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Antifaschistischer Kampf ist nur gegen das System möglich

Pavlos Fyssas

Es sind fünf Jahre vergangen, seitdem der antifaschistische Musiker Pavlos Fyssas im Stadtteil Keratsini in Athen –  in der Nachbarschaft, die er sein Zuhause nannte – ermordet wurde. Sowohl die Mörder als auch die weiteren Beteiligten an dem Angriff waren Mitglieder der Neonazi-Organisation Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung). Seit fünf Jahren ist der Name Pavlos Fyssas zu einem Lied und einem Signal der antifaschistischen Kämpfe in Griechenland geworden. Seine Mörder schienen verurteilt und auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt. Allerdings: obwohl er den Mord gegenüber dem Gericht zugegeben hatte, wurde sein Mörder, George Roupakias, im März 2016 aus der Untersuchungshaft entlassen. Seitdem darf er sein Haus nicht verlassen – abgesehen von Auftritten vor Gericht, bei denen ihn bewaffnete Wachen begleiten und beschützen.

Indes kamen neue aufschlussreiche Beweise dafür ans Licht, was genau am dramatischen Abend des 17. September 2013 geschah. Die Forensic Architecture Research Group wurde von der Familie Fyssas und ihren gesetzlichen Vertreter_innen beauftragt, die Ereignisse der Nacht anhand des dem Gericht zur Verfügung gestellten Audio- und Videomaterials zu rekonstruieren. Die daraus resultierende Videountersuchung und der begleitende Bericht wurden am 10. und 11. September 2018 vor dem Gericht in Athen präsentiert und brachten CCTV-Aufnahmen, Aufzeichnungen der Kommunikation zwischen Polizei und Rettungsdiensten, sowie Zeugenaussagen zusammen. Das Ergebnis der Forschung erwies sich als ein Boomerang für die griechische Polizei.

Die Untersuchung ergab nämlich, dass Angehörige der Goldenen Morgenröte, einschließlich hochrangiger Beamter, in Bezug auf den Mord koordiniert vorgingen. Das Material zeigte, dass Mitglieder der Elite-Spezialeinheit der Polizei, bekannt als DIAS, vor, während und nach dem tödlichen Angriff vor Ort waren – und nicht eingriffen.

Polizei hätte Mord verhindern können

Im Rückblick: der erste Anruf bei der Spezialeinheit der Polizei (DIAS) ging um 23:54:14 Uhr ein. Um 23:58:11 Uhr kamen acht Polizist_innen mit Motorrädern am Tatort an. Dies belegt, dass die Aussagen der Polizeibeamt_innen vor Gericht falsch waren: dort sagten sie aus, dass sie vom Hauptquartier um 23:59 Uhr angewiesen wurden, zum Tatort zu gehen. Mehr noch: die Auswertung der Kamera-Daten legt nahe, dass spezielle Polizeikräfte am Tatort anwesend waren, bevor die verstärkte Golden Dawn Gang überhaupt ankam. Pavlos wurde etwa fünf Minuten nach Mitternacht ermordet. Das heißt acht vollbewaffnete Polizist_innen waren sechs Minuten vor dem Angriff vor Ort – und haben nichts unternommen. Im Gegenteil entschlossen sie sich laut den Kameradaten dazu, mit ihren Motorrädern eine Runde um den Block zu machen – eine Tatsache, die sie ebenfalls in ihren Aussagen verheimlichten. Um 00:05:20 Uhr informierte einer von ihnen schließlich das Polizeipräsidium, dass Pavlos Fyssas mit einem Messer verletzt worden sei. Wenige Minuten später war Pavlos tot ...

Fünf Jahre nach diesem grausamen und vorsätzlichen Mord an dem jungen Musiker erweist sich der antifaschistische Kampf in Griechenland als immer notwendiger. Nicht nur, weil seine Killer jetzt frei umherlaufen, sowohl der physische Täter, George Roupakias als auch seine Stichwortgeber der kriminellen Nazitruppe der Goldenen Morgenröte, samt ihres Anführer Nikos Michaloliakos. Sondern auch deshalb, weil wir uns heute in Griechenland, in Europa, in den USA und anderswo einem internationalen Erstarken der nationalistischen, rassistischen und faschistischen Bedrohung stellen müssen. Von der parlamentarischen Stärkung der rechtsradikalen Parteien in der EU (neuerdings auch in Schweden) über die Chemnitz-Zustände in Deutschland, bis hin zu den rassistischen und extrem rechten Pogromen auf Lesbos, wird eine vielgestaltige faschistische Strömung befeuert und bestärkt.

Der antifaschistische Kampf muss seine Intensität steigern

Um dieser Situation zu begegnen, müssen sowohl die Arbeiter_innenbewegung als auch die linken Kräfte insgesamt die Ursachen ihres Wachstums gründlich untersuchen. Zunächst sollten die Ursachen dargestellt und untersucht werden, die daher rühren, dass der Kapitalismus heute eine facettenreiche reaktionäre Wende zu vollziehen versucht, um seine tiefe strukturelle Krise zu überwinden. Diese Verschiebung äußert sich in einer tiefgreifenden Verstärkung der Ausbeutung, einer völligen Umgestaltung des Arbeitsmarktes, sowie in der Verschärfung kapitalistischer Gegensätze und der Umgestaltung des politischen Systems. Die Verschärfungen stärken den Nationalismus und erhöhen die Kriegsgefahr. Darüber hinaus findet ein enormer Angriff auf ideologischer Ebene statt, der rassistische Deutungsangebote und Feindseligkeiten gegenüber jeglicher Art von Aufklärung verstärkt.

Die extreme Rechte, die Nationalist_innen und die Faschist_innen, werden in dieser neuen überreaktionären Phase des kapitalistischen Systems vorne angestellt, und sie werden (immer im Kontext der Konkurrenz mit anderen bürgerlichen Parteien) zugunsten der Errichtung der neue Kannibal_innenpolitik genutzt: Sie spielen die Rolle eines „Schlagrings“ gegen die fortschrittliche Bewegung und die kämpfenden Teile der Gesellschaft.

Es ist kein Zufall, dass wir in Griechenland solche Kräfte immer auf der Seite der Kapitalist_innen und damit auf der entgegengesetzten Seite der Arbeiter_innenbewegung finden. Kürzlich wurde zum Beispiel die Gründung einer Arbeitsgewerkschaft im Sinne der Arbeitgeber_innen der Firma Cosco vorangetrieben – das Unternehmen gehört zur China Ocean Shipping (Group) Company, die einen Anteil von 51 Prozent des Hafens von Piräus gekauft hat und jetzt besitzt und kontrolliert. In diesem Fall haben die extrem rechten Kräfte den vorhergegangenen Streik der Decksleute sabotiert und zugunsten der chinesischen Unternehmensgesellschaft gehandelt.

Ein wichtiger Punkt in Bezug auf Griechenland ist auch, dass sich der Faschismus an der Verzweiflung nährt und entwickelt, welche durch die Barbarei des Memorandums und die Sparpolitik hervorgebracht wird. Gefördert von Regierungen und Kapitalist_innen führen diese Maßnahmen zu einer voranschreitenden Explosion von Armut und Arbeitslosigkeit, zu einer Ausweitung der Ungerechtigkeit gegenüber den Armen und unteren Klassen im Namen der Krise und zu einem generellen Fehlen positiver Perspektiven.

All dies sollte in Betracht gezogen werden. Es zeigt die Notwendigkeit für die antifaschistische Bewegung, ihren Kampf auf eine nächste Ebene zu heben. Der antifaschistische Kampf sollte zu einer permanenten Angelegenheit und Forderung der Bewegung insgesamt werden und Verbindungen mit den unteren und ärmeren Klassen schaffen. Dabei bleibt ein klarer Klassenbezug zentral: Die Verbindung des antifaschistischen Kampfs mit der umfassenderen Durchsetzung von Arbeitnehmer_innenrechten, dem Kampf gegen die Austeritäts- und die Memoranda-Politiken. In dieser Hinsicht könnte er mit dem weiteren antikapitalistischen Kampf verbunden sein, mit dem Kampf gegen die Kriege der NATO und der EU, die Tausende von Menschen dazu zwingen, Flüchtende zu werden – und nicht zuletzt mit dem kompromisslosen Kampf gegen Rassismus und jegliche Art von Diskriminierung in Verbindung gebracht werden.

Um siegreich zu sein, sollte die antifaschistische Bewegung von der Regierung, den bürgerlichen Parteien und Institutionen unterschieden werden. Dies ist eine Voraussetzung, um eine zutiefst demokratische und daher antisystemische Logik zu entwickeln und nicht in einer Verteidigungslogik der systemischen bürgerlichen Demokratie gefangen zu bleiben, die in den Augen vieler Arbeiter_innen zum Synonym für Heuchelei und Ungerechtigkeit geworden ist.

Die jüngsten Ereignisse in Griechenland, auch die Ermordung von Pavlos Fyssas, haben gezeigt, dass der Faschismus von der bürgerlichen Demokratie und den Zivilgerichten nicht gestoppt werden kann. Sie kann nur durch die massive Jugend - und Arbeiter_innenbewegung erreicht werden. Es sind die täglichen Kämpfe, welche Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit hervorbringen: Kämpfe für die Abschaffung von Ausbeutung und Diskriminierung, gegen die Interessen und Bestrebungen des Kapitals, der EU und der Regierungen.

Auf der Grundlage einer solchen Logik sollte sich die antifaschistische Bewegung zusammenschließen und die verschiedenen Strömungen in sich vereinen. Die massiven Demonstrationen gegen den Faschismus, die am 17. September in Gedenken an Pavlos, in Athen und in anderen griechischen Städten stattfanden und von einer großen, dynamischen Anzahl von Organisationen und politischen Kräften der Linken sowie von Gewerkschaften und Solidaritätsinitiativen organisiert wurden, könnten ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung sein.


Yannis Elafros ist Autor bei der griechischen Zeitung Prin.

Übersetzung: Eleni Triantafyllopoulou und Johanna Bröse.

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