?</b></p><p><b>Timo:</b> Da ist einmal der „Ostkreuz Campus“ von Pandion, den ich bereits erwähnte. Das ist ein Terrain, etwa so groß wie zwei Fußballfelder, auf dem ein Bürokomplex entstehen soll. Die besondere Widerlichkeit bei Pandion ist, dass sie dreist behaupten, dass ihr Bau gut für das Viertel wäre. Aber wenn wir ein paar Kilometer weiter in den Nachbarbezirk Kreuzberg blicken, wo Pandion schon Gebäude mit so wohlklingenden Namen wie „The Grid“ und „The Shelf“ gebaut hat, können wir feststellen, dass schon während des Baus dieser High-End-Immobilien die Mieten in den umliegenden Wohnungen massiv angezogen wurden.<br/> Außerdem will das Unternehmen Trockland zwei Büroklötze links und rechts neben der Bar „Zukunft am Ostkreuz“ errichten. Und Adam Europe Real Estate will am Markgrafendamm 400 Mikroapartments und ein als „Boarding House“ bezeichnetes hotelähnliches Apartmentgebäude bauen. „RFR Development GmbH“ baut am Urban-Spree-Komplex weiter, da war noch eine Fläche frei. Daneben stehen auch schon Gebäude mit Eigentumswohnungen, die jede so etwa eine Million Euro kosten. Es gibt noch ein paar weitere Projekte, aber das sind die größten Player.</p><p></p><p><b>re:volt: Was ist im Speziellen eure Kritik an den Bauprojekten und welche Folgen befürchtet ihr durch ihre Realisierung für den Kiez?</b></p><p><b>Amanda:</b> Zum einen kritisieren wir, dass die Anwohner:innen, insbesondere von der Politik, nicht einbezogen werden. Gerade die Menschen, die hier wohnen, sollten einfach ein Recht zur Mitsprache und Mitbestimmung haben, ihre Wünsche äußern können. In einer Demokratie sollte das doch selbstverständlich sein. Die Lebensumstände der hier ansässigen Menschen werden durch Pandions angeblich geplante offene Cafeteria nicht verbessert. Niemand hier braucht überteuerten Latte Macchiato. Auf Nachfrage musste Pandion auch zugeben, dass der beworbene begrünte Innenhof verschließbar sein wird, um das Hausrecht ausüben zu können – sprich: unliebsame Personen jederzeit vertreiben zu können. Zum anderen ist klar geworden, dass die Investor:innen auch die örtliche Infrastruktur verdrängen. Es haben bereits zwei Supermärkte dichtgemacht. Hinzu kommt natürlich die Verdrängung lokaler Initiativen wie des Gartens Laskerwiese und des „Zukunft am Ostkreuz“. Die Räumlichkeiten letzterer wurden kürzlich gekündigt und da reibt sich der Investor Trockland schon die Hände und will sich dieses Grundstück zwischen seinen zwei geplanten Bürotürmen wahrscheinlich auch noch sichern. Dagegen müssen wir uns wehren und ganz klar signalisieren, dass wir das nicht wollen.</p><p><b>re:volt: Der Bezirk ist ja eigentlich seit Jahren grün regiert und die Grünen schmücken sich auch gern mit einer sozialen Politik, aber wie haben denn nun die politisch Verantwortlichen auf die Bauprojekte und auf eure Initiative reagiert?</b></p><p><b>Amanda:</b> Unterschiedlich. Es ist ja Wahljahr und da ließen sich auch ein paar Politiker:innen bei unseren Kundgebungen blicken und haben große Reden geschwungen. Dabei blieb es aber auch. Die Grünen haben sich zwar geäußert, aber verweisen eigentlich immer nur auf’s Bundesrecht. Sie meinen also, der Bezirk sei nicht zuständig und dass die Frage der Bebauung auf Bundesebene gelöst werden müsse. Sie entziehen sich damit ihrer Verantwortung.</p><p><b>Timo:</b> Das Absurde ist, dass im Grunde keine Partei mehr etwas an den Unternehmensplänen ändern kann. Das hätte viel früher geschehen müssen. Aber die Unternehmen haben diese Flächen vor Jahren erworben und haben das Baurecht. Lediglich eine Einzelperson bei den Grünen hat sich für einen qualifizierten Bebauungsplan eingesetzt, durch den eine teilweise kulturelle Nutzung der Flächen sichergestellt werden soll. Aber letztlich werden diese Luxusbauprojekte halt kommen und keine Partei steht dafür ein, sie zu verhindern. Das ist natürlich bitter. Für die Nachbarschaft ist es ein Schlag ins Gesicht – ebenso wie Pandions Behauptung, diesem selbsternannten „Partner für Lebensräume“, etwas Gutes für den Kiez zu tun.</p><p><b>re:volt: Was hält denn eure Initiative von diesem qualifizierten Bebauungsplan?</b></p><p><b>Timo:</b> Der Bebauungsplan ist vermutlich nicht schlecht, kommt aber eigentlich zu spät. Unsere Ini steht für einen absoluten Baustopp. Es geht um scheiß Unternehmen, die hier niemand haben will. Das ist bei vielen Gesprächen unsererseits mit Nachbar:innen und bei Haustürgesprächen sehr deutlich geworden. Und es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass die Menschen, die hier leben, nicht mitentscheiden dürfen, auf die wir öffentlich aufmerksam machen wollen. Nicht eine Person, mit der wir gesprochen haben, hat sich für diese Luxus-Offices ausgesprochen und deshalb stehen wir konsequent dafür, diese und ähnliche Bauvorhaben zu verhindern. Aber von der Politik wird diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen. Letztendlich gibt es für die Verantwortlichen ja auch rechtlich diese Möglichkeit nicht mehr. Unsere Taktik ist deshalb, am Image dieser Unternehmen wie Pandion anzusetzen und sie zu demaskieren – also zu zeigen: das sind hier nicht die netten Freunde der Nachbarschaft, sondern es sind die, die dafür sorgen, dass wir in ein paar Jahren wegziehen müssen.</p><p><b>re:volt: Wie ließen sich denn diese Flächen besser nutzen und was wünscht ihr euch für die kommende Zeit?</b></p><p><b>Amanda:</b> Was Ballungsräume wie Berlin wirklich brauchen, sind Grünflächen. Hier im Kiez gibt es nur einen begrünten Platz, den Rudolfplatz, und das reicht nicht. Es gibt zwar noch den Bürger:innengarten Laskerwiese, der aber für Lidl-Parkplätze vor einiger Zeit verkleinert wurde. Dabei sind es Grün- und Erholungsflächen, die die Lebensqualität der Menschen, die hier leben, erhalten und steigern.<br/> Was ich mir deshalb wünsche ist, dass der Druck auf die Politik auch nach der Wahl groß bleibt. Sie sollen Politik für die Menschen machen und nicht für sich selbst oder die Immobilienlobby. So sieht es im Moment aber leider nicht aus. Hier im Viertel soll es demnächst eine massive Nachverdichtung geben, bei der zwischen den Häusern noch weitere Wohnhäuser gebaut werden. Da sind zwar auch Sozialwohnungen dabei, aber bei Weitem nicht so viele, wie es bräuchte.<br/> Für unsere Ini wünsche ich mir, dass wir uns weiter vernetzen – wir sind hier im Kiez auch schon dabei.</p><p><b>Timo:</b> Die Sozialwohnungen, die Amanda angesprochen hat, sind vielen Anwohner:innen hier ein wichtiges Anliegen. Es ist kein Geheimnis, dass Berlin einen erheblichen Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat. Die Schaffung von kommunalem, bezahlbarem Wohnraum ist also eine wichtige politische Forderung für uns. Natürlich wünschen wir uns auch einen Mietendeckel auf Bundesebene. Unsere WG hat durch den Berliner Mietendeckel 200 € im Monat gespart. Dann wurde er gekippt, es gab diese krasse Nachzahlung und zwei Wochen später lag das Wahlprogramm der FDP im Briefkasten. So ging es hier Vielen. Wir unterstützen auch die Enteignungsbestrebungen von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.<br/> Auf gesellschaftlicher Ebene wünschen wir uns, den Menschen nahebringen zu können, dass Gentrifizierung ein komplexes Problem ist. Das heißt, dass es bei den Bauprojekten im Kiez zwar aktuell nicht um die Wohnungen der Menschen geht, dass diese Gentrifizierungsprozesse sie aber trotzdem betreffen. Pandion, Trockland und Adam Europe bauen zwar gerade auf diesen Freiflächen, aber in der Folge wird das Viertel aufgewertet und der Mietspiegel steigt. Und in ein paar Jahren werden dann vielleicht nicht genau diese, aber x-beliebige andere Investor:innen die Wohnhäuser der Menschen kaufen und sie durch Wuchermieten verdrängen. Unser Ziel ist es, das aufzuzeigen, die Menschen auf der Straße, in den Spätis usw. anzusprechen. Wir wünschen uns, als Ini größer zu werden und letztendlich diese scheiß Unternehmen aus dem Kiez zu vertreiben.</p><p></p><hr/><p></p><p><i>Die Initiative “Wem gehört der Lasker-Kiez“ wird bei der Mietenstopp-Demo am 11.09. mit einem Redebeitrag vertreten sein.</i></p><p><i>Außerdem findet ihr sie auf</i> <a href="https://twitter.com/laskerkiez"><i>Twitter</i></a><i>,</i> <a href="https://m.facebook.com/Wem-geh%C3%B6rt-der-Laskerkiez-106754814926842/"><i>Facebook</i></a><i> und</i> <a href="https://www.instagram.com/laskerkiez/"><i>Instagram</i></a><i>.</i></p><p></p><hr/><p></p><hr/><p></p><h2><b>Die Wohnungsfrage heute</b></h2><p>Der historische Vergleich zwischen Engels‘ Beobachtungen und der heutigen Wohnungsfrage zeigt zweierlei. Zum einen wird schnell klar, dass das konkrete Erscheinungsbild der Wohnungsnot sich gewandelt hat. Während Arbeiter*innen im 19. Jahrhundert, so wie es Engels auch ausführlich in seinem Werk „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ am Beispiel Manchester beschreibt, noch in völlig überfüllten, verschmutzten und krank machenden Behausungen leben mussten, haben sich die Wohnbedingungen zumindest der Menschen, die eine Wohnung haben, demgegenüber verbessert. Als wenig ruhmreiches Gegenbeispiel sei an dieser Stelle allerdings noch einmal auf die Container-Wohnungen für Gastarbeiter*innen verwiesen, die nicht nur als Wiederkehr des industriekapitalistischen Cottage-Systems[2] gelten können, sondern insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie eine reale Gesundheitsgefährdung der Arbeiter*innen durch beengte Wohnverhältnisse darstellen.<br/> Was im Vergleich aber auch deutlich wird ist, dass die Mechanismen, die zu explodierenden Mieten, Wohnungsnot und erheblichem existenziellen Druck insbesondere auf die unteren Klassen führt, nach wie vor dieselben sind, wie zu Engels‘ Lebzeiten. Das liegt daran, dass ihnen die gleichen grundlegenden sozialen Verhältnisse zugrunde liegen, nämlich die der kapitalistischen Klassengesellschaft.<br/><br/></p><h2><b>Schulterschluss in der sozialen Frage</b></h2><p>Damals wie heute wird der Wohnungsmarkt größtenteils der Spekulation und Profitmacherei Weniger überlassen, was zu einem immer knapper werdenden Angebot preiswerter Wohnungen insbesondere in den Großstädten führt. Betroffen sind davon natürlich vor allem Prekarisierte, wie Geringverdiener*innen, Erwerbslose, Rentner*innen und (oft in mehrfacher Hinsicht strukturell benachteiligte) Migrant*innen, in immer weiter zunehmendem Maße aber auch bürgerliche Gesellschaftsschichten mit durchschnittlichem Verdienst. Genau darin liegt das transformatorische Potenzial der Mieter*innenbewegung. Wenn selbst ein „normales“ Gehalt nicht mehr ausreicht, um eine erschwingliche Wohnung zu finden, steigt das Problembewusstsein für die kapitalistische Wohnungsspekulation in der Gesellschaft und folglich auch der Druck, Veränderungen herbeizuführen. Erst im April diesen Jahres zeigte eine spontane Großdemonstration in Berlin anlässlich des gekippten Mietendeckels mit zehntausenden Teilnehmer*innen die enorme Mobilisierungskraft, die die Problematik inzwischen hat.<br/> Damit sind große und breit aufgestellte Mietendemos und die vielen Mieter*inneninitiativen zwar noch nicht der Beginn einer Revolution, aber doch ein deutliches Zeichen für einen gesellschaftlichen Schulterschluss in der sozialen Frage, in deren Zentrum die Wohnungsfrage erneut gerückt ist. Die politischen Folgen sind noch nicht ausgemacht. Denkbar ist zum einen die Anwendung einer sozialen Befriedungsstrategie durch die Herrschenden, bei der Konzessionen in beide Richtungen – der Mieter*innen und der Wohnungseigentümer*innen – gemacht werden und bei der die unteren Klassen wiederum leer ausgehen, während das Kleinbürgertum beruhigt ist. Ebenso können die seit Jahren laufenden Solidarisierungsprozesse in der Mieter*innenbewegung zusammen mit dem zunehmenden gesellschaftlichen Druck jedoch auch den Weg zu einer bedarfsgerechten, sozial verträglichen Wohnungspolitik von unten ebnen, die die Ärmsten mit einschließt.<br/> Der Vorschlag, den individuellen Erwerb von Wohnungseigentum zu forcieren, anstatt sich der Mietenproblematik anzunehmen, ist jedenfalls ähnlich unsinnig wie zu Engels‘ Lebzeiten: nicht nur ist diese Forderung für die meisten Menschen, also die mit kleinen bis mittleren Einkommen, wegen der ebenfalls enormen Kaufpreise für Immobilien reiner Hohn, wobei die Preise bei größerer Käufer*innennachfrage sogar in noch schwindelerregendere Höhen steigen dürften. Auch wirkt diese Form der „Problemlösung“ anachronistisch angesichts sich flexibilisierender Lebensmodelle, innerhalb derer sich immer weniger Menschen dauerhaft an einen Ort binden (wollen).</p><h2><b>Mietenproteste als Absage an die herrschenden Verhältnisse</b></h2><p>Deutlich klar wird durch die historische Kontinuität und die Überschneidungen zwischen den Zuständen in den frühen 1870er Jahren und heute aber, dass eine sozial gerechte Lösung der Wohnungsfrage, bei der das Recht auf Wohnen nicht der Spekulation preisgegeben wird, innerhalb kapitalistischer Gesellschaften nicht zu erwarten ist. Sei es nun die gezielte Aufwertung von Vierteln durch Luxusbebauung, wie es der Friedrichshainer Süden gerade erlebt, oder die direktere Form der Verdrängung, nämlich der Ankauf von Wohnimmobilien durch finanzstarke Investor*innen und die folgende Entmietung, (Luxus-)Sanierung und teure Neuvermietung – die Mechanismen, die zur Wohnungsnot führen, vollziehen sich innerhalb dieses spezifischen Gesellschaftsverhältnisses stetig neu. Einhergehen kann das mit einer verschärften ökonomischen Ausbeutung von Lohnabhängigen in den betroffenen Gebieten, z.B. indem wegen steigender Ladenmieten die Arbeit intensiviert wird, um das Geschäft profitabel zu halten. Im Lasker-Kiez wurden mit Beginn der Luxus-Bauprojekte zwei Lebensmittelläden geschlossen und abgerissen. In der Folge muss ein kleiner Supermarkt tausende Haushalte versorgen, was zur völligen Überlastung der dort Beschäftigten führt.<br/> Die Proteste durch Mieter*innen-Inis wie der aus dem Lasker-Kiez sind daher letztlich immer auch eine Absage an die herrschenden Verhältnisse. Ihr Potenzial und ihre Relevanz für die Menschen unserer Gesellschaft treten durch die historische Einordnung deutlich hervor: Es geht um’s Ganze.<br/> Oder mit Engels‘ Worten: „Solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage oder irgendeine andre das Geschick der Arbeiter betreffende gesellschaftliche Frage einzeln lösen zu wollen.“ Um schnelle Abhilfe zu schaffen und weil man irgendwo ja anfangen muss, liefert uns Engels auch einen Vorschlag für den ersten Schritt: Die Enteignung von Wohnraum und anschließende Nutzung entsprechend der Bedürfnisse der Menschen, die ihn brauchen.</p><p></p><p><i>[1] Alle Zitate sind Engels‘ Text „Zur Wohnungsfrage“ von 1872/73 entnommen.<br/>[2] Im Cottage-System mussten Arbeiter*innen in den dafür bereitgestellten Wohnungen ihrer Fabrikherren wohnen. Dieses Vorgehen erzeugte Gehorsam: streikten die Arbeiter*innen mussten sie nicht nur um ihren Arbeitsplatz, sondern auch um ihr Dach über dem Kopf fürchten.</i></p></div>
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Dasselbe in Grün, bitte!2021-05-15T08:00:00+00:002021-09-01T19:38:43.254832+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/dasselbe-in-gr%C3%BCn-bitte/
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<div class="rich-text"><p>Weltweit sympathisieren Linke mit <i>Fridays for Futur</i>e – einer jungen, grünen Graswurzelbewegung, der, so die Hoffnung vieler, das Potenzial innewohnt, die global fortschreitende Umweltzerstörung aufzuhalten. Der aktuelle Erfolg von <i>Bündnis 90/ Die Grünen</i> in Deutschland könnte als Übersetzung der kollektiven Artikulation grüner Forderungen auf der Straße in den politischen Betrieb gedeutet werden. Doch ebenso wie <i>Fridays for Future</i> sind die Grünen keineswegs als homogen progressive und schon gar nicht als genuin linke Kraft zu verstehen. Um zu beurteilen, ob die Hoffnung auf einen Wandel hin zu umweltverträglichem Wirtschaften gerechtfertigt ist, müssen wir eine Antwort finden auf die Frage: Gibt es einen grünen Kapitalismus?</p><h2><b>Das automatische Subjekt</b></h2><p>Schon die Marx’sche Theorie lehrt uns, dass die dem kapitalistischen System innewohnenden Triebkräfte, seinen allgemeinen Gesetzen folgend, stets hin zu maximaler Ausbeutung von Mensch und Natur tendieren. Das Kapital strebt fortwährend nach neuen, effektiveren Verwertungsmöglichkeiten zum Ziel der Profitmaximierung. „Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.“ (MEW: 1962, Bd. 23: 167). Als „automatischem Subjekt“ (ebd.), also als Wert, der sich so kontinuierlich wie bewusstlos selbst verwertet, sind ihm dabei die reproduktiven Grenzen der Natur gleichgültig. Die brasilianische Philosophin Isabel Loureiro konstatierte <a href="https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Beilage_Rosa150_web.pdf">jüngst</a>, die Grenzen seiner Akkumulation erreiche das Kapital nicht durch die Begrenztheit der Märkte, sondern durch die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, durch den Punkt, an dem unser Planet die Belastung durch Umweltverschmutzung und -zerstörung nicht mehr abfedern oder bewältigen kann. Sie reiht sich ein in eine lange Liste derer, die dem „Kapitalozän“, also dem Zeitalter des immer weiter voranschreitenden Kapitalismus, eine sehr düstere Zukunft voraussagen.</p><h2><b>Das Narrativ des grünen Kapitalismus</b></h2><p>Insbesondere grüne Liberale argumentieren diesbezüglich hingegen gern, dass der „freie Markt“ durch Konkurrenzdruck und staatlich nicht durch Vermögensbesteuerung begrenzte Gewinnaussichten permanent zu technologischen Neuerungen führt und dabei quasi nebenbei ressourcenschonende Technologien entwickelt werden. Obwohl es richtig ist, dass das Kapital nach Effizienz strebt und sich dabei folgerichtig ressourcensparende Technologien durchsetzen, da sich dadurch das vorzuschießende Kapital verringert, ist das Narrativ des grünen Wirtschaftens allein durch technischen Fortschritt eine so wirkmächtige wie falsche kapitalistische Mär. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel <a href="https://www.jasonhickel.org/blog/2018/9/14/why-growth-cant-be-green">verdeutlicht</a> das beispielsweise unter Berufung auf Ergebnisse verschiedener Studien, eine davon im Rahmen des UN-Umweltprogramms. Das Einsparen von Ressourcen durch effizientere Technologien führe, so Hickel, zu Rebound-Effekten. Das heißt, dass gespartes Geld bei Konsument*innen zu Mehrkonsumtion beziehungsweise eingesparte Produktionsmittel bei Unternehmen zu Mehrproduktion führen und der Ressourcenverbrauch dadurch letztlich sogar steigen kann.</p><h2><b>Climate Justice statt Green New Deal</b></h2><p>Ein alternatives, auf die Vereinbarkeit menschlichen Wirtschaftens und Zusammenlebens mit der Natur ausgerichtetes Konzept ist das der Klimagerechtigkeit. Das Aufhalten des Klimawandels wird darin mit der Überwindung globaler sozialer Ungleichheiten in Verbindung gebracht. Das Konzept berücksichtigt, dass die negativen Folgen des Klimawandels vor allem die Länder des globalen Südens und dabei in besonderem Maße marginalisierte gesellschaftliche Gruppen treffen, während sie größtenteils von den Ländern des globalen Nordens und dabei wiederum hauptsächlich von den reichsten Teilen der Gesellschaft verursacht werden. Führt man den Gedanken konsequent weiter, kann Klimagerechtigkeit als Ansatz verstanden werden, der auf die Überwindung des Kapitalismus und eine soziale Reorganisation der Gesellschaft(en) ausgerichtet ist. Und das ist bitter nötig,denn soziale Gerechtigkeit und damit auch Klimagerechtigkeit sind im Kapitalismus nicht zu erreichen. Maximal können Ungleichheiten bei entsprechendem politischen Gestaltungswillen verringert werden, wie etwa die keynsianisch geprägte Sozialstaatspolitik vieler westlicher Demokratien nach dem 2. Weltkrieg zeigte. Allerdings erreichte diese nie ein globales Level. Durch den Siegeszug des Neoliberalismus ist selbst ein nur teilweiser Abbau sozialer Ungleichheit in weite Ferne gerückt. Eine Überwindung manifester Ungleichheiten, die den Weg zur Klimagerechtigkeit frei macht, ist nur in demokratisch-sozialistisch organisierten Formen des Wirtschaftens und der gesellschaftlichen Ordnung denkbar.</p><h2><b>Auf dem Weg zur Macht</b></h2><p>Die Triebkräfte des Kapitals, seine nie enden wollende Verwertung, bei der es die natürlichen Ressourcen des Planeten unter permanenter Missachtung der Belastungsgrenze von Ökosystemen aufsaugt, sind von einzelnen Menschen oder von politischen Protagonist*innen unabhängig – und somit natürlich auch von Annalena Baerbock. Ein „grüner Kapitalismus“ trieb schon in der Vergangenheit absurde Blüten – man denke etwa an die CO2-Zertifikate, mit denen sich Konzerne von einer umweltbewussten Produktion freikaufen können, was der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen selbstverständlich wenig nützt. Dass Baerbock bei ihrer ersten Rede als Kanzlerkandidatin ausgerechnet pathetische Bilder der Pariser Klimakonferenz von 2015 völlig unkritisch beschwört, macht auch im Heute wenig Hoffnung auf nachhaltige Verbesserungen: Das wichtigste Ziel der Konferenz, die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5°C, wird durch die bisher getroffenen Maßnahmen bei Weitem <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/klimaabkommen-paris-fuenf-jahre-101.html">verfehlt</a>. Stattdessen wurde für die Zeit bis 2100 der ökologisch fatale Wert von 3°C berechnet. Ihre Ziele hinsichtlich der Begrenzung von CO2-Emissionen erreichen viele Staaten lediglich beiläufig wegen der wirtschaftlichen Einschnitte in der Corona-Pandemie statt durch politische Beschlüsse.</p><p>An dieser grundlegenden Tendenz des Kapitals, sich der politischen Regulierung zu entziehen, ja ihr seine Sachzwänge überzuordnen, kann auch eine grüne Kanzlerin in Spe nichts ändern. Hinzu kommt, dass die Grünen sich längst davon verabschiedet haben, progressive Gesellschaftsbilder zu entwerfen und für ihre Umsetzung zu streiten und es selbst mit dem Umweltschutz nicht mehr so genau nehmen. Erinnert sei hier an die NRW-Grünen, die sich im Zuge der Aushandlung eines Deals mit der SPD mit einer Rodung des Hambacher Forsts einverstanden<a href="https://www.nw.de/nachrichten/zwischen_weser_und_rhein/22244454_Hambacher-Forst-Die-Gruenen-ringen-um-ihre-Glaubwuerdigkeit.html"> erklärten</a>. Inzwischen kuscheln die Grünen auf dem Weg zur Macht ja lieber mit Konservativen. Auf eine schwarz-grüne Koalition können wir uns also getrost einstellen. Auf eine ökologische Wende leider nicht.</p></div>
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Drei Mythen über die Corona-Krise. Teil Drei.2020-11-01T11:58:15.483656+00:002021-09-01T19:40:36.263332+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/drei-mythen-%C3%BCber-die-corona-krise-teil-drei/
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<h1>Drei Mythen über die Corona-Krise. Teil Drei.</h1>
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<div class="rich-text"><p>Die Corona-Pandemie bringt für uns konstant Veränderungen mit sich: Im Tages- oder im Wochentakt werden neue Bedingungen und Regeln aufgestellt. Die meisten von uns verfolgen die Entwicklungen mehr oder weniger regelmäßig und versuchen, die Ereignisse und damit auch mögliche Szenarien der Krisenbearbeitung durch die Herrschenden einzuordnen und zu analysieren. Dabei gibt es auch Annahmen und Mystifizierungen, die es (zum aktuellen Zeitpunkt) zu hinterfragen und zu diskutieren gibt. Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Reihe zum Thema. Obwohl sich einige der Aussagen sicher verallgemeinern lassen, beziehen sich die folgenden Überlegungen in erster Linie auf die Bundesrepublik Deutschland.</p><p></p><hr/><p><i>Mythos 3: Um die Krise zu überwinden, müssen wir alle den Gürtel enger schnallen. Wenn wir jetzt verzichten können, wird es uns bald wieder besser gehen.</i></p><hr/><p>Gerade in Krisenzeiten wird gern die Floskel „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es uns allen gut“ in verschiedenen Ausformungen wiederholt. In der Corona-Pandemie wird das durch die Phrase ergänzt, wir alle wünschten uns eine baldige Rückkehr zur Normalität. Diese beiden Wunschgedanken bedürfen einer grundlegenden Kritik.</p><h3><b>Ein gutes Leben für alle?</b></h3><p>Was bedeutet es eigentlich, dieses „es geht uns allen gut“? Heißt es, dass wir alle einen Job haben, ein ausreichendes Einkommen und einigermaßen sichere Zukunftsaussichten? Dann ließe sich konstatieren, dass diese Lebensumstände im Kapitalismus selbst in wirtschaftlichen Konjunkturphasen bei Weitem nicht auf alle und spätestens seit dem Finanzcrash von 2008 und im Zuge des neoliberalen Umbaus wohl auch insgesamt für immer weniger Menschen zutreffen. Außerdem ignoriert diese Auffassung eines „guten Lebens“ die massive Beschneidung unserer Freiheit im und durch das Arbeitsleben: Wir müssen unsere Zeiteinteilung und gesamte Lebensplanung kapitalistischen Sachzwängen unterwerfen.</p><p>Eine freie Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung im Sinne eines guten Lebens sind kaum möglich: Viele von uns müssen Arbeiten verrichten, die sie nicht tun wollen, die sie körperlich und psychisch zermürben und krank machen. Wir lernen, uns und unsere Arbeitskraft im Berufsleben trotzdem zu selbst wie eine Ware zu verkaufen – vom Bewerbungsgespräch bis zur Profilierung vor Kolleg*innen und Chef*innen - um im Konkurrenzkampf nicht unterzugehen. Während der Arbeitszeit, also einem meist erheblichen Teil unserer Lebenszeit, sind wir fremdbestimmt. Unser*e Arbeitgeber*in entscheidet, welche Tätigkeiten wir wann und wie auszuführen haben. Demokratische Prinzipien gibt es in der Arbeitswelt kaum und auch, wenn sich manche Unternehmen gern den Anstrich flacher Hierarchien geben, bleiben Vorgesetzte doch immer Vorgesetzte, die die Grenzen unserer Selbstbestimmung von oben festlegen und sich den täglich durch unsere Arbeit geschaffenen (Mehr.)Wert aneignen.</p><p>Der im Kapitalismus strukturell unter diesem Wert liegende Lohn, der am Ende des Monats auf unserem Konto landet, dient im Wesentlichen der Reproduktion unserer Arbeitskraft, die wir dem Unternehmen schließlich auch noch im nächsten Monat gewinnbringend verkaufen können sollen. All das sind nur einige der täglichen Zumutungen des kapitalistischen Systems für unsere Leben. Mit anderen Worten: Im Kapitalismus geht es uns nie „gut“. Die reale Verschlechterung unserer Lebensverhältnisse, etwa durch steigende Zahlen derjenigen, die „arbeitslos“, also ohne entlohnte Arbeit sind, Kurzarbeit, steigende Lebenshaltungskosten bei gleichbleibenden Hartz4-Sätzen und sinkenden Löhnen, kommt durch die Corona-Krise nun zum bestehenden Stress noch dazu. Und wenn nun in der Pandemie darauf verwiesen wird, dass es uns allen gut geht, wenn es der Wirtschaft gut geht, dürfen wir nicht der Illusion verfallen, das Kapital würde irgendwelche sozialen Interessen verfolgen.</p><p>Das liegt gar nicht in seiner Logik. Im Gegenteil: Der Kapitalismus und darin das Kapital profitiert zum Beispiel von einer gewissen Zahl an Erwerbslosen, die in relativer Verelendung leben und die schon Marx als „industrielle Reservearmee“ bezeichnete. Sie dienen – wie auch Hierarchisierungen von Arbeiter*innen auf dem globalen Markt (bei der Ausbeutung von migrantischen Arbeiter*innen zum Beispiel) – zugleich als abschreckendes Beispiel („Seht, wie schlecht es euch erginge, wenn ihr nicht fügsam der für euch vorgesehenen Arbeit nachgeht!“), der Lohndrückerei und als tatsächliche Rücklage von Arbeitskraft, auf die in Zeiten des Aufschwungs zurückgegriffen werden kann. Sozialstaatliche Zuwendungen erfüllen dabei die Funktion, die potenziellen Arbeitskräfte in einem einigermaßen tauglichen Zustand zu halten, damit sie bei Bedarf verwertbar sind. Eine hohe Beschäftigungsquote und ein steigender Lebensstandard sind allenfalls Nebenprodukte der Kapitalverwertung, auf die keinerlei Verlass ist.</p><h3><b>Die Normalität heißt Verwertung</b></h3><p>Krisen stellen unsere sicher geglaubten Erwartungen für die Zukunft infrage. In so einer Situation ist nachvollziehbar, dass der Wunsch nach mehr Vorherseh- und Planbarkeit des Lebens aufkommt. Der Kapitalismus bietet uns, ganz einfach indem er seiner ihm innewohnenden Verwertungslogik folgt und uns durch immer neue Unwetter oder einfach durch den täglichen Nieselregen peitscht, diese Sicherheit aber so oder so nicht. „Das Einzige, das in diesen ökonomischen Stürmen gewiss ist, ist die Ungewissheit“ (Heinrich 2018: 175). Zu welcher Art Normalität sollten wir also zurückwollen? Wenn Politiker*innen davon sprechen, dass wir alle uns eine „Rückkehr zur Normalität“ wünschen, meinen sie vor allem, dass die infolge der Krise verschlechterten Kapitalverwertungsmöglichkeiten wieder verbessert werden sollen. Für den Staat ist das wichtig, weil er vom Kapital abhängig ist. Staatliche Strukturen, Investitionen und Institutionen werden durch Steuergelder finanziert, welche die Unternehmen vom Reichtum, den die Lohnabhängigen für sie erarbeiten, abführen. Staat und Kapital stehen in einer Wechselbeziehung. Insbesondere in der aktuellen Gesundheitskrise muss der Staat Leben und Gesundheit der Arbeiter*innen, die Wertbasis der kapitalistischen Demokratie, schützen. Aber nur insofern es dem kapitalistischen Gesamtinteresse dient.</p><p>Die Ausrichtung der Politik an kapitalistischen Interessen statt an hehren Prinzipien zeigt sich nur allzu deutlich daran, dass die Arbeitsbedingungen in großen Betrieben, zum Beispiel in der Fleischindustrie, als Infektionstreiber von der Politik ausgeklammert werden und aus der medialen Öffentlichkeit weitgehend verschwunden sind. Die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens hat Vorrang – koste es, was es wolle. Corona-Einschränkungen werden – in der zweiten Welle noch massiver – fast ausnahmslos in den privaten, sozialen und kulturellen Bereich verlegt. Die Jugend, die als Masse durchweg egoistischer Party-Monster inszeniert wird, ist der willkommene Sündenbock, um diese Politik zu rechtfertigen. Dabei wird auf valide Belege für diese homogene Darstellung ebenso gern verzichtet wie auf den Hinweis, dass durchaus auch ältere Menschen trotz Pandemie <a href="https://www.rnd.de/panorama/sozialpsychologe-uber-corona-partys-eine-grosse-rolle-spielen-egoistische-motive-KWNG2KXTZJDBTJLQ3FP27READA.html">Feiern veranstalten</a> und so weiter.</p><p>Abseits des Privaten hingegen sollen wir uns in volle Bahnen quetschen, uns acht Stunden lang neben unsere Kolleg*innen an den Schreibtisch setzen, mit Dutzenden von ihnen am Fließband stehen oder unsere Tage in schlecht gelüfteten Klassenzimmern verbringen (der Kapitalismus braucht gebildete kommende Generationen). Trotz exponentiell steigender Fallzahlen durften wir unser Geld abends noch über viele Wochen hinweg im Restaurant lassen – auch die Gastronomie ist eine wichtige Branche, was die aktuellen Debatten und Proteste um die weitgehenden Schließungen nochmal deutlich machen – uns aber bitte nicht im Park treffen. Neben der erschwerten Kontrollierbarkeit von Abstandsregeln sind derlei Freizeitaktivitäten auch einfach wirtschaftlich schlecht verwertbar und erscheinen daher aus der Perspektive der Politik am ehesten verzichtbar. Nachweislich hilft eine Reduktion der Kontakte, Infektionsketten zu unterbrechen und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Eben dieser Argumentation folgend ist es nicht nachvollziehbar, dass das für die Kontakte im Arbeitsalltag nicht gelten soll. Es ist mehr als offensichtlich, dass es nicht um uns, unsere Bedürfnisse und unsere Leben geht, sondern unsere Gesundheit nüchtern gegen Kapitalinteressen abgewogen wird.</p><h3><b>Es rettet uns kein höh’res Wesen…</b></h3><p>Ziel der aktuellen Politik ist nicht, das Leid, das der Kapitalismus für die meisten Menschen bedeutet, zu mindern, sondern es so rasch wie möglich auf den Prä-Corona-Stand zu bringen. Die alltägliche Missachtung unserer körperlichen und psychischen Gesundheit ist für uns außerhalb der Verschärfungen in der Corona-Krise weniger fühlbar und damit auch „normal“ geworden. Nur deshalb ist es leicht, uns vorzugaukeln, zu diesem Zustand zurückzukehren sei wünschenswert. Im Moment lassen sich damit sogar Wähler*innenstimmen gewinnen. Genaugenommen wird versucht, auf dieser Grundlage die Lohnabhängigen die Krise austragen zu lassen. Real- und Nominallöhne <a href="https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/09/PD20_366_623.html;jsessionid=3113DC22B27374FF3398F59C52227FD5.internet8732">sinken</a>, während die Vermögen der Superreichen – wie in fast jeder Krise – <a href="https://www.dw.com/de/reiche-werden-dank-corona-reicher/a-55184720">weiter wachsen</a>; große Konzerne werden aufwändig gerettet, während kleine Betriebe, Kleinselbstständige und Kollektive in die Röhre schauen.</p><p>Die Profiteure einer Krise sind selten die Arbeiter*innen. Der Kapitalismus ist in seinem Wesen krisenhaft: Betrachtet man die materiellen Verhältnisse, die er schafft und stetig reproduziert, ist seine „Rettung“ für den größten Teil der Menschen keineswegs erstrebenswert. Warum sollten wir diese neuerliche Krise der kapitalistischen Warenwirtschaft ausbaden, beeinträchtigt sie doch unsere Leben jeden Tag?! Parolen wie „Capitalism is the crisis“ oder „The virus is capitalism” haben deshalb aktuell zu Recht Hochkonjunktur, weil sie auf diesen Umstand verweisen. Bei entsprechendem politischen Willen gäbe es weitaus bessere Möglichkeiten, die Krise finanziell abzufedern: zum Beispiel Vermögens- und Erbschaftssteuern, stark progressive Einkommenssteuer oder Enteignungen. Stattdessen werden zum Beispiel durch die Senkung der Mehrwertsteuer in erster Linie weiter diejenigen bevorteilt, die ohnehin schon über komfortablere finanzielle Möglichkeiten verfügen. Was bringt es uns, beim Kauf eines Neuwagens soundso viel sparen zu können, wenn wir ihn uns eh nicht leisten können? Abgesehen davon, dass es den Unternehmen überlassen ist, ob sie die Steuersenkung überhaupt weitergeben oder sich selbst noch mehr bereichern. „Wir sitzen alle im selben Boot“ trifft also nur insofern zu, als das „wir“ nicht die Herrschenden und die Beherrschten, die Kapitalist*innen und die Lohnabhängigen zusammen meint, sondern nur uns, die wir weitestgehend vom Reichtum der kapitalistische Warenwirtschaft ausgeschlossen sind.</p><p>Die Krise gemeinsam zu schultern, kann nicht heißen, dass wir uns noch mehr vom Mund abzusparen müssen. Vielmehr heißt es, gemeinsame soziale Proteste gegen die Belastungen, die auf uns abgewälzt werden, zu organisieren, uns in Arbeitskämpfen nicht gegeneinander ausspielen zu lassen und die Reichen und Kapitalist*innen zur Kasse zu bitten. Wenn jemand den Gürtel enger schnallen muss, dann sie! Diese Form der Politik wird uns nicht von oben geschenkt, wir müssen sie von unten erkämpfen. Auch in Zeiten von Corona.</p><p></p><hr/><h3><b>Weiterführende Literatur:</b></h3><p>Heinrich, Michael (2018): Kritik der politischen Ökonomie: eine Einführung in „Das Kapital“ von Karl Marx. Reihe Theorie.org. Stuttgart: Schmetterling Verlag.</p></div>
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Drei Mythen über die Corona-Krise. Teil Zwei.2020-10-31T12:31:07.446411+00:002021-09-01T20:15:26.475261+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/drei-mythen-%C3%BCber-die-corona-krise-teil-zwei/
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<span class="content-copyright">Flickr | Lost in Transliteration</span>
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<div class="rich-text"><p>Die Corona-Pandemie bringt für uns konstant Veränderungen mit sich: Im Tages- oder im Wochentakt werden neue Bedingungen und Regeln aufgestellt. Die meisten von uns verfolgen die Entwicklungen mehr oder weniger regelmäßig und versuchen, die Ereignisse und damit auch mögliche Szenarien der Krisenbearbeitung durch die Herrschenden einzuordnen und zu analysieren. Dabei gibt es auch Annahmen und Mystifizierungen, die es (zum aktuellen Zeitpunkt) zu hinterfragen und zu diskutieren gibt. Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Reihe zum Thema. Obwohl sich einige der Aussagen sicher verallgemeinern lassen, beziehen sich die folgenden Überlegungen in erster Linie auf die Bundesrepublik Deutschland.</p><p></p><hr/><p><i>Mythos 2: Wir befinden uns in einer pandemiebedingten Krise.</i></p><p></p><hr/><p></p><p>Natürlich befinden wir uns in einer krisenhaften Zeit. Zum einen ist da die Gesundheitskrise: Gesundheit und Leben der weltweiten Bevölkerung sind durch das Virus und seine Ausbreitung tatsächlich bedroht. Ist von einer pandemiebedingten Krise die Rede, so ist aber zumeist eine wirtschaftliche Krise gemeint, die durch die Pandemie verursacht wird. Diese Schlussfolgerung lässt sich von zwei Seiten aus kritisieren.</p><h3><b>Kapitalistische Krisen</b></h3><p>Es wird zum einen ausgeblendet, dass der Kapitalismus <i>an sich</i> krisenhaft ist. Seine funktionellen Mechanismen haben zerstörerische Wirkung, was sich auf grundsätzlich widersprüchliche Verhältnisse dieser Wirtschaftsordnung zurückführen lässt. Der Kapitalismus ist auf die Naturkräfte und die Naturprodukte beziehungsweise natürlichen Ressourcen angewiesen. Sie bilden die Grundlage der Warenproduktion. Ungeachtet dessen strebt das Kapital nach immer besseren und umfassenderen Verwertungsmöglichkeiten, sprich mehr Profit – und das ohne Rücksicht auf die reproduktiven Grenzen der Natur. Es entzieht sich Stück für Stück die eigene Funktionsgrundlage.</p><p>Der Kapitalismus tritt damit in Widerspruch zu sich selbst. Zudem befindet sich der Mensch in einem dialektischen Verhältnis zur Natur, „<i>insofern sie 1. ein unmittelbares Lebensmittel, als inwiefern sie [2.] die Materie, der Gegenstand und das Werkzeug seiner Lebenstätigkeit ist. […] Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur“</i> (MEW 40: 516). Der Mensch ist also selbst Natur und steht ihr zugleich gegenüber, indem er sie durch seine produktive Tätigkeit verändert. Durch die kapitalistische Entfremdung von der Natur, die zu einer immer stärkeren Ausbeutung ihrer Kräfte und Ressourcen durch die menschliche Arbeit führt, tritt der Mensch also letztlich in Widerspruch zu sich selbst, indem er Lebensmittel und Gegenstand seiner Arbeit zerstört. Worum es im Kapitalismus geht, ist Kapitalverwertung und die Produktion von Mehrwert.</p><p>Es geht nicht darum, das Leben der Menschen durch Fortschritt zu verbessern, es geht nicht um Wohlstand für die breite Bevölkerung, es geht nicht um Nachhaltigkeit durch verbesserte Technologien, sondern um eines: möglichst effiziente Kapitalverwertung und den sich daraus ergebenden Unternehmensprofit. Das Argument des Fortschritts durch Innovationsdruck in der unternehmerischen Konkurrenz ist letztlich eine ideologische Überblendung dieser nüchternen Profitlogik. Der Kapitalismus mag gewaltige Produktivkräfte hervorbringen, aber eben darum wirkt er zerstörerisch auf den Menschen und die Natur. Die Form eines „Green New Deal“, wie ihn etwa EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen <a href="https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/green-new-deal-umweltschutz-ursula-von-der-leyen">propagiert</a>, ist auch deshalb eine Farce: Effizientere Technologien, die sich in einer nicht-kapitalistischen Ordnung wahrscheinlich tatsächlich im Sinne einer nachhaltigeren Produktion nutzen ließen, führen durch die Triebkräfte des Kapitals stattdessen zu Rebound-Effekten, das heißt, zu Mehrproduktion oder Mehrkonsumtion durch frei werdende Ressourcen, anstatt sie einzusparen. Einen grünen Kapitalismus gibt es nicht, da die ihm innewohnenden Mechanismen zwangsläufig die Übernutzung von Ressourcen nach sich ziehen.</p><h3><b>Krisen ins Innere verlagern</b></h3><p>Zur Zerstörung der Natur kommt die Zerstörung der einzelnen Menschen durch physische und psychische Belastung. Im Zuge der Neoliberalisierung haben sich dabei der Druck und Zwang auf die Arbeiter*innen zum großen Teil von außen nach innen verlagert. Selbstoptimierung und -Management werden zu Leitbegriffen immer größerer Teile der Bevölkerung. Sie sind die Prinzipien der neuen Arbeits- und Ausbeutungsmodelle. Die schlimmsten Auswüchse der Exploitation, wie sie noch im 19. Jahrhundert vorherrschten, sind nur scheinbar überwunden. Nach wie vor sind Kapitalismus und Ausbeutung eins: „Stößt die Verlängerung der Arbeitszeit aufgrund gesetzlicher oder tariflicher Beschränkungen an Grenzen, dann versucht der Kapitalist in der Regel eine Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, etwa durch ein höheres Tempo der Maschinen“ (Heinrich 2018: 114). In diese Kerbe schlägt beispielsweise der kürzliche <a href="https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2020-10/konjunkturkrise-mehrarbeit-ohne-lohnausgleich-gesamtmetall-chef-stefan-wolf">Vorstoß</a> des Gesamtmetall-Chefs und Multimillionärs Stefan Wolf, Pausenregelungen aufzuweichen, sowie Mehrarbeit ohne Lohnzuschlag ableisten zu lassen.</p><p>Ungehindert würde sich das Kapital seiner einzigen wirklichen wertschaffenden Grundlage berauben: der menschlichen Arbeitskraft. Allein politische Reglements und der Staat, die die Überbelastung der Arbeiter*innen begrenzen und die Reproduzierbarkeit der Arbeitskraft garantierten, verhindern diese Entwicklung – allerdings nicht primär zugunsten der Arbeiter*innen, sondern zugunsten der Sicherung des Kapitalismus selbst. In kapitalistischen Demokratien ist die grundlegende Aufgabe der Politik, die Gesundheit und Arbeitskraft der Bevölkerung so weit zu erhalten, dass sie für das Kapital produktiv bleibt. Die realen Lebensumstände einiger Menschen mögen dadurch an verschiedenen Punkten tatsächlich verbessert werden, was aber nichts an der zerstörerischen Tendenz des Kapitalismus ändert und schon gar nicht etwas über die Qualität dieses staatlichen Modells aussagt. In einem solchen System bleiben dennoch all jene auf der Strecke, die sich nicht standardisiert verwerten lassen oder aufgrund struktureller Benachteiligung und Ausschlüsse von vornherein schlechtere Chancen haben.</p><h3><b>Krise der Wirtschaft?</b></h3><p>Des Weiteren müssen wir nun genauer betrachten, was eine <i>Wirtschaftskrise</i> im kapitalistischen Kontext überhaupt bedeutet. In eine Krise gerät die kapitalistische Wirtschaft, wenn ein großer Teil der produzierten Waren wegen zurückgehender Zahlungsfähigkeit nicht mehr absetzbar ist. Historisch betrachtet verlief die Entwicklung des Kapitalismus seit seinen Anfängen in immer wiederkehrenden Krisen. Die unternehmerische Konkurrenz und der Zwang, Profit zu machen, bedingen den Wachstumszwang im Kapitalismus. Er drängt das Kapital zu einer immer weiter getriebenen Verwertung, was in einer Situation begrenzter Ressourcen und Konsumtionsfähigkeit zwangsläufig an materielle Grenzen stoßen muss. Das führt zu zyklischen Krisen, in denen die produzierte Warenmenge abnimmt. Wachstumshemmend sind diese nur geringfügig.</p><p>Nach einem jahrelangen kontinuierlichen Anstieg nahm in Deutschland selbst in der letzten großen Wirtschaftskrise nur im Jahr 2009 die Wirtschaftsleistung <a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251/umfrage/entwicklung-des-bruttoinlandsprodukts-seit-dem-jahr-1991/">um einige Prozent ab</a> und stieg ab 2010 weiter an. Auch inmitten der Pandemie schreitet die wirtschaftliche Erholung weltweit (und insbesondere in Deutschland, dank umfangreicher finanzieller Konjunkturstützungsmaßnahmen der Bundesregierung) immer weiter <a href="https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/Wirtschaftliche-Lage/2020/20201014-die-wirtschaftliche-lage-in-deutschland-im-oktober-2020.html">voran</a>. Entsprechend nimmt der Ressourcenverbrauch auch trotz Krisen konstant zu und hat dementsprechend das Potential zu immer verschärfteren Krisen. Damit ist nicht gesagt, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise zusammenbrechen muss. Krisen haben für den Kapitalismus sogar nutzenbringende Wirkungen. So sind Unternehmen durch die nachlassende Kaufkraft gezwungen, ihre Produktion wieder enger an die Nachfrage bzw. Zahlungsfähigkeit der Warenkonsument*innen zu koppeln und sie durch technische Neuerungen den veränderten Bedingungen anzupassen.</p><p>In der Krise können neue Industriezweige oder Branchen entstehen und wenig profitable Unternehmen werden durch Bankrott ausgesiebt. Damit werden die Bedingungen für den nächsten Aufschwung geschaffen. Krisen sind dem Kapitalismus also nicht nur aufgrund der sachlich bedingten Kapitalbewegung inhärent, sondern er kann sie funktionell integrieren. Obwohl sie für einzelne Unternehmer*innen nachteilig sind, können sie insgesamt die Wirtschaftsordnung am Laufen halten.</p><h3><b>Krise der Krisenerzählung</b></h3><p>Auch die aktuelle (wirtschaftliche) Krise ist keineswegs rein pandemiebedingt. Vielmehr ist der Kapitalismus in seinem Wesen widersprüchlich und somit krisenhaft und führt zyklisch zu wirtschaftlichen Einbrüchen. Darin ist die Pandemie ein besonderer Anlass der Krise, wobei sie einen kapitalistischen Charakter hat und im Wesentlichen kapitalistisch bedingt ist. Krisen bedeuten im Kapitalismus nachlassendes Wachstum. Um die Herrschenden diese momentane Krise der kapitalistischen Warenproduktion nicht auf unserem Rücken austragen lassen, müssen wir den kapitalistischen Wachstumszwang selbst als die Krise und den Grund für Ausbeutung und Gefährdung unserer Leben, unseres Planeten und die ungerechte Ordnung unserer Gesellschaft erkennen.</p><p>Letztlich zielt die bedrohliche Rhetorik der Politik in Bezug auf die Wirtschaftskrise darauf ab, die Akzeptanz dafür zu stärken, dass eine schlecht laufende Wirtschaft vor allem unsere persönlichen Leben beeinträchtigt und das angestrebte Wirtschaftswachstum (das uns gern widersprüchlich als „wirtschaftliche Stabilität“ verkauft wird) unser ganz individuelles wie vordringlichstes gesellschaftliches Interesse sei. Doch wer profitiert am Ende am meisten von den staatlichen Konjunktur-Maßnahmen? Schlechte Kapitalverwertungsmöglichkeiten führen durch die nachlassende Nachfrage nach Arbeitskraft zu Arbeitslosigkeit und damit zu einer realen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen durch Mangel an Einkommen zur Existenzsicherung.</p><p>Das hat mit den Lebensbedingungen der Arbeiter*innen im Kapitalismus generell zu tun. Indem man jede*n Einzelnen in die Pflicht nimmt, sich dem „kapitalistischen Gemeinwohl“ verpflichtet zu fühlen, suggeriert man, dass sich Kapitalinteressen mit sozialen Interessen decken würden. Das ist der Mythos, der in Teil drei dieser Reihe untersucht wird.</p><p></p><hr/><h3><b>Weiterführende Literatur:</b></h3><p>Heinrich, Michael (2018): Kritik der politischen Ökonomie: eine Einführung in „Das Kapital“ von Karl Marx. Reihe Theorie.org. Stuttgart: Schmetterling Verlag.</p><p>Marx, Karl (1968): Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. In: Karl Marx Friedrich Engels Ergänzungsband, MEW 40. Berlin: Dietz Verlag, S. 465–588.</p></div>
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Drei Mythen über die Corona-Krise. Teil Eins.2020-10-30T10:09:06.106885+00:002021-09-01T20:17:40.568127+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/drei-mythen-%C3%BCber-die-corona-krise-teil-eins/
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<h1>Drei Mythen über die Corona-Krise. Teil Eins.</h1>
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<div class="rich-text"><p>Die Corona-Pandemie bringt für uns konstant Veränderungen mit sich: Im Tages- oder im Wochentakt werden neue Bedingungen und Regeln aufgestellt. Die meisten von uns verfolgen die Entwicklungen mehr oder weniger regelmäßig und versuchen, die Ereignisse und damit auch mögliche Szenarien der Krisenbearbeitung durch die Herrschenden einzuordnen und zu analysieren. Dabei gibt es auch Annahmen und Mystifizierungen, die es (zum aktuellen Zeitpunkt) zu hinterfragen und zu diskutieren gibt. Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Reihe zum Thema. Obwohl sich einige der Aussagen sicher verallgemeinern lassen, beziehen sich die folgenden Überlegungen in erster Linie auf die Bundesrepublik Deutschland.</p><hr/><p><i>Mythos 1: Unsere Freiheit wird zunehmend eingeschränkt. Die Politik schlägt einen autoritären oder gar totalitären Kurs ein.</i></p><hr/><p>Ob sich die Machtapparate beziehungsweise die Herrschaftsstrukturen im Zuge der Pandemie in eine autoritäre oder totalitäre Richtung bewegen, hängt mit der Art der staatlichen Machtausübung zusammen, mit der wir es zu tun haben. Der französische Machtanalytiker Michel Foucault hat über mehrere Werke hinweg verschiedene Machtmodelle entwickelt und untersucht, die dazu hilfreich sein können. Interessanterweise legte er diese anhand des Umgangs mit verschiedenen Infektionskrankheiten dar. Sie lassen sich also gut auf das politische Handeln in der aktuellen Corona-Pandemie übertragen.Insgesamt finden sich in Foucaults Schriften drei Machtmodelle mit epidemiologischem Bezug, von denen vor allem das disziplinierende Pest-Modell und das liberale Pocken-Modell für die Analyse der heutigen Situation interessant und relevant sind.<br/></p><h2><b>Disziplinierung und Kontrolle</b></h2><p>Das Pest-Modell der Machtausübung setzt auf umfassende Disziplinierung und Kontrolle der Bevölkerung. Die Peststädte des 17. und 18. Jahrhunderts wurden gerastert und parzelliert, verhängten eine strenge Quarantäne und ließen alle Parzellen-Übergänge kontrollieren. Die Behörden prüften und erfassten permanent den Gesundheitszustand der Bevölkerungsmitglieder: „Der Raum erstarrt zu einem Netz von undurchlässigen Zellen. Jeder ist an seinen Platz gebunden. Wer sich rührt, riskiert sein Leben: Ansteckung oder Bestrafung. Die Überwachung ist lückenlos“ (Foucault 1994: 251 f.). Das Pest-Modell beschreibt eine totalitäre Machtausübung.</p><p>Für die Annahme, dass sich die Corona-Politik in Deutschland in Richtung dieses Modells entwickelt, finden sich nur wenige Anhaltspunkte. Streng genommen kann die Quarantäne, die für Infizierte, enge Kontaktpersonen oder Reisende angeordnet wird, diesem Modell zugeordnet werden. Allerdings wird diese Maßnahme anlassbezogen sowie zeitlich begrenzt angewandt und betrifft entsprechend nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. Verstöße gegen die Quarantäne-Anordnungen werden zwar geahndet, aber weitaus weniger drastisch sanktioniert als während der Pest-Epidemien. Einzelne Fälle, wie die infektionsbedingte <a href="https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Goettingen-700-Bewohner-in-Massen-Quarantaene,corona3508.html">Abriegelung</a> eines Hochhauskomplexes in Göttingen, sowie die flächendeckende Schließung von Geschäften und öffentlichen Einrichtungen, entsprechen am ehesten diesem disziplinierenden Modell. Darüber hinaus gibt es auch Versuche, Maßnahmen durchzusetzen, die auf eine umfassende Disziplinierung und Kontrolle abzielen. Dazu gehören die Bestrebungen der ersten Pandemie-Wochen, eine verpflichtende Corona-App inklusive Preisgabe zahlreicher sensibler Daten einzuführen und ebenso die jüngsten Äußerungen des RKI-Chefs Lothar Wieler, der von <a href="https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-10/lothar-wieler-rki-corona-risikogebiete-abriegelung">der militärischen Abriegelung</a> von Bezirken oder ganzen Städten fabuliert.</p><p>In der Regel haben kapitalistische Demokratien jedoch wenig Interesse an einem autoritären Wandel. Das heißt nicht, dass er ausgeschlossen wäre, wie die genannten Beispiele verdeutlichen. Derlei Maßnahmen sollten denn auch stets Gegenstand unserer Kritik und gegebenenfalls unseres Widerstands sein. Bevor wir aber voreilige Schlüsse über die Corona-Politik ziehen, sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Form der Machtausübung für den Kapitalismus, insbesondere in seiner neoliberalen Ausformung, allgemein wenig nutzbringend erscheint. Im Gegenteil, er profitiert sogar von liberal-demokratischen Ordnungen.</p><h2><b>Statistische Kontrolle und Eigenverantwortung</b></h2><p>Diesen Umstand greift Foucaults liberales Pocken-Modell auf. Die liberale Infektionsbekämpfungsstrategie, deren Modell sich vom administrativen Umgang mit den Pocken gegen Ende des 18. Jahrhunderts herleitet, besteht hauptsächlich in der statistischen Kontrolle ihrer Ausbreitung. Es werden vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen und Aufklärungskampagnen angewandt und auf die Eigenverantwortung der Individuen gesetzt, denen entsprechende Freiheitsräume gelassen werden. Ziel dieser Strategie ist die Senkung der Infektionsrate, um die mit der Epidemie einhergehenden Risiken, insbesondere für die Wirtschaft, zu minimieren. Paradebeispiele für dieses Vorgehen in der aktuellen Pandemie sind das im Frühjahr von Regierung und Medien verbreitete „flatten the curve“-<a href="https://www.flattenthecurve.com/">Modell</a>, demzufolge die Neuinfektionen in kleineren Raten über einen längeren Zeitraum gestreckt werden müssten, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Darüber hinaus gibt es die Festlegung von Grenzwerten für Regionen, unterhalb derer es nur wenige Einschränkungsmaßnahmen für die Bevölkerung gibt. Selbst die Ausgangbeschränkungen zur Peak-Phase der ersten Welle in der Bundesrepublik entsprechen dem liberalen Modell, da es sich keineswegs um Ausgangssperren handelte und die individuelle Bewegungsfreiheit unter bestimmten Bedingungen erhalten blieb.</p><p>Gibt es also überhaupt einen Grund zur Beunruhigung angesichts dieses liberalen Vorgehens? Durchaus. In seinen Vorlesungsunterlagen vom Collège de France schrieb Foucault 1978/79: „Man kann sagen, dass es die Devise des Liberalismus ist, gefährlich zu leben.“ (Foucault 2004: 101). Das heißt, dass das Risiko nicht ausgeschaltet, sondern strategisch integriert wird. Die Frage ist dann aber: Auf wessen Kosten wird gefährlich gelebt? Freiheit bedeutet im Liberalismus vor allem wirtschaftliche Freiheit. Individuelle Freiheit untersteht dabei der Freiheit, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen und die kapitalistisch produzierten Waren zu konsumieren.</p><h2><b>Neoliberale Pandemiebekämpfung</b></h2><p>Die Aufgabe der Politik ist in liberalen Demokratien, die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden freien Markt zu schaffen und zu erhalten. Herrschaft wird rationalisiert und folglich – garniert mit den bürgerlichen Werten der Aufklärung – die Reichweite der staatlichen Macht begrenzt. Individuen, denen bestimmte, wohlkalkulierte Freiheitsräume zugestanden werden, lassen sich effizienter verwalten. Dabei ist Effizienz der Leitstern des Neoliberalismus. Zwang wird weniger vertikal von oben, sondern maßgeblich durch die alles durchdringenden Sachzwänge des Kapitalismus ausgeübt. Auch die Bekämpfung der Corona-Pandemie basiert auf einem Risiko-Management, das von einer bestimmten Infektions- und Sterberate ausgeht, sie als vertretbar hinnimmt und erst einschreitet, wenn wirtschaftliche Schäden abzusehen sind. Das heißt also auch, wenn zu vielen der im kapitalistischen Verwertungsprozess benötigten Arbeitskräfte gesundheitliche Risiken drohen.</p><p>Das liberale Macht-Modell impliziert eine zynische Abwägung der Gesundheit und des Lebens von Menschen gegen wirtschaftliche Risiken. Um die Rettung und den Schutz jeder Einzelnen, wie zum Beispiel Angela Merkel noch in ihrer Fernsehansprache im März behauptete, geht es dabei nicht. Das Leid der Einzelnen, die Kranken und Toten verschwinden hinter den nackten Zahlen. Allein die Infektionsrate entscheidet, ob ihr Leid politisch zu verschmerzen ist oder politischen Handlungsbedarf auslöst. Alles zum Schutz der Wirtschaft! Die Verlagerung der Corona-Beschränkungen – vor allem auch in der zweiten Welle und selbst im „Lockdown-Light“ – ins Private und die Hervorhebung der Eigenverantwortung im Alltag sind paradigmatisch dafür. Politiker*innen äußern inzwischen ganz unverhohlen, dass „wir“ uns einen zweiten Lockdown wie im Frühjahr nicht leisten können.</p><p>„Wir“ meint dabei natürlich die kapitalistische Unternehmerklasse, zu der sich freilich sowohl die Lohnabhängigen als auch die Politik in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden. Es soll Akzeptanz für die Priorisierung der Wirtschaft in der Bekämpfung der Pandemie-Folgen geschaffen werden. Dahinter steht zum einen die Behauptung, die Krise sei rein pandemie-bedingt: die Verantwortung für sie wird nach außen verlagert, auf eine höhere Gewalt, die da über uns kommt (für ein Virus kann ja keine*r was). Und zum anderen wird so das Narrativ gestärkt, dass eine gut funktionierende kapitalistische Wirtschaft gut für uns alle wäre. Privat sollen wir uns isolieren und zum Wohle der Wirtschaft auf vieles verzichten: Freund*innen, Soziale Kontakte, Kultur, Entspannungsmöglichkeiten – vieles, was dem Leben Freude und Sinn gibt (und zusätzlich oft Funktionen der Reproduktion der Arbeitskraft erfüllt). Und das mag aus gesundheitlicher Sicht notwendig sein; aber im krassen Gegensatz dazu sollen wir uns zugleich an unseren Arbeitsplätzen, auf dem Weg dorthin und zurück, täglich einem Ansteckungsrisiko aussetzen, die Gefahr von Krankheit und Tod hinnehmen, um fürs Kapital weiterhin produktiv zu sein.</p><p>Während derzeit wenig auf einen autoritären Umschwung unter dem Deckmantel der Notstandsbekämpfung hindeutet, sollten uns eben dieser Zynismus und die kalte Sachlichkeit des Kapitalismus Sorgen machen, die unser Leben vor, während und nach der Pandemie bedrohen. Die Pandemie ist lediglich ein Vergrößerungsglas des Umgangs mit Leben im Kapitalismus. Diese Einsicht muss insbesondere in Zeiten der Krise, aber auch darüber hinaus, Triebfeder unserer linken und antikapitalistischen Kämpfe sein.</p><p></p><hr/><h2>Weiterführende Literatur:</h2><p>Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.</p><p>Foucault, Michel (2004): Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978 - 1979. Geschichte der Gouvernementalität 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp.</p></div>
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Moria brennt - Europa ist schuldig!2020-09-09T18:00:00+00:002021-09-01T19:39:36.290973+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/moria-brennt-europa-ist-schuldig/
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<div class="rich-text"><p>In der Nacht vom 08. zum 09. September ist das Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abgebrannt. Es war das größte Lager an der EU-Außengrenze, in denen Geflüchtete seit Jahren festgehalten werden, um sie an der Weiterreise in andere Staaten der Europäischen Union zu hindern. 13.000 Menschen, darunter viele Kinder und Familien, waren dort auf engstem Raum zusammengepfercht, obwohl das Lager nur für 2.300 ausgelegt war. Die völlige Überbelegung, mangelnder Zugang zu Wasser und Lebensmitteln und die Abriegelung nach Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle im Camp ließen Moria zur menschengemachten humanitären Katastrophe werden.</p></div>
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<div class="rich-text"><p></p><hr/><p></p></div>
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<div class="rich-text"><p>Menschengemacht deshalb, weil die Zustände in Moria von der unmenschlichen Asyl-Politik der EU verantwortet und gewollt waren. Ein abschreckendes Beispiel sollte das Camp sein, damit nicht noch mehr Menschen sich auf die gefährliche Reise nach Europa machen. Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Hunger fliehen und von denen sich die EU mit aller Macht abzuschotten versucht, weil sie meint, damit innenpolitischen Problemen – dem europäischen Rechtsruck – aus dem Weg gehen zu können, obwohl sie nur weiter Öl ins Feuer gießt.</p><p>Gezündelt hat die menschenverachtende Politik der EU, insbesondere von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Schon seit Jahren gibt er immer wieder schlagzeilentauglichen braunen Dreck von sich, um AfD-Wähler*innen zu gefallen, obgleich die lieber das Original wählen. Gleichzeitig treibt er auf politischer Ebene die deutsche und europäische Abschottungspolitik unter der Parole „Integration und Ordnung“ voran, was nichts anderes bedeutet, als das Asylrecht so weit auszuhebeln, wie nur möglich und gleichzeitig mit „Leitkultur“-Geschwafel den nationalistischen Geist zu beschwören.</p><p>Nach Beginn der Corona-Pandemie erklärten hunderte Kommunen der Bundesrepublik und die Länder Thüringen und Berlin, Geflüchtete von den EU-Außengrenzen aufnehmen zu wollen, die der Pandemie schutzlos ausgeliefert waren und sind. Entgegen seiner verlogenen und immer noch schwächlichen Lippenbekenntnisse, eine Handvoll Geflüchtete einreisen lassen zu wollen, stellte sich Seehofer quer und blockierte die Aufnahme.</p><p>Die bürgerlichen Politiker*innen vergießen indessen große Krokodilstränen angesichts des Brandes in Moria. Steckt euch euer „Die europäischen Werte sind mitverbrannt“ sonst wohin! Verbrannt sind die letzten Habseligkeiten von Verzweifelten! Verbrannt ist das letzte kärgliche Dach über dem Kopf von Menschen, die in Europa Schutz suchten und für die in euren Augen diese menschenunwürdige Unterbringung immer noch nicht schlecht genug war!<br/>Ihr habt seit Jahren zugesehen und mitgemacht. Eure Frontex-bewehrte Festung Europa, eure menschenrechtswidrigen Push-Backs, eure Asylrechtsbeschneidungen, eure Hetze, euer Nationalismus sind die Ursache des Leids in Moria.</p><p>Und die Wenigen, die den in Not Geratenen noch eine helfende Hand hinstrecken, werden von euch kriminalisiert. Dabei seid ihr die Verbecher!</p></div>
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Audio: Das ist nicht unser Haus!2020-09-02T19:00:00+00:002021-09-01T20:15:41.808451+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/audio-das-ist-nicht-unser-haus/
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<span class="content-copyright">re:volt magazine</span>
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<div class="rich-text"><p>Am Montag nach der zweiten großen Nazi-Demo anlässlich der Corona-Politik war sich die taz nicht zu schade, mit den Worten „Das ist unser Haus“ über einem Foto des Reichstags zu titeln. „Bitte was?“, möchte man da fragen. „Was ist bloß aus denen geworden?“. Und: „Was soll man dazu noch sagen?“<br/>Eigentlich gibt es dazu Einiges zu sagen.</p></div>
</section>
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<div class="rich-text"><p></p><hr/><p></p></div>
</section>
<section class="content content-section content-type-paragraph">
<div class="rich-text"><p>Die Bildung einer Phalanx aus Faschisten, Verschwörungsideolog_innen, Eso-Nazis und Bürgerlichen ist kein Anlass für Linke, sich der bürgerlich-liberalen Demokratie anzubiedern. Es wäre ein Fehler, in der Verbrüderung mit dem Liberalismus eine antifaschistische Strategie zu sehen, ist er doch eine Ideologie, die dem grassierenden rechten Gedankengut den Boden bereitet hat. Natürlich gibt es in der bürgerlich-liberalen Demokratie Rechte, für die wir auch als radikale, revolutionäre Linke stehen – Meinungs-, Presse-, Versammlungsfreiheit und eine, wenn auch stark begrenzte, Möglichkeit zur politischen Partizipation, wobei die Regierten natürlich immer die Regierten bleiben.</p><p>Es gibt diese Überschneidungen, weil wir als Linke demokratische politische Ziele haben. Es gibt aber auch die andere Seite der bürgerlich-liberalen Demokratie. Sie ist ein System zur Verwaltung und Führung von Menschen im Sinne des freien Marktes. Sie lässt der Bevölkerung immer so viel relative Freiheit, wie es braucht, um effektiv im Sinne einer kapitalistischen Produktions- und Verwertungslogik zu regieren. Für die Regierenden ist es sehr viel weniger gefährlich, wenn wir uns bei unseren grundrechtlich gesicherten Kundgebungen die Beine in den Bauch stehen, als wenn wir uns dem kapitalistisch-bürgerlichen System verweigern und entgegenstellen, weil wir unsere Fesseln deutlich genug spüren.</p><p>Die liberale Demokratie begrenzt die schlimmsten Auswüchse der Ausbeutung, um die Produktivität und Leistungsfähigkeit der Menschen zu erhalten, lässt aber noch so viel davon zu, dass der unternehmerische Profit gesichert ist. Sie hat kein Interesse an einer Überwindung des Kapitalismus, denn sie existiert in Symbiose mit ihm und profitiert von unserer Fügsamkeit am Arbeitsplatz.</p><p>Linke demokratische Forderungen müssen deshalb immer über das hinausgehen, was die bürgerliche Politik uns zugesteht. Wir müssen eine Perspektive anbieten, die sich klar gegen rechts, aber auch klar gegen das liberale Spektrum abgrenzt und es rechten Kräften nicht überlässt, sich als einzige Alternative zu den herrschenden Zuständen zu präsentieren. Wir müssen einen Weg aufzeigen, auf dem wir gemeinsam für soziale Gerechtigkeit, echte Partizipation und die kollektive Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen und die Möglichkeit einer Gesellschaft vorzeichnen, in der grundlegende Rechte als Wert aufscheinen und nicht als politische Strategie.</p><p>Ein Haus, in dem ein Parlament täglich nur an der politischen Rahmenordnung für den Kapitalismus herumdoktert und darüber hinaus regelmäßig die Faschisten von der AfD das Wort bekommen, ist <i>nicht</i> unser Haus.</p><p>Und zur taz bleibt nur zu sagen: Zum Kopfschütteln peinlich. Oder: Ein Blatt, das AfD- und Bundeswehrwerbung abdruckt und nun den Reichstag zur Bastion gegen die Faschisierung stilisiert, ist schon lange nicht mehr links und nicht unsere Zeitung.<br/></p></div>
</section>
</article>
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<div class="column is-7-10">
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Kein Freund, kein Helfer2020-06-28T17:00:00+00:002021-09-01T20:16:12.513924+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/kein-freund-kein-helfer/
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<h1>Kein Freund, kein Helfer</h1>
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<div class="rich-text"><h2><b><br/></b>Warum die Forderung nach „Razzien bei Nazis“ problematisch ist</h2><p>Vor wenigen Tagen demonstrierten im Berliner Bezirk Neukölln zahlreiche Menschen gegen den rechten Terror, der seit einigen Jahren auch in diesem Stadtteil immer stärker um sich greift. Unserer Redakteurin Laura Müller fiel dabei eine Forderung auf, die auf den ersten Blick vollkommen plausibel, in der Rückschau aber denkwürdig scheint. In diesem Artikel erklärt sie, warum der Ruf nach „Razzien bei Nazis“ einer kritischen Reflexion bedarf und wir den Rechtsstaat und seine Organe konsequenter hinterfragen müssen.</p></div>
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<div class="rich-text"><p></p><hr/><p>Am 26.Juni 2020 fand in Berlin-Neukölln eine antifaschistische Demonstration statt. Anlass waren erneute rechte Anschläge, die sich in eine schon <a href="http://www.buendnis-neukoelln.de">seit 2016</a> andauernde Nazi-Terrorserie einreihen. Die Bäckerei Damaskus auf der Sonnenallee war bereits zum siebten Mal betroffen und so verlief die Route vom Hermannplatz an der Bäckerei vorbei bis zur Bar K-Fetisch, die im Dezember vergangenen Jahres ebenfalls Ziel rechter Taten wurde.<br/>Die Demo war wichtig und ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen. Insgesamt beteiligten sich ca. 2000 Menschen. Viele Teilnehmer*innen brachten Schilder und Transparente mit, um ihre Empörung über den sich normalisierenden rechten Terror, aber auch ihre Wut auf die Polizeibehörden, die sich seit Beginn der Anschläge durch einen offenkundigen Ermittlungsunwillen auszeichnen, sichtbar zu machen.</p><p>Auf einem Schild war die Forderung „Razzien bei Nazis, statt in Shisha-Bars“ zu lesen, die auch in einigen Redebeiträgen anklang. Sie bringt zum Ausdruck, was im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wieder mal offensichtlich wird, wenn trotz SS-Runen und Hakenkreuzschmierereien an den Tatorten „in alle Richtungen ermittelt“ wird und Betroffene über Verbindungen zu „kriminellen Clans“ ausgefragt werden: während (vermeintliche) Migrant*innen von deutschen Behörden permanent kriminalisiert werden, werden Nazis mit Samthandschuhen angefasst, ihre Taten heruntergespielt oder sogar vertuscht. Während sich Politiker*innen und die Berliner Polizeipräsidentin dafür abfeiern, allein 2019 etwa 400 Einsätze wegen angeblicher „Clan-Kriminalität“ durchgeführt zu haben und das Problem damit unverhältnismäßig aufbauschen, gibt es zum Neukölln-Komplex seit Jahren keine handfesten Ermittlungsergebnisse.</p><p>Die Wut der Betroffenen und ihr Wunsch, dass die Täter*innen endlich ermittelt werden, ist somit verständlich. Und doch ist die Forderung nach Razzien bei Nazis problematisch. Fast schon paradox mutet es an, wenn sie von Menschen auf Schildern nach außen getragen wird, die dabei „No justice, no peace“ rufen, wie auf der Demonstration am 26.06. geschehen - ein Ausruf der seit Jahren das tiefe Misstrauen von People of Colour und Antirassist*innen gegenüber der Polizei und anderen staatlichen Behörden ausdrückt und seit dem brutalen Mord an George Floyd und den anschließenden internationalen Protesten gegen rassistische Polizeigewalt eine neue Popularität erfährt. Struktureller Rassismus, rassistische Polizeigewalt und die Verwicklung in rechte Strukturen sind auch in deutschen Behörden eine Tatsache, auf die linke und antirassistische Aktivist*innen schon lange hinweisen und die durch die Aufdeckung zahlreicher entsprechender Fälle, von denen der NSU-Komplex und der Mord an Oury Jalloh nur die prominentesten sind, langsam auch in die Köpfe der Weißen deutschen Bevölkerung dringt.</p><p>Aus der Forderung nach polizeilichen Durchsuchungen hingegen spricht ein zutiefst bürgerlicher Glaube an den Rechtsstaat und die leise Hoffnung, dass es sich bei all den rechten Vorfällen in Behörden doch nur um bedauerliche Einzelfälle handelt, die es normalerweise nicht geben sollte. In ihr schlummert der Wunsch, die Polizei möge der Aufgabe nachkommen, die sie aus bürgerlicher Sicht hat: die Zivilbevölkerung vor Terrorismus, auch vor rechtem, zu schützen. Die Forderung ignoriert dabei, dass das Konzept einer exekutiven Staatsgewalt zwangsläufig Oppression von Menschen und Zwang beinhaltet und die ihr zugeordneten beruflichen Positionen daher naherliegenderweise einen Typ von Menschen anzieht und ausbildet, der sich diesem Zweck andient.<br/> Betrachtet man die Polizei aus dieser Perspektive, erscheint die Vorstellung, dass sie rechte Strukturen und Taten umfassend aufklärt irrig und es wird plausibel, dass sich Personen in diesem Berufsstand auch politisch von autoritären Strukturen mit Allmachtsphantasien angezogen fühlen. Und sie macht deutlich, dass wir als Linke und Antirassist*innen von Polizei und Ermittlungsbehörden wenig bis nichts erwarten können und auch nicht sollten.<br/>Wenn das Vorgehen der Polizei in Bezug auf rechten Terror von Kleinreden bis hin zu aktiver Beteiligung reicht und gleichzeitig ganze Menschengruppen aufgrund rassistischer Zuschreibungen unter Generalverdacht gestellt werden, um eine auf Sand, beziehungsweise auf <a href="http://www.spiegel.de/panorama/justiz/knapp-400-polizei-einsaetze-in-berlin-gegen-clankriminalitaet">unversteuertem Shishatabak</a>, gebaute umfassende Bedrohungslage zu inszenieren, müssen unsere Forderungen über das Verlangen nach einem Durchgreifen des Rechtsstaats hinausgehen und die Hilflosigkeit überwinden, die aus dem Ruf nach der Amtsgewalt ebenso spricht, wie latente oder manifeste Staatsgläubigkeit.</p><p>Fordern müssen wir eine umfassende Aufklärung der Verwicklung deutscher Behörden in rechte Strukturen, rechte Terrornetzwerke und rassistische oder faschistische Gewalt. Fordern müssen wir, dass unabhängige Stellen diese Aufklärung betreiben, die ein tatsächliches Interesse daran haben, diese Vorgänge aufzudecken und nicht daran, ihre Berufsehre zu retten. Und fordern müssen wir, dass Betroffene gehört, statt selbst kriminalisiert werden. Eine konsequente Aufklärungsarbeit muss Betroffene mit einbinden und Ermittlungen transparent machen. Und schließlich sollten wir selbst aktiv werden, Solidarität mit Betroffenen zeigen und leben, ihre Belange, Wünsche, aber auch Ängste ernst nehmen und sie dabei unterstützen, sich vor rechtem Terror zu schützen.</p><p>Wer aufhört, sich auf die Staatsgewalt zu verlassen, begibt sich oft auf unsicheres Terrain. Es gibt kein Patentrezept dafür, dem rechten Terror selbstorganisiert entgegenzutreten und auch dieser Text bietet kein solches. Wir können aber herausfinden, wie es geht – zusammen, solidarisch, entschlossen und mit wachen Augen für institutionellen Rassismus und rechte Umtriebe in staatlichen Behörden. Lasst uns gemeinsam das Misstrauen gegenüber dem Rechtsstaat stärken!</p></div>
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<h2>Lizenzhinweise</h2>
<p>Copyright © 2017 re:volt magazine Redaktion - Einige Rechte vorbehalten</p>
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Vor Corona sind nicht alle gleich2020-03-26T17:36:11.462187+00:002021-09-01T20:16:29.752097+00:00Laura Müllerredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/vor-corona-sind-nicht-alle-gleich/
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<h1>Vor Corona sind nicht alle gleich</h1>
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<div class="rich-text"><p>Die Ausbreitung des Corona-Virus beeinflusst derzeit unser aller Leben und unseren Alltag enorm. Dennoch sind wir in der Pandemie-Krise nicht alle gleich. Ob Geringverdiener*innen, Hartz IV-Bezieher*innen oder Wohnungslose – diejenigen, die es vorher schon schwer hatten, sind von den Auswirkungen am massivsten betroffen. Sie führen nun umso mehr einen Kampf um ihre ohnehin schon prekäre Existenz. Viele von ihnen sind auf Notversorgungsangebote wie die Tafeln angewiesen, welche derzeit nach und nach wegfallen. Durch die grassierenden Hamsterkäufe preiswerter Nahrungsmittel stehen oftmals (wenn überhaupt) nur noch die teuren Varianten im Supermarktregal, die sich Empfänger*innen von Sozialleistungen bei einem Bedarfssatz von zurzeit 150€ für Lebensmittel und Getränke schlicht nicht leisten können. Und die Schließung von Wohnungslosenunterkünften bringt Menschen ohne festen Wohnsitz in den immer noch bitterkalten Nächten in große Gefahr. Während für die Großkonzerne in Eilverfahren milliardenschwere Rettungspakete geschnürt und inzwischen auch für kleinere und mittelständische Unternehmen Schutzschirme gespannt werden, bleibt eine Antwort der bürgerlichen Politik auf die Frage, wie den ärmsten Bevölkerungsgruppen geholfen werden soll, bisher aus. An unterschiedlichen Stellen regt sich deshalb Widerstand. re:volt-Redakteurin Laura Müller hat darüber mit der Erwerbsloseninitiative Basta! Berlin gesprochen.</p><p></p><p><b>Eine wichtige Frage gleich zu Beginn: Wie treffen die Konsequenzen der derzeitigen Pandemie-Bekämpfung Bezieher*innen von Sozialleistungen und prekär Beschäftigte?</b></p><p></p><p>Die Einschränkungen treffen alle Lohnarbeitenden und abhängig Beschäftigten. Besonders betroffen sind momentan all jene, die ihre Arbeitsplätze wegen der Pandemieverlieren, aber zum Beispiel auch Menschen mit Behinderungen oder Sexarbeiter*innen, also Menschen, die sonst öfter mal in Arbeitskämpfen übersehen werden. Dazu kommen Freiberufler*innen, Künstler*innen, Honorarkräfte und so weiter. All jene bräuchten unbürokratische Entschädigungszahlungen. Eine andere Risikogruppe sind Immigrierte aus EU-Staaten, die gerade von Jobcentern in subalterne und schmutzige Berufsbranchen verwiesen wurden. Diese Jobs in der Gastronomie, dem Sicherheitsgewerbe, der Tourismusbranche, auf dem Bau oder in den Schlachtfabriken sind ungesicherter als vergleichbare Arbeiten und zudem mies bezahlt. Es ist damit zu rechnen, dass in den nächsten Tagen und Wochen zigtausend Leiharbeiter*innen, Beschäftigte in der Probezeit oder Angestellte in sogenannten Subunternehmen ihre Jobs verlieren, Aufträge beziehungsweise gleich auch Verträge gecancelt werden und viele dann ohne Geld zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten dastehen<i>.</i> Wir bekommen da einiges mit. So sollte ein Zeitarbeiter einen Änderungsvertrag unterschreiben, der den bisher unbefristeten Arbeitsvertrag in einem befristeten umwandelt. Wir haben dringend geraten nicht zu unterschreiben. Generell empfehlen wir, Kündigungen nie zu bestätigen beziehungsweise zu unterschreiben.</p><p></p><p><b>Gibt es seitens der Jobcenter eine Reaktion auf die Pandemie, etwa Lockerungen von Sanktionen oder eine Aufhebung der Teilnahmepflicht an angeordneten Terminen und Maßnahmen?</b></p><p></p><p>Eine Lockerung gibt es: Die Termine im Jobcenter fallen schlicht aus – wohl auch die zum medizinischen Dienst und zur Trägermafia. Damit meinen wir Wohlfahrtsverbände und andere private Unternehmen, die mit sanktionsbewehrten Maßnahmen wie Coaching, Bewerbungstraining, Ein-Euro-Jobs ihr Geld verdienen. In Berlin stehen derzeit Mitarbeiter*innen von Jobcentern vor der Tür – dort nehmen sie die Papiere entgegen oder teilen Antragspakete aus. Das erscheint erst einmal sinnvoll, denn so kommt man immerhin an die Anträge. Nicht alle Leute haben Drucker, Patronen, Papier und Internetanschluss. Wir nehmen zudem an, dass die Außendienstmitarbeiter*innen Schnüffelbesuche bei Sozialleistungs-Empfänger*innen vorerst einstellen. Es darf derzeit keine Sanktionen oder Reduzierungen der Leistungen wegen „Fehlverhaltens“ geben. Das alles geht aus den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit für die Jobcenter hervor. Eigentlich müssen sich alle Jobcenter daran halten. Allerdings heißt das nicht viel: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtsurteils gegen Hartz IV-Sanktionen im vergangenen Jahr [Teile der Leistungskürzungen wurden von den Verfassungsrichter_innen als verfassungswidrig eingestuft, Anm. Red.] ist die Anzahl der Sanktionierten beispielsweise nicht gesunken.</p><p></p><p><b>Welche Härtefallregelungen gibt es für Menschen, die aufgrund ihres Alters oder gesundheitlichen Zustands besonders gefährdet sind?</b></p><p></p><p>Es gibt den unabweisbaren Mehrbedarf. Diesen Antrag kann mensch nach § 21 SGB II oder § 30 SGB XII stellen. Einzelne von uns haben probeweise „Versuchsanträge“ auf Mehrbedarf gestellt, mit dem Verweis, dass derzeit nicht mehr die billigsten Produkte verfügbar sind und die Lebensmitteltafeln kaum erreichbar seien.</p><p></p><p><b>Welche staatlichen Sofort-Maßnahmen erachtet ihr für notwendig, um die Auswirkungen der Krisenbearbeitung für Leistungsempfänger*innen abzumildern?</b></p><p></p><p>Hier gibt es natürlich nur die bekannten Tropfen auf den heißen Stein – etwa, was den Umgang mit der Beschränkung sozialer Kontakte auf ein Minimum angeht. Maßnahmen könnten für den konkreten Prozess der Antragsstellung oder -aktualisierung wie folgt aussehen: Um einen Antrag überhaupt stellen zu können, sollten öffentliche und kostenfreie Faxgeräte, Drucker und ähnliches bereitgestellt werden. Dann haben die Leute auch gleich eine Eingangsbestätigung der Antragsabgabe. Ein Erstantrag sollte formlos möglich sein. Innerhalb von 14 Tagen sollte dann eine Bewilligung und Auszahlung erfolgen. Wichtig wäre auch die Anerkennung von Ansprüchen, auch wenn die Voraussetzungen nicht hundertprozentig geklärt sind, etwa nach Aufhebung von Arbeitsverträgen oder bei Vermutung von angeblichen Vermögen bei Lebensversicherern. Die Jobcenter müssen davon ausgehen, dass Menschen, deren Bewilligungszeitraum abläuft, derzeit insbesondere weiterhin auf Hartz IV angewiesen sein werden und deshalb auch ohne Weiterbewilligungsantrag weiterzahlen. Sinnvoll erscheint uns zudem, dass Rückzahlungen durch Bezieher*innen wegen vermeintlich fehlgehender Mitwirkung oder Sanktionen eingestellt werden. Es braucht hier einen generellen Schuldenschnitt der Hartz IV-Berechtigten. Statt der wie bisher gedeckelten Mietzahlung soll die vollständige Miete ausgezahlt werden. All das gilt nicht nur für Hartz IV, sondern auch in der Sozialhilfe, bei ausländerrechtlichen Angelegenheiten wie dem Asylbewerberleistungsgesetz, der Unterbringung von Wohnungslosen, beim BAföG, Kindergeld, Kinderzuschlag und so weiter.</p><p></p><p><b>Das waren ja nun die direkten Pflaster. Was muss sich langfristig ändern?</b></p><p></p><p>Die Behördenmitarbeiter*innen müssten erst einmal Sadismus und Jawohl-Dienst ver- und Toleranz und Zugewandtheit erlernen. Da dies unter kapitalistischen Produktionsweisen nicht passieren wird, gehört das Hartz IV-System abgeschafft. Hartz IV bedeutet eine Einschränkung der Grundrechte und hat großes persönliches Leid zur Folge. Nicht zuletzt sind die Behörden ein Hort von strukturellem Rassismus. Die Agenda 2010 hat den Prozess der Entsolidarisierung mit armen Leuten vorangetrieben, aber auch die Konkurrenz nach dem Motto „Jede gegen Jede“ gefestigt. Im Jobcenter ist seit 15 Jahren ein Vakuum an rechtlichen Bestimmungen entstanden, das die Behörde mit administrativen Willkürakten füllt. Das läuft bisher einfach weiter. Im Land der „systemrelevanten Berufe“ soll sich niemand dem Blick der Pädagog*innen und Ordnungsdienstmitarbeiter*innen entziehen können. Unsere Aufgabe als Gruppe ist die alltägliche Realität der Arbeiterinnenklasse und dabei bleibt nicht aus, dass wir die wachsende Abwesenheit von Rechtsgarantien und systematisch entrechtenden Verwaltungsakten für uns selbst und die sogenannten Anderen (EU-Bürger*innen und Drittstaatenangehörigen) wahrnehmen. Kollektiv tanzen wir auf dem Hochseil. Keine Lösung ist für uns, dass nur die deutschen Arbeiter*innen annehmbare Lebensbedingungen erfahren, eine solche Spaltung nach Nationalitäten lehnen wir ab. Europaweit betrachtet wäre es schon eine große Hilfe, wenn alle Menschen einen Anspruch auf Hartz IV hätten – natürlich ohne Sanktionen und egal, wo in Europa sie sich gerade aufhalten. Die Lebenshaltungskosten sind im europäischen Vergleich nicht so unterschiedlich, da sollte die Höhe von Sozialleistungen mindestens wie hier sein. Das wäre auch angesichts der europaweiten gleichzeitigen Bewältigung der Corona-Krise ein wichtiger Punkt.</p><p></p><p><b>Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Hartz IV-Bezieher*innen, die derzeit aus Gründen des Selbstschutzes den Anordnungen des Jobcenters nicht nachkommen können?</b></p><p></p><p>Der Selbstschutz wird zunächst einmal in der Behörde selbst umgesetzt. Die Mitarbeiter*innen der Berliner Jobcenter hatten gefordert, ganz schließen zu können, weil sie berechtigterweise ebenfalls auf Selbstschutz bedacht sind. Es wird also erst einmal keine Termine geben. Für die Bezieher*innen ist das nicht so einfach: In der Regel werden die Leute trotzdem zum Jobcenter gehen, weil sie dringend (Weiterbewilligungs-) Anträge stellen müssen, sich die Heizkosten erhöht haben, sie arbeitslos wurden, die Brille kaputt gegangen ist, der Strom gesperrt wurde, die Lebenserhaltungs- und Hygienekosten potenzielle minimale Puffer aufgefressen haben und so weiter. Wer bereits einen Termin bekommen haben sollte, der muss laut Aussagen der Jobcenter nicht hin. Krankschreibung wegen Erkältungssymptomen können nach einem Telefonanruf von den Ärzt*innen nachhause geschickt werden. Zum Briefeinwurf können wir aus Erfahrungen der lokalen Praxis sagen, dass sich die Hausbriefkästen der Jobcenter oft als schwarzes Loch entpuppen. Deshalb sollten die Schreiben gefaxt oder der Brief vor Zeug*innen eingeworfen werden. Letzteres ist aber mühseliger und nicht so gerichtsfest.</p><p></p><p><b>Wie könnte ein solidarischer Umgang mit den gesellschaftlichen Effekten des Corona-Virus, insbesondere für marginalisierte und prekarisierte Menschen, aussehen</b>?</p><p></p><p>Darüber denken wir auch noch nach, vor allem, weil tragfähige Strukturen, die die Menschen wirklich auffangen, noch weitestgehend weiterstgehend fehlen. Einige strukturelle Rahmenbedingungen haben wir allerdings schon diskutiert: Wir sollten strikt gegen eine komplette Ausgangssperre, beziehungsweise die Verhängung des Notstands handeln und argumentieren, ebenso wie gegen die Abschottung der Länder voneinander. Ein Widerstand dagegen ist auch deshalb wichtig, weil es viele Menschen auf besonders harte Art und Weise trifft – Menschen ohne Wohnsitz, ohne Meldeadresse und so weiter. Sie sind durch diese Restriktionen noch stärkeren Gefährdungen ausgesetzt. Das bedeutet nicht, sich gegen physische Distanzierung und gegenseitige Inschutznahme zu stellen, im Gegenteil: Es richtet sich gegen die menschenverachtenden Auswüchse davon, gegen die Vereinzelung und Isolation. Derzeit wird das Grundrecht auf Asyl ausgesetzt, die Freizügigkeit innerhalb der EU wird zumindest für einige vakant. Wir bekommen nichts mehr voneinander mit. Wir bekommen nicht mehr mit, was mit den Leuten ohne Wohnung, ohne Klo, ohne Krankenversicherungsschutz passiert. Wir bekommen nicht mehr mit, wenn Abschiebungen laufen und so weiter. Teilweise verpassen wir auch, was mit uns selbst passiert, falls wir selbst prekär beschäftigt sind und keine Ahnung haben, wie es weitergehen soll.</p><p>Die aktuelle Lage ist eine Pandemie und kein Krieg. Wir sollten weiterhin gegen die organisierte Leistungsverweigerung deutscher Behörden einstehen, denn das Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung gilt für alle Menschen.</p><p></p><p><b>Welche Schritte leitet ihr dafür als Basta! Berlin ein?</b></p><p></p><p>Wir selbst machen jetzt die Beratung per Mail und Telefon. Wenn es akut ist, gehen auch Einige von uns weiterhin mit zum Amt mit. Online gibt es außerdem eine <a href="https://www.change.org/p/finanzminister-olaf-scholz-und-wirtschaftsminister-peter-altmaier-mit-dem-bedingungslosen-grundeinkommen-durch-die-coronakrise-coronavirusde">Petition</a>, die „die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 800-1200 € pro Person für 6 Monate“ fordert. Das wäre ein guter Anfang. Natürlich schaffen wir das nicht alleine und stehen in Verbindung mit anderen Gruppen, um neuere Entwicklungen mitzubekommen, zumeist in Berlin. Wir sind beispielsweise weiterhin in Kontakt mit der FAU, den <i>critical workers</i> und der <i>oficina precaria,</i> wir holen uns Rat bei der <i>Also Oldenburg</i> und Norbert Herrmann aus Bochum. Viele Menschen brauchen gerade jetzt das persönliche Gespräch. Sie brauchen wenigstens einen Tagesaufenthalt. Ein warmes Essen und Getränke braucht es auch. Das geht problemlos infektionssicher. Macht alle wieder auf!</p><hr/><h2>Weiterführende Hinweise:</h2><p><a href="http://sozialrecht-justament.de/data/documents/Aenderungen-SGB-II-u.a.-Stand-24.3.2020.pdf">Aktuelle Änderungen im Sozialrecht</a> (23.3.2020)</p><p><a href="http://sozialrecht-justament.de/data/documents/kug-faq-kurzarbeit-und-qualifizierung-BMAS-ergaenzt-Bernd-Eckhardt.pdf">Fragen und Antworten zu Kurzarbeit und Qualifizierung (BMAS)</a> (Stand 23.3.2020)</p></div>
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<div class="rich-text"><p>In Hanau erschoss ein Mann am Abend des 19. Februar 2020 neun Menschen in zwei Shisha-Bars. In seinem Bekennerschreiben, das vor Rassismus, Misogynie und Verschwörungsphantasien überquillt, ist ganz offen die Rede davon, dass mehrere „<a href="https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133174.rechter-terror-elf-tote-in-hanau-taeter-mit-rassistischem-motiv.html">Völker komplett vernichtet werden</a>“ müssen. Der rechtsterroristische Charakter seines Vorgehens ist offensichtlich: dem Inhalt des Bekennerschreibens nach, wie auch in der Wahl der Opfer. Möchte man zumindest meinen.</p><p>Politiker*innen bekunden bundesweit ihre Bestürzung und ihre Anteilnahme. Allerdings trägt ihr öffentlicher Umgang mit Taten wie dieser oft dazu bei, dass der rechte Terror weiter um sich greifen kann. Ob aus Sorge, der eigene Anteil am Versagen in der Verhinderung rechter Anschläge könnte offensichtlich werden oder aus politischem Kalkül: Die Äußerungen vieler Repräsentant*innen staatlicher Institutionen bewegen sich nach der Tat in Hanau, wie bei vergangenen rechten und neonazistischen Terrorattacken, auf einem Kontinuum zwischen Verharmlosung und der aktiven Bereitung des Nährbodens rechter Gewalt.</p><p>Mit besonderer Schamlosigkeit stechen nach den Morden in Hanau Twitter-Meldungen von Sigmar Gabriel (SPD) und Hans Georg Maaßen (ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz) hervor. <a href="https://twitter.com/sigmargabriel/status/1230438894174375937?s=12">Ersterer</a> stellt die Erschießung von neun Menschen auf eine Stufe mit vermeintlicher Sachbeschädigung durch Linke, während <a href="https://twitter.com/matthiasmeisner/status/1230404730297430017?s=12">Letzterer</a> die Tat nutzt, um erneut gegen realsozialistische politische Systeme zu polemisieren und Antifaschist*innen mit Nazis gleichzusetzen. Nicht anders zu erwarten und dennoch <a href="https://www.volksverpetzer.de/kommentar/hanau-afd/">an Ekelhaftigkeit kaum zu überbieten</a>, äußern sich Mitglieder der AfD zum Anschlag und instrumentalisieren beziehungsweise relativieren die Tat. So betreibt der Berliner AfD-Mann Georg Pazderski (MdA) eine klassische Täter-Opfer-Umkehr: Er <a href="https://twitter.com/Georg_Pazderski/status/1230387001410674689">fragt</a>, ob das wirklich noch „das 2017 von der #Merkel-#CDU beschworene 'Deutschland in dem wir gut und gerne leben'?“ sei; während Jörg Meuthen (AfD) im stets wiederholten Einzeltäter-Sermon davon <a href="https://twitter.com/Joerg_Meuthen/status/1230411493340041216">schwadroniert</a>, die Tat sei „weder rechter noch linker Terror“ sondern „die wahnhafte Tat eines Irren“. Den Gipfel der Relativierung legte mal wieder „Vogelschiss“-Gauland (AfD) <a href="https://www.morgenpost.de/berlin/article228485597/Gauland-wirft-anderen-Parteien-Instrumentalisierung-vor.html">hin</a>: „Terror ist es ja meistens erst, wenn irgendein politisches Ziel erreicht werden soll. Bei einem völlig geistig Verirrten seh‘ ich kein politisches Ziel.“</p><p>Wie nach dem Mord an Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle, nach dem Auffliegen faschistischer Organisationsgruppen in Bundeswehr und Polizei oder nun nach dem Massaker in Hanau: immer wieder wird die Mär von verwirrten und sich isoliert im Internet radikalisierenden Einzeltätern beschworen, womit Rassismus und Menschenfeindlichkeit als strukturelles gesellschaftliches Problem verschleiert werden. Dass tatsächlich in vielen Fällen weit verzweigte Nazi-Terrornetzwerke und oft auch Verstrickungen mit staatlichen Apparaten hinter diesen Taten stehen, wird häufig sehr viel später und oftmals erst durch die engagierte Recherche antifaschistischer Aktivist*innen offengelegt.</p><p>Schon nach der Selbstenttarnung des NSU wurde offensichtlich, dass in der bürgerlichen Politik kein Interesse daran besteht, rechte Mordtaten vollständig aufzuklären und die Netzwerke, aus denen heraus sie begangen werden, zu zerschlagen. Seit Jahren und trotz zahlreicher handfester Indizien dafür, dass der NSU in komplexe rechte Strukturen eingebunden war, die bis in staatliche Behörden reichen, wird die Behauptung eines allein handelnden Terror-Trios aufrechterhalten, das nur punktuell Hilfe durch Unterstützer*innen bekam. Als ehemaliger Verfassungsschutz-Präsident spielte Hans-Georg Maaßen dabei eine nicht unwesentliche Rolle.</p><p>Die Strategie der Verharmlosung, des Herunterspielens und der Gleichsetzung von rechtem Terror mit linkem Aktivismus ist zum Steckenpferd vieler Politiker*innen geworden – und zwar weltweit. Wellen schlug Donald Trumps <a href="https://www.theguardian.com/us-news/2017/aug/12/charlottesville-protest-trump-condemns-violence-many-sides">Statement</a> nach dem Attentat in Charlottesville 2017, für das er antifaschistischen Demonstrant*innen eine Mitschuld gab. Weniger prominent, dafür in eine ähnliche Richtung deutend, waren die Äußerungen Silvio Berlusconis nach dem rechten Anschlag im italienischen Macerata 2018, der Geflüchtete als „<a href="https://revoltmag.org/articles/nicht-die-zeit-zu-schweigen-es-ist-die-zeit-des-widerstands/">soziale Bombe</a>“ bezeichnete und des australischen Senators Fraser Annings, der nach dem terroristischen Massenmord in Christchurch 2019 in einer <a href="https://www.theguardian.com/world/2019/mar/15/australian-senator-fraser-anning-criticised-blaming-new-zealand-attack-on-muslim-immigration">Twitter-Nachricht</a> einen kausalen Zusammenhang zwischen Immigration und rechter Gewalt unterstellte. In zahlreichen vom Rechtsruck betroffenen Ländern schaffen Politiker*innen mit solchen Aussagen ein Klima, in dem sich Nazis sicher fühlen in dem Bewusstsein, dass ihre Taten bagatellisiert, wenn nicht sogar gebilligt werden. Ein solches Vorgehen ist eine Verhöhnung der Opfer und eine gefährliche Verharmlosung rechtsterroristischer Taten.</p><p>Was bleibt, ist den geistigen BrandstifterInnen nicht die Deutungshoheit über Anschläge wie in Hanau durch ihr rechtes Framing zu überlassen und endlich auch die Mitschuld der bürgerlichen Politik an der zunehmenden Gewaltbereitschaft der RassistInnen klarer zu benennen. Es ist jetzt die Zeit, auf die Straßen zu gehen und lautstark gegen den faschistischen Terror und seine Wegbereiter*innen zu demonstrieren. Wenn Stimmen angehört werden, dann müssen es die Stimmen der Betroffenen und ihrer Nächsten sein, die viel zu oft in Krokodilstränen (alter) weißer Männer in Ämtern und Würden mit Floskeln à la „ein Angriff auf uns alle“ ertränkt werden. Es sind dieselben, die in den letzten Jahrzehnten gegen Geflüchtete, Ausländer*innen, Arbeitslose gehetzt und allesamt miteinander den neoliberalen Umbau in Deutschland betrieben haben, die jetzt vom „Wir, die Demokraten“ schwafeln im Angesicht dessen, dass RechtspopulistInnen und Neonazis die Ergebnisse jener Hetze und des neoliberalen Gegeneinanders besser auszunutzen wissen als „unsere Demokraten“. Diesem „Wir“ sollten wir uns als antifaschistische revolutionäre Linke verweigern.</p></div>
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