re:volt magazine Archivhttps://revoltmag.org/articles/?author=122018-01-20T23:21:29.023340+00:00Tötet den Metropolenchauvinismus in eurem Kopf!2017-11-15T11:11:31.148997+00:002018-01-20T23:21:29.023340+00:00Erdal Firazredaktion@revoltmag.orghttps://revoltmag.org/articles/t%C3%B6tet-den-metropolenchauvinismus-eurem-kopf/
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<h1>Tötet den Metropolenchauvinismus in eurem Kopf!</h1>
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<span class="content-copyright">Eren Kansoy</span>
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<div class="rich-text"><p>
</p>Seit der Rojava-Revolution
interessieren sich verschiedenste linke Bewegungen in Deutschland für
die kurdische Bewegung. Themen wie internationale Solidarität und
Internationalismus gewinnen von Neuem an Bedeutung für die hiesige
Linke. Viele verschiedene Gruppen und Strömungen, die sich sonst
innerhalb der linken Szene nicht über den Weg trauen, sind sich
plötzlich darin einig, dass die Revolution von Rojava ein Thema ist,
bei dem mensch wieder mal zusammenkommen und gemeinsam agieren kann.
Sofern man natürlich über seinen eigenen Schatten springt, die
Grabenkämpfe in der Szene mal hinter sich lässt und nicht nur im
Sinne der eigenen Gruppe, sondern auch mal im Sinne der linken
Bewegung als Ganzes agiert. Doch dazu später mehr.<p>
</p><p>Es gab natürlich hier und
da auch linke Gruppen, die sich mit der kurdischen Bewegung
auseinandersetzten, als es noch keine Rojava-Revolution gab. Vor
sechs, sieben Jahren war ich noch Teil des Verbandes der Studierenden
aus Kurdistan (YXK). Wir suchten den Kontakt zu linken Gruppen,
hielten uns immer mehr in linken Szeneläden auf, begaben uns
sozusagen in ein für uns neues Terrain. Oftmals stießen wir auf
Ablehnung, viele hatten uns schon in eine „völkische“ Schublade
gesteckt, manche wollten noch nicht einmal mit uns sprechen. Ich
erinnere mich, dass wir von vermeintlich linken Asten keine
Räumlichkeiten erhielten. Doch hier und da tauchten dann Gruppen
auf, die den Kontakt zu uns suchten, die nicht vorurteilsbeladen
sondern offen waren und auf uns zukamen, ohne dass wir sie suchen
mussten. Doch insgesamt schien uns der erste Kontakt zu der linken
Bewegung in Deutschland sehr schwierig.</p><p>
</p><p>Doch dann kam die
Rojava-Revolution und das Blatt wendete sich plötzlich. Auf einmal
war das Interesse an der kurdischen Bewegung derart groß, dass wir
gar nicht mehr hinterherkamen. Organisierten wir zuvor selbst
Diskussionsveranstaltungen, bei denen wir wochenlang Räume suchen
und Werbung machen mussten und am Ende vielleicht 40-50 Leute
erreichten, trudelten nun so viele Referent*innenanfragen bei uns
ein, dass wir gar nicht hinterherkamen. Jede*r innerhalb der linken
Bewegung redete plötzlich vom kurdischen Freiheitskampf. Ich
erinnere mich an eine Demo, an der plötzlich Leute von demselben
AStA auftauchten, die uns zuvor noch rigoros Räume für
Veranstaltungen verweigert hatten, und uns fragten, ob wir nicht mal
was mit ihnen organisieren wollten.</p><p>
</p><p>Letztlich waren wir
natürlich glücklich über diese Situation. Doch dieser neue Umstand
war für uns auch Anlass zur Selbstkritik: Der Paradigmenwechsel der
kurdischen Bewegung hatte sich bereits vor der Rojava-Revolution
vollzogen. Wieso war es uns nicht bereits früher gelungen, die Ideen
der kurdischen Freiheitsbewegung in der linken Bewegung in
Deutschland bekannt zu machen? Wieso musste es erst zur
Rojava-Revolution kommen, bevor die Leute uns nicht mehr als
„suspekt“ betrachteten oder uns als „nationalistisch“ oder
gar „völkisch“ ansahen? Als ich 2010 auf einer Delegationsreise
in Kurdistan war, erklärte mir ein Genosse, dass es die Aufgabe der
YXK sei, die Ideen der Bewegung, also den Demokratischen
Konföderalismus, innerhalb der linken Bewegungen in Deutschland und
Europa bekannt zu machen. Würden wir dies erfolgreich tun, so würde
das nicht nur uns weiterhelfen, sondern auch ein neues Feuer
innerhalb den Linken in Deutschland entfachen, ihnen neue
Perspektiven aufzeigen. Ich war damals nicht so überzeugt von seinen
Ausführungen, hielt sie für leicht überheblich. Im Nachhinein muss
ich sagen, dass er wohl Recht hatte und wir unserer Verantwortung
nicht gerecht geworden sind.
</p><p>
</p><p>Doch zurück nach
Deutschland. Es gab also in Deutschland diejenigen Gruppen innerhalb
der linken Szene, die mit uns gearbeitet hatten, als andere uns nicht
mal die Hand reichen wollten. Und dann gab es diejenigen Gruppen, die
plötzlich neu Interesse an uns zu gewinnen begannen. Das Problem,
das sich nun für uns auftat, war die Tatsache, dass die
unterschiedlichen Gruppen oft nichts miteinander zu tun haben
wollten, sich zum Teil gar feindlich gegenüberstanden. Keine
einfache Situation für uns. Wir wussten natürlich unsere „alten“
Freund*innen und Genoss*innen sehr zu schätzen. Doch ging es uns
stets darum, die Ideen aus Kurdistan zu verbreiten, sie innerhalb der
gesamten linken Szene zur Diskussion zu stellen und eine breite
Solidarität ins Leben zu rufen. Wir versuchten Bündnisse auf die
Beine zu stellen, beteiligten uns an bestehenden Bündnissen und
versuchten über die bestehenden Gräben, deren Ursachen wir
teilweise nicht richtig verstanden, zu springen. Doch wir stießen
auf Grenzen.</p><p>
</p><p>Wir machten dann die
Erkenntnis, dass bei manchen Gruppen Verbitterung aufkam. Sie
dachten, dass sie das Thema „Kurdistan“ für sich gepachtet
hatten. Ihnen schien es nicht zu gefallen, dass sich nun auch andere
Gruppen dafür interessierten. Ihr Solidaritätsverständnis schien
zu lauten: „Wir machen was zu Kurdistan, erreichen dadurch viele
Leute und polieren damit unsere Stellung auf.“ Eine tiefer gehende
inhaltliche Auseinandersetzung schien da eher weniger von Interesse.
Aber auch innerhalb der Szene begegneten wir zunehmend diesem
Phänomen, vor allem unter einigen Teilen unserer „alten
Freund*innen“.</p><p>
</p><p>Die Absicht von uns
kurdischen Aktivist*innen ist es, Menschen um die Ideen des
Demokratischen Konföderalismus herum zusammenzubringen, die sich als
politisch links verstehen. Wir haben keineswegs den Anspruch, die
Linke hier zu belehren und ihnen zu erklären, was „sie“ falsch
und was „wir“ richtig machen. Doch wir wollen unsere Konzepte und
Ideen der Szene bekannt machen und sie dazu einladen, darüber
intensiv zu diskutieren, damit mensch am Ende vielleicht für die
eigene Praxis Schlüsse daraus ziehen kann. Es geht dabei nicht
darum, die Praxis in Kurdistan nach Deutschland zu kopieren. Es geht
viel eher darum, aus den theoretischen Konzepten der Bewegung
praktische Schlüsse für die eigene Realität zu gewinnen, damit wir
hier gemeinsam Alternativen aufbauen können.</p><p>
</p><p>Um dies zu
ermöglichen, bedarf es einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der
kurdischen Freiheitsbewegung. Alle, die meinen, für ihre eigenen Gruppeninteressen das Thema „Kurdistan“ ausschlachten zu müssen,
sind hier fehl am Platz. Auch diejenigen, die meinen, Solidarität
bedeute, „Mitleid mit der Situation der Kurd*innen“ haben zu
müssen, werden nicht zum Kern der Sache vordringen können. Die
Solidarität, zu der wir aufrufen, soll dazu einladen, gemeinsam zu
diskutieren, zu arbeiten und Alternativen aufzubauen. Bei dem
<a href="https://revoltmag.org/articles/tötet-die-projektionsflächen-eurem-kopf/">Artikel</a>
des<i> re:volt magazine</i>-Redakteurs Geronimo Marulanda hatte ich hingegen den
Eindruck, dass da jemand ausgehend von seinen persönlichen negativen
Erfahrungen mit einzelnen Personen in der kurdischen Bewegung einen
Artikel zu Papier gebracht hat, der wenig mit konstruktiver Kritik zu
tun hat. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es Probleme dieser
Art beziehungsweise Widersprüche in der eigenen Basis gibt. Dadurch
aber die eigentliche Perspektive der Bewegung, die auch immer mehr
von der eigenen Basis angenommen wird, in Frage zu stellen, ist nicht
richtig und erinnert mich letztlich an die Überheblichkeit innerhalb
der deutschen Linken, auf die unser Genosse Hüseyin Çelebi in den
1990ern Bezug nahm.</p><p>
</p><p>Der meinte einst
bezüglich der deutschen Linken: „Für die BRD-Linke möchte ich
sagen, dass sie von einer sehr stark eurozentristischen, metropolenchauvinistischen Haltung geprägt ist, die konkret den
Leuten vielleicht noch gar nicht einmal bewusst ist, wie überheblich,
was für eine.... ich finde fast schon keine Worte mehr für dieses
Ausmaß an Anmaßung, was in dieser Haltung steckt. Sie haben gar
nicht mehr mitgekriegt, wie sehr ihnen der Imperialismus schon die
Köpfe gestohlen und das, was hier als Metropole bezeichnet wird, in
ihre Köpfe hereingemauert hat.“</p><p>
</p><p>Hüseyin Çelebi hat sich
in den 1980er Jahren sehr stark dafür bemüht, eine Zusammenarbeit
zwischen der kurdischen Bewegung und den linken Kräften in
Deutschland aufzubauen. Anfang der 1990er Jahre fiel er schließlich
im Freiheitskampf in Kurdistan.</p><p>
</p><p><a></a>Als
sich der Kampf in Kobanê auf seinem Höhepunkt befand, der IS kurz
vor dem Sieg stand, die Menschen weltweit auf die Straßen gingen und
letztlich die Anti-IS Koalition sich quasi erst in letzter Sekunde
dazu entschied, den IS in Kobanê zu bombardieren, tauchten plötzlich
in der linken Szene merkwürdige Diskussionen auf, die mich sehr an
die Worte von unserem Genossen Hüseyin erinnerten. Plötzlich
erklangen aus dem sogenannten anti-imperialistischen Spektrum
Stimmen, die darüber nachdachten, ob man vor dem Hintergrund der
neuen Situation nicht die Solidarität mit der kurdischen Bewegung
einstellen müsste. Leute, die ich für Genoss*innen hielt, hätten
also lieber den IS in Kobanê siegen als ein Einschreiten der
Anti-IS-Koalition gesehen. Ich fand damals, ähnlich wie Heval
Hüseyin, keine Worte für diese Überheblichkeit…</p><p>
</p><p>Wenn jetzt manche Leute
aus der Szene schreiben, dass abzuwarten sei, ob in Kurdistan eine
Revolution oder letztlich eine Integration ins System stattfinden
wird, dann rufe ich dazu auf, nicht die Ereignisse in Kurdistan
abzuwarten, sondern über unsere gemeinsame revolutionäre
Perspektive im Hier und Jetzt zu diskutieren und uns entsprechend zu
organisieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Idee des
Demokratischen Konföderalismus hierfür ein nützlicher Wegweiser
sein kann und schlage vor, gemeinsam darüber zu diskutieren. Doch um
eine produktive Diskussion zu ermöglichen, müssen wir zunächst den
Metopolenchauvinismus in unseren Köpfen töten.</p>
<hr/>Erdal Firaz ist kurdischer Aktivist.<br/><p><br/></p></div>
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